[Debatte-Grundeinkommen] inflationäres blabla
Bert Grashoff
unversoehnt at gmx.de
So Jan 8 11:00:09 CET 2017
Hallo Karin,
> Wenn du das BGE wirklich NUR für Existenzsicherung haben möchtest, wären wir
> bei so etwas wie Hartz IV Niveau und es wäre dann fraglich, ob wirklich ALLE
> damit zurechtkommen würden.
Zieh dir doch bitte mal den Text von Blaschke rein. Aus dem wird
ersichtlich, dass der heutige ALG2-Satz nicht verfassungskonform ist,
sondern aus reinem politischen Gusto deutlich zu niedrig. Andererseits:
Das prekäre Beschäftigungsfeld rund um den Mindestlohn arbeitet Vollzeit
für die Kohle, die ALG2-Empfänger ohne Arbeit erhalten, teilweise sogar
für weniger. Wenn du ein paar mehr Kinder in die Welt und deinen
Haushalt gesetzt hast, wird's selbst mit speziellen beruflichen
Qualifikationen schwierig bis unmöglich, überhaupt einen Job aufzutun,
der ein Gehalt oberhalb von ALG2 abwirft. Ein wirklich großer Teil der
Gesellschaft lebt heute genau in den fraglichen Verhältnissen, die du
ansprichst. Wenn ich von soziokultureller Existenzsicherung spreche,
denke ich an 500, 600, 700 Euro heutiger Kaufkraft plus Miete und plus
Sozialversicherungen. Klar, das wird einigen Leuten nicht reichen, die
können ja dann aber hoffentlich auch irgendwie dazuverdienen. Andere
sind an ganz andere Enthaltsamkeiten gewöhnt und bräuchten das nicht für
privaten Konsum. Klar können die dann z. B. eine Kleinunternehmung
querfinanzieren, aber das ist m. E. nicht der politisch gemeinte
gesamtgesellschaftliche Gehalt eines bGE. bGE soll zumindest vorerst die
soziokulturelle Existenz im gesellschaftlichen Schnitt absichern, nicht
mehr, nicht weniger.
>
> Nun, wenn eine Firma gegründet wird, die ineffektiv Wirtschaftet, z.B.
> Maschinen einsetzt, die viel Strom verbrauchen, und dies dann eine andere
> Firma verhindert, die Maschinen einsetzt, die wenig Strom verbrauchende
> Maschinen einsetzen würde, so wäre das schlecht für die Umwelt. ;-)
Kein Einwand. Aber warum denkst du, dass mein Vorschlag solche
destruktiven Verhaltensweisen in irgendeiner Weise begünstigen würde? Er
sieht zwar eine radikale Umgestaltung einiger systemischer Parameter
vor, nicht aber ein Ende von marktvermittelten Konkurrenzverhältnissen.
Zudem sind Menschen grundsätzlich ja schon auch irgendwie
vernunftbegabt. Leuchtet mir nicht ein, was du damit sagen willst.
>
>> Andere Aktivitäten könnten wirtschaftlich Sinn machen und
>> auch vernünftig sein, werden aber von den etablierten Playern
>> nicht zugelassen, weil die sich nicht die Butter vom Brot
>> klauen lassen wollen.
> Das wird auch das BGE nicht verhindern. Das ist ein Merkmal des Kapitalismus
> und wird erst mit der Überwindung desselben verschwinden.
Ich hatte auszuführen versucht, dass ein bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen neben einem bGE inflationsresistent über
Geldmengenerhöhung finanziert sehr wohl grundsätzlich dazu in der Lage
wäre, weil es eben eine Demokratisierung der Gesamtwirtschaft befördern
würde. Demokratischere Verhältnisse könnten grundsätzlich dazu führen,
dass sich die vernünftigeren Verfahrensweisen gegenüber den
unvernünftigeren durchsetzen, unter Umständen sogar sehr schnell. Klar,
muss nicht so sein, z. B. weil die psychotechnologische Bearbeitung der
Schafe durch die Hirten das zu verhindern versuchen könnte, aber das
Potential scheint mir darin angelegt zu sein. Zudem scheint mir mein
Vorschlag einen dritten Weg aufzuzeigen. Insofern der Geldfetisch
systematisch zumindest auch egalisiert und demokratisiert werden würde,
wäre auch der Eigentumsfetisch nicht mehr das, was er heute ist. Bei
einem systemisch inflationierenden Geld dürfte analog zu folgender
Beschreibung von Marx der Kapitalist nur der verrückte Protagonist
gesellschaftlich nützlichen Fortschritts sein, der Protagonist
gesellschaftlich nützlichen Fortschritts aber der rationelle Kapitalist:
"Als bewußter Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist.
Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt und der
Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jener Zirkulation - die
Verwertung des Werts - ist sein subjektiver Zweck, und nur soweit
wachsende Aneignung des abstrakten Reichtums das allein treibende Motiv
seiner Operationen, funktioniert er als Kapitalist oder
personifiziertes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital. Der
Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu
behandeln. Auch nicht der einzelnen Gewinn, sondern nur die rastlose
Bewegung des Gewinnes. Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese
leidenschaftliche Jagd auf den Wert ist dem Kapitalisten mit dem
Schatzbildner gemein, aber während der Schatzbildner nur der verrückte
Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die
rastlose Vermehrung des Werts, die der Schatzbildner anstrebt, indem er
das Geld vor der Zirkulation zu retten sucht , erreicht der klügere
Kapitalist, indem er es stets von neuem der Zirkulation preisgibt."
(MEW23, 167f)
>
> Wenn ich ein Wirtschaftsunternehmen leite, das Produkte produzieren soll,
> bei denen sich täglich (du schriebst sekundengenau) die Beschaffungskosten
> für die Grundmaterialien erhöhen, welche Preise soll ich dann am Ende für
> meine Produkte nehmen? Wenn ich einen Preis A festlege und dann mein Produkt
> 4 Wochen im Regal liegt, hätte ich auch gleich Preis B nehmen können, zu dem
> ich eben 4 Wochen später meine Produkte herstelle.
Das sind letztlich alles Detailprobleme individueller
Vertragsausgestaltungen. Ich habe keine Lust, mir den Kopf von
Privatproduzenten zu zerbrechen. Ich zerbreche mir lieber meinen
eigenen. Schon klar: Systemische Inflation zerstört die
Planungssicherheit von ökonomischen Akteuren mindestens relativ. Deshalb
ja mein Vorschlag eines zusätzlichen bedingungslosen
Wirtschaftseinkommens als ergänzender Systemstabilisator. Grundsätzlich
würde es aber vermutlich auch ohne gehen. Vielleicht hilft's ja, mal
kurz die Situation idealtypisch aus der Globalperspektive zu betrachten:
Nehmen wir mal ein mehr oder weniger statisches BIP bei gegebenen
Produktionsverhältnissen an. Führen wir ein bGE inflationsresistent
sagen wir in einer Gesamthöhe des halben BIP ein, könnte sich das halbe
BIP diesem fixen Konsum nicht entziehen (jedenfalls nicht systemisch,
höchstens durch Geschäftsaufgabe, Landesflucht oder ähnliche
Spirenzchen), was auch heute schon mehr oder weniger in Europa der Fall
ist, weil es halt Sozialstaat gibt. Die andere Hälfte des BIP bliebe
aber Spielwiese für die ökonomischen Akteure und den Staat. Darum können
die mit ihrer Vertragsfreiheit bzw. Gesetzeshoheit weiter rangeln.
> Was ist, wenn ich erst abends zum Bäcker gehe statt morgens und deshalb mein
> Brot doppelt so teuer ist, ich aber am Morgen mein BGE bekommen habe und es
> deshalb am Abend schon nicht mehr reicht?
>
> Inflation hat eben auch Nachteile. ;-)
Neenee, das meinte ich mit sekundengenauer Inflationsresistenz: Der Teil
deines bGE, den du noch nicht ausgegeben hast, hält mit der
Preisentwicklung permanent mit. Wobei: Es hält halt mit der
Preisentwicklung des politisch gesetzten Warenkorbs mit, den das bGE
repräsentiert und in dem das Brot deines Bäckers unter Umständen auch
unterrepräsentiert sein könnte. Mit 'möglichst komplexem Warenkorb'
meine ich im Prinzip einen Mischmasch aus plan- und
konkurrenzwirtschaftlichem Element, der irgendwie statistisch einen
gesellschaftlichen soziokulturellen Existenzbedarf zu fixieren versucht,
wobei ich da wenig konkrete Vorstellungen zu hab', wie man das am besten
ausgestalten könnte. Klar ist nur, dass dieser Warenkorb ein eminent
politischer Gegenstand wäre, der insofern auch politisch umkämpft sein
dürfte. Ist nicht mein Thema, ginge bestimmt, wenn wir das denn wollen.
Solange ich das nur will, ist's wiederum auch egal. Du zahlst in meiner
Vorstellung beim Bäcker halt mit Karte oder sonstwie digital. Für das
bGE-Geld in meinem Vorschlag wäre Papier- oder Münzform echt dämlich -
was nicht heißt, dass deshalb alles andere Geld digital werden muss. Ich
bin kein Lobbyist der metall- oder papierproduzierenden Industrie, ein
inflationsresistentes EZB-Konto in einem inflationären Umfeld über
Papier und Münze zu führen, erschiene mir eine völlig sinnfreie
Ressourcenverschwendung. Gibt da ja so Bilder von Leuten aus
Inflationszeiten, die Schubkarrenweise Geld zum Bäcker für eine Semmel
karrten. Ähm, nö, das brauchen wir glaube ich echt nicht. Zumal ja auch
bereits heute das Geld- und Finanzvermögen und die wesentlichen Teile
der Geldzirkulation primär digital vorliegen. Da Geld ohnehin bloß ein
Fetisch ist, spricht bei einem politischen Konsens über ein bGE m. E.
auch echt nicht viel dagegen, diesen Fetisch als Geist in der
gesellschaftlichen Elektronik zu halten und gar nicht mehr
einzeldingliche Gestalt annehmen zu lassen.
Interessant ist vermutlich vor allem die Friktion zwischen
inflationsresistentem bGE-Konto und inflationierender übriger Geldmasse.
Bei einer Transaktion des bGE-Geldes an irgendeinen anderen
Marktteilnehmer müsste sich die Bindung an den Referenz-Warenkorb lösen
und somit das Inflationsrisiko auf den Marktteilnehmer übergehen, der
irgendwas gegen bGE-Geld verkaufte. Marktteilnehmer können sich diesem
Inflationsrisiko jenseits ihres eigenen bGE aber ohnehin nicht
entziehen, weil's halt geldpolitisch vorgegeben ist. Sie alle, wir alle
stünden unter dem Risiko, vom Gesamtverteilungskuchen, der nach
Gewährleistung des bGE an alle übrigbleibt, nicht ausreichend viel für
den eigenen Betrieb oder den eigenen Konsum über bGE hinaus einfahren zu
können - was kein struktureller Unterschied zu heute ist, wo es ja z. B.
auch ein Insolvenzrecht gibt. Inflation ist eine starke Motivation, die
Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zu erhöhen, schnell weg damit,
Lieferanten bezahlen, Kredite abtragen, Investitionen tätigen. Eine
rasende Inflation wäre sicherlich eine Belastungsprobe für die
Lieferketten, aber die müsste es eigentlich nur dann geben, wenn die
Gesamtgesellschaft irrational abtickt oder das oberste
Vermögenszehntausendstel es auf eine Kraftprobe mit dem neuen Geldsystem
anlegen würde. Wenn wir uns mit einer Zweidrittelmehrheit für so ein
Konzept entscheiden, hieße das ja von vornherein, dass wir als
Gesamtgesellschaft gewillt sind, das bGE zu gewährleisten und die übrige
Inflation dafür in Kauf zu nehmen. Es gäbe also keinen Grund, irrational
abzuticken, jegliches Vertrauen in den Gesamtmarkt und alle
Vertragsverhältnisse zu verlieren etc. pp. Wie du schon sagst: Formell
geht's um eine Inflation von vermutlich maximal 50 % im Jahr, die das
System produktiv zu handeln hätte. Wird's irrational, kann's aber
selbstverständlich schnell Richtung Hyperinflation gehen - was in der
Konsequenz auch das bGE zerschießen könnte, wenn nämlich die produktiven
Kapazitäten plötzlich wegen Hyperinflation gar nicht erst mehr genutzt
werden würden.
>
> Willst du wirklich ZWEI verschiedene Überweisungen BGE und WE
> (Wirtschaftseinkommen) auf dein Konto haben? Das BGE darf nicht als
> Sicherheit bei Bankgeschäften, das WE aber schon, dienen? So in etwa: Hier
> haben sie 500,- Euro zum Produkte des täglichen Bedarfs kaufen und noch mal
> 200,- Euro um es in ein Unternehmen ihrer Wahl zu investieren? Oder willst
> du lieber zwei Konten? Z.B. eines bei einer Geschäftsbank, eines bei einer
> Investmentbank?
Ich denke da eher an zwei Konten bei der EZB. Das bGE ist völlig
unreglementiert, es soll der Existenzsicherung dienen, also insbesondere
unpfändbar sein, aber du kannst es meinetwegen auch in Papiergeld
verwandeln und zum Heizen verwenden, ist mir egal, ist deins. Das
bedingungslose Wirtschaftseinkommen sollte zweckgebunden von der
privaten Verknusperung abgegrenzt werden, bräuchte also auch
irgendwelche Strukturen, die das kontrollieren. Davon haben wir heute so
viele, dass ich da kein pragmatisches Problem sehe.
> Dann dürfen aber keine Gewinne aus den Investitionen zurückfließen, weil die
> Leute sonst wieder anfangen zu spekulieren.
> Und wenn die Leute das WE nicht für privaten Konsum benutzen dürfen, werden
> sie es überhaupt als ihr eigenes Geld ansehen?
Sorry, Karin, ich glaube, wir leben im Kapitalismus und dass der auch
nicht mit der Einführung eines bGE plötzlich zu existieren aufhören
würde. Spekulationen wird's also sowieso weiter geben. Die Vorstellung
von 'eigenem Geld' ist m. E. gerade ein zentrales Problem des
Geldfetischs. Geld ist gesellschaftliches Verhältnis und gehört als
solches niemandem persönlich, sondern ist eine systemische Eigenschaft
unseres gesellschaftlichen Stoffwechselprozesses. Genau dieser Punkt,
dass wir kooperierende, soziale Gesellschaftswesen sind, würde mit einem
bedingungslosen Wirtschaftseinkommen tatsächlich bewusster gemacht
werden als heute, vermute ich. Aber solche Wesen sind wir auch bereits
heute, auch im Kapitalimus.
> Statt dessen könntest du dann auch regelmäßig einfach abfragen, wohin das
> Geld investiert werden soll. Dann bräuchtest du das Geld nicht erst zu
> überweisen.
Das finde ich Haarspalterei. Die technische Ausgestaltung interessiert
mich im Prinzip überhaupt nicht. Yo, du könntest der EZB sozusagen
mitteilen, wohin sie regelmäßig oder einmalig dein bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen (im Weiteren kurz: bWE) übertragen soll.
Überweisung nennen wir so etwas klassisch heute. Wie gesagt, das könnten
meinetwegen auch die Geschäftsbanken verwaltend übernehmen, weil die das
ja auch heute regeln.
> Das wäre eine Überwindung des Kapitalismus, wenn es keine Anhäufungen von
> Kapital in einer Hand gibt, sondern das gesamte Kapital verteilt auf alle
> wäre. Da hast du dir aber was vorgenommen! ;-)
Nein, nicht notwendig. Ich sage mit meinem Vorschlag nicht, dass ich
alles heutige Geld und alles heutige Eigentum für ungültig erklären
möchte. Das würde ein Ende des Kapitalismus bedeuten. Mein Vorschlag
will nur die Geldmenge erhöhen, nicht sie ersetzen. Und der
Eigentumsfetisch bleibt fürs Erste komplett unangetastet.
> Ein hohes BGE kannst du dir nicht vorstellen, aber ein niedriges BGE UND ein
> WE (Zusammen in derselben Höhe), das kannst du dir vorstellen?
Ja, weil ein bWE eine systemstabilisierende Funktion unter strukturell
inflationären Geldbedingungen hätte. Dafür kann ich rational auch
argumentieren, wenn meine Mitdiskutanten den Kaptialismus nicht
grundsätzlich ablehnen. Für ein einfach irrwitzig hohes bGE ist es viel
schwieriger, rational innerhalb kapitalistischer Verhältnisse zu
argumentieren.
> Auch der private Konsum dient der Wirtschaftsstabilisierung! Jeder Euro den
> du ausgibst ist eine Entscheidung für oder gegen ein Produkt. Ob du das Brot
> nun bei dem einen oder dem anderen Bäcker kaufst ist für dich vielleicht
> egal, für die Bäcker aber existenziell. Jeder Euro den du ausgibst sichert
> irgendwo einen Arbeitsplatz und du entscheidest, wo dieser Arbeitsplatz sein
> soll.
Schon klar. Aber dir ist hoffentlich auch klar, dass es einen
Unterschied zwischen Abschluss eines Geschäftsprozesses durch Verkauf an
einen Endverbraucher einerseits und der Planung und Durchführung eines
Geschäftsprozesses im Rückgriff auf Investitionen gibt, oder? Inflation
erschwert die Planungssicherheit für Investitionen. Bedingungsloses
Wirtschaftseinkommen könnte dieses zusätzliche Risiko abfedern, außerdem
halt schon bei der Investitionsplanung, nicht erst bei realisiertem
Geschäft demokratisierend wirken. Ich will ganz gewiss keine Wirtschaft,
die bloß Jahrtausende mit dem gleichen Krempel weitermacht wie bisher.
Innerhalb des Kapitalismus sind Investitionen DIE gesellschaftlichen
Agenten des Fortschritts.
Vielleicht dazu nochmal Kalle: "Die /wahre Schranke /der
kapitalistischen Produktion ist /das Kapital selbst/, ist dies: daß das
Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als
Motiv und Zweck der Produktion erscheint; daß die Produktion nur
Produktion für das /Kapital /ist und nicht umgekehrt die
Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde
Gestaltung des Lebensprozesses für die /Gesellschaft /der Produzenten
sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des
Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der
Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher
beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu
seinem Zweck anwenden muß und die auf unbeschränkte Vermehrung der
Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte
Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit
lossteuern. Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktivkräfte - gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten
Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals. Wenn daher die
kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die
materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden
Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch
zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden
gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen. [...]
Die Profitrate, d.h. der verhältnismäßige Kapitalzuwachs ist vor allem
wichtig für alle neuen, sich selbständig gruppierenden Kapitalableger.
Und sobald die Kapitalbildung ausschließlich in die Hände einiger
wenigen, fertigen Großkapitale fiele, für die die Masse des Profits die
Rate aufwiegt, wäre überhaupt das belebende Feuer der Produktion
erloschen. Sie würde einschlummern. Die Profitrate ist die treibende
Macht in der kapitalistischen Produktion, und es wird nur produziert,
was und soweit es mit Profit produziert werden kann. Daher die Angst der
englischen Ökonomen über die Abnahme der Profitrate. Daß die bloße
Möglichkeit Ricardo beunruhigt, zeigt gerade sein tiefes Verständnis der
Bedingungen der kapitalistischen Produktion. Was ihm vorgeworfen wird,
daß er, um die "Menschen" unbekümmert, bei Betrachtung der
kapitalistischen Produktion nur die Entwicklung der Produktivkräfte im
Auge hat - mit welchen Opfern an Menschen und Kapital/werten/ immer
erkauft -, ist gerade das Bedeutende an ihm. Die Entwicklung der
Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische
Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewußt
die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform. Was Ricardo
beunruhigt, ist, daß die Profitrate, der Stachel der kapitalistischen
Produktion und Bedingung, wie Treiber der Akkumulation, durch die
Entwicklung der Produktion selbst gefährdet wird. Und das quantitative
Verhältnis ist hier alles. Es liegt in der Tat etwas Tieferes zugrunde,
das er nur ahnt. Es zeigt sich hier in rein ökonomischer Weise, d.h. vom
Bourgeoisstandpunkt, innerhalb der Grenzen des kapitalistischen
Verstandes, vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion selbst, ihre
Schranke, ihre Relativität, daß sie keine absolute, sondern nur eine
historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der
materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist."
(MEW25, 260 bzw. 269f)
> Es ist die Frage, ob nur für solch eine Message wirklich ein so komplexes
> Konstrukt wie ein WE notwendig ist. Crowdfunding-Projekte gibt es auch jetzt
> schon. Du kannst auch jetzt schon gezielt Produkte kaufen um die Wirtschaft
> zu beeinflussen. Kein Mensch wird GEZWUNGEN Produkte von den Megakonzernen
> zu kaufen.
Mir ist echt unklar, was du daran komplex findest. Klar gibt's auch
heute Crowdfunding. Und auch schon sehr lange: Banken funktionierten
zumindest in Aspekten tendenziell schon immer sowieso so, die einen
sparen, die anderen nehmen Kredite, die Bank vermittelt. Bloß: Heute
haben wir eine massiv ungleiche Verteilung von Vermögen, folglich im
Prinzip überhaupt keine demokratische Gestalt dieses Prozesses. Und wie
gesagt: Inflation führt zu erhöhtem Investitionsrisiko, bWE könnte
dieses erhöhte Risiko abfedern.
> Aber mehr Transparenz in der Wirtschaft wäre auf jeden Fall gut. ;-)
Ja, echtes Crowdfunding würde bewirken, dass die Unternehmen sich
transparent machen müssten. Wir hätten heute nun wirklich die
informationstechnologischen Möglichkeiten, uns über unser gesamtes
Wirtschaftssystem als Weltgesellschaft aufzuklären. Das Privateigentum
aber zieht andauernd irgendwelche Datenschutzkarten und macht es damit
schwer bis unmöglich, kritischen Konsum selbst dann zu leben, wenn man
das denn möchte und es sich leisten kann.
>
> Wenn Firmen alle ihre Daten offenlegen, so wäre das Transparent und
> wünschenswert. Bei Privatpersonen ist das anders. Und im Moment wird es
> gerade andersherum gemacht. Firmen dürfen ihre Geschäftsgeheimnisse für sich
> behalten und Privatpersonen werden ausspioniert.
>
> Z.B. bei einem Handwerker: Er hat eine Firma und muss dort alles offenlegen
> (als juristische Person). Auf ausgezahlte Gehälter zahlt die Firma dann
> Lohnsteuer. Er überweist sich selbst also ein Gehalt (auf ein anderes Konto)
> und dieses (als natürliche Person) muss er dann nicht offenlegen.
>
> Das im Moment von natürlichen Personen eine Einkommenssteuererklärung
> verlangt wird, hat nur damit zu tun, dass eben NICHT von allen Firmen
> (Juristischen Personen) so eine transparente Offenlegung gemacht werden muss
> (z.B. bei Stiftungen), bzw. die Trennung zwischen juristischen und
> natürlichen Personen aufgeweicht worden ist.
>
> Wenn jemand z.B. Vermögen (Immobilien, Aktien etc.) hat und daraus Gewinne
> erwirtschaftet, so müsste er IMO dafür eine Firma haben, die diese Vermögen
> als Aktiva verwaltet und dann auch einen Geschäftsbericht macht, der
> unabhängig von der natürlichen Person ist.
>
> Aber das ist eben alles Theorie. ;-)
Karin, du hast eine verstrahlte Vorstellung von Privateigentum.
Privateigentum ist nunmal privat. Zuerst war die natürliche Person, dann
die juristische, nicht etwa umgekehrt. Mir ist völlig unklar, wie du dir
denkst, dass ein Multimilliardär sich in die schizophrene Situation
begeben sollte, das Vermögen seiner natürlichen Person und all seiner
vielen juristischen Personen nicht eben als sein persönliches (also auch
natürliches) Vermögen zu betrachten, sondern da irgendwo eine künstliche
Grenze einzuzimmern. Die künstlichen Grenzen zwischen natürlicher und
juristischer Person resultieren vor allem aus organisatorischen
Erfordernissen, nämlich z. B. daraus, dass das Vermögen einer
natürlichen Person sich als Investition vergesellschaftet und z. B. eine
Million Arbeitskräfte einstellt und Milliarden an
Vertragsverbindlichkeiten auch bei Lieferanten eingeht. Teilweise dienen
juristische Personen auch haftungsrechtlich dem Schutz des übrigen
Privatvermögens. Die steuerpolitischen Gründe sind dem schon
nachgeordnet. Klar ist jedenfalls, dass es Privatvermögen ist und als
solches immer in letzter Instanz einer natürlichen Person gehört.
>
> Nein, möchte ich nicht, siehe oben.
>
> Was ich möchte, ist, das es bei Privatmenschen überhaupt keine Vermögen mehr
> gibt. Höchstens ein kleines Grundstück mit einem kleinen Häuschen darauf zur
> privaten Nutzung (aber eben nicht als Vermögen, sondern als bedingungsloses
> Überlassen für private Zwecke). Kein Eigentum, aus dem Gewinne
> erwirtschaftet werden.
Das wäre Überwindung des Kapitalismus. Da hast du dir aber etwas
vorgenommen! ;-) ;-)
Aber gut, ich habe verstanden, warum du so argumentierst, wie du
argumentierst: Du sprichst quasi aus der Position heraus, wie du die
Welt haben möchtest, nicht aus der Perspektive, die uns leider
gesellschaftlich vorgegeben ist. Kann ich verstehen.
>
>> Definitiv falsch ist die Vorstellung, dass mit einem reinen
>> Mehrwertsteuermodell 'die Vermögen der Reichen langsam
>> weniger werden'.
> Doch schon, aber halt nur GANZ LANGSAM. Und nur unter bestimmten
> Voraussetzungen (z.B. dass die Vermögen nicht auf irgendwelchen Konten
> gehortet werden können und dort über die Zinsen anwachsen). ;-)
Hast du dafür auch irgendeine Art von Argument?
> Das hatte ich ja auch schon ganz am Anfang mal geschrieben. Ein BGE sorgt
> nicht automatisch für eine bessere Gesellschaft. Es ist nur ein
> Wirtschaftssystem, dass unsere Gesellschaft auf die Zeit vorbereitet, wenn
> niemand mehr arbeiten muss.
>
> Für den Konflikt Arm - Reich bringt uns das BGE nichts.
Das sehe ich anders. Es kommt auf die Ausgestaltungsform des bGE an und
selbstverständlich darauf, was die Gesamtgesellschaft dann daraus macht.
Grundsätzlich würde absolute Armut, die es auch hier und heute gibt, mit
einem bGE verschwinden und es ist denkbar, dass die kleinen Leute ein
neues Selbstbewusstsein bekommen. Was das Kapital ja gerne vergisst:
Gerade dieses Selbstbewusstsein, das eine Bedeutsamkeit für die
gesamtgesellschaftliche lebendige Arbeit hat, ist etwas, wovon die tote
Arbeit, also die Vermögenden zehren. Nochmal Kalle: "In der Agrikultur
wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des
Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das
Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und
Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der
Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen
Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der
Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft,
während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der
städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte
Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch
Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder
Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein
Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst,
den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner
Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in
Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie
die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie
als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser
Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur
die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses,
indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die
Erde und den Arbeiter." (MEW23, 528ff)
>
> Wie willst du das erreichen? Revolution?
In meiner Spätpubertät hatte ich mal eine Phase, wo ich dem
Revolutionspathos etwas abgewinnen konnte. Aber als Person bin ich schon
immer viel zu friedfertig gewesen, um gewalttätige Auseinandersetzungen
eine Option zu finden. Und intellektuell sehe ich auch keinerlei
Erfolgsaussichten für eine Revolution. Erstens gibt's so gut wie
überhaupt kein revolutionäres Subjekt, wir alle sind schon seit
Jahrhunderten an die Matrix Angeschlossene und von ihr Modellierte. Und
zweitens sind die gesellschaftlichen Destruktivkräfte in den Händen der
Militärs derart potent, dass ich auch keine Erfolgsaussichten über die
Schiene sehe. Gut, wenn wir einen dritten Weltkrieg bekommen und dann
überhaupt noch irgendwas übrigbleibt, dann wäre vielleicht so etwas wie
eine Revolution über Soldaten- und Matrosenaufstände denkbar, aber
selbst dafür fehlt mir die Phantasie. Ich denke stumpf an eine
Zweidrittelmehrheit in den Parlamenten und eine GG-Änderung. Die
bGE-Idee hat dafür m. E. das Potential, auch wenn's problematisch genug
bleibt. Zumal ja auch gar nicht klar ist, ob Wahlen nicht abgeschafft
werden würden, wenn sie denn tatsächlich mal etwas zu ändern versuchen
würden. Ich baue ein bisschen darauf, dass die Systemkrise des Kapitals
einem Experiment wie meinem Vorschlag eine Chance einräumt. Ich find's
zumindest interessant, was der aktuelle Papst so von sich gibt, die
katholische Kirche ist immerhin eine der größten Privatvermögenden,
die's in der Welt gibt. Meine Hoffnungen sind beschränkt, aber nicht
gestorben. Ansonsten mag Russel Brand ein eitler Spinner sein, aber
seinen Ansatz einer spirituellen Revolution finde ich eine Opiton, über
die wir m. E. immer mal wieder meditieren sollten:
https://youtu.be/3kkpxi6MayY
>> Mir ist unklar, warum innerhalb
>> der bGE-Szene nicht unterdessen geklärt ist, dass reine
>> Mehrwertsteuermodelle keine Option sind. Es ist doch wirklich
>> nicht schwer zu begreifen, dass eine komplette Steuerfreiheit
>> von Kapital die Schere zwischen reich und arm nur weiter
>> spreizen würde.
> Weil das BGE auch von Leuten propagiert wird, die eben den Kapitalismus
> retten wollen!
Ich bin da unschlüssig drüber. Ab August 2014 hatte ich hier im
Verteiler ziemlich ausführlich begründet, warum ich z. B. Götz Werner im
Verdacht habe, genau das und nichts anderes zu wollen. Kannst ja mal ins
Archiv schauen (vgl.
https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/ ), z. B.
https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-August/003932.html
Ich kenne Götz Werner als Person nicht, er interessiert mich auch nicht
weiter, aber ich habe durchaus den Eindruck, dass er seine
anthroposophisch motivierten und ziemlich überzeugend humanistisch
vorgetragenen Argumente für ein bGE durchaus ernst meint. Ich fürchte,
dass es nicht so einfach ist, dass er einfach Agent seines privaten
Vermögens innerhalb des Kapitalimus ist, sondern dass es irgendwie
weitaus schizophrener ist. Vielleicht will er beides, sein patriachales
Privatvermögen im Kapitalismus und eine humane Gesellschaft. Wie viele
Leute wollten nicht beides und sind deshalb zu den absurdesten
Überlegungen gekommen? Ich warte ja eigentlich nur darauf, dass
vielleicht Bernd mir zeigt, warum mein Vorschlag eines
inflationsresistenten bGE und bWE sich nur einreiht in die wirklich sehr
lange Reihe absurder Vorschläge zur Konzeption eines dritten Wegs.
Bisher bin ich da vielleicht einfach nur blind. Kapitalismus bleibt
Kapitalismus bleibt Kapitalismus.
>
> Du willst eine egalitäre Gesellschaft.
> Die wollen den Kapitalismus retten. :-(
Ist halt die Frage, ob ein bGE nicht grundsätzlich eine Versöhnung
dieser beiden Motive bewirken könnte. Die meisten Verfechter eines
Kapitalismus sind glaube ich nicht so sehr vom Kapitalismus überzeugt,
sondern eher von der Unmöglichkeit jedweder Alternative. Formell
egalitär ist der Kapitalismus ohnehin: gleiche Rechte für alle -
Obdachlosen und Milliardären ist das Nächtigen unter Brücken
gleichermaßen untersagt.
>
> Das glaube ich nicht. Was wären das denn für unterschiedliche Auswirkungen?
>
Das wiederhol ich jetzt nicht nochmal ausführlich: Eine reine
Mehrwertsteuer würde Kapital gänzlich steuerbefreien und damit noch mehr
aus der gesellschaftlichen Verantwortung entlassen und die
Reichtumsschere weiter spreizen.
Ich sag's dir mal, um's dem Verteiler zu sagen: Mir ist klar, dass ich
die vergangenen Monate hier im Verteiler wieder ziemlich präsent war,
Diskussionsfäden offen einer weiteren Bearbeitung harren, ich zudem
appellierte, eine ausführliche Modelldiskussion zu starten, an der sich
hier zumindest ja aber eh kaum jemand beteiligt. Zudem stelle ich dir
Fragen und motiviere somit zu weiterer Auseinandersetzung. Es gibt viel
zu tun - ich aber habe andere Prioritäten. Ich entschuldige mich dafür,
dass ich den Vorsatz habe, mich wieder deutlich aus diesem Verteiler
zurückzunehmen. Mir fehlt dafür einfach die nötige Zeit. Ich hoffe mal,
dass die dieses Wochenende tagende bGE:open die nächsten Tage dazu
führen wird, dass andere Leute vielleicht auch mit ganz anderen
Perspektiven hier ihre Schwerpunkte anbringen.
Liebe Grüße,
Bert
-------------- nächster Teil --------------
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