[Debatte-Grundeinkommen] Heesch Grundeinkommen nach Götz Werner - Werners Zug zu Feudalismus und Volksgemeinschaft, Hinweise auf andere bGE-Modelle, Ausdruck von Enttäuschung
unversoehnt
unversoehnt at gmx.de
Mi Okt 22 13:49:48 CEST 2014
Hi,
ich wollte mich aus der Debatte eigentlich rausziehen, will das auch
noch immer. Aber von Konsequenz halte ich ja nur dann etwas, wenn sie
über sich selbst hinaus wächst. Und Eckhards Mail an Peter fand ich in
Bezug auf Götz Werner wirklich interessant:
"Wenn man bei seinen Vorträgen genau hinhört – also nicht bloß das, was
man hören will – dann fällt auf, dass er niemals das ganz wichtige
vergisst: Die allerallererste Maßnahme bei Einführung seines BGE ist die
Abschaffung aller Einkommens-, Gewinn- und Kapitalsteuern! Alle Gewinne
aus Geldanlagen werden offiziell steuerfrei und können zu 100% gleich
wieder angelegt werden."
Bevor ich hier in den Verteiler gesprungen war, hatte ich Anfang August
vor allem dieses Thema in einer Mail an die Initiative Unternimm die
Zukunft um Götz Werner in Frageform angesprochen. Geantwortet wurde mir
nicht, was wohl genug der Antwort ist. Ich kopiere den Text der
damaligen Mail mal unten mit rein.
Als Götz Werner vor etlichen Jahren durch die Talkshows zu tingeln
begann, war mein erster Gedanke, dass der Eigentümer einer
Drogerie-Handelskette nun wirklich ein sehr egoistisches Interesse an
einem bGE haben könnte: Die kleinen Leute würden plötzlich mehr Kohle
für Duschgel und Wimpernpampe haben und sich vielleicht etwas ökiger
lieber bei dm als bei Aldi eindecken und ansonsten auch einfach ein
bisschen mehr Geld in diesem Marktsegment verballern. Wasser auf die
Rendite eines Herrn Werner.
Als ich dann begann, mich etwas intensiver mit dem bGE zu befassen, war
ich mir nicht mehr sicher. Die Argumente von den Leuten um Werner sind
schon sehr gutmenschelnd aufgezogen. In der Beziehung m. E. sogar die
besten Argumente in der ganzen Debatte. Zudem hat Werner das dm-Kapital
offenbar in eine Stiftung versenkt und seinen Kindern das Erbe entzogen.
Vielleicht will der Herr ja doch eine Wohlfahrtsgesellschaft von Freien
und Gleichen? Vielleicht ist's aber auch nur ein geschickter PR-Mythos?
Dass die sich nicht die Mühe gemacht haben, mir zu antworten, nicht mal
eine kleine Höflichkeitsmail à la "interessant, aber Sie werden
Verständnis haben, dass ...", und dass Eckhard klar sagt, dass Götz
Werner plötzlich giftig wurde als die Steuerfreiheit auf jegliches
Kapital in deren bGE-Modell angesprochen wurde, macht die Sache wohl
hinreichend durchsichtig: Ein bGE à la Werner wäre einfach der
schnellere Umbau Richtung Feudalismus als andere neoliberale Methoden.
Wobei man's politisch dann wohl eher als einen Zug zur Volksgemeinschaft
deuten muss: Der deutsche Pöbel soll mit einem bGE befriedet werden, die
Mittelschichten werden noch weiter ihrer materiellen Substanz beraubt
und das deutsche Kapital hat erstens zusätzliche materielle Kapazitäten
für künftige Auseinandersetzungen mit den USA einerseits, Asien
andererseits, zweitens den hauseigenen Pöbel soweit zufriedengestellt,
dass sich erst recht kein Deutscher mehr darüber einen Kopf macht, was
Deutschland an Barbarei in der Welt bedeutet. Ach, Marlene, say it again
and again: Nie wieder Deutschland. Von wegen, leider.
Dich, lieber Peter, möchte ich darauf hinweisen, dass ein paar
interessantere bGE-Modelle kursieren. Nicht dass ich einen perfekten
Überblick hätte, aber hinweisen kann ich dich zumindest auf Folgendes:
- Die LINKE hat m. E. das einzige bGE-Modell aller politischen Parteien
in der Diskussion, das diesen Namen auch verdient. Es ist m. E. ok, hat
nur den Haken, dass ich wie du ein Konsumsteuermodell favorisiere und
die LINKE hauptsächlich bei Einkommensbesteuerung bleibt.
- Das Dilthey-Modell ist ein Mischmasch aus Konsumsteuer und so Sachen
wie Finanztransaktionssteuer. M. E. ist es vor allem deshalb von
außerordentlichem Interesse, weil es eine wirklich gute Idee in Bezug
auf die Import-/Export-Beziehungen formuliert: Eine sozialstaatliche
Grenzsteuer mit tendenziell internationaler Ausrichtung. Verena hat
angedeutet, dass ihr das schleierhaft ist. Was mir wiederum schleierhaft
ist. Ist eine simple und gute Idee.
- Ich habe ein ziemlich vage konzipiertes bGE-Modell hier in die Debatte
geworfen, das dem Konsumsteuergedanken komplett verhaftet bleibt, aber
auch Kapital besteuert. Ist mit sehr unspezifischen Zahlen formuliert,
mehr eine Skizze. Zudem gibt's auch ein paar gröbere logische Schnitzer
hier und da (vor allem in der Geschichte über die Oma und die
Weltreise). Aber die grundsätzliche Idee sollte rüberkommen, vgl.
https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-September/003974.html
und bei Interesse vielleicht auch noch mal meinen ersten Beitrag hier in
der Debatte:
https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-August/003932.html
- Verena Neddens Modell dürfte für dich knochenharten Realisten
zumindest den Vorzug haben, dass es knochenhart realistisch rüberkommt.
Ich habe mich damit nicht sehr eingängig befasst, da es mir in den
Forderungen zu kurz gegriffen bleibt. Verena hat aber zumindest den
Vorzug, dass sie die Sache von den derzeitigen juristischen
Rahmenbedingungen her in Angriff nimmt. Es lohnt daher vermutlich, sich
damit näher auseinanderzusetzen. Ich weise eigentlich nur deshalb darauf
hin, weil ich Verena zu Dank verpflichtet bin, da sie mich darauf
gebracht hat, wie radikal die gesamte Steuer-, Sozialversicherungs- und
Hartz4-Gesetzgebung sowohl vorm BVerfG wie auch in der politischen
Diskussion angegriffen werden könnte. Ich bin daher auch der Meinung,
dass die derzeitigen juristischen Rahmenbedingungen überhaupt gar nicht
so interessant sind wie Verena sie findet. Eine echte politische
Bewegung für ein bGE müsste m. E. auch den juristischen Überbau in so
vielen Hinsichten rebooten, dass ohne eine Zwei-Drittel-Mehrheit in den
Parlamenten demokratisch ohnehin kein echter Weg für ein gutes bGE
gebahnt werden kann. Hätte man die in der Tasche, sollte man sich
selbstverständlich sehr genau überlegen, inwiefern man angefangen beim
GG die juristische Formatierung umschreiben sollte.
Ansonsten nehme ich zur Kenntnis, dass weder Matthias noch sonst jemand
Interesse daran bezeugt hat, meine Angriffsidee gegen das bestehende
System, also mein Buchprojekt, in irgendeiner Weise weiterverfolgen zu
wollen. Ich hatte ja gefragt, ob ich meine Materialien irgendwie
hochladen könnte, damit andere Leute sich der Sache annehmen und
zumindest auf den einen oder anderen Junk von mir dabei zurückgreifen
können. Null Reaktion darauf. Mit der darin liegenden narzißtischen
Kränkung kann ich um. Ist ja bloß die Standardbeziehung zwischen der
Welt und mir. Politisch allerdings finde ich das bedenklich, weil mir
das zu heißen scheint, dass es entweder nicht genug Interesse oder genug
Kapazitäten innerhalb der Bewegung gibt, die Sache zu verfolgen, oder
dass ich da vielleicht doch einfach Schwachfug verfolgt habe bzw. die
Sache nicht hinreichend klargemacht habe. Letztere beiden Möglichkeiten
halte ich für die unwahrscheinlicheren. Und das wirft für mich ein echt
tristes Bild auf diesen Verteiler.
Ich hatte mich ja schon früher dieses Jahr im Rahmen des
Petitionsaufrufs ans EU-Parlament, die Möglichkeiten eines bGE zu
eruieren, schwer darüber gewundert, dass die notwendigen Unterschriften
nur so gerade eben erreicht wurden. Angesichts der Geschwindigkeit und
Massivität der Verarmung und politischen Entmündigung in Südeuropa
erschien mir dieser geringe Elan für ein bGE absurd, erschütternd, ein
Indiz dafür, dass gemäßigte linke Ideen echt keine Chance mehr haben und
der Kampf der nächsten Jahrzehnte in Europa wohl eher zwischen einer
faschistoid sich formierenden Kapitalfront und den radikalen und
gewalttätigen Systemgegnern verlaufen wird. Wer da den kürzeren ziehen
wird, scheint mir geschichtlich ziemlich ausgemacht. Will irgendwer
einen bewaffneten Kampf gegen Hightech-Drohnen, Panzer-Meere und das
gesamte ABC-Arsenal der Militärs? Ich würde mir solche
Revolutionsromantizismen lieber abschminken, ganz ehrlich. Oder
ernsthaft anfangen, das Militär personell und ideologisch zu
unterwandern bzw. aufzuklären. Vor allem das US-Militär, wozu wohl kein
EU-Bürger so leicht fähig sein wird ...
Das bGE als New Deal hätte demgegenüber wirklich die Chance, das System
zu stabilisieren UND die politische Linke zu stärken. Beides erscheint
mir sinnvoller als ein ww3 und/oder eine mordlüsternde politische
Auseinandersetzung zwischen den vom Kapital gekauften Prolls und den
Prolls, die niemand mehr braucht.
Liebe Grüße,
Bert
PS: Mailtext an die Initiative Unternimm die Zukunft von Anfang August ...
... Sehr geehrte Herren Birtolonu und Grether,
ich habe mich die vergangenen Tage ein wenig mit den Inhalten Ihres
Webauftritts www.unternimm-die-zukunft.de
<http://www.unternimm-die-zukunft.de/> befasst und möchte mich
einerseits bei Ihnen und allen Ihre Initiative tragenden Personen dafür
bedanken, dass Sie sich für ein vernünftiges gesellschaftliches
Zukunftsmodell engagieren, andererseits gerne einige Anmerkungen machen
und einige Fragen stellen, von denen ich hoffe, dass Sie oder jemand in
Ihrer Initiative sie mit Antworten würdigen mag. Dafür diskutiere ich im
Folgenden die mir am interessantesten erscheinenden Aspekte der durch
Ihre Website in die Debatte eingebrachten Beiträge. Da der Text etwas
länger geworden ist, habe ich die sich im Verlauf meiner Überlegungen
ergebenden Fragen übersichtshalber noch einmal am Ende des Textes
zusammengefasst.
Etliche der auf Ihrer Website stark gemachten Argumente für ein
bedingungsloses Grundeinkommen finde ich sehr richtig und sprachlich
schön gewählt. Besonders gefällt mir Ihre Betonung der Ermutigung, die
ein bedingungsloses Grundeinkommen höchstwahrscheinlich bei fast allen
bewirken könnte, die sich äußerlich oder innerlich von der heutigen
gesellschaftlichen Wirklichkeit "abgehängt", abgestoßen, unter Druck
gesetzt oder verlassen, alleingelassen fühlen. Eine Stärkung des
individuellen Urvertrauens, von der Gesellschaft als Lebendiges gehalten
und gewollt zu sein, nicht mehr womöglich bloß überflüssig,
vernachlässigt, ausgebeutet oder fremdbestimmt existieren zu dürfen,
könnte meines Erachtens tatsächlich die Möglichkeiten des Menschlichen
auf eine Weise beflügeln, die heute niemand erahnen kann.
Neben dieser edlen Idee eines gemeinschaftlichen Fortschritts in
selbstbestimmender Würde und Freiheit erscheinen mir folgende auf Ihrer
Website diskutierten Aspekte von herausragendster Bedeutung:
1.
der erwünschte Effekt einer weitgehenden Verhinderung von Armut
wenigstens in Deutschland,
2.
das starke Plädoyer für die Ersetzung von Sanktionsmechanismen durch
Anreizmechanismen im Wirtschaftsleben, also insbesondere die
Befreiung der Arbeit/Lohnkosten von den für die öffentlichen
Haushalte und Sozialsysteme erhobenen Einkommensteuer und
Sozialversicherungen einerseits, von der Gängelung durch die
öffentliche Arbeitsverwaltung andererseits,
3.
die Argumentation für eine Stärkung der Position der einzelnen
Arbeitsperson gegenüber Mobbing und unangenehmen Arbeitsbedingungen,
was höchstwahrscheinlich zu einer gesamtgesellschaftlichen
Reduzierung der durch solche Belastungen hervorgerufenen
sozialpsychologischen und sozialmedizinischen Folgekosten führen würde,
4.
die Betonung des historischen Zugs zur Automatisierung der
Industrie, des dadurch der Gesellschaft zufallenden Güterreichtums
und der dadurch frei werdenden Kapazitäten für soziale Kulturarbeit,
5.
die Favorisierung einer einfachen Transparenz der Einnahmenseite des
Staatshaushalts und die Reduzierung der Staatsbürokratie,
6.
der Finanzierungsvorschlag über eine Umsatzsteuer als einziger Steuer,
7.
die Auseinandersetzung mit der Befürchtung, ein bedingungsloses
Grundeinkommen würde zu einem Zusammenbrechen der wirtschaftlichen
Tätigkeiten führen, weil zu wenige Menschen unter der Voraussetzung
einer allgemeinen Existenzsicherung gewillt sein könnten, überhaupt
noch zu arbeiten.
Da mir das Zitat aus André Presses Dissertation auf
http://www.unternimm-die-zukunft.de/de/zum-grundeinkommen/kurz-gefasst/prinzip/
beim ersten Blick abstrakt und unverständlich, aber interessant wegen
der Andeutung auf eine volkswirtschaftliche Abschätzung von ökonomischen
Veränderungen durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens
erschien, bin ich dem Link zu seiner Dissertation gefolgt und habe sie
zur Kenntnis genommen. Soweit ich erkennen kann, stellt die Dissertation
die umfangreichste Auseinandersetzung mit der gesamten Thematik auf
Ihrer Website dar. Beim Lesen der Dissertation habe ich festgestellt,
dass das 6. Kapitel seiner Dissertation, dem das Zitat auf Ihrer Website
entnommen ist, abgesehen von einigen interessanten Nebenbetrachtungen
insofern nur von schwachem Interesse für die Diskussion um das
bedingungslose Grundeinkommen ist, als es bloß eine statistische
Abschätzung dafür unternimmt, die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten für
eine Verhinderung der Einkommensarmut in Deutschland zu unternehmen. Da
er dabei eigentlich nur ein rechnerisches Modell für Transferzahlungen
an die ärmsten Haushalte entwirft, verlässt er meines Erachtens die
Thematik eines bedingungslosen Grundeinkommens. Sieht man von verdeckter
Armut ab, ließe sich dieses rein rechnerische Modell auch durch eine
Anhebung der aktuellen Hartz4-Sätze praktisch umsetzen. Dies wäre sogar
deutlich naheliegender. Sein Ergebnis hinsichtlich des
Finanzierungsbedarfs zur Verhinderung von Einkommensarmut in Deutschland
mag zwar quantitativ interessant sein: "Weniger als sieben Prozent
dieser 300 Milliarden Euro hätten ausgereicht, um das hier vorgestellte
Grundeinkommenskonzept zu finanzieren, das heißt Deutschland armutsfrei
zu machen. [...] Das heißt im Jahr 2003 hätte weniger als ein Prozent
des Nettoeinkommens von 1296 Milliarden Euro, zusätzlich im Sinne des
oben beschriebenen Konzepts als Grundeinkommen verteilt, die Armut aus
Deutschland verbannt." (S. 142/162 [Seitenzählung der Dissertation/des
PDF-Dokuments]) "Sind die Kosten der jährlichen Verwaltungsarbeit rund
fünf Prozent der auszuzahlenden Summen, dann sind die jährlichen
Gesamtkosten der Finanzierung des vorgeschlagenen
Grundeinkommenskonzepts 16,525 Milliarden Euro, das heißt unter 1,3
Prozent des jährlichen Nettoeinkommens aller privaten Haushalte von 1296
Milliarden Euro (vgl. Tabelle 6.1)." (S. 149/169)
Dennoch bleibt diese Auseinandersetzung für den Diskussionsrahmen um das
bedingungslose Grundeinkommen insofern enttäuschend, als der eigentliche
Knackpunkt der Finanzierbarkeit eines tatsächlich bedingungslosen
Grundeinkommens gar nicht näher beleuchtet wird. Da ich davon ausgehe,
dass Sie die Dissertation bewusst in Ihre Website einbinden wollen,
würde ich Ihnen daher raten, die auf
http://www.unternimm-die-zukunft.de/de/zum-grundeinkommen/kurz-gefasst/prinzip/
aus der Dissertation zitierte Passage durch erhellendere Ergebnisse der
Dissertation zu ersetzen. Das jetzige Zitat formuliert mathematisch
verklausuliert nur den eher banalen Gedanken, dass ein staatlicher
Eingriff in die Höhe des volkswirtschaftlichen Einkommens einen
entsprechend hohen Finanzierungsbedarf produziert. Insbesondere die
ersten beiden Kapitel der Dissertation fand ich sehr lesenswert.
Ansonsten scheinen mir die beiden folgenden Abschnitte aus der
Dissertation die bedeutsamsten Betrachtungen darzustellen und sich daher
für eine Zitation auf Ihrer Website zu eignen:
*
"So werden Importe aus Ländern mit geringen Sozialstandards, etwa
China, in Deutschland lediglich mit der Mehrwertsteuer belastet
(vgl. WERNER (2008, S. 194)). Die Preise für in Deutschland
hergestellte Produkte enthalten hingegen die Steuer- und Abgabenlast
des deutschen Sozialstaates. Würde an Stelle aller Steuern und
Sozialabgaben nur noch die Konsumsteuer verbleiben, würde diese voll
auf die Importgüter angewandt." (S. 74/94, vgl. auch S.
79-91/99-101) Abgesehen von der grundlegend bedeutsamen Überlegung,
dass der Industriearbeitsgesellschaft durch Automatisierung
zunehmend die industrielle Arbeit ausgeht und es daher grundsätzlich
nicht sinnvoll ist, den Sozialstaat weiterhin über Steuern und
Sozialversicherungen zu Lasten des Produktionsfaktors Arbeit zu
finanzieren und abgesehen von den beschäftigungswirksamen
Anreizeffekten einer reinen Konsumbesteuerung stellt diese
Überlegung zur derzeitigen Befreiung der Importe von den Kosten des
Sozialstaats meines Erachtens das bestes Argument für eine
Umstellung auf eine ausschließliche Konsumbesteuerung dar.
*
"Ergebnis: Das durchschnittliche Haushaltseinkommen (d. m. H.) aus
Arbeit ist pro Euro des d. m. H. aus Nichtarbeit umso größer, je
größer das d. m. H. aus Nichtarbeit ist.
Dieses empirische Ergebnis kann als Gegenargument zur häufig zu
hörenden Meinung dienen, dass umso weniger Arbeitswillige zu finden
sein werden, je höhere Einkommen aus Nichtarbeit bereitstehen." (S.
115/135) Dies ist ein ausgezeichneter empirischer Beleg gegen die
Befürchtung, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zu
massenhafter Arbeitsverweigerung führen. Allerdings möchte ich
methodenkritisch zu bedenken geben, dass dieses Ergebnis ein
Fehlschluss sein könnte. Da André Presse sein Argument nur auf
statistisch aggregierten Zahlen, nämlich auf dem durchschnittlichen
Einkommen von verschiedenen Gruppen von Einkommensbeziehern aufbaut,
könnte sich seine Schlussfolgerung als falsch erweisen. Möglich wäre
immerhin, dass sich insbesondere die Gruppen mit höheren Einkommen
vor allem aus Personen zusammensetzen, von denen die einen ein hohes
Abeitseinkommen ohne nennenswertes Nichtarbeitseinkommen, die
anderen ein hohes Nichtarbeitseinkommen ohne nennenswertes
Arbeitseinkomen erzielen. Eine nähere empirische Betrachtung der
Arbeitseinkommen aller Menschen mit Nichtarbeitseinkommen könnte
Herrn Presses Schlußfolgerung validieren. Dies wäre ein
lohnenswertes Unterfangen. Sollte sich die Schlussfolgerung als wahr
erweisen, wäre sie ein vorzügliches Argument gegen alle, die
vehement befürchten, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zur
massenhaften Arbeitsverweigerung führen würde.
Folgende Detailkritiken an Herrn Presses Dissertation haben sich mir
während der Lektüre aufgedrängt. Diese könnten Sie und/oder den Autor,
dem Sie meine Mail vielleicht zukommen lassen möchten, eventuell
interessieren. Außerdem ergaben sich in der Auseinandersetzung mit Herrn
Presses Dissertation meine Fragen an Sie.
*
Auf S. 28-30/48-50 wird das heutige steuerliche Existenzminimum von
650 Euro bei einem gegenüber dem heutigen Umsatzsteuersatz von 7 %
bzw. 19 % auf 100 % erhöhten Umsatzsteuersatz einfach als 325 Euro
angenommen. Wenn ich es richtig verstehe, wird das Existenzminimum
auf 325 Euro mit dem Argument angesetzt, dass die Staatsquote und
damit die gesamte Steuerlast im Durchschnitt bei etwa 50 % liegt.
Fußnote 9 (S. 28/48) allerdings verweist darauf, dass die
durchschnittliche (aus der Staatsquote abgeleitete) Steuerlast
keineswegs der Steuerlast entspricht, die auf jedem einzelnen
Produkt lastet. Grundlegend wäre daher die Frage zu beantworten, wie
sich die Steuerlast heute tatsächlich insbesondere bei jenen
Produkten darstellt, die maßgeblich für das Existenzminimum sind.
Allein die heutigen USt-Sätze von 7 und 19 % dürften zu einem
verzerrenden Effekt führen, da im Existenzminimum
überdurchschnittlich viele Güter zu einem USt-Satz von 7 %
beinhaltet sein dürften. Andere Steuern dürften andere
Verzerr-Effekte bewirken. Mein Verdacht wäre, dass 325 Euro
steuerbefreite Kaufkraft niedriger ist als die 650 Euro heutiges
Existenzminimum. Da Herrn Presses Dissertation keine detaillierteren
Überlegungen dazu anstellt, welche volkswirtschaftlichen
Konsequenzen sich bei der Einführung eines über eine alleinige
Umsatssteuer finanzierten bedingungslosen Grundeinkommens heute
abschätzen lassen, scheinen mir diese Überlegungen zur Höhe eines
steuerbefreiten Existenzminimums ohnehin nur illustrativen Charakter
zu haben. Zumindest schärfen sie den Blick für eine grundlegende
Frage: Mit wieviel Gesamtsteueranteil wird heute ein für das
Existenzminimum charakteristischer Warenkorb belastet? Eine Klärung
dieser Frage könnte eine empirisch fundierte Auskunft dazu geben,
wie hoch ein bedingungsloses Grundeinkommen nach Umstellung des
Steuersystems auf eine ausschließliche Umsatzsteuer ausfallen müsste
bzw. sollte.
*
"Wie in Abschnitt 6.8 genauer ausgeführt, wird mit einem
Grundeinkommen in Höhe von 900 Euro die Armutsgrenze deutlich
überschritten. Würde ein Grundeinkommen, der Logik aus Abschnitt
2.1.5 folgend, nach völliger Umstellung zur Mehrwertsteuer 900 Euro
betragen, würden hierdurch Konsumausgaben in Höhe von 1800 Euro von
der Mehrwertsteuerlast befreit. Für Ausgaben von 1.800 Euro pro
Monat (in Bruttopreisen) wird mithin die darin enthaltene
Mehrwertsteuer für alle erstattet. Durch eine Zahlung in dieser Höhe
lägen die Einkünfte aller Menschen in Deutschland oberhalb der
Armutsgrenze." (S. 30/50)
Diese Logik erscheint mir nicht schlüssig. Für alle, die nur die
negative Mehrwertsteuer in Höhe von 900 Euro als einzige Einkunft
erhielten, betrügen die Konsumsausgaben auch nur 900 Euro und
entsprechend würden auch nur 450 Euro an Mehrwertsteuer erlassen.
Für alle, die zusätzliche Einkünfte von x < 900 Euro erzielen
würden, wären die Konsumausgaben bei 900 Euro + x < 1800 Euro und
die Mehrwertsteuererstattung bei 450 Euro +x/2 < 900 Euro. Dieser
Einwand mag etwas kleinlich wirken. Herr Presse hätte ihn leicht
durch folgende Umformulierung vermeiden können: "Für Ausgaben von
1.800 Euro pro Monat (in Bruttopreisen) wird mithin die darin
enthaltene Mehrwertsteuer für alle [mit entsprechend hohem
Einkommen] erstattet."
Herr Presse geht hier implizit ganz selbstverständlich von der
Perspektive derjenigen aus, die in diesem Modell Nettozahler wären,
und versucht ihnen das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens
als Steuerfreibetrag schmackhaft zu machen. Das ist politisch
sicherlich sinnvoll, allerdings muss der Begriff "alle" eben auch
die Perspektive derjenigen beinhalten, die in diesem Modell
Nettoempfänger wären. Über diese Kleinigkeit bin ich vor allem
deshalb gestolpert, weil die Formulierung "Vorschläge zu seiner
Realisierung" im Untertitel der Dissertation bei mir die Erwartung
geweckt hatte, dass Herr Presse tatsächlich ein konkretes
bedingungsloses Grundeinkommens-Modell hinsichtlich seiner
Realisierbarkeit und seiner volkswirtschaftlichen Konsequenzen
betrachten würde. Diese Erwartung wurde insbesondere durch das 6.
Kapitel enttäuscht. Aber auch an dieser Stelle hätte ich mehr
erwartet, nämlich zumindest eine weitergehende Klärung der Frage,
wie die Höhe eines künftigen Grundeinkommens abzuschätzen wäre. Wie
ich im vorhergehenden Punkt schon angemerkt habe, ist es nämlich
keineswegs ausgemacht, dass ein typischer Warenkorb eines heutigen
Ein-Personen-Haushalts mit einem Einkommen von 900 Euro insgesamt
eine Steuer- und Sozialabgabenlast von etwa 50 Prozent dieses
Einkommens entsprechend der Staatsquote trägt, also 450 Euro.
Nehmen wir nur mal an, es ließe sich statistisch nachweisen, dass
die heutige Gesamtsteuerlast eines solchen Haushalts über alle
direkten und indirekten Steuern einschließlich Sozialversicherungen
heute unterdurchschnittlich nur 40 Prozent (Fall 1) oder
überdurchschnittlich sogar 60 Prozent (Fall 2) ausmachen. Dann
könnte ein solcher Haushalt heute einen Konsum von 540 Euro (Fall 1)
bzw. 360 Euro (Fall 2) mobiliseren, der Rest wären jeweils Steuern
und Sozialabgaben. Nach einer Umstellung des gesamten Steuersystems
auf eine Umsatzsteuer von 100 Prozent müsste demnach sein Einkommen
1.080 Euro (Fall 1) bzw. 720 Euro (Fall 2) betragen, um die gleiche
Kaufkraft mobilisieren zu können wie vor der Umstellung. Der
entscheidende Punkt Ihres Vorschlags zu einer Einführung eines
bedingungslosen Grundeinkommens ist ja gerade eine radikale
Umstellung des Steuersystems auf eine alleinige Umsatzsteuer.
Wohlhabendere Einkommensgruppen, die Ihre Idee nicht hinsichtlich
ihrer gesamtgesellschaftlichen Vorzüge, sondern nur nach dem
egoistischen Kalkül der eigenen Konsumkraftverbesserung bzw.
-verschlechterung bewerten möchten, können ihre Steuerberater
fragen, ob das für sie vorteilhaft oder nachteilig wäre. Das dürfte
dank der heutigen Vielzahl von unterschiedlichen Steuern von Fall zu
Fall unterschiedlich sein. Das allgemeine und von Ihnen ja auch
stark gemachte Interesse einer Verhinderung von Armut aber macht es
meines Erachtens zumindest notwendig, genauere Abschätzungen dazu
vorzunehmen, welche Auswirkungen eine solche Steuerumstellung auf
die unteren Einkommensgruppen hätte, insbesondere auf jene, die nach
der Umstellung ausschließlich von der Höhe des bedingungslosen
Grundeinkommens leben müssten. Ob nach einer solchen Umstellung ein
Einkommen von 1.080 Euro (Fall 1) oder von 720 Euro (Fall 2) nötig
wäre, um einen Konsum finanzieren zu können, der der heutigen
typischen Kaufkraft eines Ein-Personen-Haushalts mit einem
verfügbaren Einkommen von 900 Euro entspricht, macht immerhin einen
nicht ganz unbeträchtlichen Unterschied, hochgerechnet auf die
80,839 Millionen Personen, von denen Herr Presse im 6. Kapitel
ausgeht, immerhin einen Unterschied von 1.080 Euro * 12 Monate *
80,839 – 720 Euro * 12 Monate * 80,839 = 1.047.673.440.000 Euro –
698.448.960.000 Euro = 349.224.480.000 Euro, also fast 350
Milliarden im Jahr.
Ich verstehe zwar durchaus, dass Sie hier und da auf Ihrer Website
betonen, dass es Ihnen eher um einen grundsätzlichen Vorschlag geht
als um ein detailliert ausgearbeitetes Konzept, das sofort in ein
Gesetz gegossen werden könnte. Und mir ist auch klar, dass Prognosen
schwierig sind, insbesondere wenn sie sich auf die Zukunft beziehen
und zumal auf eine Zukunft nach einem radikalen Eingriff ins
Steuersystem und die allgemeinen Mechanismen zur Lohnfindung.
Dennoch würde ich meinen, dass sich aus der durch die Begriffe
bedingungsloses Grundeinkommen und Umsatzsteuer vorgegebenen
Grundstruktur Ihres Vorschlags doch die Frage aufdrängt, wie hoch
ein Grundeinkommen nach einer solchen Umstellung sein müsste. Das
führt mich zu meiner ersten Frage an Sie: Würden Sie mir zustimmen,
dass es für die Propagierung Ihrer Idee sinnvoll wäre, eine
empirische Untersuchung dazu vorzunehmen, wie hoch die direkte und
indirekte Gesamtlast durch Steuern und Sozialabgaben typischerweise
bzw. durchschnittlich ist, die heute auf den niedrigen
Einkommsgruppen bzw. der von ihnen erworbenen Warenkörbe lastet,
deren Einkommen etwa der anvisierten Konsumkraft des künftigen
bedingungslosen Grundeinkommens entsprechen, also etwa 900, 1.000,
1.200 Euro pro Person heute ausmachen?
*
"Durch die Reduzierung der Einkommensteuer würde der Anreiz zur
Aufnahme von Arbeit, ja sogar von geringer bezahlter Arbeit steigen"
(S. 35/55). Ich weise nur nebenbei darauf hin, dass die Einführung
eines bedingungslosen Grundeinkommens insbesondere die geradezu
anreizfeindlichen Hinzuverdienstregelungen beim derzeitigen ALG2
beseitigen würde. Da Sie ein argumentatives Schwergewicht darauf
legen, dass Ihr Vorschlag starke Anreizeffekte für Beschäftigung im
Allgemeinen und den Niedriglohnsektor im Besonderen haben würde,
finde ich es verwunderlich, dass Sie auf diesen Umstand nicht
eingehen. Sieht man von einem Freibetrag von 100 Euro ab, werden
ALG2-Bezüge bis zu einem Nettoeinkommen von 1.000 Euro zu 80 Prozent
verrechnet, darüber hinaus bis einem Einkommen von 1.500 Euro zu 90
Prozent. Es kann daher nur wenig verwundern, dass dieses
anreizfeindliche Verrechnungsmodell mit einer sanktionierenden
Gängelung der Arbeitslosen einhergeht.
*
"Hierbei ist der Vorschlag der Stichtagsregelung zu beachten: Am
Stichtag der Einführung beziehungsweise Erhöhung eines
Grundeinkommens dürften die Löhne und Gehälter um den
Grundeinkommensbetrag gemindert werden. Unmittelbar am Tag der
Einführung beziehungsweise Erhöhung jedoch können Arbeitgeber- und
Arbeitnehmer ihr Arbeitsangebots und Arbeitsnachfrageverhalten
anpassen, was entsprechende Auswirkungen auf die Entwicklung der
Löhne und Gehälter haben kann." (S. 45/65)
Dies könnte freilich eine enorme Zäsur im gesamtwirtschaftlichen
Geschehen bedeuten. Aus Arbeitnehmerperspektive stellt sich die
Situation zudem wiederum komplexer dar: Eine Verminderung des Lohns
um die Höhe des Grundeinkommens wäre höchstwahrscheinlich ein
Reallohnverlust unter der Bedingung, dass die Mehrwertsteuer auf 100
% angehoben wird. Die Verrechnung müsste mindestens auch das
einbeziehen, was die Unternehmen heute in die Sozialversicherungen
einzahlen. Zudem stellt sich für jeden Arbeitnehmer dann ähnlich wie
für das Existenzminimum überhaupt die Frage: Wieviel Kaufkraft werde
ich nach einer radikalen Umstellung des Steuersystems im Verhältnis
zu früher haben? Es ist daher anzuzweifeln, dass sich eine simple
Stichtagsregelung, wie sie von Herrn Presse gezeichnet wird,
politisch beispielsweise gegen den Druck der institutionalisierten
Arbeiterbewegung durchsetzen ließe. Die von Herrn Presse referierte
Vorstellung von Frau Hohenleitner und Herrn Straubhaar, dass ein
Grundeinkomen zu einer vollständigen Deregulierung des Arbeitsmarkts
führen würde, Betriebsräte, Gewerkschaften und sozialpolitische
Eingriffe in den Arbeitsmarkt quasi über Nacht überflüssig machen
würde, scheint mir übrigens allein mit Blick auf Artikel 9 GG wenig
realistisch und auch nicht wünschenswert: "Durch die Einführung
eines Grundeinkommens erwarten HOHENLEITNER und STRAUBHAAR den
Wegfall aller sozialpolitisch motivierten Arbeitsmarktregulierungen
wie zum Beispiel des Kündigungsschutzes, der Flächentarifverträge,
Sozialklauseln und Mindestlöhne." (S. 90/110)
*
"Häufig wird der Einwand erhoben, Haushalte mit geringeren
Einkünften würden relativ stärker von den Steigerungen des Konsum-
beziehungsweise Mehrwertsteuersatzes betroffen als Haushalte mit
höheren Einkünften, da letztere einen relativ geringeren Teil ihrer
Einkünfte für Konsum ausgeben. Dies gilt jedoch nur für den Fall,
dass es bei Erhöhung der Konsum- beziehungsweise Mehrwertsteuersätze
zu Preissteigerungen kommt." (S. 87/107) Diese Behauptung erscheint
mir nicht einsichtig. Auch bei Preisstabilität und selbst bei
Preisverfall führt eine Steigerung der Umsatzsteuer zu einer höheren
Steuerbelastung ärmerer Haushalte im Vergleich zu reicheren
Haushalten relativ zur jeweiligen Einkommenshöhe, sofern
vorausgesetzt wird, dass reichere Haushalte einen niedrigeren Anteil
ihres Einkommens für Konsum ausgeben (also mehr sparen bzw. in
Unternehmungen investieren). Dies folgt logisch ganz simpel daraus,
dass alles gesparte/investierte Einkommen von der Umsatzsteuer
unberührt bleibt und folglich reichere Haushalte relativ zu ihrem
Einkommen immer dann weniger Steuern bezahlen, wenn sie relativ zu
ihrem Einkommen deutlich mehr sparen/investieren als ärmere
Haushalte. Nicht nur im gesamten Text, sondern auch in Tabelle 4.1
auf S. 78/98 wird dieser Umstand vollkommen unterschlagen.
Stattdessen wird der steuerprogressive Effekt herausgearbeitet, der
sich aus einer Kombination von Grundeinkomen = Quasi-Freibetrag und
Konsumbesteuerung ergeben würde. Dieser progressive Effekt stimmt
sicherlich, insofern Einkommen und Konsumausgaben mehr oder weniger
gleichhoch sind. Wo aber in relevanter Höhe gespart bzw. investiert
wird, löst sich die Progression in Luft auf. Um das zu illustrieren:
Postuliert man in der Tabelle 4.1 auf S. 78/98, dass ein Haushalt
mit einem Hinzuverdienst von 19.000 Euro (letzte Zeile) die Hälfte
des verfügbaren Einkommens, also 10.000 Euro spart/investiert, ein
anderer Haushalt mit einem Hinzuverdienst von 4.000 Euro
(drittletzte Zeile) gar nicht spart/investiert, sondern das gesamte
Einkommen inklusive Grundeinkommen in Höhe von 5.000 Euro
verkonsumiert, dann würde der reichere Haushalt nur eine Steuerlast
in Bezug auf den Hinzuverdienst von (10.000 Euro / 2 - 1.000 Euro) *
100 % / 19.000 Euro ≈21,1 % und der ärmere Haushalt eine Steuerlast
in Bezug auf den Hinzuverdienst von (5.000 Euro / 2 – 1.000 Euro) *
100 % / 4.000 Euro ≈37,5 % tragen. Der ärmere Haushalt würde in
diesem Fall also eine deutlich höhere Steuerlast in Bezug auf sein
Einkommen tragen als der reichere Haushalt.
Die Forderung nach Progression aber leitet sich aus
sozialstaatlichen Normen des GG ab, die sich inhaltlich knapp auf
die Formel bringen lassen, dass starke Schultern mehr zum Gelingen
des Gemeinwesens beizutragen haben als schwache Schultern. Er ist
somit nicht nur eine politische Forderung interessierter Kreise,
sondern eine grundgesetzlich verfasste Hürde, die von einem
Vorschlag zur Veränderung des Steuersystems zwingend genommen werden
muss.
Zwar ließe sich argumentieren, dass investiertes Einkommen die
gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung steigert und ja spätestens
dann wieder der Umsatzsteuer unterworfen wird, wenn es einerseits
Produkte oder Dienstleistungen für den Konsumentenmarkt
bereitstellt, andererseits, wenn es irgendwann später doch für den
Konsum des Sparers/Investors ausgegeben wird. Dieser Rettungsversuch
für die Steuerprogressivität der Kombination von Umsatssteuer und
Grundeinkomen kann meines Erachtens aber nicht überzeugen. Denn die
Wertschöpfung durch investiertes Einkommen bleibt durch eine
Konsumsteuer ja gerade unbesteuert. Stellt investiertes Einkommen
mittelfristig Produkte oder Dienstleistung für den Konsumentenmarkt
bereit, so wird die Konsumsteuerlast wieder von den Konsumenten und
nicht vom investierten Einkommen getragen. Und ob investiertes
Einkommen früher oder später wieder aus der Wertschöpfung
herausgenommen und verkonsumiert wird, lässt sich nicht absehen.
Hinzu käme die Möglichkeit, gespartes Einkommen ins Ausland zu
transferieren und somit gänzlich dem Konsumsteuersystem in
Deutschland zu entziehen. Faktisch bliebe gespartes/investiertes und
ins Ausland transferiertes Einkommen steuerfrei.
Dieses Ergebnis ist meines Erachtens von einer außerordentlichen
Bedeutsamkeit für Ihren Vorschlag, die Sie nicht ignorieren können.
Der Charme Ihres Vorschlags, mit einer einzigen Steuer einerseits
die Armut in Deutschland zu beseitigen, eine neue Grundlage für das
Miteinander von Arbeit und Kapital zu etablieren und das gesamte
Gemeinwesen transparent zu finanzieren, scheitert an diesem
Ergebnis. Nicht nur könnten sich starke Schultern weitgehend aus der
Finanzierung des Gemeinwesens zurückziehen (fehlende Progression),
sondern zu befürchten stünde, dass die Einkommens- und
Vermögensverteilung noch schneller als ohnehin schon
auseinanderdriften würde, sich also eine Erhöhung der entsprechenden
Gini-Koeffizienten ergeben würde. Das gänzlich unbesteuerte Kapital
könnte sich noch schneller zentralisieren und zusätzliche Ressourcen
für einen starken Verdrängungswettbewerb sowohl auf nationaler als
auch auf internationaler Ebene mobilisieren. Im Endeffekt ließe sich
befürchten, dass eine relativ kleine quasi-feudale Eigentümerklasse
alles Eigentum der zunehmend automatisierten Wertschöpfungsketten
besitzen und dirigieren würde, während der Großteil der Bevölkerung
über ein relativ geringes Grundeinkommen mit dem Nötigsten versorgt
werden würde. Vielleicht ist das sehr schwarz gezeichnet, aber aus
der gänzlichen Steuerfreistellung von gespartem/investiertem
Einkommen, also Kapital, scheint sich mir zumindest die Möglichkeit
für ein solches Szenario aufzudrängen. Angesichts dessen, dass mit
ausreichend Kapital versorgte Unternehmungen einen entscheidenden
Einfluss auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit bis
hinein in die demokratischen Meinungsfindungsprozesse nehmen können,
könnte sich Ihr Vorschlag zu einer Ermutigung in den Glauben an das
Gemeinwesen und zu einer Stärkung der Würde des Einzelnen auf diese
Weise im schlimmsten Falle genau in sein Gegenteil verkehren,
nämlich in die Aushöhlung der Einflussnahmemöglichkeiten der
verarmten Einzelnen in die konkrete Ausgestaltung des
Wirtschaftslebens und des Gemeinwesens. Meine zweite Frage an Sie
lautet daher: Stimmen Sie meinen Überlegungen zu, dass die
Kombination von Grundeinkommen und Konsumsteuern nicht gewährleisten
kann, dass sich starke Schultern an der Finanzierung des
Gemeinwesens stärker beteiligen als schwache Schultern (fehlende
Progression) und sich stattdessen höhere Einkommen und Vermögen
unter Umständen noch schneller als bereits heute durch eine
Kapitalisierung gegenüber dem Gros der Gesellschaftsmitglieder
verselbständigen könnten? Falls nein: Warum nicht? Falls ja: Was für
Konsequenzen in Bezug auf Ihren Vorschlag ziehen Sie daraus?
Da ich Ihren Vorschlag, durch eine ausschließliche Konsumbesteuerung
den Faktor Arbeit von allen Steuern und Sozialversicherungen zu
befreien und gleichzeitig ein bedingungsloses Grundeinkommen
einzuführen, grundsätzlich aber weiterhin sinnvoll finde,
insbesondere angesichts des unwiderleglichen Zugs zur
Automatisierung industrieller Produktion, sind mir ad hoc folgende
Änderungsvorschläge für Ihre Idee in den Sinn gekommen, um den
skizzierten Problemen zu entgehen: Statt einer
formell-mathematischen Höherbelastung starker Schultern
(Progression) ließe sich diese inhaltlich beispielsweise durch eine
Staffelung von Umsatzsteuersätzen bewirken, beispielsweise durch gar
keine oder eine sehr niedrige Besteuerung auf Güter und
Dienstleistungen des Grundbedarfs (Grundnahrungsmittel, Wohnraum,
Strom, Wasser, Gas, Gesundheitsdienstleistungen etc.), eine der von
Herrn Presse anvisierten Höhe von 100 % ungefähr entsprechenden
Umsatzsteuer auf Güter des Normalbedarfs (bspw. Haushaltsgeräte.
Unterhaltungsgeräte, Autos im niedrigen bis mittleren Preissegment
etc.) und eine hohe, meinetwegen 200 % betragende Umsatzsteuer auf
Güter des Luxusbedarfs. Zwar würde eine solche Dreiteilung von
Umsatssteuersätzen zu einer Verkomplizierung der Arbeit der
Finanzämter führen und ein politisches Gremium erfordern, das im
Zweifelsfall für jedes einzelne Produkt und jede einzelne
Dienstleistung eine Eingruppierung in eine der drei
Umsatzsteuerklassen vornehmen bzw. einen allgemeinen
Kriterienkatalog dazu aufstellen würde. Aber dies dürfte noch immer
wesentlich weniger kompliziert als das heutige Steuerwesen sein.
Zudem würden sich mehrere Vorzüge ergeben: Eine solche Steuer würde
sicherlich von vielen Menschen intuitiv als gerecht empfunden und im
Wesentlichen auch dem Grundsatz genüge tun, dass sich starke
Schultern stärker am Gemeinwesen zu beteiligen haben als schwache
Schultern. Das Umverteilungsvolumen für ein bedingungsloses
Grundeinkommen, das den mehr oder weniger unbesteuerten Grundbedarf
und einen Teil des zu 100 % besteuerten Normalbedarfs abdecken
sollte, würde insgesamt niedriger ausfallen und erschiene insofern
politisch vielleicht leichter durchsetzbar. Und es würde ein
einfaches, aber wirksames steuerpolitisches Instrument für sozial-,
wirtschafts- oder ökologiepolitische Zielsetzungen geben, nämlich
die Eingruppierung von Produkten und Dienstleistungen in eine der
drei Umsatzsteuerklassen. So könnten beispielsweise
ressourcenaufwändige oder umweltschädliche Produkte standardmäßig in
die hochbesteuerte Luxusklasse eingruppiert werden etc. Dieser
Vorschlag allein aber kann nicht verhindern, dass vermögende und
einkommensstarke Haushalte sich aus der Finanzierung des
Gemeinwesens durch Konsumverzicht und eine Kapitalisierung ihres
Einkommens/Vermögens bzw. durch eine Transferierung von Vermögen ins
Ausland in relevantem Ausmaße entziehen. Da mir die Vererbung von
hohen Vermögen noch nie sinnvoll zu einer demokratisch verfassten
Gesellschaft zu passen schien, sondern eher als feudalistisches
Relikt, würde ich schlicht eine Kombination von Erbschafts-,
Schenkungssteuer und einer Steuer auf Vermögenstransfer ins Ausland
in möglichst großer Höhe (bei einem Freibetrag für "Oma ihr klein
Häuschen") zur Lösung dieses Problems ins Gespräch bringen wollen.
Innerhalb einer Lebensspanne könnten sich dann zwar alle mit
ausreichenden Vermögens- und Einkommensmöglichkeiten durch
Konsumverzicht und Kapitalisierung großzügig aus der Finanzierung
des Gemeinwesens heraushalten und dabei hoffentlich der
Allgemeinheit nützende Wertschöpfungsketten in Gang bringen. Beim
Ableben oder beim Eigentumtransfer an einen Dritten oder ins Ausland
aber würde zumindest ein gewichtiger Teil des so dem Gemeinwesen
vorbehaltenen Vermögens doch wieder an dieses fallen.
Soweit zu meinen Ad-hoc-Ideen, wie man Ihren Vorschlag durch ein
paar Modifikationen zu retten versuchen könnte.
Nachdem für mich klar geworden war, dass Ihr Vorschlag in seiner
jetzigen Form zum Scheitern verurteilt ist, begab ich mich auf Suche
im Netz danach, welche anderen Vorschläge zur Finanzierung eines
bedingungslosen Grundeinkommens kursieren. Dabei stieß ich schnell
auf das Netzwerk Grundeinkommen (www.grundeinkommen.de
<http://www.grundeinkommen.de/> ) und dort auf die von Ronald
Blaschke sehr engagiert ausgearbeiteten Dokumente, die einen
Überblick über die vorgeschlagenen Modelle geben:
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2012/08/12-06-modelle-tabelle.pdf
und ausführlicher:
https://www.grundeinkommen.de/content/uploads/2013/01/2012-ansaetze_und_modelle_gs_und_ge_blaschke.pdf
. Schaut man sich die anderen Modelle an, ist keines steuerpolitisch
so charmant schlicht gestrickt, wie das Ihre. Angesichts des
Scheiterns Ihres Modells dürfte das aber wohl nur notwendig sein.
Bedauerlicher finde ich, dass kein anderer Modellvorschlag wie der
Ihre komplett auf eine Besteuerung von Einkommen verzichtet. Gerade
dieser Vorschlag von Ihnen scheint mir angesichts des
Automatisierungszugs in der industriellen Produktion der
zukunftsweisendste zu sein. Am ehesten noch mit Ihrem Vorschlag
vergleichbar ist der etwas kryptisch formulierte Modellvorschlag von
Matthias Dilthey und Jörg Drescher:
http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdf . Meine
dritte Frage lautet daher: Ist Ihnen dieser Modellvorschlag von
Matthias Dilthey und Jörg Drescher bekannt? Falls nein würde ich Sie
darum bitten, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Falls ja: Was halten Sie
davon?
Auch die Herren Dilthey und Drescher sind bei der Diskussion Ihres
Vorschlags ähnlich wie ich auf das Problem gestoßen, dass keinerlei
Besteuerung von Kapital vorgesehen ist: "Da Werner/Hardorp auf
jegliche Gewinn-Besteuerung verzichtet, führt diese Subvention zu
einer deutlichen Verschärfung der Kapital-Konzentration und zu einer
weiteren Öffnung der Einkommenschere." (dilthey-modell.pdf, S. 5)
Sie formulieren auch eine ähnliche Befürchtung wie ich: "Nachdem
beim Werner-Modell der Übergang Geld >>> Produktionsmittel nicht
besteuert wird, führt das Werner-Modell zwangsläufig zu einer
starken Konzentration der Produktionsmittel. Denn derjenige, der
nicht bereits im Besitz von Produktionsmittel ist, wird wegen der
hohen Konsumbesteuerung kaum eine Ansparmöglichkeit haben, um
Produktionsmittel zu erlangen." (dilthey-modell.pdf, S. 9)
Zudem entwickeln die Herren Dilthey und Drescher Ihr Argument, dass
die heutige Konsumbesteuerung Importe von den Lasten des
Gemeinwesens überdurchschnittlich befreit, produktiv weiter. Dafür
kritisieren die Herren Dilthey und Drescher Sie wegen einer
Bemerkung von Herrn Hardorp: "Gerade Export-orientierte
Unternehmungen sind in hohem Maß auf eine gute Infrastruktur
angewiesen. Wird deutsche Infrastruktur nun ausschließlich von
deutschen Konsumenten bezahlt, stellt das eine indirekte
Subventionierung des Exports dar. Diese Subvention wird von
Werner/Hardorp jedoch ausdrücklich gewünscht." (dilthey-modell.pdf,
S. 5, der dort in Fußnote 10 angegeben Link funktioniert nicht mehr,
aber die problematisierte Äußerung von Herrn Hardorp lässt sich
aktuell auf
http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdf<http://www.psgd.info/templates/1/download/dilthey_modell.pdf>,
S. 101/103 finden.) Dieses Argument von den Herren Dilthey und
Drescher leuchtet mir deutlich mehr ein als die kritisierte Aussage
von Herrn Hardorp. Und im Weiteren skizzieren die Herren Dilthey und
Drescher auf den Seiten 6 und 7 das Modell einer verrechenbaren
Sozial-Umsatzsteuer, dessen Effekt auf S. 7 knapp so rekapituliert
wird: "Wenn man so möchte, stellt die verrechenbare
Sozial-Umsatzsteuer eine Art 'Sozial-Schutz-Zoll' dar. Für die
Länder, die ebenfalls eine Sozial-Umsatzsteuer einführen, ist diese
Steuer kostenneutral, Länder mit niedrigen Sozial-Standards werden
mit 'Schutz-Zoll' belegt. Dadurch ist sichergestellt, daß der höhere
soziale Standard exportiert, keinesfalls das Sozial-Dumping
importiert wird!" Dieses Konzept leuchtet mir als sinnvoll ein und
müsste eigentlich auch Ihr Wohlwollen finden, da Sie ja für die
Würde des Menschen und nicht bloß für die Würde der Deutschen eintreten.
Auch die von den Herren Dilthey und Drescher auf den Seiten 8 und 9
skizzierte Sozial-Gewinnsteuer/Sozial-Kapitalumsatzsteuer scheint
mir durchaus ein sinnvoller Vorschlag zu sein, um einen
Kapitalbesteuerungseffekt zu bewirken, der bei Ihrem Modell
vollkommen vernachlässigt ist.
*
"Mit anderen Worten: Selbst wenn der Staat weit weniger als 500 Euro
pro Monat – siehe Beispiele oben – auf alle bestehenden
Nettoeinkommen „draufsatteln“ wollte, so müsste er seine
Aufgaben/Ausgaben des Status quo einschränken. Dazu wird er, wenn
überhaupt, nur in Maßen bereit sein.
Die obigen Überlegungen haben die Konsequenz: Ein für alle langsam
auf 500 Euro oder mehr wachsendes bedingungsloses Grundeinkommen
kann nur eingeführt werden,
(i) wenn das Volkseinkommen pro Kopf in Zukunft mit einer größeren
durchschnittlichen Wachstumsrate wächst als die (noch von Ausgaben
für Grundeinkommen freien) Staatsausgaben und/oder
(ii) wenn die derzeitigen öffentlichen Transferzahlungen im
Gleichschritt mit langsam wachsendem Grundeinkommen adäquat
reduziert werden; vgl. hierzu Tabelle 6., (1) und (3), sowie die
Darlegungen in Abschnitt 6.2." (André Presse, Grundeinkommen – Idee
und Vorschlag zu seiner Realisierung, S. 120/140)
Oder aber (iii) wenn durch irgendeine Form von Besteuerung
insbesondere der oberen Einkommensgruppen ein Spielraum für die
Verschiebung des Einkommens von "oben" nach "unten" geschaffen wird.
Ohne dies explizit zu sagen, scheint Herr Presse seine Überlegungen
im 6. Kapitel absichtsvoll unter der Voraussetzung anzustellen, dass
es bei den Tranferzahlungen an arme Haushalte zu keiner zusätzlichen
Belastung bei irgendeiner Einkommensgruppe kommen soll. Dies
leuchtet mir weder methodisch noch volkswirtschaftlich ein. Zwar
kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Einführung eines
bedingungslosen Grundeinkommens zu einer Ausweitung des gesamten
Volkeinkommens führen kann, etwa weil die Einkommensaufstockung der
unteren Einkommensgruppen wenigstens zum Teil über die Ausnutzung
bereits heute bestehender industrieller Überkapazitäten
gesamtwirtschaftlich nahezu zum Nulltarif zu haben wäre und weil ein
großer Teil heutiger Arbeitszeit etwa in der Unternehmens- und
Staatsverwaltung durch die Vereinfachung des Steuersystems und der
sozialen Transfersysteme für sinnvollere Tätigkeiten freigesetzt
werden würde und insbesondere weil die Umstellung zu einer
Beflügelung wirtschaftlicher Initiative führen könnte. Die Gegner
des bedingungslosen Grundeinkommens jedoch dürften genau das
Gegenteil befürchten, nämlich die massenhafte Arbeitsverweigerung
und damit ein drastisches Schrumpfen des Volkseinkommens. Selbst
wenn man aber an die Möglichkeit eines deutlichen
Entwicklungspotentials für das Volkseinkommen durch die Einführung
von bedingungslosem Grundeinkommen und radikaler Umstellung auf ein
allein über die Umsatzsteuer finanzierten Gemeinwesens glaubt, ist
die Beteuerung, dass eine solche Umstellung niemandem finanziell
wehtun muss, wenig überzeugend. Ich würde vermuten, dass die
Umstellung des Steuersystems auf eine alleinige Umsatzsteuer in
durchaus beachtlichem Ausmaß zu Verwerfungen führen wird, die
einerseits Gewinner und andererseits Verlierer hervorbringen würde.
Verlierer wären vermutlich in erster Linie alle natürlichen und
juristischen Personen, die durch das heutige Steuersystem relativ
begünstigt, subventioniert werden. Ich würde jedenfalls mutmaßen,
dass dieser Aspekt im Einzelfall finanziell deutlich schwerer wiegen
könnte als eine mögliche Umverteilung des Einkommens von den oberen
Einkommensgruppen an die unteren Einkommensgruppen durch die
Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Eine solche
Umverteilung erscheint mir aus demokratietheoretischen Gründen
angesichts der kontinuierlich steigenden Einkommensungleichheit in
Deutschland (vgl. nur z. B. http://dx.doi.org/10.1787/888932503721 )
ohnehin ratsam. Da Sie meines Erachtens richtig und überzeugend die
Position vertreten, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur
Artikel 1 GG zur Wirklichkeit verhelfen würde, spielt es meines
Erachtens keine entscheidende Rolle, ob es bei dem von Ihnen
vorgeschlagenen Konzept auch im Einzelfall zu finanziellen Einbußen
bei den höheren Einkommensgruppen oder bestimmten Unternehmungen
kommen könnte. Wenn man für eine politische Idee wirbt, mag es zwar
verlockend erscheinen, sie so darzustellen, dass alle nur von ihrer
Umsetzung gewinnen und niemand verlieren kann. Und in der Tat würde
ich meinen, dass Ihr Vorschlag diese Qualität mittel- bis
langfristig auch tatsächlich verwirklichen könnte, weil sie den
Glauben an die Sinnhaftigkeit des Gemeinwesens und an das
Gehaltensein durch das Gemeinwesen kräftigen kann und vielleicht
sogar zu einem allgemeinen Prosperitätsschub führen könnte.
Nichtsdestotrotz dürfte es eine allgemeine Skepsis gegen
Win-Win-Konstellationen geben, die immer einen Verlierer vermutet,
wo es einen Gewinner gibt. Psychologisch kann es daher auch
kontraproduktiv sein, so zu tun, als würde eine politische Idee nur
Vorzüge und keine Nachteile aufweisen. Schwerer aber wiegt, dass
Ihre Idee bei einer Umsetzung kurzfristig vermutlich tatsächlich
Verlierer an Einkommen und Steuervorteilen schaffen würde. Zur
politischen Ehrlichkeit würde es meines Erachtens in diesem
Zusammenhang eher gehören, möglichst genau abzuschätzen, welche
Gruppen das wären und mit was für Verlusten sie zu rechnen hätten.
Dies würde eine detailliertere Analyse erfordern, welche natürlichen
und juristischen Personen heute im Verhältnis zu einer
ausschließlichen Konsumsteuer bevorzugt bzw. benachteiligt werden.
Aus persönlicher Erfahrung möchte ich Sie zudem noch auf einen weiteren
Aspekt aufmerksam machen, der Ihren Vorschlag, gänzlich auf eine
Besteuerung von Einkommen zu verzichten, meines Erachtens zumindest bei
Teilen der abhängig Beschäftigten attraktiver erscheinen lassen könnte.
Ich habe fast eineinhalb Jahrzehnte als persönliche Assistenz von
Schwerstbehinderten gearbeitet und in dieser Zeit keine einzige
Tariferhöhung meiner Entlohnung, sondern stattdessen nur eine mit einer
Tarifverschlechterung verbundene Auslagerung in einer
Tochtergesellschaft erlebt. Insgesamt hat sich im Laufe meiner
Beschäftigung in diesem Bereich so ein Reallohnverlust von etwa 25 %
ergeben. Dabei fand ich es erschütternd, dass das klassische
Arbeitskampfmittel des Streiks sich aus ethischen Gründen in diesem
Arbeitsfeld schlichtweg verbietet, da von einem Streik unmittelbar
Menschen betroffen wären, die in ihrem täglichen Leben auf Hilfe
angewiesen sind. Weit über den Bereich der Pflege und medizinischen
Versorgung scheint es mir daher für große Teile des weiten Felds der
sozialen Kulturarbeit auf der Hand zu liegen, dass klassischer
Arbeitskampf gar nicht funktioniert, weil die von einem Streik
betroffenen Personengruppen selten mit den Personengruppen identisch
sind, die letztlich die Finanzierung dieser sozialen Kulturarbeit
leisten. Dies dürfte zumindest mit ein Grund dafür sein, dass solche
Tätigkeiten heute deutlich unterdurchschnittlich entlohnt werden. Die
anreizfreundliche Kombination von bedingungslosem Grundeinkommen und
Abschaffung von Einkommensteuer und über Arbeit finanzierte
Sozialversicherungen würde, wie Sie zu Recht anmerken, soziale
Kulturarbeit unmittelbar verbilligen und damit hoffentlich auch die
Verhandlungsposition der in diesem Bereich arbeitenden Personen
zumindest im Augenblick der Systemumstellung schon deshalb verbessern,
weil das Kostenvolumen kleiner geworden wäre. Darüber hinaus wäre zu
hoffen, dass eine Gesellschaft, die sich ein bedingungsloses
Grundeinkommen zu leisten bereit erklärt hat, schrittweise auch zu einer
größeren Wertschätzung sozialer Kulturarbeit finden würde.
Nebenbei sei erwähnt, dass mir aus der Tätigkeit als persönliche
Assistenz von Schwerstbehinderten selbstverständlich sehr klar ist, dass
ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht dazu führen kann, dass
sämtliche anderen sozialstaatlichen Leistungen wegfallen, da es
offenkundig Menschen mit einem über ein Grundeinkommen hinausgehenden
Finanzierungsbedarf wie z. B. Schwerstbehinderte gibt.
Ich bedanke mich für Ihr freundliches Interesse an meinen Anmerkungen
und hoffe, dass Sie die Muße finden werden, auf meine Fragen zu
antworten. Mit freundlichen Grüßen aus Bremen,
Bert Grashoff
Auflistung der Fragen an Sie, die sich oben im Text für mich ergaben:
1. Würden Sie mir zustimmen, dass es für die Propagierung Ihrer Idee
sinnvoll wäre, eine empirische Untersuchung dazu vorzunehmen, wie hoch
die direkte und indirekte Gesamtlast durch Steuern und Sozialabgaben
typischerweise bzw. durchschnittlich ist, die heute auf den niedrigen
Einkommsgruppen bzw. der von ihnen erworbenen Warenkörbe lastet, deren
Einkommen etwa der anvisierten Konsumkraft des künftigen bedingungslosen
Grundeinkommens entsprechen, also etwa 900, 1.000, 1.200 Euro pro Person
heute ausmachen?
2. Stimmen Sie meinen Überlegungen zu, dass die Kombination von
Grundeinkommen und Konsumsteuern nicht gewährleisten kann, dass sich
starke Schultern an der Finanzierung des Gemeinwesens stärker beteiligen
als schwache Schultern (fehlende Progression) und sich stattdessen
höhere Einkommen und Vermögen unter Umständen noch schneller als bereits
heute durch eine Kapitalisierung gegenüber dem Gros der
Gesellschaftsmitglieder verselbständigen könnten? Falls nein: Warum
nicht? Falls ja: Was für Konsequenzen in Bezug auf Ihren Vorschlag
ziehen Sie daraus?
3. Ist Ihnen dieser Modellvorschlag von Matthias Dilthey und Jörg
Drescher bekannt? Falls nein würde ich Sie darum bitten, ihn zur
Kenntnis zu nehmen. Falls ja: Was halten Sie davon?
Am 22.10.2014 00:01, schrieb peterheesch at t-online.de:
> Hallo
>
> ja und wie wär es von allem etwas zu nehmen und stück/schrittweise vorzugehen? Ich kann viele Wohlhabende schon auch verstehen, die sich alles knüppelhart über Jahrzehnte erarbeitet haben. Jeder möchte halt das Meiste für sich.
>
> Die Idee Konsum via Mehrwertsteuer statt Einkünfte zu besteuern find ich richtiger als umgekehrt. Einkünfte müssen von Abgaben und Steuern entlastet werden, BGE als Transfereinzelleistung statt aller anderen wie Hartz 4... und BGE vom Lohn (bilanziell) abziehen.
>
> Ich denke nur so sind wir weiter Wachstumsfähig, sonst drohen doch Krisen und Kriege und zurück zu Boden(Landwirtschaft), siehe Ukraine, Syrien, IS USA etc, das fürchte ich wirklich und wie soll die Arbeitslosigkeit und Überstunden verringert werden oder gar Vollbeschäftigung erreicht wenn sonst alles bleibt wie es ist aber die Technik demnächst auch mittlere Tätigkeiten ersatzlos übernimmt (Industrie 4.0, Digitalisierung 2.0 usf.) Die Steuererklärung wird bereits 2016 ff automatisch errechnet.
>
> Ich bin knochenharter Realist und 18 Jahre erfahrener Betriebswirt FH als Organisator, Controller im Gesundheitswesen öffentlichen Dienst... der Wandel fängt grad erst an..oder etwa 8-12 Mio Erwerbslose? und Reiche zahlen den ganzen nonfunktionalen Mist und immer kaputtere Erwerbstätige mit mehr Fehlern und abnehmender Leistung, weniger ist halt nicht durchgängig mehr...
> BG
> PH
> -----Original-Nachricht-----
> Betreff: Aw: AW: [Debatte-Grundeinkommen] Heesch Grundeinkommen nach Götz Werner
> Datum: Tue, 21 Oct 2014 13:32:06 +0200
> Von: "Eckhard Rülke"<ERuelke at gmx.de>
> An:peterheesch at t-online.de
>
> nunja, ich hab' mal versucht, den Herrn Werner darauf anzusprechen, dass dieser Teil - die Steuerfreiheit von Gewinn und Kapitalertrag - ja eigentlich da nicht reingehört, in ein BGE-Konzept.
> War schon ein Erlebnis, zu sehen, wie der Mann plötzlich giftig werden kann.
>
> Neenee, ich seh' das inzwischen so: Entweder wir setzen uns für ein Werner-Konzept ein, wo letztlich nur die Kapitalisten plus machen. Dann haben wir auch deren Unterstützung (auch Werner ist Milliardär). Oder wir wollen ein richtiges BGE zu Gunsten der breiten Masse. Dann haben wir die Mächtigen zum Feind und absehbar keinerlei Verwirklichungschance - da bräuchte es einen ganz anderen Organisationsgrad.
> Aber dass kann man bei üblichen BGE-Fans nicht diskutieren. Die wollen sich halt ihre schönen Vorstellungen nicht mit Realismus kaputtmachen lassen.
>
> Nichts für Ungut, Eckhard
>
>
>> Gesendet: Dienstag, 21. Oktober 2014 um 10:47 Uhr
>> Von:"peterheesch at t-online.de" <peterheesch at t-online.de>
>> An: "Eckhard Rülke"<ERuelke at gmx.de>
>> Betreff: AW: [Debatte-Grundeinkommen] Heesch Grundeinkommen nach Götz Werner
>>
>> Hallo
>>
>> ok. Aber da ist ja Maß und Mitte möglich :-) und auch ein anderes Modell, danke f.d. Info. Das habe ich wirklich so nicht gelesen, bei einem Vortrag war ich nicht.
>>
>> BG
>>
>> Peter
>>
>> -----Original-Nachricht-----
>> Betreff: Aw: [Debatte-Grundeinkommen] Heesch Grundeinkommen nach Götz Werner
>> Datum: Mon, 20 Oct 2014 13:14:46 +0200
>> Von: "Eckhard Rülke"<ERuelke at gmx.de>
>> An:peterheesch at t-online.de
>>
>> Hallo Peter,
>>
>> na, bei Deinem Punkt 7 hast Du wohl den Herrn Götz Werner gründlich missverstanden. Wenn man bei seinen Vorträgen genau hinhört – also nicht bloß das, was man hören will – dann fällt auf, dass er niemals das ganz wichtige vergisst:
>> Die allerallererste Maßnahme bei Einführung seines BGE ist die Abschaffung aller Einkommens-, Gewinn- und Kapitalsteuern! Alle Gewinne aus Geldanlagen werden offiziell steuerfrei und können zu 100% gleich wieder angelegt werden.
>>
>> Wenn wir das tun, bekommen wir keine Kapitalflucht, sondern das Gegenteil – wir sind dann die absolute Steueroase. Alle Großvermögensbesitzer und alle großen Firmen verlegen ihren Sitz nach Werner-Deutschland. In heutigen Steueroasen verdient der Staat trotz niedriger Steuersätze an der Masse der Firmensitze. In Werner-Deutschland geht der Staat allerdings leer aus, weil Steuersatz Null ist.
>>
>> Das ist der Hauptgrund, weshalb ich die Popularität des Wernermodells so hasse.
>>
>> gruß, Eckhard
>>
>>
>>> Gesendet: Freitag, 17. Oktober 2014 um 15:00 Uhr
>>> Von:"peterheesch at t-online.de" <peterheesch at t-online.de>
>>> An:debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>>> Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Heesch Grundeinkommen nach Götz Werner
>>>
>>> Hallo ich bin noch neu hier
>>>
>>> ich denke nur erstaunt bei ller Diskussion auf diesen Seiten und vielen Mitstreitern, wann erhalten wir ein solches BGE. Was würde sich denn wirklich ändern?
>>>
>>> 1. Ja Existenzangst wie seit Jahrzehnten würde verringert werden
>>> 2. Ja ein BGE kostet Geld, z.B. 12000 € im Jahr für 80 Millionen Menschen in Deutschland, dieses kosten ersatzlos zu streichende Transferleistungen wie Hartzs 4 oder Mindestrenten, Wohngeld, Sozilabgaben für Arbeitslosenversicherung, Soli etc aber auch
>>> 3. Ja einige wenige die auch heute nicht gern arbeiten, arbeiten auch dann gar nicht
>>> 4.Personalkosten in den Firmen könnten das BGE bilanziell und GUV seitig absetzen
>>> 5. Der Staat spart zugunsten des BGE an einzusparenden Transferkosten
>>> 6. Arbeit wird billiger (Wettbewerbsvorteil)
>>> 7. Kapital muß dies tragen und wird teurer mit realer Gefahr der Kapitalflucht, außer es werden Fonds gegründet, die Steuersparmodelle heute ersetzen und niedrige Einkünftesteuern und erhöhte Konsumsteuern (Mehrwertsteuer z.B. für Medikamente und gesunderhaltende Nahrungs- und sonstige Mittel 12 %, normale MWST 24 % und 2 LuxusMWSTsätze für Güter Klasse 2 und 3 z.B. Oberklasseautos, Pelze o.ä. mit 36 und 48 %)
>>> 8. Arbeitslose werden automatisch Angestellte der Bundesagentur für Arbeit, jeder hat Fähigkeiten, welcher er bei legalem Grau/ Schwarzmarkt legal für wen auch immer nbieten kann
>>> 9. Ggfs kann ein MindestBGE ohne Leistung z.B. 12000 € p.a. und leistungsabhängige Zusatz BGE z.B. weitere 6.000 € an 8 adptiert werden
>>> 10. Gibt es irgendwo Projekte, Testläufe realer Erprobung?
>>> 11. Wer schult dieVorgesetzten und Superreichen, welche Angststeuerung verinnerlicht haben und nicht damit zurechtkommen Mitarbeitern Anreize zu geänderter kulturschaffender Tätigkeit zu verschaffen oder wäre es konsequent diese gehen und fallen zu lassen, nachdem deren Motto Leichen pflastern ihren Weg war und ist
>>> 12. Wann setzen wir ein BGE Gesetz wie um und was und wer hindert uns?
>>> 13. Was wollen wir?
>>>
>>> 14 Ich wil das BGE möglichst schon 2016 und ab 2015 dafür werben.
>>>
>>> Wie seht Ihr dies?
>>>
>>> MfG
>>>
>>> PHeesch
>>>
>>>
>>>
>>> _______________________________________________
>>> Debatte-Grundeinkommen Mailingliste
>>> JPBerlin - Politischer Provider
>>> Debatte-Grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>>> https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen
>>>
>>
>>
>
>
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20141022/012ff729/attachment.html>
Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen