[Debatte-Grundeinkommen] [Debatte.bag.wirtschaft] Grundeinkommen

Michael Opielka michael.opielka at isoe.org
Fr Mai 8 01:12:00 CEST 2009


Liebe Freunde,

 

wer immer Rudolf Witzke ist – die Neigung, in Debattenlisten quasi anonym
mit Vornamen und ohne Anschrift aufzutreten, aber dann politische
Bedeutsames zu beanspruchen, trägt nicht gerade zu einer Debattenkultur -
z.B. bei den Grünen – bei.

 

Die Überlegungen von „Rudolf“ sind fleißig. Sie pendeln freilich munter
zwischen Soziologismus und naiver Umgangssprache, die wiederum
weitreichende, aber dadurch unreflektierte Annahmen über die Gesellschaft
transportiert. Ein Beispiel:

 

Aber warum sollte der Sozialstaat schon

vorauseilend Existenzsicherung betreiben, wo doch Existenzsicherung primär
die Aufgabe der

Wirtschaft bleibt, und der Sozialstaat nur nachträglich aus dem Ergebnis der
Wirtschaftstätigkeit

finanziert werden kann, sich von Wirtschaft insofern überhaupt nicht
abkoppeln kann? Ich sehe hier

jedenfalls weit und breit kein schlüssiges Argument für ein BGE hervorlugen.

 

Warum ist die Existenzsicherung „primär Aufgabe der Wirtschaft“? Dies wäre
dann der Fall, wenn es tatsächlich so ist. Wenn also alle – konzentriert
hier: monetären – Existenzsicherungen das Ergebnis von Wirtschaftstätigkeit
der Subjekte/Bürger sind. Ein relevanter Teil dieser zu Geldflüssen
führenden Tätigkeiten ist jedoch keineswegs wirtschaftlich, sondern seit
langem bspw. politischer bzw. rechtlicher Art: Klassisch die Bodenrente (aus
feudalen Zeiten), heute Vermögenseinkünfte, denen keine eigene
vermögensbezogene Tätigkeit zugrunde liegt, sondern allein die Ausleihe von
Geld, also von Rechtstiteln; ebenso und quantitativ relevanter die
politische Positionierung am Rand, aber auch im Wirtschaftssystem, bspw.
durch hohe Managergehälter und ganz allgemein durch gewerkschaftliche und
sonstige Lohndifferenzierung. Wirtschaftstätigkeit ist insoweit und
zunehmend politisch-ökonomisches Handeln, die „rein“ wirtschaftlich. Der
Soziologe Talcott Parsons hat diesen Zusammenhang auf die Formel der
„Interpenetration“ von Subsystemen gebracht, d.h. die Durchdringung von
Handlungslogiken hier des Politischen und des Wirtschaftlichen. Ob daraus
eine Legitimation des Grundeinkommens folgen kann, mag offen bleiben. Eine
derart schlichte (freilich häufig gehörte) Grundeinkommenskritik lässt sich
nicht halten.

 

Derartige Kritik könnte man an den Papieren von „Rudolf“ durchgängig
vorbringen. Ich habe mich geäußert, weil dieses naive Rumoren leider die
grünen Eliten nicht weniger befallen hat. Die undifferenzierte Ablehnung der
Grundeinkommensposition verbunden mit einer Naturalisierung der je eigenen
Gesellschaftstheorie und damit auch Politikkonzeption ist bedauerlich.

 

Viele Grüße

Michael Opielka

 

 

________________________________________________

 

prof. dr. habil. michael opielka

institut für sozialökologie (isö)

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d-53639 königswinter

fon +(49)-2244-871659

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michael.opielka at isoe.org

www.isoe.org

 

Von: debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de
[mailto:debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de] Im Auftrag von Rudolf
Witzke
Gesendet: Donnerstag, 7. Mai 2009 11:38
An: Dirk Jacobi
Cc: debatte.bag.wirtschaft at gruene.de
Betreff: [Debatte.bag.wirtschaft] Grundeinkommen

 

Hallo Dirk, liebe Mitdiskutierende

 

Du hattest auf zwei Texte verwiesen, der eine weitgehend von Dir selbst
verfasste für die Böll Stiftung "Pro und Contra Grundeinkommen" sowie einen
Beitrag von S. Lessenich für die Ebert-Stiftung. Sowie ein kleines Filmchen,
in dem Herr Offe zu sehen ist. Habe mich nun mit diesen wirklich
interessanten und guten Beiträgen auseinandergesetzt und in Bezugnahme auf
einige Textstellen einige Kommentare geschrieben, die im ersten, längeren
Anhang zu finden sind.

Einen zweiter Text, den ich auf eine Frage von Horst Schiermeyer hin
geschrieben habe, hänge ich auch noch an, da er mir von Relevanz für das
Thema zu sein scheint. Viele Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens
gehen nach meiner Beobachtung davon aus, dass wir in einer Gesellschaft sehr
großen Überflusses leben, der immer nur noch größer wird, mit der Konsequenz
eines stark sinkenden Bedarfs an Arbeit. Ich halte diese Sicht für das
Ergebnis der irrigen Fortschreibung einer vergangenen Entwicklung in die
Zukunft. Aus meiner Sicht haben wir schon heute einen sehr großen und
drängenden Bedarf an zu leistender Arbeit, der nur mangels geeigneter
Nachfrage nicht gedeckt wird. Ich bin sicher, jedem werden dazu viele
Beispiele einfallen. In Zukunft wird dieser Bedarf noch erheblich größer
werden, darauf laufen die Argumente in diesem relativ kurzen Papier hinaus.
Die Diskussion müsste daher aus meiner Sicht sein, wie der drängende Bedarf
am besten mit der nötigen Zahlungsfähigkeit versehen werden kann.

Ich bin in der letzten Zeit nicht mehr auf alle Reaktionen, die zu meinen
Kritik am Grundeinkommen kamen, eingegangen. Vieles, was auf einzelne
Stellungnahmen noch zu sagen gewesen wäre, findet sich nun in den
angehängten Texten. Für mich ist damit, soweit ich das sehen kann, die
Debatte zu diesem Thema beendet, da ich mich sonst wohl nur widerholen
müßte. Aber für überraschende neue Argumente bin ich natürlich immer offen.

 

Mit besten Grüßen

 

Rudolf

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