[Trennmuster] Nottrennung »-ti-on«?

Keno Wehr keno.wehr at abgol.de
Sa Jul 7 19:48:46 CEST 2018


Am 05.07.2018 um 23:15 schrieb Guenter Milde:

>
> Ich gebe zu, dass ich die mir geläufige Aussprache I-jon bisher nicht auf
> sprachgeschichtliche Begründung geprüft habe. Nun denn:
>
> Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer) https://www.dwds.de/wb/Ion
>
>     Ion n. elektrisch geladenes Atom (oder Atomgruppe), Molekül (oder
>     Molekülgruppe). 1834 wird von dem englischen Physiker Faraday griech.
>     ión (ἰόν), das substantivierte Part. Präs. Neutr. zu griech. iénai
>     (ἰέναι) ‘gehen’, im Sinne von ‘Gehendes, Wanderndes’ aufgenommen zur
>     Bezeichnung des wandernden Teilchens, das sich bei der Elektrolyse zu
>     den Elektroden hin bewegt.
>
> Zu ἰέναι finde ich bei en.wiktionary.org/wiki/ἰέναι
>
> Pronunciation
>
>      (5th BCE Attic) IPA(key): /i.é.nai̯/
>      (1st CE Egyptian) IPA(key): /iˈɛ.nɛ/
>      (4th CE Koine) IPA(key): /iˈe.nɛ/
>      (10th CE Byzantine) IPA(key): /iˈe.ne/
>      (15th CE Constantinopolitan) IPA(key): /iˈe.ne/
>
> Auch die englischen Aussprache /ˈaɪən/, /ˈaɪɒn/ korrespondiert mit der
> Idee der Vereinbarkeit von Sprachgeschichte und der zweisilbigen
> Aussprache I-jon.
>
>

Diese Begründung mag man gelten lassen; sie entspricht aber genau der 
Art von Wissenschaftlichkeit, die mir suspekt ist.
Die Ausspracheangaben halte ich für weitgehend irrelevant, da Westeuropa 
mit der vorherrschenden Sprache Latein (inclusive der darin 
aufgenommenen griechischen Fremdwörter) seit der Spätantike eine eigene 
sprachgeschichtliche Entwicklung genommen hat, auf die das 
mittelalterliche byzantinische Griechisch keinen nennenswerten Einfluss 
mehr gehabt haben dürfte. Die Art und Weise, wie wir 
griechisch-lateinische Fremdwörter heute aussprechen beruht auf dieser 
Entwicklung. Kennzeichnend dafür ist beispielsweise, dass das 
lateinische c vor e, i, ä und ö zu z wird, sonst zu k. So wird aus lat. 
circus dt. Zirkus (entsprechend in anderen westeuropäischen Sprachen, 
bspw. frz. cirque 
[siʁk]<https://fr.wiktionary.org/wiki/Annexe:Prononciation/fran%C3%A7ais>). 
Weiter wird ein i am Wortanfang zu j, wenn ein Vokal folgt: iustitia > 
Justiz. In diesem Zusammenhang sind auch wohlbekannte Namen aus dem NT 
zu nennen: Ἰησοῦς > Jesus, Ἰωσήφ > Joseph/Josef. Mit in der Neuzeit neu 
gebildeten Fremdwörtern wurde entsprechend verfahren: ἰοειδής 
(veilchenfarbig) > Jod. In dieses System fügt sich die von mir 
bevorzugte Aussprache von Ion zwanglos ein (vgl. auch die frz. 
Aussprache [jɔ̃]).
Moderne Altphilologen ignorieren diese Traditionen meist zugunsten einer 
Rekonstruktion der angenommenen antiken Aussprache. Ein humorvoller 
Mensch hat das mit folgender Dichtung aufs Korn genommen:
»Kikero und Käsar gingen in den Kirkus, Kikero mit Kylinder und Käsar in 
kivil.«

Wie dem auch sei, ich will niemandem vorschreiben, wie er bestimmte 
Wörter auszusprechen hat, und Fakt scheint zu sein, dass es für »Ion« 
eine zweisilbige und eine einsilbige Aussprache gibt.
Welche Variante in Gesangstexten häufiger ist, lässt sich wohl kaum 
seriös ermitteln, da man – wenn überhaupt – nur sehr wenige Belege 
finden wird.
Wenn man an mögliche Benutzerschnittstellen zur Nutzung von 
Gesangstexttrennmustern denkt, wird es vermutlich einfacher sein, eine 
zusätzliche Trennstelle einzufügen als eine zu unterdrücken. Dies 
spricht dafür, die Auszeichnung in Schwankungsfällen auf der geringeren 
Silbenzahl beruhen zu lassen, wenn man kein besseres Kriterium hat.

>> Ungeachtet meiner persönlichen Präferenz würde ich für die Auszeichnung in
>> der Wortliste einem verlässlichen Aussprachewörterbuch (Duden Bd. 6 oder
>> entsprechender Wahrig-Band, aber nicht gerade Wiktionary) folgen.
> Einverstanden (Nur hab ich diese WB nicht da, im Rechtschreibduden (2006)
> steht nur "Io̲n").
>

Ich auch nicht, aber über meine Bibliothek habe ich Online-Zugriff auf 
das »Deutsche Aussprachewörterbuch«. Bei Interesse kann ich dort gern 
einiges nachsehen.

Gruß
Keno
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