[netz-bb] Bitte geht wählen! *** just say NO !

mau amaru3 at gmx.de
Do Sep 21 22:23:17 CEST 2017


Hallo Elisabeth,
ich möchte Dir gerne auf Deine gut durchdachten Argumente, an den Wahlen
sich zu beteiligen, antworten.
Leider habe ich nicht die Zeit und die Kraft Dir ebenso ausführlich zu
antworten zu dieser grundsätzlichen Frage, welche Bedeutung die
parlamentarische Demokratie bzw. Wahlen zur Veränderung von Strukturen
der Herrschaft des Kapitals bzw. transnationaler Konzerne,
gesellschaftlicher Ungleichheit, sexueller Unterdrückung. ökologischer
Zerstörung etc. pp. haben.

Vorweggenommen: Meines Erachtens: Absolut KEINE -

wie ich vor allem mit Verweis auf die Erfahrungen des 11. Septembers
1973 schlußfolgere. Wenn durch Wahlen tatsächlich Machtverschiebungen
entstehen sollten, wie in Chile 1973 geschehen, dann werden die
(international) Herrschenden jederzeit und sofort ihre demokratische
Maske abnehmen und ihre dahinter versteckte faschistische Fratze zeigen
und die sozialen Bewegungen bzw. ihre Protagonist*innen gnadenlos in
einem Blutbad ersticken (wobei in Chile 73 die damalige Bundesregierung
und ihre diversen Institutionen und Dienste z.T. sich aktiv am Blutbad
beteiligt haben). Und Chile ist nur ein Beispiel von vielen! (aber auch
ein Beispiel, dass trotz der Vernichtung fast einer ganzen Generation
der Widerstand gegen den neoliberalen Kapitalismus weiter geht - z.B. 
im Kampf der chilenischen Schüler*innen gegen die Privatisierung der
Bildung oder der Mapuche gegen die Aneignung ihrer Ländereien durch
Monsanto, Benetton etc..)

Dass einige (nicht unbedeutsame Fraktionen) der herrschenden Marionetten
auch von *schland sich bereits jetzt um Demokratie und Menschenrechte
immer weniger scheren, sollte nach G 20 jeder und jedem deutlich
geworden sein (wem nicht nach dem Abbau sozialer Sicherungssysteme und
der Asylgesetze u.a. bereits vor Jahren/Jahrzehnten die Augen
aufgegangen sind, wohin der kapitalistische Hase hoppelt)

Ich zitiere aus dem Vorwort der soeben erschienen Zeitung Gai Dao:

Das Verbot von linksunten.indymedia.org durch die Bundesregierung am
25.08.2017 stellt die nächste Stufe der Repression gegen soziale Bewegungen im
deutschsprachigen Raum dar. Es ist Wahlkampf und nach dem Kontrollverlust
des Staates im Zuge der G20-Protestaktionen setzt die Bundesregierung auf
medienwirksame Aktionen (und macht sich nebenbei zum Erfüllungswerkzeug
rechter bis faschistischer Akteur*innen). Ein weiterer Schlag gegen
Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung in Deutschland; ein weiterer Schritt
in Richtung autoritären Kontroll- und Polizeistaat.

Mit der Sperrung von linksunten.indymedia.org wird einmal mehr deutlich,
welche wichtige Funktionen unabhängige, dezentrale und für alle zugängliche
Medien für soziale Bewegungen haben.

*(Also macht weiter mit der Contraste !!) *

Es ist allerdings ein fataler Denkfehler zu glauben, dass die
faschistische Gefahr, (die scheinbar von der AfD ausgeht) durch die
Verteidigung des demokratisch-kapitalistischen status quo gebannt werden
könne, der diese Gefahr erst hervorbringt. Diese Illusionen zu
verbreiten, ist das Elend des Reformismus und scheinbar linker Parteien:
"Die Aufgabe linker Parteien ist es, von Zeit zu Zeit die brüchig
gewordenen Illusionen ins parlamentarische System aufzufrischen." (Zitat
aus einer 40 seitigen Broschüre gegen Wahlen, mehr dazu unten)

Aufgrund mathematischer Erwägungen - um den Stimmenanteil der AfD quasi
symbolisch klein zu halten, könnte Mensch erwägen, UNGÜLTIG wählen zu
gehen, d.h. ein großes Kreuz kwehr über den Wahlzettel oder einen
Protest-Kommentar auf diesem Papier hinterlassen.

Jede Stimme für welche Partei auch immer - auch für die kleinen
trotzkistischen u.a. Splitterparteien stärkt die Illusion in die
Bedeutung des parlamentarischen Systems. Und vergißt und lenkt davon ab:
Die wirklich wichtigen Entscheidungen wurden  & werden an anderer Stelle
getroffen. Gegen die Macht der Konzerne und ihrer Lobbygruppen in den
Parteien hilft nur der Aufbau von eigenen Strukturen (solidarischer
Ökonomie & Solidarität) , Selbstorganisation sozialer Kämpfe und
Gegenmacht !
*
*Auch dass einige Griechen und Spanier oder Kurden und Syrer oder
Senegalesen und andere aus dem globalen Süden lieber in schland bei
Mutti leben, als in "ihren" -  auch und gerade erst durch Entscheidungen
von deutschen Politik- und Wirtschaftseliten mehr oder weniger
zerstörten Ländern, spricht eher gegen das System hier, das auch im
globalen Massstab dafür sorgt, dass die Reichen reicher und die Armen
ärmer werden.  Zum Teil ist es auch ein Ausdruck der Illusionen der
Migrierenden, hier an den Fleischtöpfen satt werden zu können - während
tatsächlich lausige Lager, Abschiebeknäste oder prekäre lumpig bezahlte
Minijobs  auf sie warten!

weitere Gründe NICHT WÄHLEN ZU GEHEN sind z.B. in der


  Broschüre: Gegen die Illusion der Wahlen – Warum wir die Freiheit
  nicht mit dem Stimmzettel erreichen können

aufgeführt.

*http://agdo.blogsport.eu/2017/08/22/broschuere-gegen-die-illusion-der-wahlen-warum-wir-die-freiheit-nicht-mit-dem-stimmzettel-erreichen-koennen/
*
Zitat aus der Einleitung:

Vor jeder Wahl liegen uns Politiker*innen, Journalist*innen und
Lehrer*innen in den Ohren; sie preisen die Vorzüge der Demokratie und
versuchen, uns mit Wahl-O-Maten und anderem pädagogischen Schnickschnack
zu überzeugen, doch unbedingt von unserem demokratischen Recht Gebrauch
zu machen und zur Wahl zu gehen. Wenn wir sagen, dass uns das alles
nicht interessiert, werden sie moralisch und behaupten, dass wir uns
nicht beschweren dürften, wenn wir nicht mitmachten. Zuweilen werfen sie
uns sogar vor, wir persönlich seien durch unsere Wahlenthaltung schuld
am Aufstieg der AfD, am Klimawandel, am Mangel an Kitaplätzen und was es
sonst so an Problemen der Gegenwart gibt.

Diese Werbemaßnahmen und Vorwürfe nützen freilich wenig. Wir sind
beileibe nicht die einzigen, die dem Wahlspektakel wenig abgewinnen
können. Große Teile der Bevölkerung sind zu der Überzeugung gelangt,
dass es im Grunde egal ist, wen sie wählen, weil „die da oben ja ohnehin
machen, was sie wollen.“ Auch diejenigen, die noch zur Wahl gehen, tun
das in der Regel nicht aus Begeisterung für eine bestimmte Partei,
sondern um „das größere Übel“ zu verhindern oder einfach, um überhaupt
etwas getan zu haben. Bei Umfragen darüber, welchen Berufsgruppen die
Menschen am meisten vertrauen, belegen Politiker*innen seit Jahren
regelmäßig den letzten Platz. Politikwissenschaftler*innen warnen
besorgt von einer „Legitimationskrise der Demokratie“.

Offenbar wird das Märchen von der „Volkssouveränität“, also der
Selbstbestimmung, die dem Volk in der Demokratie zukommen soll, immer
weniger geglaubt; zumindest ahnen viele, dass Demokratie keineswegs
bedeutet, dass sie in ihrem persönlichen Alltag „souverän“ sind, sprich
selbst bestimmen können, wie sie leben möchten. Politische Wahlen sind
im Grunde nur eine von vielen Scheinalternativen, zwischen denen wir uns
ständig entscheiden sollen: CDU oder SPD, Saturn oder Media Markt, O 2
oder Vodafone, ein Jura- oder ein Soziologiestudium – Wahlmöglichkeiten,
wohin man sieht, aber nirgendwo Freiheit."

soweit meine 5 cent zu dieser alle 4 Jahre, in Zukunft wohl alle 5 Jahre
immer wieder auftauchenden Debatte...

beste Grüße

mau





Am 21.09.2017 um 16:11 schrieb Elisabeth Voss:
> *Ein paar Gedanken zur Bundestagswahl 2017*
>
> Normalerweise schreibe ich über Solidarische Ökonomie,
> Selbstorganisation und Stadtentwicklung. Heute aus aktuellem Anlass
> mal ein anderes Thema: Die Bundestagswahl. Ich kenne einige, die nicht
> viel von Wahlen halten, die lieber selber machen statt zu delegieren –
> hierarchiefrei und selbstbestimmt. In außerparlamentarischen
> Bewegungen scheint die Bundestagswahl kein großes Thema zu sein. Auch
> ich erwarte keinen grundlegenden Politikwechsel. Anders als 1998, wo
> nach 16 Jahren Kohl viele sich so vieles von Rot-Grün erhofften. Ich
> war dabei, als Netzwerk Selbsthilfe <http://netzwerk-selbsthilfe.de/>
> und CONTRASTE <http://contraste.org/> damals mit vielen anderen die
> Initiative Anders Arbeiten – oder gar nicht?!“
> <http://www.contraste.org/index.php?id=80> zur kritisch-solidarischen
> Begleitung der neuen Bundesregierung gründeten. Mit der ersten
> deutschen Kriegsbeteiligung seit dem 2. Weltkrieg (gegen Serbien), mit
> Hartz IV (Mobbing und Ausgrenzung gegen Erwerbslose) und Riester
> (Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Rentenversicherung)
> wurden unsere Erwartungen heftig enttäuscht. Und danach, nun ja …
>
> Vielleicht stimmt es, dass Wahlen verboten wären, wenn sie wirklich
> etwas ändern würden. Ich käme auch nicht auf die Idee, von
> Parlamentswahlen die Abschaffung des Kapitalismus zu erwarten.
> Gleichzeitig denke ich, dass – bei aller Kritik an undemokratischen
> Entscheidungsfindungen, Lobbyismus und Machtkarussels, Korruption etc.
> – nicht vergessen werden sollte, dass viele Menschen in vielen Ländern
> dieser Welt froh wären, wenigstens in einem politischen System wie in
> Deutschland zu leben. Klar nervt es, wenn im Vorfeld der
> Bundestagswahl plötzlich Politiker*innen aller Couleur öffentlich
> auftreten, weil sie Stimmen einsammeln wollen, mit hohl klingenden
> Werbesprüchen und Allgemeinplätzen. Damit kriegt mich auch keine*r.
>
> Aber es gibt ja nicht „die“ Politik und „die“ Politiker*innen, und es
> ist überhaupt nicht egal, wer im Parlament vertreten ist. Nur ein
> kleines Beispiel aus Berlin: Der Kaufvertrag zur Privatisierung das
> Kreuzberger Dragonerareals durch die BImA (Bundesanstalt für
> Immobilienaufgaben) wäre sicher politisch durchgewunken worden, wenn
> nicht Stadtteilinitiativen <https://stadtvonunten.de/> gemeinsam mit
> Lokal- und Bundespolitiker*innen in letzter Minute das Wirksamwerden
> des Kaufvertrags verhindert hätten. Und es gibt so viele große Themen:
> Krieg und Frieden, Flüchtlingspolitik, Klimawandel, Ausverkauf
> öffentlicher Infrastrukturen, Arbeitsbedingungen und Wohnungsnot etc.
> An der neoliberalen Ausrichtung von Politik wird die Wahl nichts
> Grundlegendes ändern, aber für die jeweils Betroffenen kommt es oft
> schon auf Nuancen an. Darum spricht meines Erachtens nichts dagegen,
> und vieles dafür, auch die parlamentarischen Möglichkeiten zu nutzen.
> Nicht als Alternative zu eigenen Aktivitäten, sondern ergänzend.
>
> Ich möchte euch also motivieren, trotz Zweifeln wählen zu gehen. Hier
> die Gründe, warum ich wähle, und was ich mir dazu überlege:
>
>  *
>
>     Mein Privileg, wählen zu dürfen und zu können, möchte ich nicht
>     achtlos wegwerfen (auch wenn ich es ungerecht finde, dass so viele
>     ausgeschlossen sind), denn Rechte, die nicht genutzt werden,
>     verschwinden eines Tages.
>
>  *
>
>     Ich möchte dazu beitragen zu verhindern, dass die AfD stärkste
>     Oppositionspartei wird.
>
>  *
>
>     Bei meiner Wahlentscheidung konzentriere ich mich diesmal darauf,
>     wen ich möglichst stark in der Opposition sehen möchte.
>
>  *
>
>     Meine Erststimme vergebe ich an die Person, die sich nicht erst im
>     Wahlkampf für die Ziele einsetzt, die auch mir am Herzen liegen,
>     sondern von der ich weiß, dass sie schon länger dafür einsteht. In
>     manchen Bezirken gibt es mehrere solcher Direktkandidat*innen, da
>     würde ich mich für die oder den entscheiden, wer von ihrer/seiner
>     Partei keinen Listenplatz für den sicheren Einzug in den Bundestag
>     bekommen hat.
>
>  *
>
>     Mit meiner Zweitstimme wähle ich die Partei, von der ich erwarte,
>     dass sie in der Opposition am klarsten für Frieden und soziale
>     Gerechtigkeit, gegen Ausgrenzung und Rassismus eintreten wird.
>     Solche Stimmen im Bundestag finde ich wichtig, auch wenn sie
>     Entscheidungen vielleicht nicht beeinflussen können, aber allein
>     dass sie hörbar sind, kann schon etwas bewirken im Bewusstsein der
>     Bevölkerung. Und ohne die Köpfe und Herzen der Menschen zu
>     gewinnen, kann ich mir auch keine gesellschaftliche Transformation
>     vorstellen.
>
>  *
>
>     Von der Partei und der Person meiner Wahl erwarte ich, dass sie
>     die Rechte von Bundestagsabgeordneten ausgiebig nutzen, Anfragen
>     stellen und Einsicht in Unterlagen verlangen um politische
>     Sachverhalte transparent zu machen, Anliegen von Basisbewegungen
>     in Bundestagsausschüsse tragen etc., und damit
>     außerparlamentarische Aktivitäten unterstützen.
>
> Dies sind meine Gründe, zu wählen, sicher gibt es viele weitere.
>
> Für die nächsten Lokalwahlen lohnt es sich, einen Blick über die
> Landesgrenzen nach Spanien zu werfen. Dort erobern seit zwei Jahren
> soziale Basisbewegungen die Rathäuser, und bemühen sich ganz
> pragmatisch um eine Politik zur Verbesserung der Lebensbedingungen von
> breiten Bevölkerungsschichten und Marginalisierten. Über die Konferenz
> „Fearless Cities“ zu diesem Thema, die im Juni 2017 in Barcelona
> stattfand, habe ich in der aktuellen Ausgabe der „CONTRASTE –
> Monatszeitung für Selbstorganisation“ berichtet: Rebellische Städte
> gegen Rassismus und Patriarchat
> <http://www.contraste.org/index.php?id=274>
>
> Ich denke, es ist dem großen Ziel eines guten Lebens für alle,
> weltweit und auf Dauer, nicht abträglich, schon heute unter den
> herrschenden Bedingungen des globalisierten Kapitalismus zu versuchen,
> dort, wo es möglich ist, auch parlamentarisch Einfluss zu nehmen –
> selbstverständlich ohne sich der Illusion hinzugeben, es sei damit getan.
>
> Also denkt doch mal darüber nach, ob Ihr nicht doch zur Wahl geht,
> ganz pragmatisch und trotz allem.
>
> In diesem Sinne solidarische Grüße
>
> Elisabeth
>
> *www.elisabeth-voss.de <http://www.elisabeth-voss.de/> *
>
>
>
>
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