[FoME] Medienhillfe-Debatte

Roman Deckert roman.deckert at gmail.com
Fr Jan 25 12:36:07 CET 2013


Liebe Liste,

ich arbeite seit 1997 im bzw. zum Sudan und Südsudan, davon in den letzten
fünf Jahren als Länderexperte für MICT. Daher bin ich zwar kein neutraler
Beobachter, kann aber hoffentlich etwas zur Klarstellung einiger Fragen in
dieser Debatte beitragen:

In jedem der betreffenden Projekte hat die Konzeption selbstverständlich
damit begonnen, die nord- und südsudanesischen KollegInnen nach ihren
Bedürfnissen zu befragen. Neben journalistischer Fortbildung nannten sie
immer einhellig die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Arbeitsbedingungen
als Hauptinteresse, worauf wir entsprechend einzugehen versuchen. Es
handelt sich mithin keineswegs um eine von uns aufgepfropfte Agenda. Für
Hintergrundinformationen darf ich auf unsere Studie "The Sudanese press
after separation <http://www.mict-international.org/pdf/sudanstudie2012.pdf>"
vom letzten Jahr hinweisen.

Vor allem möchte ich aber auf die Erfahrungen Bezug nehmen, die ich jüngst
bei unserer Konferenz "Media & Makers: Juba
2012<http://media-and-makers.tumblr.com/programme#M1>"
im Südsudan gemacht habe. Dort hat Plural-Partner Thomas Koch mit
zahlreichen MedienunternehmerInnen die finanziellen Herausforderungen im
südsudanesischen Kontext diskutiert und auf dieser Grundlage mit ihnen
zusammen innovative Lösungsvorschläge erarbeitet. Dabei ging es natürlich
auch um Werbung, wobei Thomas immer wieder betonte, dass nur eine strikte
und transparente Trennung von Anzeigen und journalistischen Inhalten die
Glaubwürdigkeit bei der Leserschaft bewahrt. Und dass der Südsudan die
große Chance hat, die Fehler der westlichen Medien im Online-Bereich zu
vermeiden.

Im Gegensatz zu dem hier entstandenen Eindruck nahm allerdings das Gespräch
über die Vor- und Nachteile anderer Modelle weitaus größeren Raum ein. Zum
Beispiel die Bildung von Genossenschaften à la taz. Merchandising à la
taz-Espresso oder SZ-Cinemathek. Das kommerzielle Veranstalten von
Kongressen à la SZ-Führungstreffen Wirtschaft. Vermarktung von Konzerten à
la Ringier. Kleinanzeigen und Vermittlungsbörsen wie Soulmates vom
Guardian. Leserreisen für Expats. Spezialisierte Newsletter-Angebote.
Verlagsbeilagen. Call-in-Shows. Ausweitung von Lokaljournalismus zur
Steigerung der Auflage bzw. Reichweite. Und so weiter und so fort.

Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz war die Diskussion über
Möglichkeiten von Open Source-Methodologien für südsudanesische Medien,
z.B. Crowd Sourcing, Crowd Mapping, Crowd Funding, Data Journalism und
Creative Commons. Also eben gerade keine klassisch kapitalistische
Herangehensweise, sondern "collaborative systems" auf der Basis
afrikanischer Erfolgsmodelle, die von Experten aus Kenia und Nigeria
vorgestellt wurden.

Zeitgleich fand übrigens eine Arbeitsgruppe statt für JournalistInnen zu
der Frage, wie diese ihre ökonomische Situation gegenüber den
Medienunternehmen verbessern können. Hierzu referierte ein erfolgreicher
Autor aus Nigeria.

In diesem Fall kann also mitnichten die Rede davon sein, dass KollegInnen
aus dem Norden KollegInnen im Süden paternalistisch aufdrücken, wo es lang
zu gehen hat. Entscheidend ist m.E. das durchgehend positive Urteil der
Betroffenen vor Ort, die leider generell nicht an dieser FoME-Debatte
teilnehmen. Bei Zweifeln an der guten Resonanz kann ich gerne Kontakte
vermitteln.

Last but not least: wer glaubt, Thomas sei ein unkritischer
Kapitalismusagent, tut ihm unrecht. Nachzulesen in seinem Blog-Post zum
Südsudan<http://ufomedia.posterous.com/eine-empfehlung-an-die-medien-aus-dem-sud-sud>
:

"Was diese Medien von unseren unterscheidet, ist die Mission, die sie jeden
Tag leben, die jeden ihrer Schritte begleitet. Sie wollen ihre Leser, Hörer
und User bilden, schulen und positiv beeinflussen. Sie wollen die
Opposition sein, die gegen das herrschende Regime den Prozess der
Demokratisierung und der freien Meinungsbildung vorantreibt. [..] Während
wir unsere Zeitungen zu Tode sparen, ausdünnen und einstellen, weil sie
keinen Beitrag zur gewünschten Rendite liefern, werden hier Zeitungen
gegründet. Weil sie Teil einer Vision sind."

In diesem Sinne

Roman

-- 
Roman Deckert
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