[Debatte-Grundeinkommen] Jochen Tittel: Austausch mit Bernd Starkloff
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Mi Mär 4 12:13:43 CET 2015
Für die Lesehungrigen und gegen Entzugserscheinungen im folgenden ein
Austausch, der sich außerhalb der Liste ergeben hatte.
22.2. Bernd
HI, Jochen,
Mich hat Deine Geschichte eines Irrtums sehr beschäftigt, und ich habe
ein bischen nachrecherchiert. Ich bestätige, dass dies Geschichte eines
Irrtums ist gut recherchiert und hat eine naheliegende Konsequenz, der
ich auch zustimmen kann, obwohl ich Deine Harmonie und Einklang mit der
Nautur in der Frühzheit der Menschheit anders sehe. Latente Konflikte
gab es immer; Wenn eine Sippe an ein Wasserloch wollte das besetzt war,
haben sie nicht gekämpft, sondern sind sie einfach zum nächsten
Wasserloch ausgewichen (Konfliktlösung durch Flucht). Die hatten genug
damit zu tun, zu übeleben und das war schwierig genug. Die
Lebenserswartung war kleiner als 30 Jahre, Der Versuch die Natur zu
verstehen, und wo möglich zu beeinflussen hat zu allerlei Aberglauben
geführt (siehe Animismus Höhlenmalerei, frühe Götterbilder, usw.)
In http://www.staatsbuergersteuer.de/TauschGeldZins.htm habe ich dazu
ein paar Bemerkungen gemacht, aber dort liegt der Fokus auf der
Entsthehung des Geldes und der Tauschwirtschaft, weniger auf der Frage
nach Krieg und Frieden. Klar ist, dass Handel und Tauschwirtschaft in
Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen schwieriger war als in
Friedenszeiten, und dass der Homo Sapiens von Tausch und Fernhandel
profitierte.
Die Geschichte der Konfliktlösung durch Krieg bekam Aufwind durch
- die enger werdender Besiedlungsdichte
- den zunehmenden Wohlstand (Vieh, Metalle, haltbare
Lebensmittelvorräte, Werkzeuge, usw.)
- die Waffentechnologie, die gefahrlosere Siege für überlegenere Waffen
ermöglichten.
Über die falsche Grundannahme, dass Krieg und Siege reich machen, habe
ich am Beispiel Englands und der USA bereits beschrieben. Dass die
Nationen mit dieser Grundannahme erst mehrfach auf den Bauch fallen
müssen, haben die Römer, Deutschland und hoffentlich jetzt die USA und
Russland vielleicht gelernt oder sind noch mitten im Lernprozess. Das
Problem des Kampfes ist Konfliktlösungsprinzip ist
- Jeder Erfolg verstärkt den Glauben an dieses Prinzip und zur Neigung
zukünftige Konflikte wieder so zu behandeln
- Was macht man mit dem Besiegten? Versklaven? Töten? Bringt beides nur
Aufstände, Rache und Revanchewünsche.
- Eine Niederlage zersört den Nimbus. Die Gegner haben weniger Angst.
(Krieg ist vor allem die Psychologie der Angst)
Also ist der wahre Irrtum der schwer zu erschütternde Glaube an den
Kampf als Konfliklösungsprinzip.
Ich stimme Dir zu, dass dieser Glaube in patriarchischen Strukturen
stark verankert ist. Es findet sich in unserer Gesetzgebung an vielen
Stellen wieder. Beispielsweise in unserer *repräsentativen *Demokratie.
In http://www.staatsbuergersteuer.de/Ideologie.htm habe ich weitere im
Zusammenhang mit der Besteuerung markiert. Die Lösung kann nur lauten:
Überwinden aller Kampflösungen. Vermutlich führt der Weg über die
Delegation (z.B: an die UNO) zum Komromiss (=Verhandlungslösung). Da
dies nur befristete Lösungen sind, weil der Konflikt nur ruhig gestellt
ist, aber keine Dauerlösung garantiert, muss die Zeit genutzt werden,
Lernprozesse auf beiden Seiten in Gang zu setzen, die hoffentlich zum
Konsens führen.
Meine Beschäftigung mit Deiner Geschichte eines Irrtums hat mich daran
gehindert, mit den Themen Geld, Zins, Wertfetisch usw. weiter zu machen.
Aber ich bin dran. Meinst Du, dass ich den Text in die
Debatte-Grundeinkommen einstellen sollte?
Gruß, Bernd
24.2. Jochen
Lieber Bernd,
ich bin angenehm überrascht von Deiner Antwort, hatte eher mit
Widerlegungsversuchen gerechnet.
Wir können uns also auf einer relativ breiten gemeinsamen Basis bewegen.
Daß ich in meiner Geschichte bewußt die harmonischen Aspekte stärker
betont habe, weil ich damit das für meine Begriffe falsche Bild
korrigieren will, daß von einem einseitigen Darwinismus bestimmt ist,
hatte ich ja ausdrücklich gesagt. Die Gesetze der natürlichen Evolution
sind komplexer, als es die liberalen Ideologen in der Zeit nach Darwin
konstruiert haben. Entsprechende Gegendarstellungen gab es schon zu
Darwins Zeiten (und selbst Darwin ist nicht so einfach für dieses
Naturbild zu reklamieren). Das alles beweist aber nichts für die
menschlich-gesellschaftliche Entwicklung, die anderen Linien folgt (oder
folgen kann); es ist nur als Argument gegen zu enge Anlehnung an dieses
Weltbild geeignet. Trotz daß ich nicht leugnen will, daß es in der
frühen Entwicklung natürlich auch immer Gelegenheiten für Konflikte gab,
bleibe ich bei der grundlegenden Aussage, daß der kooperative Aspekt
sowohl in der allgemeinen natürlichen Evolution als besonders in der
Evolution der Menschheit eine wesentliche Bedeutung hatte.
Dein Beispiel am Wasserloch trage ich insofern mit, als es für die
Menschen tatsächlich mehrere bessere Alternativen gab, als einen Kampf
auszutragen. Ich würde aber noch zu bedenken geben, daß Sippen nicht vom
Himmel gefallen sind. Soweit es uns heute möglich ist, die Entwicklung
zum Menschen zu rekonstruieren, ist das ja in /einer/Population
geschehen; das soll also besagen, daß es nicht zwei oder mehrere
Entwicklungsansätze zum Homo Sapiens gegeben hat (andere Parallelitäten
sind nicht ausgeschlossen). Ähnlich war wohl auch schon vorher die
Entwicklung zum Homo erectus, der auch schon von Afrika aus einen großen
Teil der Welt besiedelt hat. Ebenso der Neandertaler. Die Ausbreitung
der verschiedenen Siedlungswellen müssen wir uns wohl so vorstellen, daß
sich die Gruppen beim erreichen einer bestimmten Größe aufgeteilt haben
und zunächst in nicht allzu großer Entfernung als Nachbarn gelebt haben;
eben gerade so weit entfernt, daß man sich in der Nutzung der
natürlichen Ressourcen nicht behinderte. Eine gelegentliche Begegnung an
einem Wasserloch war also mit großer Wahrscheinlichkeit eine Begegnung
von bekannten und verwandten Sippen. Das macht die Entscheidung für eine
friedliche Begegnung noch wahrscheinlicher. Es ist ja auch eine
Gelegenheit zum Austausch von Erfahrungen.
Daß diese frühen Menschengruppen den ganze Tag mit überleben beschäftigt
waren, also keine Zeit für entspanntere Tätigkeiten gehabt hätten, ist
wieder eine Projektion von heutigen Selbstverständlichkeiten in die
Vergangenheit, die wohl korrigiert werden muß. Vorurteilsfreiere
Untersuchungen an heutigen Völkern, die noch als "Sammler-Jäger-Kultur"
leben, haben gezeigt, daß diese durchschnittlich drei bis vier Stunden
täglich für die Reproduktion ihres Daseins verwenden müssen; der große
Rest wird für soziale Interaktionen verschiedenster Art genutzt. Viel
mehr Freiheit, etwas weniger Sicherheit; könnte man meinen.
Das Argument der Lebenserwartung möchte ich auch mit Vorsicht
gebrauchen. Es gibt auch Befunde, die vermuten lassen, daß die
Lebenserwartung mit der Einführung der Herrschaftsgesellschaften sich
rückläufig entwickelt hat. Obwohl ich die Bedeutung der Lebenserwartung
nicht ignorieren will, ist aber auch die bloße Länge des Lebens allein
nicht hinreichend als Qualitätsmerkmal, denn ein langes Dahinsiechen ist
nicht unbedingt besser als ein kürzeres aber erfülltes und glückliches
Leben.
Auch die Beurteilung der Weltanschauung dieser frühen Menschen möchte
ich nur mit großer Vorsicht als abergläubisch und unrichtig abtun. Die
Entwicklung menschlichen Wissens ist nicht nur eine geradlinige
Ansammlung von immer mehr und immer vollständigerem Wissen, sondern auch
eine Geschichte von Vorurteilen und Irrtümern, die aus begrenzten
Interessen resultieren. Der heute dominierende Rationalismus ist zwar in
bestimmter Hinsicht sehr erfolgreich, dennoch ist er eine Einseitigkeit
und erfaßt nur die halbe Wirklichkeit. Wie irrational sich Rationalismus
gebärden kann, ist am Beispiel von Gödels Unvollständigkeitstheorem gut
zu studieren. Etwa zur gleichen Zeit entwickelt wie Einsteins
Relativitätstheorie, ist es doch nahezu unbekannt geblieben, obwohl -
oder gerade weil - es unsere Weltanschauung stärker erschüttert, als
Einsteins Theorie. Gödel zeigt mit streng logischen Mitteln die
Beschränktheit des rein rationalen Denkens auf.
Die drei Punkte, die Du als Verstärker von kriegerischen
Auseinandersetzungen anführst, möchte ich unterschiedlich kommentieren.
"- die enger werdender Besiedlungsdichte"
Traditionelle Gesellschaften sind (und waren) sich bewußt, daß sie mit
ihrem Wachstum das bestehende Gleichgewicht stören und haben deshalb
nicht nach grenzenlosem Wachstum gestrebt. Das fängt erst mit der
Errichtung von Herrschaftsverhältnissen an. Damit wird auch die
Besiedlungsdichte erst zu einem wirklichen Problem.
"- den zunehmenden Wohlstand ..."
Wohlstand alleine ist kein Grund, sich auf kriegerische Abenteuer
einzulassen, im Gegenteil. Die Gefahr, dabei zu verlieren ist um so
größer, je größer der Wohlstand ist. Es muß also mindestens noch einen
andren Grund geben, damit Gesellschaften im Wohlstand sich für Krieg
entscheiden.
" die Waffentechnologie ..."
Abgesehen davon, daß es Waffentechnologie für Jagdwaffen gegeben hat,
ist die Entwicklung von Kriegswaffen auch eine Folge kriegerischer
Haltungen, nicht die Ursache. Aber wenn man einmal in diese Spirale der
Gewalt eingetreten ist, ist es schwer da wieder heraus zu kommen. Die
Ursache oder der Anstoß für eine solche Entwicklung sind aber nicht die
Waffen.
Daß man durch Kriege reich werden könne, ist der Glaube aller
Herrschaftsideologie und aller in diesem Geist errichteten Weltreiche.
Bei genügend kurzsichtiger Betrachtung scheint sich das ja auch immer zu
bestätigen; erst spät stellt sich dann heraus, daß die Schäden insgesamt
größer sind als die Gewinne. So funktionieren noch heute die "Erfolge"
bei der Beherrschung der Natur.
Du erwähnst die Psychologie der Angst. Angst ist ja auch in meiner
"Geschichte eines Irrtums" ein Schlüsselbegriff; das verlorengegangene
Vertrauen in die natürliche Aufgehobenheit (was keine platte Harmonie
ist) erzeugt die Angst als Grundantrieb der Herrschaftsgebilde.
Ich bin ganz bei Dir, wenn Du schreibst: "Die Lösung kann nur lauten:
Überwinden aller Kampflösungen." Das können wir aber nur erreichen, wenn
wir die Angst überwinden.
Zu Deinem Text zu Geld und Zins
Das Modell, welches Du entwirfst, ist vielleicht geeignet anhand eines
idealisierten (und sehr einseitig idealisierten) Gesellschaftsmodells
die Funktion von Geld zu erklären; aber wenn Du damit den Anspruch hast,
wie Du schreibst, die historische Entstehung von Tauschwirtschaft und
Geld zu beschreiben, dann kann ich Dir nicht folgen. Eine solche
Entwicklung und solche Zustände, wie Du sie konstruierst, hat es nie
gegeben. Derartige Geschichtskonstruktionen sind ja nicht neu und werden
immer wieder benutzt, um die liberalen Vorstellungen von Gesellschaft zu
illustrieren. Sie sind auch schon oft genug kritisiert worden. In meinen
Augen sind das eben liberale Ideologieprodukte. Eine gute
zusammenfassende Kritik solcher Mythen findest Du in Karl-Heinz
Brodbecks "Die Herrschaft des Geldes" daß ich schon oft zur Lektüre
empfohlen habe. Damit ist auch Deine Frage von meiner Seite beantwortet,
ob Du diesen Text in der Debatten-Liste einstellen solltest. Ich würde
es nicht tun und ich würde dazu meine kritischen Bemerkungen schreiben,
wenn Du es tust. Aber ich möchte auch Dich fragen, ob wir unseren
Austausch nicht auch auf der Liste für andere lesbar machen. Ich habe
immer die Hoffnung, daß doch der oder die eine oder andere sich die Mühe
macht mitzulesen und dabei vielleicht die eine oder andere Anregung oder
Erkenntnis gewinnt. Wenn Du einverstanden wärst, könnten wir unsere
letzten Mails in der Liste einstellen.
Herzlichen Gruß
Jochen
26.2. Bernd
Hi Jochen,
Ich bin kein Experte für Steinzeit und Frühgeschichte. In
http://www.staatsbuergersteuer.de/TauschGeldZins.htm geht es mir auch
eher um die Antwort an Bert und Dich auf die Frage, was Geld und Zins
ausmacht und weniger um Herrschaftsverhältnisse. Dass aktuelle oder
latente Konflikte (= zwischnmenschliche Probleme) immer vorhanden waren
und sind, wenn Menschen miteinander interagieren scheint mir sicher zu
sein. Wenn das Konfliktstufenmodell von Schwartz zur Analyse von
Konflikten gilt, dann sind Fluchtlösungen die einfachste und häufigste
Form der Konfliktbehandlung. Sie sind durchaus friedlich, weil der
Fliehende, der dem Konflikt ausweicht, sich dem Partner von vorneherein
unterwirft (ohne zu wissen, ob der Andere den Fliehenden überhaupt
wahrgenommen hat oder ob er kämpfen will). Du magst dieses Verhalten als
harmonisch und im Einklang mit der Natur und ähnlichen romantischen
Beschreibungen versehen, für mich sind sind dies natürliche und
rationale Erwägungen, die auch Frühmenschen nicht anders angestellt haben.
Sippen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern in der Jäger und
Sammlerzeit, weil die Versorgung mit Jagdbeute meistens eine größere
Fläche beanspruchte und sich so Heranwachsende von ihren Eltern
trennten, um woanders jagen zu können. Dabei gab es sicher auch
Beziehungskonflikte und das Bedürfnis, der Knute der SippenChefIn zu
entrinnen. Das siehst Du ja auch so. ob die Begegnung mit Verwandtschaft
am Wasserloch von freundlichen oder unfreundlich Gefühlen begleitet war,
wissen wir nicht. Ich vermute, dass beides vorkam. Die Chance,
Erfahrungen und Geschenke auszutauschen werden sie wohl meistens
veranlasst haben, friedlich miteinander umzugehen.
Ob heutige Jäger und Sammlerkulturen mit denen der Frühzeit vergleichbar
sind, kann ich nicht beurteilen. Dass aber viel mehr Zeit für die
Herstellung von Werkzeugen, Jagdwaffen und Kleidung nötig war, als bei
den heutigen Kulturen, erscheint mir logische, denn auch die heutigen
Sammler-Jäger-Kulturen haben sich entwickelt und Fortschritte gemacht.
Dass auch sie von anderen Völkern gelernt und mit ihnen Dinge getauscht
haben, wird sicher ihr Leben verbessert haben.
Zu den drei Punkten:
Besiedlungsdichte führt zu mehr zwischenmenschlichen Kontakten. Viele
werden friedlich gewesen sein, andere weniger. Es reicht, wenn nur
einige Kämpfe entbrennen, der Rest ist der Kreislauf von Rache, Suche
nach Verbündeten, Revanche, Raub und Versklavung. Besitz und Wohlstand
müssen verteidigt werden gegen notleidende Räuberbanden oder neidische
Nachbarn. Hunger ist oft ein starke Kraft, andere zu überfallen und
einfach zu nehmen, was man braucht. Dies gilt um so mehr, je weniger man
den anderen kennt, seine Sprache spricht ... Jagdwaffen gab es. Sie
gegen Menschen einzusetzen, kam sich immer mal wieder vor, manchmal aus
versehen manchmal mit Absicht. Bessere Verteidigung erfordert bessere
Waffen usw. Die Spirale dreht sich. darin stimmen wir überein. Wo der
erste Anlass war oder die Anlässe waren, ist eigentlich ziemlich egal.
Gödels Unvollständigkeitstheorem gehört in die Mathematik. Außer Bert,
der glaubt ein Supercomputer könne alles voraussehen, glaubt eigentlich
niemand, dass sich *alles *rational erklären ließe. Auch die meisten
Physiker sind wie ich sich der Modellstruktur ihrer Hypothesen und
Theorien bewußt und können sogar sehr vieles nicht gar nicht exakt
berechnen, weil die Zusammenhänge sehr schnell chaotisch oder sehr
komplex werden. Aber immerhin: sie können sagen, wo ihre Grenzen sind.
Dazu brauchen sie keinen Gödel. Und trotzdem sind die Modelle extrem
nützlich und oft Grundlage der Technik.
Kennst Du <a
href="http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Riemann_%28Psychoanalytiker%29">Fritz
Riemanns Grundformen der Angst</a>. Sehr lesenswert, spannend und sehr
praxistauglich.
Wie gesagt ich bin kein Experte für Frühgeschichte. Aber die Existenz
eines Fernhandels schon in der Steinzeit ist archäologisch belegt. Damit
folgt eigentlich der Rest automatisch "/Eine solche Entwicklung und
solche Zustände, wie Du sie konstruierst, hat es nie gegeben./" Das ist
sehr pauschal. Welche Zustände und welche Entwicklungen meinst Du
konkret? De Brodbecks "Die Herrschaft des Geldes" kenne ich nicht, und
habe auch keine Lust, mir 1000 Seiten voller marxistisch philosophisch -
soziologischer Begriffskonstruktionen zu lesen. Was ich im Interview mit
ihm gelesen habe, hat mich wenig überzeugt. Und außerdem ist da viel zu
viel von Herrschaft die Rede und zu wenig vom einfachen Menschen wie er
ist, wie er denkt, wovor er Angst hat usw. Da beschäftige ich mich
lieber mit Berts konkreter und abstrakter, lebendiger und toter Arbeit,
auch wenn ich als Physiker den Begriff Arbeit und Energie viel breiter
sehe als Bert oder Marx. Den größten Teil der Arbeit leistet heute die
Natur und speziell die Sonne. Der Mensch dirigiert und steuert die Natur
bloß. Der Bauer hat das schon immer gewusst. Erst durch die Hauptsätze
der Thermodynamik kann der Mensch diese Energien auch anders nutzen.
Kohle und Erdöl sind durch die Kräfte der Sonne und der Natur
entstanden. Im Vergleich dazu wirkt die differenzierte Behandlung der
menschlichen Arbeit durch Marx (und Bert) eigentlich nur spitzfindig und
kleinlich.
Bernd
4.3. Jochen
Lieber Bernd,
wenn Du mir und Bert erklären willst, was Zins und Geld ausmacht und
dabei Herrschaftsverhältnisse ignorierst, können doch nur Halbwahrheiten
herauskommen. Abgesehen von der realen Geschichte ist es auch logisch
unmöglich, Geld und Zins auf der einen Seite und Herrschaft auf der
andren zu trennen. Geld kann nicht gedacht werden ohne den
Eigentumsbegriff und Eigentum nicht ohne Herrschaft. Zumindest in dem
Sinne, wie heute Eigentum verstanden wird. Das Konfliktstufenmodell von
Schwartz habe ich zwar nicht studiert - wenn ich mich recht erinnere,
habe ich aber vor längerer Zeit etwas darüber gelesen und hatte den
selben Eindruck davon, den ich auch aus Deiner Darstellung entnehme - ,
es scheint mir aber schon dadurch einseitig und beschränkt, daß die
Möglichkeit einer friedlichen oder freundlichen Begegnung darin gar
nicht vorkommt. Es geht also von einer falschen Normalität aus. Die
sonstigen Aussagen dieses Modells bestreite ich nicht.
Deine Bemerkung über die " Knute der Sippen-Chefin" läßt mich vermuten,
daß Du den Matriarchats-Begriff als bloße Umkehrung des Patriarchats
verstehst, daß also nur die Rollen von Männern und Frauen vertauscht
sind. Das ist natürlich nicht der wirkliche Inhalt dieses Begriffs in
der Matriarchatsforschung. Der Unterschied ist vielleicht am einfachsten
deutlich zu machen am Unterschied der Begriffe Unterordnung und
Einordnung. Matriarchale Gesellschaften sind herrschaftsfreie
Gesellschaften. Das heißt natürlich nicht, daß in solchen Gesellschaften
jeder Egoist (oder jede Egoistin) machen könnte, was er (sie) will. Der
Mensch ist als soziales Wesen auf die Einbindung in eine menschliche
Gemeinschaft angewiesen; das kann man liberalistisch als Zwang oder
Unfreiheit interpretieren, man kann es aber auch als die Bedingung der
Freiheit des Menschen erkennen. Frühmenschen haben noch ein Bewußtsein
von dieser Einbindung gehabt und erst mit dem Aufkommen des Irrtums, den
ich in meiner Geschichte beschrieben habe, ist dieses verlorengegangen
und die Wahnvorstellung des autonomen Individuums entstanden, die im
Cartesianischen Ego ihre philosophisch-theoretische Überhöhung gefunden hat.
Du möchtest gerne glauben, daß die frühen Sammler-Jäger-Kulturen schwer
daran zu schaffen hatten, zu überleben. Ich möchte gern das Gegenteil
glauben und finde dafür die Argumente unter anderem in den
archäologischen Forschungsergebnissen. Die Hinterlassenschaften der
jungsteinzeitlichen Kulturen wären unerklärbar, wenn die Annahme vom
ständigen Überlebenskampf richtig wäre; denn sie erforderten viel freie
Zeit und überschüssige Energie zu ihrer Herstellung. Dazu zählen die
Megalithbauten, die zu hunderten (oder zu tausenden) in Europa und
anderen Teilen der Welt existieren. Dabei ist die geringe
Besiedlungsdichte der damaligen Zeit zu berücksichtigen. Und diese
Anlagen dienten nicht - oder nicht direkt - wirtschaftlichen Zwecken.
Die spektakulärste Entdeckung in diesem Zusammenhang sind die
Kultanlagen von Göbekli Tepe in der Türkei, die mit einem Alter von
zwölftausend Jahren die bisher ältesten derartigen Relikte sind und die
nachweislich von Menschen geschaffen wurden, die noch als
Sammler-Jäger-Kultur organisiert waren. Darüberhinaus sind auch
altsteinzeitliche Kulturprodukte wie Musikinstrumente, figürliche
Darstellungen, Höhlenmalereien nicht herstellbar von Menschen, die den
ganzen Tag ums Überleben kämpfen müssen. Das mag unser heutiges Ego
natürlich als Kränkung empfinden, daß die Geschichte von der
kontinuierlichen Höherentwicklung sich als eine Lüge oder wenigstens als
ein historischer Irrtum herausstellt und daß die Propaganda von der
Notwendigkeit unablässigen fleißigen Arbeitens nicht stimmt. Aber es ist
wohl doch so, daß in den Geschichten von einem verlorenen Paradies ein
rationaler Kern steckt.
Daß es Kontakte bzw. Beziehungen zwischen weit entfernten
steinzeitlichen Kulturen gab, sehe ich auch als erwiesen an. Diese aber
als "Fernhandel" zu bezeichnen, ist eine zu sehr an unsere Gewohnheiten
angelehnte Interpretation, denke ich.
Die Zustände, deren Existenz ich bestreite, sind die von Dir
beschriebenen, mit denen Du die Geldentstehung erklären willst (nach den
bekannten Vorbildern, im Wesentlichen Carl Menger). Das ist also die
Vorstellung, ein einzelner mehr oder weniger "Wilder" entschließt sich
etwa Schmied zu werden oder Schuster oder ... In diesen Robinsonaden
sind es nebenbei bemerkt immer Männer, die so autonom existieren. Ein
solcher Produzent kommt also auf die Idee z.B. Nägel herzustellen,
nicht, weil er sie selbst verwenden will, sondern weil er davon ausgeht,
daß Andere die Nägel brauchen könnten. ... Ja, so in dieser Art. Weil es
dann beim Tausch von Nägeln gegen Schuhe oder Brot oder sonst was
Schwierigkeiten gibt, erfindet man (oder ein besonders gescheiter Mann)
eben das Geld. Das ist, in groben Zügen, die liberale Theorie von der
Geldentstehung. Daß dabei unter der Hand das vorausgesetzt wird, was man
gerne "beweisen" möchte, wird ignoriert, weil archäologische,
ethnologische, anthropologische, historische und selbst logische
Befunde, die das in Zweifel ziehen einfach als irrelevant abgetan
werden. Wenn solche Hypothesen zu Zeiten von Adam Smith noch zu
entschuldigen sind mit dem begrenzten Wissen damals, so sind diese
Phantasien heute nur noch ein Zeichen von Ignoranz. Menschen sind von
Anfang an soziale Wesen und sind ohne Kooperation, Funktionsteilung und
einer irgendwie organisierten Verteilung der Lebensmittel (im weitesten
Sinne) nicht existenzfähig als Menschen.
Geldentstehungstheorien, die der Wirklichkeit etwas näher kommen, sind
schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt worden,
etwa von Laum und Gerloff. Beide betrachten unterschiedliche Aspekte und
sind wohl beide ein Stückchen von der Wahrheit wobei ich Gerloffs Ansatz
noch tiefgründiger finde, als Laums, der sich ganz auf den religiösen
Aspekt beschränkt.
Geld ist kein Ding, das wir benutzen, sondern ein soziales Werkzeug,
bzw. die Verkörperung einer bestimmten Art, wie wir Menschen uns
aufeinander beziehen. Deshalb kann man nicht verstehen, was Geld ist und
was es mit uns macht, wenn man philosophische und soziologische
Begriffskonstruktionen nicht zur Kenntnis nehmen will.
Deine Bemerkung über den physikalischen Arbeitsbegriff geht folgerichtig
am Wesen des ökonomischen Begriffsinhalts völlig vorbei.
Genau umgekehrt verhält es sich mit Gödel; Du sagst, das ist nur eine
mathematische Spitzfindigkeit, aber dem ist nicht so. Sein Theorem ist
eine grundlegende Aussage über die Grenzen der Rationalität. An diesem
Punkt berührt sich Mathematik mit Philosophie.
Du fragtest, ob ich Fritz Riemanns "Grundformen der Angst" kenne. Auf
der wikipedia-Adresse habe ich da wenig inhaltliches gefunden. Aber ich
habe das Buch vor wahrscheinlich dreißig Jahren gelesen, als ich
angefangen habe, mich für Psychologie zu interessieren und ich habe noch
eine grobe Erinnerung, daß es mir keinen großen Eindruck gemacht hat.
Ich halte es für eine deskriptive, vielleicht positivistische Aufzählung
von Erscheinungen, mit der nichts erklärt und wenig verstanden wird.
Aber wie gesagt, es ist lange her. Interessant finde ich aber, daß es da
eine Analogie zu dem Konfliktstufenmodell von Schwartz gibt, das ich
ähnlich einschätze.
Da Du mir grünes Licht gegeben hast und auf der Debatte-Grundeinkommen
schon Entzugserscheinungen gemeldet werden, werde ich unseren
persönlichen Austausch dort einstellen (nur einige Kleinigkeiten weglassen).
Wenn es auch diesmal vielleicht nicht so klingt, nach wie vor bin auch
ich der Meinung, daß wir von einer gemeinsamen Grundlage ausgehen, die
tragfähig genug ist, um auch manche Differenzen auszuhalten.
Herzlichen Gruß
Jochen
-------------- nächster Teil --------------
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