[Debatte-Grundeinkommen] Jochen Tittel: Austausch mit bernd Starkloff
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So Mär 15 11:58:52 CET 2015
Liebe Leser bzw. Mitleser,
hier gebe ich Euch die Fortsetzung unseres Austauschs:
10.3. Bernd
Hi Jochen,
Wie Du z.B. http://www.staatsbuergersteuer.de/TauschGeldZins.htm#TGZ3.5
entnehmen kannst oder noch fundamentaler meiner Kritik des Capital Asset
Pricing Modells in http://www.staatsbuergersteuer.de/CAPM.htm bin ich
mit Dir der Meinung, dass bestimmte Ökonomie-Experten mit ihren
Empfehlungen auf extrem unsicherem Boden operieren und sich mit ihren
Theorien gegen die Wirklichkeit immunisiert haben, d.h. Zusammenhänge
behaupten, die in der Realität nicht vorhanden sind.
In einem früheren Diskussionsbeitrag habe ich dies als Dummheit zweiter
Art bezeichnet.
Das Problem ist, dass es in diesen Realitätsfeldern praktisch keine
verlässlichen Modelle gibt, die noch dazu ihre eigenen Grenzen kennen.
Dies verführt manche Theoretiker dazu, ihre Theorien als Glaubenssätze
zu etablieren. Ihnen geht es ähnlich wie z.B. Regentänzern
(http://de.wikipedia.org/wiki/Regentanz) bei primitiveren Völkern oder
Teufelsaustreiber in manchen christlichen Sekten oder entsprechenden
anderen religiösen Ritualen: Da man nix genaues weiß, etabliert man
einen Mythos.
Er ist im besten Fall nicht schädlich, führt aber, insbesondere wenn der
Glaube daran radikale Formen annimmt, oft zu unsinnigen und gelegentlich
tödlichen Konsequenzen. ("Und willst Du nicht mein Bruder sein ..."
Wie weit Hegel zu den Philosophen gehört, die für ihre Theorie die
totale Gültigkeit behaupten, weiß ich auch nicht. Ich kenne zumindest
keine Stelle, an der er dies behauptet. "Ich finde aber schon Deine
Forderung eines Philosophischen Systems mit sauber definierten Axiomen
und ebensolchem Begriffssystem als einseitig rationalistisch." Ich
fordere lediglich, dass etwas, auf das Gödels Satz anwendbar sein soll,
auch den Voraussetzungen von Gödels Satz genügen muss. Dazu gehören eben
sauber definierte Axiome und ein entsprechendes Begriffssystem. Über
Philosophien mit unsauberen definierten Begriffen sagt Gödel lediglich,
dass diese Philosophien erst mal ihre Begriffe klären müssen, bevor über
Kosequenzen und logische Wahrheiten nachgedacht werden kann. Über
empirische oder reale Wahrheiten sagt keine Philosophie etwas aus. Sie
kann bestenfalls Modellaussagen machen, die sich empirisch überprüfen
lassen müssen. Erfolgreiche Überprüfung stärkt das Vertrauen in diese
Theorie. Eine Falsifikation zerstört das Vertrauen.
Ökonomie-Experten, die ihre Theorien als Glaubenssätze formulieren, geht
es wie den Regentänzern. Sie versprechen hilflosen Politikern dann
Regen, wenn diese nur die richtigen Tänze aufführen. Wie bei den
Regentänzern klappt das ja, auch wenn man auf den Erfolg vielleicht
lange warten muss. Früher waren Wetterfrösche in einer ähnlichen Lage:
sie sagten so lange ein bestimmtes Wetter voraus, bis es einmal
tatsächlich eintrat. Beim Wetter ist man inzwischen ein bisschen besser
geworden. Auch bei der Medizin ist durch die Vier Säfte Lehre des
Galenus viel Leben zerstört worden, ohne das diese Theorie als das
erkannt worden wäre, was sie ist, nämlich Dummheit zweiter Art.
Was es noch schlimmer macht, ist das Denkverbot, mit dem
Okonomie-Experten ihre Theorien und Empfehlung belegen, weil jeder
Zweifel die Wirksamkeit ihrer Empfehlung reduziert und den von der
Empfehlung Betroffenen zeigt, dass sie einer Illusion unterliegen
könnten. Auch die katholische Kirche oder der Islam kennen und fordern
Denkverbote.
Hier im Überfluss ausreichend produzierte Nahrung wird oft in
Notstandsgebiete transportiert. Ob man den Menschen dort damit
nachhaltig hilft, bezweifle ich. Damit untergräbt man alle Aktivitäten,
vor Ort eine selbstversorgende Landwirtschaft aufzubauen. Schon unsere
Verschickung der Altkleider durch das DRK nach Afrika zerstört dort die
Textilindustie. Es ist sinnvoller, die Menschen vor Ort so zu
unterstützen, dass sie sich selbst helfen können. Nur Ignoranten meinen,
Almosen bewirkten etwas anderes als die Erziehung zu Almosenempfängern.
Was dieser Versuch anrichten kann, zeigt sich z.B. in Griechenland. Die
bösen Deutschen wollen diesen Armen einfach kein Geld mehr geben. Das
ist das Gegenteil von Erfolg und Dankbarkeit, nämlich Hass auf die
Deutschen, weil diese den Griechen die Hilfe und die Kredite
aufgezwungen haben. Leider weiß ich nicht, wie eine Unterstützung
aussehen soll, damit sie wirklich und nicht nur oberflächlich und
kurzfristig hilft. Als Entwicklungshelfer im Sudan habe ich genug
fehlgeschlagene Projekte gesehen, mit denen unsere Gutmeschen geglaubt
haben, sie täten etwas Gutes. Auch in anderen Ländern, die ich bereist
habe, sieht es nicht viel anders aus. Die Mentalität der Menschen und
die Zusammenhänge der Gesellschaft sind eben komplizierter und unser
Wissen darüber ist ähnlich wie der von Galenus über die medizinischen
Zusammenhänge.
Bernd
PS. War Marx ein Philosoph oder ein Ökonom? Ich vermute, dass er sich
als Ökonom gesehen hätte, wenn es diese Wissenschaft damals schon gab.
Bernd
15.3. Jochen
Lieber Bernd,
ich fange mal mit der Beantwortung von hinten an. Wenn man die Frage
danach, was jemand war oder ist, so versteht, daß nach einem offiziell
abgeschlossenen Bildungsgang gefragt ist, dann war Marx Jurist. Er
selbst hat sich wohl als Philosoph und Ökonom verstanden. Aber den Beruf
"Ökonom" und ein entsprechendes Studienfach hat es, denke ich, zu seiner
Zeit noch nicht gegeben.
Der nächste Punkt betrifft die Nahrungsmittelfrage und
Entwicklungshilfe. Ich kann dazu nur theoretisieren, da ich selbst keine
praktischen Erfahrungen mit Entwicklungshilfe habe; ich bin kein
Reisemensch und bewege mich vergleichsweise wenig über den Erdball. Ich
bin mir darüber im klaren, daß jegliche Lieferungen von
Überschußprodukten aus den Zentren der Zivilisation in
"Entwicklungsländer" dort schädliche Nebenwirkungen haben und deshalb
nur in akuten Notfällen stattfinden sollten. Das gleich trifft übrigens
auch auf die "normale" Einbindung dieser Länder in den Weltmarkt zu.
Wirkliche "Entwicklungshilfe" funktioniert wohl nur, wenn man diesen
Ländern bzw. den Menschen dort hilft, mit ihren eigenen Gegebenheiten
eine eigene Wirtschaft aufzubauen (zunächst abgekoppelt vom Weltmarkt).
Das bedeutet zuallererst, daß den Menschen ihr tradiertes Nutzungsrecht
auf die natürlichen Ressourcen in ihrem Lebensraum garantiert werden
muß. Wo das bereits zerstört ist, muß es wieder hergestellt werden. Das
heißt etwa, daß das fortschreitende Landgrabbing beendet und rückgängig
gemacht werden muß. Wissens- und Technologiehilfe hilft nur wirklich zur
Selbständigkeit, wenn sie den Gegebenheiten vor Ort und den
Möglichkeiten der Menschen entspricht. Ich denke, daß alle
Entwicklungshilfe, die von vornherein Weltmarktorientiert ist ein
Schwindel oder mindestens ein Irrtum ist. Neben der unmittelbar
wirtschaftlich orientierten Hilfe, die gut oder schlecht sein kann, ist
sicher auch politische Unterstützung notwendig. Damit würden wir, wenn
wir es gut mach, erstmal auch Wiedergutmachung für jahrhundertelange
kolonialistische Verheerungen betreiben. Eine große Zahl gutgemeinter
Entwicklungsprojekte scheitern ja wohl daran, daß sie in den Händen
einer korrupten und von der Bevölkerung abgehobenen Herrschaftsschicht
mißbraucht wurden und werden. Und dieser Umstand ist zumindest zum Teil
der kolonialistischen Vergangenheit zu verdanken.
Zu Gödel und Philosophie
Ich bin natürlich mit Dir einer Meinung, daß der formale Aspekt beim
Denken beachtet werden muß, wenn man reproduzierbare Ergebnisse erlangen
will - also Wahrheit. Gödels Unvollständigkeitssatz (oder Sätze) sind
aber für mich die philosophische Aussage, daß die formale Richtigkeit
alleine nicht hinreichend ist, gar nicht erreichbar. Gödel sagt also
nicht nur, daß die Philosophen ihre Begriffe klären müssen, sonder auch,
daß sie, wenn sie alle ihre Begriffe geklärt haben sollten, die Sache
allein nicht aufgeht. Bzw. daß sie es nie schaffen werden, alle ihre
Begriffe zu klären. Damit wir dennoch mit unserem Denkvermögen etwas
vernünftiges anfangen können, braucht es noch was zusätzliches und das
ist die sinnliche oder empirische Wirklichkeit (hier im Sinne von dem,
was wirkt). Du sagst: "Über empirische oder *reale Wahrheiten sagt keine
Philosophie etwas aus.* " Ich würde das etwas spezifizieren: Über den
Inhalt empirischer Sachverhalte kann Philosophie nichts (oder nur
bedingt etwas) aussagen, aber über die mögliche Form und die Bedingungen
der Möglichkeit durchaus. Und die Beantwortung der Frage, was "reale
Wahrheiten" bedeuten soll, ist auch eine philosophische Aufgabe.
Verifikation und Falsifikation sind schließlich Methoden, um den
Geltungsbereich von theoretischen Aussagen zu bestimmen, also die
Grenzen aufzuzeigen innerhalb derer sie Wahrheiten sind. {Kleine
Spekulation von mir: vielleicht gibt es überhaupt keine Aussagen, die
ganz und gar wahr oder ganz und gar falsch sind, weil der offene
Bereich, in dem die Verifikation und Falsifikation stattfindet, gar
nicht bestimmbar ist.}
Zur Ökonomie und ihren Modellen
Die von Dir bezeichneten Texte habe ich nur erstmal überflogen und
stelle dabei fest, daß es noch zahlreiche Punkte gibt, an denen für mich
Klärungsbedarf besteht. Ich hoffe, wir kommen mit der Zeit damit Schritt
für Schritt voran. Was mich aber um so mehr wundert, daß Du trotz des
Wissens um die vielen Schwächen der ökonomischen Modelle grundsätzlich
kritische Betrachtungen zu diesen Themen - wie etwa Brodbecks Arbeiten -
nicht zur Kenntnis nehmen willst oder für unbedeutend hältst.
Du erwähnst beim Thema Entwicklungshilfe nebenbei die Beziehung zwischen
Deutschland und Griechenland. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie in
der gängigen Ökonomie Probleme erzeugt werden. Deutschland rühmt sich
gern als Exportweltmeister und Exportüberschuß-Weltmeister. (Daß ein so
"erfolgreiches" Land dennoch selbst hoch verschuldet ist, ist ja auch
schon sehr eigenartig.) Ein Land kann aber nur Exportüberschüsse
erzielen, wenn andere bereit sind, sich zu verschulden. Hätten die
südlichen EU-Länder eine "solide" Handelspolitik betrieben und sich
nicht verschuldet, sähe es um unsere Bilanzen bedeutend schlechter aus.
Im Grunde haben wir mit dieser Strategie unsere Schulden und unsere
Arbeitslosigkeit exportiert. Das ist eine ganz normale Folge der
ökonomischen "Gesetzmäßigkeiten". Wenn wir also eine wirkliche
europäische solidarische Gemeinschaft anstreben, dürfen wir dem Markt
bzw. den Märkten nicht die Macht über die Gestaltung dieser Beziehungen
überlassen. Ich denke, daß Du das ähnlich siehst. Für mich bedeutet das
aber auch, die Ökonomie mit grundsätzlich kritischem Blick zu betrachten.
Noch eine andere Episode in diesem Kontext: Im letzten Jahr ging es in
irgendeiner Diskussionsrunde im Fernsehen auch um Deutschlands Rolle als
Exportweltmeister. Da traten einige Diskutanten ernsthaft mit der
Meinung auf, daß Deutschlands Weltmeisterrolle durch den wachsenden
chinesischen Export bedroht würde und daß das eine Bedrohung für
Deutschland überhaupt sei. In meinen Augen sind solche Äußerungen
Anzeichen für ausbrechenden Wahnsinn.
Soweit erstmal heute zu diesen Themen. Zu der Auseinandersetzung
zwischen Dir und Verena Nedden will ich auch noch meine Anmerkungen
machen, die schicke ich aber als gesonderte mail.
Herzlichen Gruß
Jochen
-------------- nächster Teil --------------
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