[Debatte-Grundeinkommen] galoppierende Inflation
unversoehnt
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Mi Aug 20 18:25:32 CEST 2014
Hallo,
wer auch immer für die Moderation der Mailingliste zuständig ist: Mich
würde noch immer interessieren, wie groß x = Empfangspersonen der
Mailingliste ist. Ansonsten weiß ich die moderierende Tätigkeit durchaus
zu schätzen, möchte aber dennoch meinem Unmut darüber Ausdruck
verleihen, dass mir das Verfahren nicht sehr übersichtlich zu sein
scheint. Trotzdem: Danke für die Mühe.
Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz zum Thema Konsumsteuer versus
Kapitalsteuer hat mir glaube ich verständlich gemacht, woher die
Inflationsangst der Leute um Flassbeck resultieren könnte. Ich finde es
wahrscheinlich, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zumindest
mittelfristig, wenn auch vielleicht nicht im Chaos der Einführungsphase,
die Gesamtproduktivität der Gesellschaft erhöhen würde. Dass sich alle
nur auf ihrer faulen Haut ausruhen wollen würden, kann ich mir nicht
vorstellen, jedenfalls nicht für Deutschland, wo das Arbeitsethos viel
zu stark kulturgeschichtlich verankert ist. Zudem würden sich viele
Menschen in der staatlichen Sozialverwaltung und unter Umständen auch
Steuerberater nach neuer Arbeit umgucken müssen, die nur produktiver
sein kann als alles, was sie heute so tun. Das ungenutzte
Produktivitätspotential einer vom Druck zum Verkauf befreiten Ware
Arbeitskraft würde ich quantitativ als gigantisch einschätzen. Die
Gesellschaft würde von sozialpsychologischen Folgekosten der
Drangsalierung der Arbeiterklasse befreit werden. Und in den
unangenehmen Tätigkeitsfeldern ergäbe sich ein Rationalisierungs- und
Automatisierungsdruck, der wiederum zum Produktivitätswachstum führen
würde. Die für die Inflationsangst stark gemachten Argumente bei
Flassbeck und Co., auch die Produktiven würden sich in die Hängematte
legen, überzeugen mich deshalb nicht einmal im Ansatz.
Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz aber lässt sich so interpretieren,
dass es egal ist, wie man's dreht und wendet, das Kapital bleibt immer
der Gewinner. Frei nach Jurrasic Park: Das Kapital findet einen Weg.
Stellen wir uns mal vor, wir bekommen ein bedingungsloses Grundeinkommen
politisch umgesetzt, das so oder so unmittelbar nur durch Umverteilung
von oben nach unten finanziert werden könnte, ein von Kapitalseite
finanzierter faschistischer Putsch unterbleibt, aber die Deutsche Bank
postuliert weiterhin stellvertretend für alle Kapitaleigner einen
Renditeanspruch von 25 % im Jahr, der über eine entsprechende
Preispolitik über alle Branchen hinweg durchgepeitscht wird. Inflation halt.
Aus Sicht eines parlamentarischen Souveräns, der ein bedingungsloses
Grundeinkommen ernsthaft will, müsste das bedingungslose Grundeinkommen
unmittelbar wieder angehoben werden, die Gewerkschaften müssten
ebenfalls auf Lohnerhöhungen bestehen, das Kapital weiterhin auf seinem
Renditeanspruch, die Preise würden noch weiter steigen etc. pp.
Galoppierende Inflation. Die würde zum Stillstand kommen, wenn
mindestens eine der drei Parteien nachgibt oder sich die
Gesamtproduktivität der Gesellschaft derart entfesselt, dass alle drei
Parteien das erhalten, was sie haben wollen.
Ist vielleicht ein etwas simples Bild, ich bin kein Ökonom. Insbesondere
die Spiele, die das Kapital in den Finanzsphären spielt, sind mir so
durchsichtig nicht gerade. Grundlegend gegen solche Befürchtungen ließe
sich einwenden, dass das Kapital nicht ein Subjekt ist, sondern in viele
Einzelkapitalien mit durchaus unterschiedlichen Interessen zerfällt.
Denkbar auch, dass die bereits heute vorhandenen
Überproduktionskapazitäten das Problem sowieso null und nichtig
erscheinen lassen, weil wir uns ja eher in einer deflationären Phase
befinden. Auch gut möglich, dass die hörigkeitsgläubigen Deutschen
einfach schlucken, was der Souverän entscheidet und sich einfach
produktiv in die neuen Rahmenbedingungen fügen. Da ich persönlich keine
Kapitalisten kenne, kann ich nicht im Ernst beurteilen, ob deren
Selbstbewusstsein so aufgebläht ist, dass sie sich schon aus Prinzip als
über dem Souverän stehend empfinden. Das wird von radikalen Linken zwar
immer gemutmaßt, aber empirisch beurteilen kann ich's fürs Hier und
Jetzt zumindest nicht.
Vom Grundprinzip her dürfte das Gespenst einer galoppierenden Inflation
aber vermutlich durchaus plausibel sein. Als Konsequenz ergibt sich
daraus für Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens m. E.:
1. Es macht keinen Sinn, die Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens
monetär zu bestimmen. Sinnvoller ist eine Bestimmung über repräsentative
Warenkörbe, deren Preise gesetzlich am besten mit der
Aktualisierungsgeschwindigkeit der Frankfurter Börse automatisch die
monetäre Ausschüttungshöhe des bedingungslosen Grundeinkommens
bestimmen. Das wäre eine Geste des Souveräns an die Finanzmärkte nach
dem Motto: Wir meinen das schon ernst und lassen uns da nicht von euch
verarschen.
2. Wenn die Inflation mit der Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens tatsächlich ohnehin befürchtet werden muss, macht es
eigentlich gar keinen Sinn, sich über eine Gegenfinanzierung des
bedingungslosen Grundeinkommens einen großen Kopf zu machen. Warum dann
nicht gleich dazu übergehen, das bedingungslose Grundeinkommen über eine
Geldmengenerhöhung durch die EZB zu finanzieren? Klar, weil sich das in
Deutschland nicht verkaufen lässt und die EZB formell eigenständig
agiert. Aber solange die Debatten ohnehin theoretisch bleiben, scheint
mir das zumindest eine berechtigte Frage zu sein. Soll heißen: Es würde
mich interessieren, ob irgendjemand dazu etwas Profundes sagen kann.
In seinem anderen Beitrag schrieb Ernst Ullrich Schultz: "Vor einiger
Zeit schlug ich in diesem Forum ein soziales Netzwerk vor, dass sich die
Einführung eines BGE durch einen gemeinsamen Fonds auf freiwilliger
Basis, aber mit verbindlichen Absprachen, vornimmt. Das Echo war mehr
als dürftig."
Finde ich kein Wunder. Das ist ein privatistischer Vorschlag ohne jede
gesellschaftliche Durchschlagskraft, der zudem voraussetzt, dass es
unter den Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens eine Menge
Vermögensbesitzer gibt, die so einen Fond füttern können und wollen. Das
ist eine Voraussetzung, die ich nicht sehr plausibel finde, eher gar
nicht plausibel. Zudem entsprechen "verbindliche Absprachen" nicht dem
Konzept der Bedingungslosigkeit.
Ebenso ist der Vorschlag für ein bedingtes Grundeinkommen von Peter Baum
daran zu erinnern, was die Essentials des Netzwerk Grundeinkommens sind:
"Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft
bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll
* die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
* einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie
* ohne Bedürftigkeitsprüfung und
* ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert
werden." (vgl. https://www.grundeinkommen.de/die-idee )
Gegen die Bedürftigkeitsprüfung wird unter anderm Art. 1 GG ins Feld
geführt: Sie ist würdelos. Und zwar so sehr, dass es heute verdeckte
Armut in relevantem Ausmaß gibt, Leute, die eigentlich Anspruch auf
Hartz4 hätten, aber ihn nicht geltend machen. Und Hartz4 ist schon
kläglich. Zudem gibt's technische Gründe: unnötiger Verwaltungsaufwand
der Sozialbürokratie für Bedarfsprüfungen. Dann die gesamte
Kombilohnproblematik. Nicht zuletzt wäre ein Grundeinkommen auch eine
wichtige Stütze für die vom Kapital zunehmend in die Zange genommene
Arbeiterklasse. Substanziell scheint mir aber vor allem der Grundstock
an materieller Gleichheit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen
wichtig: Alle würden sich als von der Gesellschaft materiell akzeptiert
und gehalten fühlen können. Alle hätten somit auch ein ganz neues
Urvertrauensverhältnis zur Gesellschaft. Mit einem bedingten
Grundeinkommen kann man das vergessen.
Und dich, lieber Willi, möchte ich dann doch noch einmal ein wenig zum
Nachdenken über deinen laxen Gebrauch des Parasiten-Begriffs bewegen.
Dass ich ihn inhaltlich nicht sehr plausibel finde, hatte ich ja in dem
Wertbestimmungs-Beitrag erläutert. Dass ich ihn aber auch widerlich
finde, möchte ich dann doch noch einmal hinterherschicken und vor allem
mit seinem geschichtlichen Gebrauch begründen, vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtsvolk
Du hattest in deinem Beitrag an Pius geschrieben:
"Rollen wir doch mal die Sache anders herum auf. Wozu Abgaben? Wofuer
brauchen wir Agaben, egal ob Lenkungsabgaben oder Steuern, Zoelle, Zinsen?
Es gibt nur einen Grund und hat in unserer Geschichte immer nur einen
Grund gegeben: Um jene zu tragen, direkt oder indirekt wertbestimmt, die
nichts zur Schaffung von Werten beitragen. Die also nur ge- oder
verbrauchen. Parasiten eben."
Das "nur" im vorletzten Satz macht nicht einmal Sinn für wirklich
drakonische urgeschichtliche Autokraten: Wieviele antike Bauten ziehen
heute das Interesse großer Touristenströme an, obgleich oder sogar weil
sie ohne die blutige Herrschaft von menschenschindenden Despoten nie
erschaffen worden wären? Rennaissance-Fürsten oder dem aufgeklärten
Absolutismus lässt sich bei allen Schweinereien eine Menge Positives
abgewinnen. Die Vielfalt heutiger Staatsfunktionen triffst du schon
überhaupt nicht: Willst du sagen, dass der staatliche Straßenbau nur
einen Verbrauch der Staatsbürokratie darstellt und nicht auch eine
Leistung für die Allgemeinheit? Guck dir vielleicht mal die Entwicklung
des Verhältnisses der Beschäftigten in den drei Sektoren an:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Arbeitsmarkt/lrerw013.html
Wenn ich dich richtig verstehe, ist der übergroße Teil der
Erwerbspersonen, nämlich die Dienstleister, deiner Meinung nach
letztlich auch parasitär. Ganz im Ernst: Ich kann gar nicht verstehen,
warum du dich in dieser Mailingliste tummelst. Ein bedingungsloses
Grundeinkommen wäre auch Recht auf Faulheit, also ein Freifahrtschein
für alle möglichen Leute, die kein Bock auf schaffen, schaffen, schaffen
haben, sondern lieber andere arbeiten lassen. Klar, die gibt's auch
heute en masse. Aber wieso sich dafür einsetzen? Würde mich interessieren.
Naja, soviel "Kritik im Handgemenge" (MEW1, S. 381) muss dann auch
erstmal reichen, liebe Grüße,
Bert Grashoff
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