[Debatte-Grundeinkommen] galoppierende Inflation

willi uebelherr wube at gmx.net
Do Aug 21 17:54:24 CEST 2014


Hallo Bert,

"das Recht auf Faulheit" ist fuer mich ein Grundrecht. Neben dieser 
Schrift von Paul Lafargue, dem Schwiegersohn von Karl Marx, habe ich 
noch einige andere auf meiner grossen Reise dabei. "Die Ezyklopaedie der 
Faulheit" von Wolfgang Schneider, "die Rede an den kleinen Mann" von 
Wilhelm Reich, "kein frieden um Israel" von Walter Hollstein und 
natuerlich das kommunistische Manifest.

Alte und neue Schriften. Das Zitat von Lao Tse habe ich aus dem Buch 
"Die Ezyklopaedie der Faulheit". Es geht nicht um Nichts-Tun, sondern um 
den Raum zur Reflektion, zum Nachdenken, zur Musse. Und wir sollten uns 
im klaren sein: wenn wir den Unsinn von heute aufloesen und die 
notwendigen Arbeiten auf fast alle verteilen, auch Angelika Merkel und 
Frank-Walter Steinmeier und Bert Grashof, dann reduziert sich der 
mittlere Aufwand auf 4-8 Stunden pro Woche. Dann bleibt genug Zeit, um 
im Buero zu sitzen und den ganzen Tag aus dem Fenster zu schauen oder 
sich hinter Monitor und Papierstapeln zu verstecken.

 > Vom Grundprinzip her dürfte das Gespenst einer galoppierenden
 > Inflation aber vermutlich durchaus plausibel sein. Als Konsequenz
 > ergibt sich daraus für Verfechter eines bedingungslosen
 > Grundeinkommens m. E.:
 >
 > 1. Es macht keinen Sinn, die Höhe eines bedingungslosen
 > Grundeinkommens monetär zu bestimmen...
 >
 > 2. ... macht es eigentlich gar keinen Sinn, sich über eine
 > Gegenfinanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens einen großen
 > Kopf zu machen...

Die wesentlichen Massnahmen nennst du nicht.

a) Wenn wir ein Geldsystem wollen, dann schaffen wir eines, das wir 
selbst kontrollieren.

b) Indem wir mehr und mehr die Grundbereiche der "materiellen 
Reproduktionsbedinngungen" aus der Geldsphaere entfernen, also die 
anti-Kapitalisierung des Lebens, reduziert sich die Geldsphaere auf 
Randbereiche.

Und wofuer brauchen WIR einen Staat?

Das musst du mir erklaeren. Strassen bauen, die Wassersysteme 
organisieren, dezentrale Versorgung mit elektrischer und thermischer 
Energie? Dafuer brauchen wir keinen Staat. Dafuer brauchen wir creative, 
konstruktive und produktive Menschen. All das, was die Kinder in sich 
tragen, wenn sie nicht zur Schule gehen.

Klar. Mit polit-Funktionaeren, mit Gewerkschaftsfuersten, mit 
Buerokraten und pseudo-Philosophen geht das nicht. Die wollen sich nicht 
schmutzig machen, nicht nachdenkebn, nicht die Schwere des Verstehen der 
Wissenschaft der Natur auf sich nehmen. Sie sind erwaehlt fuer leere 
Phrasen und sinnloses Geschwaetz. Billiges Theater.

mit lieben gruessen, willi
Popayan, Colombia



Am 20/08/2014 um 11:25 schrieb unversoehnt:
> Hallo,
>
> wer auch immer für die Moderation der Mailingliste zuständig ist: Mich
> würde noch immer interessieren, wie groß x = Empfangspersonen der
> Mailingliste ist. Ansonsten weiß ich die moderierende Tätigkeit durchaus
> zu schätzen, möchte aber dennoch meinem Unmut darüber Ausdruck
> verleihen, dass mir das Verfahren nicht sehr übersichtlich zu sein
> scheint. Trotzdem: Danke für die Mühe.
>
> Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz zum Thema Konsumsteuer versus
> Kapitalsteuer hat mir glaube ich verständlich gemacht, woher die
> Inflationsangst der Leute um Flassbeck resultieren könnte. Ich finde es
> wahrscheinlich, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zumindest
> mittelfristig, wenn auch vielleicht nicht im Chaos der Einführungsphase,
> die Gesamtproduktivität der Gesellschaft erhöhen würde. Dass sich alle
> nur auf ihrer faulen Haut ausruhen wollen würden, kann ich mir nicht
> vorstellen, jedenfalls nicht für Deutschland, wo das Arbeitsethos viel
> zu stark kulturgeschichtlich verankert ist. Zudem würden sich viele
> Menschen in der staatlichen Sozialverwaltung und unter Umständen auch
> Steuerberater nach neuer Arbeit umgucken müssen, die nur produktiver
> sein kann als alles, was sie heute so tun. Das ungenutzte
> Produktivitätspotential einer vom Druck zum Verkauf befreiten Ware
> Arbeitskraft würde ich quantitativ als gigantisch einschätzen. Die
> Gesellschaft würde von sozialpsychologischen Folgekosten der
> Drangsalierung der Arbeiterklasse befreit werden. Und in den
> unangenehmen Tätigkeitsfeldern ergäbe sich ein Rationalisierungs- und
> Automatisierungsdruck, der wiederum zum Produktivitätswachstum führen
> würde. Die für die Inflationsangst stark gemachten Argumente bei
> Flassbeck und Co., auch die Produktiven würden sich in die Hängematte
> legen, überzeugen mich deshalb nicht einmal im Ansatz.
>
> Der Beitrag von Ernst Ullrich Schultz aber lässt sich so interpretieren,
> dass es egal ist, wie man's dreht und wendet, das Kapital bleibt immer
> der Gewinner. Frei nach Jurrasic Park: Das Kapital findet einen Weg.
> Stellen wir uns mal vor, wir bekommen ein bedingungsloses Grundeinkommen
> politisch umgesetzt, das so oder so unmittelbar nur durch Umverteilung
> von oben nach unten finanziert werden könnte, ein von Kapitalseite
> finanzierter faschistischer Putsch unterbleibt, aber die Deutsche Bank
> postuliert weiterhin stellvertretend für alle Kapitaleigner einen
> Renditeanspruch von 25 % im Jahr, der über eine entsprechende
> Preispolitik über alle Branchen hinweg durchgepeitscht wird. Inflation
> halt.
> Aus Sicht eines parlamentarischen Souveräns, der ein bedingungsloses
> Grundeinkommen ernsthaft will, müsste das bedingungslose Grundeinkommen
> unmittelbar wieder angehoben werden, die Gewerkschaften müssten
> ebenfalls auf Lohnerhöhungen bestehen, das Kapital weiterhin auf seinem
> Renditeanspruch, die Preise würden noch weiter steigen etc. pp.
> Galoppierende Inflation. Die würde zum Stillstand kommen, wenn
> mindestens eine der drei Parteien nachgibt oder sich die
> Gesamtproduktivität der Gesellschaft derart entfesselt, dass alle drei
> Parteien das erhalten, was sie haben wollen.
>
> Ist vielleicht ein etwas simples Bild, ich bin kein Ökonom. Insbesondere
> die Spiele, die das Kapital in den Finanzsphären spielt, sind mir so
> durchsichtig nicht gerade. Grundlegend gegen solche Befürchtungen ließe
> sich einwenden, dass das Kapital nicht ein Subjekt ist, sondern in viele
> Einzelkapitalien mit durchaus unterschiedlichen Interessen zerfällt.
> Denkbar auch, dass die bereits heute vorhandenen
> Überproduktionskapazitäten das Problem sowieso null und nichtig
> erscheinen lassen, weil wir uns ja eher in einer deflationären Phase
> befinden. Auch gut möglich, dass die hörigkeitsgläubigen Deutschen
> einfach schlucken, was der Souverän entscheidet und sich einfach
> produktiv in die neuen Rahmenbedingungen fügen. Da ich persönlich keine
> Kapitalisten kenne, kann ich nicht im Ernst beurteilen, ob deren
> Selbstbewusstsein so aufgebläht ist, dass sie sich schon aus Prinzip als
> über dem Souverän stehend empfinden. Das wird von radikalen Linken zwar
> immer gemutmaßt, aber empirisch beurteilen kann ich's fürs Hier und
> Jetzt zumindest nicht.
>
> Vom Grundprinzip her dürfte das Gespenst einer galoppierenden Inflation
> aber vermutlich durchaus plausibel sein. Als Konsequenz ergibt sich
> daraus für Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens m. E.:
>
> 1. Es macht keinen Sinn, die Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens
> monetär zu bestimmen. Sinnvoller ist eine Bestimmung über repräsentative
> Warenkörbe, deren Preise gesetzlich am besten mit der
> Aktualisierungsgeschwindigkeit der Frankfurter Börse automatisch die
> monetäre Ausschüttungshöhe des bedingungslosen Grundeinkommens
> bestimmen. Das wäre eine Geste des Souveräns an die Finanzmärkte nach
> dem Motto: Wir meinen das schon ernst und lassen uns da nicht von euch
> verarschen.
>
> 2. Wenn die Inflation mit der Einführung eines bedingungslosen
> Grundeinkommens tatsächlich ohnehin befürchtet werden muss, macht es
> eigentlich gar keinen Sinn, sich über eine Gegenfinanzierung des
> bedingungslosen Grundeinkommens einen großen Kopf zu machen. Warum dann
> nicht gleich dazu übergehen, das bedingungslose Grundeinkommen über eine
> Geldmengenerhöhung durch die EZB zu finanzieren? Klar, weil sich das in
> Deutschland nicht verkaufen lässt und die EZB formell eigenständig
> agiert. Aber solange die Debatten ohnehin theoretisch bleiben, scheint
> mir das zumindest eine berechtigte Frage zu sein. Soll heißen: Es würde
> mich interessieren, ob irgendjemand dazu etwas Profundes sagen kann.
>
>
> In seinem anderen Beitrag schrieb Ernst Ullrich Schultz: "Vor einiger
> Zeit schlug ich in diesem Forum ein soziales Netzwerk vor, dass sich die
> Einführung eines BGE durch einen gemeinsamen Fonds auf freiwilliger
> Basis, aber mit verbindlichen Absprachen, vornimmt. Das Echo war mehr
> als dürftig."
>
> Finde ich kein Wunder. Das ist ein privatistischer Vorschlag ohne jede
> gesellschaftliche Durchschlagskraft, der zudem voraussetzt, dass es
> unter den Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens eine Menge
> Vermögensbesitzer gibt, die so einen Fond füttern können und wollen. Das
> ist eine Voraussetzung, die ich nicht sehr plausibel finde, eher gar
> nicht plausibel. Zudem entsprechen "verbindliche Absprachen" nicht dem
> Konzept der Bedingungslosigkeit.
>
> Ebenso ist der Vorschlag für ein bedingtes Grundeinkommen von Peter Baum
> daran zu erinnern, was die Essentials des Netzwerk Grundeinkommens sind:
> "Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft
> bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll
>
>   * die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
>   * einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie
>   * ohne Bedürftigkeitsprüfung und
>   * ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert
>     werden." (vgl. https://www.grundeinkommen.de/die-idee )
>
> Gegen die Bedürftigkeitsprüfung wird unter anderm Art. 1 GG ins Feld
> geführt: Sie ist würdelos. Und zwar so sehr, dass es heute verdeckte
> Armut in relevantem Ausmaß gibt, Leute, die eigentlich Anspruch auf
> Hartz4 hätten, aber ihn nicht geltend machen. Und Hartz4 ist schon
> kläglich. Zudem gibt's technische Gründe: unnötiger Verwaltungsaufwand
> der Sozialbürokratie für Bedarfsprüfungen. Dann die gesamte
> Kombilohnproblematik. Nicht zuletzt wäre ein Grundeinkommen auch eine
> wichtige Stütze für die vom Kapital zunehmend in die Zange genommene
> Arbeiterklasse. Substanziell scheint mir aber vor allem der Grundstock
> an materieller Gleichheit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen
> wichtig: Alle würden sich als von der Gesellschaft materiell akzeptiert
> und gehalten fühlen können. Alle hätten somit auch ein ganz neues
> Urvertrauensverhältnis zur Gesellschaft. Mit einem bedingten
> Grundeinkommen kann man das vergessen.
>
>
> Und dich, lieber Willi, möchte ich dann doch noch einmal ein wenig zum
> Nachdenken über deinen laxen Gebrauch des Parasiten-Begriffs bewegen.
> Dass ich ihn inhaltlich nicht sehr plausibel finde, hatte ich ja in dem
> Wertbestimmungs-Beitrag erläutert. Dass ich ihn aber auch widerlich
> finde, möchte ich dann doch noch einmal hinterherschicken und vor allem
> mit seinem geschichtlichen Gebrauch begründen, vgl.
> http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtsvolk
>
> Du hattest in deinem Beitrag an Pius geschrieben:
> "Rollen wir doch mal die Sache anders herum auf. Wozu Abgaben? Wofuer
> brauchen wir Agaben, egal ob Lenkungsabgaben oder Steuern, Zoelle, Zinsen?
>
> Es gibt nur einen Grund und hat in unserer Geschichte immer nur einen
> Grund gegeben: Um jene zu tragen, direkt oder indirekt wertbestimmt, die
> nichts zur Schaffung von Werten beitragen. Die also nur ge- oder
> verbrauchen. Parasiten eben."
>
> Das "nur" im vorletzten Satz macht nicht einmal Sinn für wirklich
> drakonische urgeschichtliche Autokraten: Wieviele antike Bauten ziehen
> heute das Interesse großer Touristenströme an, obgleich oder sogar weil
> sie ohne die blutige Herrschaft von menschenschindenden Despoten nie
> erschaffen worden wären? Rennaissance-Fürsten oder dem aufgeklärten
> Absolutismus lässt sich bei allen Schweinereien eine Menge Positives
> abgewinnen. Die Vielfalt heutiger Staatsfunktionen triffst du schon
> überhaupt nicht: Willst du sagen, dass der staatliche Straßenbau nur
> einen Verbrauch der Staatsbürokratie darstellt und nicht auch eine
> Leistung für die Allgemeinheit? Guck dir vielleicht mal die Entwicklung
> des Verhältnisses der Beschäftigten in den drei Sektoren an:
> https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Arbeitsmarkt/lrerw013.html
>
> Wenn ich dich richtig verstehe, ist der übergroße Teil der
> Erwerbspersonen, nämlich die Dienstleister, deiner Meinung nach
> letztlich auch parasitär. Ganz im Ernst: Ich kann gar nicht verstehen,
> warum du dich in dieser Mailingliste tummelst. Ein bedingungsloses
> Grundeinkommen wäre auch Recht auf Faulheit, also ein Freifahrtschein
> für alle möglichen Leute, die kein Bock auf schaffen, schaffen, schaffen
> haben, sondern lieber andere arbeiten lassen. Klar, die gibt's auch
> heute en masse. Aber wieso sich dafür einsetzen? Würde mich interessieren.
>
>
> Naja, soviel "Kritik im Handgemenge" (MEW1, S. 381) muss dann auch
> erstmal reichen, liebe Grüße,
>
> Bert Grashoff
>



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