[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Sep 25 06:38:15 CEST 2010


Hallo Christoph, und alle, die's sonst noch interessiert,

Du fragst mich, was ich über darüber denke? Um ehrlich zu sein: NICHTS! Einerseits finde ich die Pilotprojekte schon in Ordnung, andererseits halte ich solche "Beweise" für aussagelos. Die Leute, die ein Grundeinkommen erhalten, werden - wenn sie etwas Gripps im Schädel haben - auch versuchen, daß das Projekt gut verläuft, da sie, sollten sie zeigen, daß es nicht funktioniert, keine Aussicht haben, daß sie weiterhin ein Grundeinkommen erhalten. Wo ist die Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit?

Es ist ein bisschen so wie beim Führerschein: Da die Anzahl der Führerscheininhaber doch zeigt, daß Menschen Autos fahren können, müßte man doch die Führerschein-"Ausbildung" und Prüfung weglassen können. Der Vergleich, das ist mir bewußt, hinkt an zwei Stellen: Beim Grundeinkommen ist es eine Frage der Ausbildung (wie erlernt man den Umgang mit dem Grundeinkommen mit welchem Ziel - vgl. hierzu z.B. Art. 29 der UN-Kinderrechtskonvention); dann ist es eine Frage der Prüfung, die doch wiederum nur zeigt, daß man zu einem Zeitpunkt X eine gewisse Fertigkeit vorweisen und ein bestimmtes Wissen wiedergeben kann.

Im Übrigen überlasse es mal mir, wie ich Befriedigung finde - ich nutze mein Recht auf Pflicht, ein zufriedener Mensch zu sein ;-)

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus





  ----- Original Message ----- 
  From: Christoph Schlee 
  To: Joerg Drescher 
  Cc: paternoga2000 at yahoo.de ; Martina Steinheuer ; debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Saturday, September 25, 2010 1:52 AM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


  Wer hält uns davon ab? Ist es nur das Geld, das uns von Pilotprojekten abhält? Wir wissen doch eigentlich, das Geld nur in seltenen Fällen wirklich der Grund ist. Man kann so viel dahinter verstecken. Ich war gerade in Brasilien, und da haben zwei Menschen mit verdammt wenig angefangen und immerhin zwei Jahre ein solches Projekt gestemmt - ReCivitas. Alles zu durchschauen reicht nicht Jörg, das weißt Du. Also was wird wirklich benötigt für ein Pilotprojekt in der Ukraine? Hast Du eigentlich auch eine Initiative, also eine Reihe von Menschen, die etwas versuchen wollen? Mir war so. Oder ist die intellektuelle Auseinandersetzung befriedigend genug? 


  Vom Kongress in Sao Paulo nehme ich die Botschaft mit dass die Zeit der schönen Worte abgelöst wird durch die Zeit der Pilotprojekte, der Praxis. Es gibt bald ein großes Projekt in Indien. Dies werden wir auch in Deutschland 2012 herausstellen, wäre ja klasse, wenn auch ein Projekt in der Ukraine dabei wäre - von Deutschland natürlich ganz zu schweigen. Aber hier bekommen wir es hin, verlass Dich drauf :-) Aber der slawische Raum ist derzeit noch nicht richtig involviert, obwohl es auch in Polen Gruppen gibt, die diskutieren wie ich heute gehört habe aus Bremen. Vielleicht bietet sich ja auch ein Projekt im Kontext der Lebensgemeinschaften, oder der Kolchose-Nachfolger an. Was denkst Du?


  Viele Grüße, Christoph


  Am 24. September 2010 05:49 schrieb Joerg Drescher <iovialis at gmx.de>:

    Hallo Dagmar,

    danke auch für Deine Antwort...

    Die Geschichten aus Afrika zeigen ein Ergebnis auf Basis einer bestimmten Kultur... Jene Menschen fühlen sich vielleicht eher selbstverpflichtet, mit ihren Möglichkeiten etwas anzustellen. Daraus zu schließen, das wäre eine allgemeine menschliche Eigenschaft führt mich zu der Frage, weshalb wir dann nicht in einer "guten Welt" leben. Kollidieren nicht genau diese unterschiedlichen Vorstellungen einer "guten Welt", weshalb es nicht so ist? Oder will mir jemand sagen, daß die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht für eine "gute Welt" gedacht sind?

    Wir haben ein Recht zu leben - Zustimmung! - Wir haben ein Recht, ein gutes Leben führen zu können - Zustimmung! - Aber dürfen wir das auch? Wer hält uns davon ab? Die Behauptung, die "Pflicht zur Arbeit" empfinde ich als Entschuldigung...

    Es ist übrigens nicht richtig, daß man sich diese Rechte nicht erarbeiten muß und auch nicht dazu gezwungen wird. Das geht sogar aus der "Natur des Menschen" hervor, was wir aber offensichtlich vergessen haben (weil wir in einer solchen Kultur leben). Man braucht sich nur allein auf eine einsame Insel versetzen und ganz schnell wird man merken, daß man durch den natürlichen Stoffwechsel "gezwungen" wird, etwas zu unternehmen.

    Hannah Arendt meinte auch, daß die Menschenrechte eine allgemeingültige, bedingungslose Angelegenheit wäre - mußte aber feststellen, daß dem nicht so ist. Sie wollte aus diesem Grund ein Recht, Rechte zu haben (was es übrigens nach Art. 6 der UN-Menschenrechte gibt). Nur, damit wiederhole ich mich, was nützt mir jeder Recht, wenn ich es einerseits nicht einklagen kann, was zwei Dinge voraussetzt: Jemand fühlt sich verpflichtet und jemand hat das Recht, diese (seine) Pflicht umzusetzen.

    Wer genug Geld hat, könnte ja mal versuchen, ein BGE-Pilotprojekt in einem ukrainischen Dörfchen zu machen. Einerseits dürfte das mit den rechtlichen Vorbedingungen schwierig werden, andererseits könnten die Ergebnisse (im Vergleich zu Afrika) sehr überraschen. Aber das sind Spekulationen...

    Viele Grüße aus Kiew,

    Jörg (Drescher)
    Projekt Jovialismus

      ----- Original Message ----- 
      From: Dagmar Paternoga 
      To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de ; Martina Steinheuer 
      Sent: Thursday, September 23, 2010 10:44 AM
      Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


            Hier eine kurze Rückmeldung:
            Ich kann mich den Ausführungen von Martina nur anschließen und möchte darauf hinweisen, dass  sowohl beim basic income Projekt in Nambia und auch bei ähnlichen Projekten im südlichen Afrika, z.B. Sambia, die Ergebnisse zeigen, dass die Menschen auch ohne Bedingungen und Vorschriften genau wissen, wie sie sinnvoll mit dem Einkommen umgehen (siehe auch bignam.org).
            Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass Menschenrechte ein Recht sind für jeden Menschen auf Welt gültig, ohne dass zuerst Bedingungen daran geknüpft werden. Wir haben das Recht zu leben und ein gutes Leben führen zu können, das muss sich niemand erarbeiten oder dazu gezwungen werden.
            Viele Grüße
            Dagmar

            --- Martina Steinheuer <m3stein at yahoo.de> schrieb am Mi, 22.9.2010:


              Von: Martina Steinheuer <m3stein at yahoo.de>
              Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...
              An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
              Datum: Mittwoch, 22. September, 2010 22:52 Uhr


              Der Versuch einer Antwort:

              MIR gefällt der Text zu den "Menschenpflichten" überhaupt nicht. Nicht, dass ich inhaltlich großartig etwas daran auszusetzen hätte; im Großen und Ganzen steht ja nichts umwerfend Neues darin. 

              Doch was für ein Menschenbild steckt denn eigentlich hinter solch einem "Pflichtenkatalog"?

              Soll ich mir das so vorstellen, dass ein Mensch geboren wird und dann irgendwann, mit Erlangung der nötigen Reife quasi zwei Entscheidungsmöglichkeiten zur Auswahl hat: "Gut" zu werden und sich diesen ganzen Pflichten zu beugen oder eben "schlecht" zu werden um den Preis von Sanktionen.

              Sind wir Menschen denn tatsächlich bloß eine Art leeres Gefäß, dass man erst mit einem Katalog von ethischen Werten füllen muss?

              Ich finde das einigermaßen lächerlich. Wenn ich ein solches Menschenbild hätte, würde ich mich wohl kaum für ein Grundeinkommen einsetzten und schon gar nicht für ein "bedingungsloses" in dem Sinne, dass ich eben NICHT das Akzeptieren eines "Pflichtenhefts der Menschlichkeit" fordere, sondern schlichtweg davon ausgehe, dass der Mensch, wenn man ihm denn die Muße und die Freiheit gibt, sein Leben - materiell grundgesichtert durch ein BGE - SELBST zu gestalten, aus sich selbst heraus bestrebt ist, es nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen gut gehen zu lassen.

              Was ist mit matriachalen Gesellschaftsentwürfen? Was mit Allmende, an vielen Orten der Welt lange und erfolgreich im Sinne des Gemeinwohls praktiziert? Auch ohne Pflichtenheft haben Menschen schon vor langer Zeit gemerkt, dass Kooperation und Gemeinsinn für ein friedliches Miteinander zuträglicher sind, als Habgier und Egoismus. 

              Die Tatsache, DASS es aber all die negativen Auswüchse unseres menschlichen Daseins gibt, ist kaum ein Beweis dafür, dass wir nicht irgendwo tief drinnen eine Ahnung davon hätten, was uns eigentlich wichtig ist.

              ...und mit den paar untherapierbaren Soziopathen, die es sicher - aus den unterschiedlichsten Gründen - geben mag (1 bis 4 pro 100, habe ich mal gelesen), werden wir als menschliche Gemeinschaft sicher fertig, wenn wir nur aufhören, deren Eigenschaften für besonders ehrenvollen Handlungsweisen zu halten und sie auch noch belohnen. 

              Nein, auch ich bin der Meinung, es braucht KEIN "Recht zur Pflicht". Damit verbiegen wir nämlich gleich schon wieder - kleingeistig und ängslich; Thomas Hobbes im Hinterkopf, der Mensch sei dem Menschen doch bloß ein Wolf...

              Gruß,
              Martina Steinheuer


              Am 17.09.2010 16:56, schrieb Joerg Drescher: 
                Hallo zusammen, 

                offenbar ist diese Diskussionsliste etwas eingeschlafen, was hoffentlich nicht heißt, daß es keine Diskussion mehr über das Grundeinkommen gibt. Ich möchte hiermit einen Austausch anstoßen, der sich auf das "Grundeinkommen als Recht" bezieht. 

                Wer sich ein bisschen mit Recht beschäftigt, sollte prinzipiell darauf kommen, daß es jemanden geben sollte, bei dem dieses Recht "einklagbar" ist. Dies ist in Bezug auf Nichtstaatsbürger interessant, wenn es um das "Grundeinkommen als Recht" geht. Hannah Arendt forderte zum Beispiel in Bezug auf die Menschenrechte ein "Recht, Rechte zu haben". 

                Wer den Film von Häni/Schmidt gesehen hat, dürfte die Aussage kennen (die im Beiheft auf Seite 18 zu finden ist), daß es kein "Recht auf Pflicht" gäbe. Seit ich den Film zum ersten Mal sah, stieß mir diese Aussage sauer auf, da für mich dieses "Recht auf Pflicht" eine zentrale Bedeutung hat und ich es sogar als fundamentales Naturrecht betrachte. Nun ist leider (wie so vieles in dem Film) unklar, was damit eigentlich gemeint ist. 

                Welche Folgen allerdings die Aussage "Es gibt kein Recht auf Pflicht" haben würde, kann man sich an der "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" vom 1. Sept. 1997 ausmalen, die ich im Zusammenhang mit der Einführung eines Grundeinkommens für essentiell sehe: 
                http://www.interactioncouncil.org/udhr/de_udhr.html 

                Vor allem Art. 9 ist Voraussetzung für ein Grundeinkommen... Aber wenn es niemand mehr als sein Recht ansieht, solche Pflichten zu erfüllen (weil es ja laut Häni/Schmidt kein "Recht auf Pflicht" gibt), möchte ich nicht wissen, was mit der Menschheit passieren würde... 

                Ich hoffe, auf der Liste sind noch ein paar Leute, die an einem Austausch über das Thema "Grundeinkommen als Recht" interessiert sind. 

                Viele Grüße aus Kiew, 

                Jörg (Drescher) 
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