[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Sep 23 20:04:34 CEST 2010


Hallo Martina und alle, die's sonst noch interessiert,

mit Deiner Auffassung habe ich kein Problem, denn sie zeigt grundsätzliche Probleme, die eng mit dem Grundeinkommen verbunden sind. Glaubt man die "sozialen Probleme" durch "mehr Arbeit" zu lösen, ohne einen wesentlichen Zweck der Arbeit (Auskommen) als Lösung zu verstehen, verhält es sich bei der Geschichte mit dem "Recht auf Pflicht" ähnlich. Man glaubt, mit immer mehr Rechten und Pflichten, mehr Freiheiten schaffen, bzw. garantieren zu können, ohne das Wesen des Problems genauer zu betrachten. Man bezieht sich auf ein Menschenbild, was Rechtswissenschaftler, wie zum Beispiel Winfried Brugger (http://www.kas.de/upload/dokumente/verlagspublikationen/Naturrecht/Naturrecht_brugger.pdf) als kritisch betrachten.

Offenbar gingen Häni und Schmidt bei ihrer Aussage "Kein Recht auf Pflicht", ähnlich zu Dir, von der Angst aus, daß einerseits Rechte an Pflichten gebunden seien (was teilweise sinnig ist, wenn man sich die Voraussetzungen für den Führerschein anschaut, bzw. das Mindestalter für gewisse Rechte) oder andererseits Pflichten nach sich ziehen, die man scheinbar selbst gar nicht überdenken "darf", sondern ungefragt erfüllen muß ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Du willst ein Grundeinkommen? Ich gebe Dir das Recht auf ein Grundeinkommen! Hier und jetzt, bedingungslos! Aber Du willst kein "Recht auf Pflicht" - also muß sich niemand verpflichtet fühlen, es Dir zu bezahlen.

Umgekehrt: Wie viele Rechte kennst Du, die Dich einschränken, etwas gutes tun zu dürfen, weil Du es als Deine Pflicht ansiehst? Bsp. Thema Sterbehilfe, Abtreibung...

Übrigens bin ich nicht der erste, der die Idee eines "Recht auf Pflicht" andenkt - sie findet sich auch in dem Aufsatz "Recht auf Glück oder Recht auf Leben?" von Peter Schallenberg:
www.theol-fakultaet-pb.de/thgl/thgl2005/2_10_schallenberg-glueck.pdf

Wir haben von Einkommen und Arbeit eine gesellschaftlich geprägte Vorstellung, die viele daran hindert, ein Grundeinkommen überhaupt zu denken; offenbar wirkt die gleiche Kraft auch auf unsere Ideen von Rechten und Pflichten...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus






  ----- Original Message ----- 
  From: Martina Steinheuer 
  To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Wednesday, September 22, 2010 11:52 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


  Der Versuch einer Antwort:

  MIR gefällt der Text zu den "Menschenpflichten" überhaupt nicht. Nicht, dass ich inhaltlich großartig etwas daran auszusetzen hätte; im Großen und Ganzen steht ja nichts umwerfend Neues darin. 

  Doch was für ein Menschenbild steckt denn eigentlich hinter solch einem "Pflichtenkatalog"?

  Soll ich mir das so vorstellen, dass ein Mensch geboren wird und dann irgendwann, mit Erlangung der nötigen Reife quasi zwei Entscheidungsmöglichkeiten zur Auswahl hat: "Gut" zu werden und sich diesen ganzen Pflichten zu beugen oder eben "schlecht" zu werden um den Preis von Sanktionen.

  Sind wir Menschen denn tatsächlich bloß eine Art leeres Gefäß, dass man erst mit einem Katalog von ethischen Werten füllen muss?

  Ich finde das einigermaßen lächerlich. Wenn ich ein solches Menschenbild hätte, würde ich mich wohl kaum für ein Grundeinkommen einsetzten und schon gar nicht für ein "bedingungsloses" in dem Sinne, dass ich eben NICHT das Akzeptieren eines "Pflichtenhefts der Menschlichkeit" fordere, sondern schlichtweg davon ausgehe, dass der Mensch, wenn man ihm denn die Muße und die Freiheit gibt, sein Leben - materiell grundgesichtert durch ein BGE - SELBST zu gestalten, aus sich selbst heraus bestrebt ist, es nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Mitmenschen gut gehen zu lassen.

  Was ist mit matriachalen Gesellschaftsentwürfen? Was mit Allmende, an vielen Orten der Welt lange und erfolgreich im Sinne des Gemeinwohls praktiziert? Auch ohne Pflichtenheft haben Menschen schon vor langer Zeit gemerkt, dass Kooperation und Gemeinsinn für ein friedliches Miteinander zuträglicher sind, als Habgier und Egoismus. 

  Die Tatsache, DASS es aber all die negativen Auswüchse unseres menschlichen Daseins gibt, ist kaum ein Beweis dafür, dass wir nicht irgendwo tief drinnen eine Ahnung davon hätten, was uns eigentlich wichtig ist.

  ...und mit den paar untherapierbaren Soziopathen, die es sicher - aus den unterschiedlichsten Gründen - geben mag (1 bis 4 pro 100, habe ich mal gelesen), werden wir als menschliche Gemeinschaft sicher fertig, wenn wir nur aufhören, deren Eigenschaften für besonders ehrenvollen Handlungsweisen zu halten und sie auch noch belohnen. 

  Nein, auch ich bin der Meinung, es braucht KEIN "Recht zur Pflicht". Damit verbiegen wir nämlich gleich schon wieder - kleingeistig und ängslich; Thomas Hobbes im Hinterkopf, der Mensch sei dem Menschen doch bloß ein Wolf...

  Gruß,
  Martina Steinheuer


  Am 17.09.2010 16:56, schrieb Joerg Drescher: 
    Hallo zusammen, 

    offenbar ist diese Diskussionsliste etwas eingeschlafen, was hoffentlich nicht heißt, daß es keine Diskussion mehr über das Grundeinkommen gibt. Ich möchte hiermit einen Austausch anstoßen, der sich auf das "Grundeinkommen als Recht" bezieht. 

    Wer sich ein bisschen mit Recht beschäftigt, sollte prinzipiell darauf kommen, daß es jemanden geben sollte, bei dem dieses Recht "einklagbar" ist. Dies ist in Bezug auf Nichtstaatsbürger interessant, wenn es um das "Grundeinkommen als Recht" geht. Hannah Arendt forderte zum Beispiel in Bezug auf die Menschenrechte ein "Recht, Rechte zu haben". 

    Wer den Film von Häni/Schmidt gesehen hat, dürfte die Aussage kennen (die im Beiheft auf Seite 18 zu finden ist), daß es kein "Recht auf Pflicht" gäbe. Seit ich den Film zum ersten Mal sah, stieß mir diese Aussage sauer auf, da für mich dieses "Recht auf Pflicht" eine zentrale Bedeutung hat und ich es sogar als fundamentales Naturrecht betrachte. Nun ist leider (wie so vieles in dem Film) unklar, was damit eigentlich gemeint ist. 

    Welche Folgen allerdings die Aussage "Es gibt kein Recht auf Pflicht" haben würde, kann man sich an der "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" vom 1. Sept. 1997 ausmalen, die ich im Zusammenhang mit der Einführung eines Grundeinkommens für essentiell sehe: 
    http://www.interactioncouncil.org/udhr/de_udhr.html 

    Vor allem Art. 9 ist Voraussetzung für ein Grundeinkommen... Aber wenn es niemand mehr als sein Recht ansieht, solche Pflichten zu erfüllen (weil es ja laut Häni/Schmidt kein "Recht auf Pflicht" gibt), möchte ich nicht wissen, was mit der Menschheit passieren würde... 

    Ich hoffe, auf der Liste sind noch ein paar Leute, die an einem Austausch über das Thema "Grundeinkommen als Recht" interessiert sind. 

    Viele Grüße aus Kiew, 

    Jörg (Drescher) 
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