[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Wolf Bergelt klanggeist at gmx.net
Fr Sep 24 10:10:25 CEST 2010


Ja, liebe Martina, so wie Sie empfinde ich es auch. Es gibt eine ganz 
einfache Innen- und Außenbeobachtung, an der wir erkennen können, daß 
ein Recht zur Pflicht überflüssig ist, nämlich die, daß wir real frei 
sind, etwas zu tun, was wir in der Regel aber lassen und zwar deshalb 
lassen, weil es den Impuls dazu in uns nicht wirklich gibt. Jeder von 
uns ist (wäre) z. B. "frei" und in der Lage, jeden beliebigen Menschen, 
der ihm auf der Straße gerade begegnet, einfach überraschend 
umzubringen. Wir tun es deshalb nicht, weil wir normalerweise kein 
Bedürfnis danach haben. Wenn die meisten oder alle Menschen dieses 
Bedürfnis plötzlich hätten, hätte die sog. Exekutive nicht die geringste 
Chance, es zu verhindern, sondern die Welt würde über Nacht zur Hölle. 
Wir sehen ja auch, daß dort, wo bei einzelnen Menschen diese negative 
Form des Freiheitspotentials durchbricht, daß "Recht zur (moralischen) 
Pflicht" auch kaum geschützt werden kann. Wir leben in einer Zeit, in 
der immer mehr Menschen das "Gute" aus Freiheit tun (können) und 
zugleich Unmengen von Menschen existieren, die das "Gute" aus einer Art 
Drill heraus tun (müssen). Dieser Gutheitsdrill verwandelt sich 
eigenartigerweise sehr schnell in sein Gegenteil, wenn die ideologische 
Überzeugung in Frage gestellt wird, die dahinter steht. Also ergibt sich 
die Frage, was diese Art des Gutseins wert ist angesichts einer freien 
Empfindung, die für das Gute ganz aus sich selbst heraus wach bleiben 
kann. So ist es nicht nur mit dem Gutsein, sondern auch mit unserem 
Lerninteresse. Wir gehen in die Schule, weil es eine Schulpflicht gibt 
und weil viele (die meisten?) glauben, daß der Mensch ja nichts mehr 
lernen würde, wenn man ihn nicht dazu verpflichtet. Jeder, der nur ein 
bißchen Beobachtungsgabe hat, kann sehen, daß das einfach Unsinn ist. 
Vielmehr würden wir dann stattdessen aus dem jeweils aktuellen Interesse 
heraus lernen und sich dann ganz andere Lernwege ergeben, wobei das 
Lernen ein Leben lang Freude macht. Wir können (sollten) also auch 
getrost die Schulpflicht abschaffen und gegen ein (im Sinne der und für 
die  Kinder) einklagbares Lernrecht eintauschen. Was wir brauchen, sind 
Kulturräume, worin echte Freiheit erlebbar werden kann und nicht solche 
abstrusen Mißtrauenskonstruktionen, die nur aus der Angst geboren sind. 
Herzlich, Wolf Bergelt

Am 22.09.2010 22:52, schrieb Martina Steinheuer:
> Der Versuch einer Antwort:
>
> MIR gefällt der Text zu den "Menschenpflichten" überhaupt nicht. 
> Nicht, dass ich inhaltlich großartig etwas daran auszusetzen hätte; im 
> Großen und Ganzen steht ja nichts umwerfend Neues darin.
>
> Doch was für ein Menschenbild steckt denn eigentlich hinter solch 
> einem "Pflichtenkatalog"?
>
> Soll ich mir das so vorstellen, dass ein Mensch geboren wird und dann 
> irgendwann, mit Erlangung der nötigen Reife quasi zwei 
> Entscheidungsmöglichkeiten zur Auswahl hat: "Gut" zu werden und sich 
> diesen ganzen Pflichten zu beugen oder eben "schlecht" zu werden um 
> den Preis von Sanktionen.
>
> Sind wir Menschen denn tatsächlich bloß eine Art leeres Gefäß, dass 
> man erst mit einem Katalog von ethischen Werten füllen muss?
>
> Ich finde das einigermaßen lächerlich. Wenn ich ein solches 
> Menschenbild hätte, würde ich mich wohl kaum für ein Grundeinkommen 
> einsetzten und schon gar nicht für ein "bedingungsloses" in dem Sinne, 
> dass ich eben NICHT das Akzeptieren eines "Pflichtenhefts der 
> Menschlichkeit" fordere, sondern schlichtweg davon ausgehe, dass der 
> Mensch, wenn man ihm denn die Muße und die Freiheit gibt, sein Leben - 
> materiell grundgesichtert durch ein BGE - SELBST zu gestalten, aus 
> sich selbst heraus bestrebt ist, es nicht nur sich selbst, sondern 
> auch seinen Mitmenschen gut gehen zu lassen.
>
> Was ist mit matriachalen Gesellschaftsentwürfen? Was mit Allmende, an 
> vielen Orten der Welt lange und erfolgreich im Sinne des Gemeinwohls 
> praktiziert? Auch ohne Pflichtenheft haben Menschen schon vor langer 
> Zeit gemerkt, dass Kooperation und Gemeinsinn für ein friedliches 
> Miteinander zuträglicher sind, als Habgier und Egoismus.
>
> Die Tatsache, DASS es aber all die negativen Auswüchse unseres 
> menschlichen Daseins gibt, ist kaum ein Beweis dafür, dass wir nicht 
> irgendwo tief drinnen eine Ahnung davon hätten, was uns eigentlich 
> wichtig ist.
>
> ...und mit den paar untherapierbaren Soziopathen, die es sicher - aus 
> den unterschiedlichsten Gründen - geben mag (1 bis 4 pro 100, habe ich 
> mal gelesen), werden wir als menschliche Gemeinschaft sicher fertig, 
> wenn wir nur aufhören, deren Eigenschaften für besonders ehrenvollen 
> Handlungsweisen zu halten und sie auch noch belohnen.
>
> Nein, auch ich bin der Meinung, es braucht KEIN "Recht zur Pflicht". 
> Damit verbiegen wir nämlich gleich schon wieder - kleingeistig und 
> ängslich; Thomas Hobbes im Hinterkopf, der Mensch sei dem Menschen 
> doch bloß ein Wolf...
>
> Gruß,
> Martina Steinheuer
>
>
> Am 17.09.2010 16:56, schrieb Joerg Drescher:
>> Hallo zusammen,
>>
>> offenbar ist diese Diskussionsliste etwas eingeschlafen, was 
>> hoffentlich nicht heißt, daß es keine Diskussion mehr über das 
>> Grundeinkommen gibt. Ich möchte hiermit einen Austausch anstoßen, der 
>> sich auf das "Grundeinkommen als Recht" bezieht.
>>
>> Wer sich ein bisschen mit Recht beschäftigt, sollte prinzipiell 
>> darauf kommen, daß es jemanden geben sollte, bei dem dieses Recht 
>> "einklagbar" ist. Dies ist in Bezug auf Nichtstaatsbürger 
>> interessant, wenn es um das "Grundeinkommen als Recht" geht. Hannah 
>> Arendt forderte zum Beispiel in Bezug auf die Menschenrechte ein 
>> "Recht, Rechte zu haben".
>>
>> Wer den Film von Häni/Schmidt gesehen hat, dürfte die Aussage kennen 
>> (die im Beiheft auf Seite 18 zu finden ist), daß es kein "Recht auf 
>> Pflicht" gäbe. Seit ich den Film zum ersten Mal sah, stieß mir diese 
>> Aussage sauer auf, da für mich dieses "Recht auf Pflicht" eine 
>> zentrale Bedeutung hat und ich es sogar als fundamentales Naturrecht 
>> betrachte. Nun ist leider (wie so vieles in dem Film) unklar, was 
>> damit eigentlich gemeint ist.
>>
>> Welche Folgen allerdings die Aussage "Es gibt kein Recht auf Pflicht" 
>> haben würde, kann man sich an der "Allgemeine Erklärung der 
>> Menschenpflichten" vom 1. Sept. 1997 ausmalen, die ich im 
>> Zusammenhang mit der Einführung eines Grundeinkommens für essentiell 
>> sehe:
>> http://www.interactioncouncil.org/udhr/de_udhr.html
>>
>> Vor allem Art. 9 ist Voraussetzung für ein Grundeinkommen... Aber 
>> wenn es niemand mehr als sein Recht ansieht, solche Pflichten zu 
>> erfüllen (weil es ja laut Häni/Schmidt kein "Recht auf Pflicht" 
>> gibt), möchte ich nicht wissen, was mit der Menschheit passieren 
>> würde...
>>
>> Ich hoffe, auf der Liste sind noch ein paar Leute, die an einem 
>> Austausch über das Thema "Grundeinkommen als Recht" interessiert sind.
>>
>> Viele Grüße aus Kiew,
>>
>> Jörg (Drescher)
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