[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
So Okt 10 13:34:13 CEST 2010


Hallo Martin, und wen's sonst noch interessiert,

ob ich wertfrei urteilen kann oder nicht, laß mal meine Sorge sein. Natürlich empfinde ich etwas, wenn es darum geht, ob es rechtens ist, töten zu dürfen - aber um es zu verstehen, muß ich meine Gefühle (und Werte) ausklammern, um mir ein Urteil bilden zu können. Andernfalls ginge ich an den Schrecken, welche Menschen verbrechen (können) zu Grunde... Im übrigen lehne ich den reinen Rechtspositivismus ab, der wie eine Maschine Urteile fällen soll (vgl. hier).

Was Begründungen angeht, empfehle ich den Aufsatz von Reiner Winter: http://www.re-wi.de/Beweis.pdf

Allein, weil wir sind, bedeutet nämlich nicht, dass wir auch sein sollen (vgl. David Hume). Dies lässt sich daran feststellen, dass wir sterblich sind oder auch, weil wir die Möglichkeit zum Selbstmord haben. Sollten wir tatsächlich sein, weil wir sind, dürften wir nicht sterben können (Konzept vieler Weltreligionen). Sartre nahm das Konzept der Unsterblichkeit als Vorlage in "Geschlossene Gesellschaft", dessen Kernaussage ist: Die Hölle, das sind die anderen...

Wenn wir schon bei den Religionen sind, bringe ich hier mal das Konzept der "Erbsünde" ins Spiel. Als ich 2007 das erste Mal die Formel "Recht auf Pflicht" entwickelte, gab es einige Diskussionen über das Problem der Schuld und Sünde. Interessant daran ist, daß ich nicht der erste war, der über das Thema nachdachte. Jellinek hielt 1893 einen Vortrag über "Adam in der Staatslehre", wo er auf das Thema eingeht (28 Seiten):
http://www.archive.org/stream/adaminderstaats00jellgoog#page/n10/mode/1up

Wer dieses kurze Büchchen aufmerksam durchliest, wird einiges für die Diskussion zum Grundeinkommen lernen (können). Darin geht's auch um Arbeit, Sklaverei und Emanzipation... und für die "Kommunisten" unter uns, auch um den paradisischen Urzustand...

Mich interessiert beim Grundeinkommen das "wann wie", denn gerade lernen wir, daß die Hartz-Geschichte - im Voraus nicht zwingend absehbar, welche Folgen sie hatte - nicht gerade taugt. Nochmal so ein Projekt versucht man vielleicht vorher besser an Laborratten, statt an Menschen...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus






----- Original Message ----- 
From: Martin Brucks 
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
Sent: Friday, October 08, 2010 11:50 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


Hallo Jörg und andere,

das völlig wertfreie betrachten von irgendwas muss ich zunächst mal ablehnen, das kann ich nämlich garnicht und wie sich bereits einen Satz weiter herausstellt - du auch nicht - du sprichst von Recht und Pflicht, Konstrukten menschlichen Zusammenlebens, Begriffen also, die mit Wertfreiheit rein garnichts zu tun haben.

"Ist das nicht ein bisschen so, als ob jemand verlangt, geliebt zu werden und dies damit begründet, weil er einfach nur existiert." Weißt du mit was sich Mensch zeitlebens herumplagt wenn ihm dies verwehrt wurde?

Natürlich ist die bloße Existenz Begründung genug.
Wir haben schließlich das System der Natur - nur der Stärkste überlebt - bewusst abgeschafft oder wollen das zumindest.
Wir retten ja nicht nur andere Menschen vor dem Verhungern und Ersaufen, wir fangen seit Jahren ja auch an Wale ins Meer zurückzuwerfen und 3- Beinige Hunde in Tierheimen zu pflegen oder sie überhaupt zu füttern ohne sie hinterher essen zu wollen.

Was bei der Forderung von Bedingungen, sei es moralisch ethischer Art oder politisch gesellschaftlicher völlig außer Acht gelassen wird ist die Tatsache, dass erstens niemand weiß, was genau die Einführung eines Grundeinkommens bewirken wird und zweitens auf jedenfall etwas dadurch passieren wird.
Alle Versuche, sich dieses Szenario im Vorfeld schon zu zeichnen sind absolut verständlich, weil, sicher ist sicher, aber ebenso wie verständlich auch unmöglich.
Was macht Mensch denn wenn ich ihm die Verantwortung für sich selbst gebe (er hat sie sowieso nur viele wissens nicht)
Was macht Mensch wenn er auf einmal das Gefühl hat sich frei entscheiden zu können (vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben.)

Um eine Antwort darauf zu bekommen muss man es machen.
Erst danach weiß man was es bewirkt, kurzfristig und langfristig.

Deshalb geht maine Initiative auch nicht so sehr auf das "wie" sondern eher auf das "wann" im Sinne von sobald als möglich und in diesem Sinne mache ich mir sehr wohl Gedanken darüber, wie ich die heutigen Gegner ansprechen muss um sie zu Befürwortern zu machen.

In diesem Sinne

Martin

Am 07.10.2010 20:52, schrieb Joerg Drescher: 
Hallo Peter, und wen's sonst noch interessiert,

betrachten wir einmal folgende Fragen völlig wertfrei:
Mit welchem Recht verlangen wir, menschenwürdig behandelt zu werden? Was verstehen wir denn überhaupt unter Menschenwürde? Sollen wir als Menschen für unsere Würde mit einem Grundeinkommen bezahlt werden und entwerten wir damit nicht die Würde zu einem reinen Geldwert? Mit welchem Recht verlangen wir überhaupt ein Grundeinkommen?

Entschuldigung, manchmal kommt mir die Grundeinkommensdiskussion so vor, als ob wir wie kleine Kinder da stehen und kreischen: Ich will! Ich will! Ich will!... Ist das nicht ein bisschen so, als ob jemand verlangt, geliebt zu werden und dies damit begründet, weil er einfach nur existiert. Mit der alleinigen Existenz begründet er einen bedingungslosen Anspruch auf Geld, das wiederum nichts anderes ist, als von anderen irgendetwas verlangen zu "dürfen".

So gut ich die "Bedingungslosigkeit" auch verstehen kann, so gut ich die Situation der Hartz-Geplagten nachvollziehen kann, so gut ich die monetäre Welt wahrnehmen kann, mir fehlt es in der Diskussion an außerrechtlichen, ethischen und rein menschlichen, nichtmonetären Werten - zumindest als "Gegenleistung" für die Auszahlung eines Grundeinkommens. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir damit dem "bedingungslosen Grundeinkomen" viel näher wären, als mit einer rein geldlichen Vergütung unserer Menschenwürde...

Letztes Jahr gab ich ein Interview und darin sagte ich:
Ein nichtmonetäres Grundeinkommen ist sofort umsetzbar, indem jeder damit beginnt, in seinem Umfeld, in seiner Familie, im Berufsleben und in der Nachbarschaft für mehr Menschlichkeit, mehr Geduld, mehr Verständnis und mehr Achtung vor dem Andersdenkenden zu sorgen. Wir sollten öfters Danke sagen, Hilfe anbieten und die Situation anderer verstehen. Aber leider erwarten wir viel zu oft Gegenleistungen für unser Tun, weil wir von etwas leben müssen. Doch dabei vergessen wir, dass auch "Luft und Liebe" zum Leben notwendig sind.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus


----- Original Message ----- 
From: Peter Scharl 
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
Sent: Wednesday, October 06, 2010 6:46 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


Hallo @lle, 


BEDINGUNGSLOS muss bleiben!  Es macht klar, dass jedwede Prüfung und jeder Druck entfallen MÜSSEN,  ... denn damit wird die Menschenwürde aller geHA(r)TZ-IVteilten momentan erheblich verletzt. In der Diskussion mit Bürgern ist diese BEDINGUNGSLOSIGKEIT auch ein sehr wichtiges Argument, das meist sofort verstanden wird.


Mir ist auch wichtig, dass wir kein "Schlaraffenland"-Einkommen fordern, sondern dass klar wird, beim BGE handelt es sich um ein GRUND-Einkommen. JEDEr  Frau / Mann ohne Handicaps ist zuzumuten, dass sie / er, womit auch immer, für zusätzliche Bedarfe selbst sorgt. Das ist dann mit einem BGE auch stressfrei möglich.


Bewusst machen müssen wir uns, dass die erste Einstiegsstufe eines BGE wahrscheinlich nur in relativ geringer Höhe möglich sein wird. Das wäre mir auch ziemlich egal, wenn es nur BEDINGUNGSLOS ist. In den "Häufig gestellten Fragen" auf  www.FreiheitStattVollbeschaeftigung.de ist das hervorragend skizziert.


Ciao Peter Scharl - seit über 12 Jahren für Bürgergeld und BGE "unterwegs"
... Jahrgang 1942 - ... und ich möchte das BGE noch erleben!





Am 5. Oktober 2010 15:36 schrieb j.behncke <j.behncke at bln.de>:


Liebe Liste,

und genau deshalb bin ich gegen den Begriff  "bedingungslos", weil ein Grundeinkommen eben kein Sozialtransfer ist.

Der Begriff Grundeinkommen ist für sich im Deutschen vollständig aussagekräftig. Auch wenn es im Angelsächsischen "Unconditionel Basic Income" heißt.

Grüße aus Berlin

Joachim Behncke 



----- Original Message ----- From: <Dagmar.Paternoga at lvr.de>

To: <sozial at gmail.com>; <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Monday, October 04, 2010 11:58 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein... 




Lieber Manfred,
in der deutschen und internationalen Fachdebatte ist "bedingungslos" in dem Sinne ein bestimmter Begriff für Sozialgeldtransfers, die ohne Bedingungen an Verhaltensweisen ausgezahlt werden; z.B. bei bedingtem oder conditional cash transfers erhalten die Empfängerinnen die Sozialleistung erst dann, wenn sie mit ihren Kindern zum Arzt gehen, sie in die Schule schicken an Erziehugnskursen teilnehmen,  usw. Also bitte nicht so beliebig verwenden.
Ansonsten begrüße ich diese lebendige Debatte natürlich auch.
Viele Grüße
Dagmar

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de [mailto:debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de] Im Auftrag von Manfred Bartl
Gesendet: Freitag, 1. Oktober 2010 10:44
An: Debatte Grundeinkommen
Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...


Hallo!

Ich möchte Jörgs Diskussionsansatz ausdrücklich zustimmen!

Hier wird nichts zerredet, sondern der Selbstorganisation unterzogen - und das ist doch toll!

Ein paar Klarstellungen habe ich aber auch:

Das bedingungslose Grundeinkommen ist NICHT bedingungslos insofern, als es nicht völlig losgelöst von allem im Raume steht. Das Adjektiv "bedingungslos" bezieht sich auf mit einem Einkommen zum Auskommen verknüpfbaren Konditionen. Es tastet aber (als solches wiederum!!!) NICHT die Schulpflicht an. Man ist verpflichtet, seine Kinder zur Schule zu schicken, und die Kinder sind verpflichtet, zur Schule zu gehen, auch wenn sie ein Grundeinkommen beziehen, das bedingungslos genannt wird. Deswegen bleibt das Grundeinkommen aber nichtsdestotrotz ein bedingungsloses!! :-)

Der Pflichtbegriff von Jörg ist also ein ungemein passender!

Das wird im folgenden noch deutlicher ;-)

Das Grundeinkommen kann man nicht zerreden, man kann nur Zukunft gestalten. DAS ist auch mein Anliegen, und darum sage ich - auch als Grundkommensbefürworter -: Wenn ich GLEICH den Sozialismus haben kann, DANN brauche auch ich kein Grundeinkommen mehr. Für mich ist das Grundeinkommen eigentlich nur noch ein Vehikel, den Mitmenschen grundlegende Zusammenhänge der Wirtschaft an sich mit der Gestaltung von Gesellschaft klarzumachen.

Damit nochmal zur Pflicht: Ich bin ja eigentlich nicht nur Sozialist oder Kommunist, sondern gleich Anarchist (soweit mein Verständnis der -ismen objektiv korrekt ist). Was aber bedeutet dieses Voranschreiten im gesellschaftlichen Utopismus? Immer mehr Freiheit? Ja, ganz bestimmt. Aber einfach so?? NUR FREIHEIT? Dann wäre ich wohl eher Neoliberaler! Nein, mit dem Mehr an Freiheit geht ein gerüttelt Maß an Selbstverpflichtung einher bis hin zum individuell und jeden Tag neu Konsens-getragenen (!!) Gesellschaftsvertrag im Anarchismus!!! Es heißt nicht umsonst:

Anarchie ist die höchste Form der Ordnung. (Horst Stowasser)

Gruß
Manfred





2010/9/29 Joerg Drescher <iovialis at gmx.de>:

Hallo Edwin, und wen's sonst noch interessiert,

nein, ich glaube nicht, daß das Grundeinkommen zerredet wird, denn die
über 500jährige Diskussion hat sich entwickelt; da fallen die knapp 2
Wochen kaum auf. Wie hier dargestellt, gibt es kein Recht ohne
Pflicht, weshalb das Grundeinkommen als Recht nicht "bedingungslos"
sein kann. Mit keinem Wort habe ich gesagt, daß es deshalb trotzdem
nicht geht; vielmehr hatte ich in der Diskussion versucht
herauszustellen, was Bedingungen für das Grundeinkommen sind, daß es
"bedingungslos" sein kann - und das ist in letzter Konsequenz die
Freiwilligkeit zur Pflicht.

Was mit dem "bedingungslos" gemeint ist: Daß die ganzen Repressalien
zur Erlangung eines "Rechts auf Grundeinkommen" wegfallen; und den
Begriff "Pflicht" verwechseln viele mit "Zwang". Daraus abzuleiten, es
gäbe "Kein Recht auf Pflicht", nenne ich Dilletantenphilosophie. Was
hier manche
machen: Freiheit wird zum obersten Recht erklärt! Wozu brauchen wir dann
einen Staat? Wozu brauchen wir dann Gesetze? Geld, wie jeglicher Tausch, wie
jedes Handeln, ist ein "Recht auf Pflicht"...

Unsere Regierung steht bei dem geforderten "bedingungslos" vor dem
Problem, daß sie die Verantwortung für die Folgen übernehmen muß.
Versetze Dich einfach mal in die Situation und frage Dich, ob Du jetzt
und heute die Verantwortung für die Einführung eines "Bedingungslosen
Grundeinkommens" übernehmen würdest. Erst wenn ein Großteil der
Bevölkerung dazu bereit ist, gebe ich persönlich dem Grundeinkommen
als bedingungslosen Anspruch eine Chance - aber wie mißt man das?
Deswegen klär' ruhig weiter auf - aber bist Du Dir im klaren, worüber
Du aufklärt? Dazu sind solche Diskussionen aus meiner Sicht wichtig...
wer nicht will, muß ja nicht, hier herrscht Freiwilligkeit...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus





----- Original Message ----- From: "Edwin Merki"
<edwin-merki at bluewin.ch>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Sunday, September 26, 2010 10:24 AM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...


An Joerg Drescher,

Besteht nicht die Gefahr, dass hier das bedingungslose Grundeinkommen
zu stark zerredet wird?

Im Grunde bedeutet das bGE ein Einkommen ohne irgendwelche Pflichten -
also bitte ich alle nach Lösungen zu suchen und nicht warum es nicht
gehen kann.

Nach meiner Ansicht erfährt die Gesellschaft durch das bGE eine völlig
neue Denkweise - das bedeutet auch, dass das Geld wieder zum
Tauschmittel wird und ob ich nun Geld oder Ware tausche ist vollkommen
unwichtig.

Es werden weitere Einsichten erfolgen:
1. Es kann mit Geld kein Geld mehr generiert werden, weil viel Geld
nicht mehr interessant und kein Druckmittel mehr ist. 2. Der Grund und
Boden gehört der Allgemeinheit und kann nicht mehr zur Ausbeutung der
anderen benutzt werden.

Oberste Priorität hat zur Zeit den Gedanken des bGE in der
Gesellschaft zu verankern und zwar mit einfachen Argumenten - sonst
wird die Idee für viele nicht mehr verständlich.

Einen schönen Sonntag wünscht
Edwin Merki




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