[Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht, Mensch zu sein...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mo Okt 4 09:43:54 CEST 2010


Hallo Martin, und wen's sonst noch interessiert,

nein, ich wollte Dir nicht mit dem Satz widersprechen, vielmehr sollte er zeigen, daß sich Kapitalismus und Kommunismus wesentlich nicht unterscheiden, aber unterschiedlicher Methoden bedienen. Genauer müßte er heißen:

Im Kapitalismus beuten Menschen Menschen aus und im Kommunismus ist es genau umgekehrt, man bedient sich nur unterschiedlicher Methoden, welche die Konservativen nicht ändern wollen.

Grund meiner Antwort ist allerdings Deine letzte Frage: Nein, Rechte kann man nicht essen; Geld allerdings auch nicht. Von was wir tatsächlich (bedingungslos) leben, basiert auf Naturgesetzen. Nur Naturgesetze sind bedingungslose Notwendigkeiten, während alle anderen (selbstentworfenen) Gesetze Bedingungen unterliegen. Und diese Bedingung ist mindestens in der Bejahung dieser Gesetze verankert. Beim Gesetz der Gravitation können wir lange verneinen, wir werden trotzdem immer wieder auf die Nase fallen (die Konsequenz tragen für unser Nein); bei sittlichen Gesetzen definieren wir die Konsequenz. Soll heißen: Während bei Naturgesetzen Ursache und Wirkung immer gleich sind, ist das bei unseren Gesetzen nicht der Fall. Unsere Gesetze versuchen die Ursache (den Menschen) zu beeinflussen, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen; entspricht die Wirkung nicht unseren Vorstellungen, nutzen wir in letzter Konsequenz Naturgesetze (Gewalt).

Eine Komponente bei den Gesetzen ist, daß wir in sie Vertrauen brauchen. So war bei den Naturgesetzen auch nicht immer Vertrauen in ihre Bedingungslosigkeit. Die Azteken glaubten zum Beispiel, daß die Sonne am nächsten Tag nicht mehr aufgehe, wenn man ihr nicht Menschenopfer darbringt. Eine empirische Prüfung (Trial and Error) wagten sie nicht. Gesetze sind entsprechend auch eine Vertrauensfrage. Wir trauen uns kein Grundeinkommen einzuführen, weil wir dessen Wirkung nicht abschätzen können und uns das Vertrauen fehlt, daß die Wirkung unseren Vorstellungen entspricht. Kurz gesagt: ein konservative Element hindert uns daran, Neues zu wagen. Und wir konservieren mit unserer Sprache unsere Gedanken, was, wie Du richtig sagst, Probleme bei der Diskussion um Rechte und Pflichten verursacht.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus




----- Original Message ----- 
From: Martin Brucks 
To: Joerg Drescher 
Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
Sent: Sunday, October 03, 2010 9:57 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Vom Recht auf Pflicht,Mensch zu sein...


Hallo Jörg,

"Diese Idee ist ungefähr so, wie die Aussage: Im Kapitalismus beuten Menschen Menschen aus und im Kommunismus ist es genau umgekehrt."

Ich nehme mal an, du wolltest meiner These mit diesem Satz widersprechen, er unterstützt aber nur das was ich gesagt habe, nämlich dass sich beide Systeme der gleichen Grundprinzipien bedienen.

Du wirst sicher schon gemerkt haben, dass ich weniger von der Seite des theoretischen Überbaus an die Angelegenheit heran gehe als mir vielmehr zu überlegen, wie tickt Mensch und was braucht er um erstens sich selbst "ausleben" zu können und zweitens dies nicht auf Kosten anderer tun zu wollen. Die größten Bedenken der BGE- Gegner und Skeptiker sind doch die, dass dieses "rundum-sorglos-Paket" dazu führen wird, dass notwendiges nicht mehr erledigt wird.

Die von dir gern benutzten Begriffe des Recht und der Pflicht und deren Kombination miteinander ist vor Allem in unserem Kulturkreis tief verwurzelt und gerade das Bestreben Recht und Pflicht bis ins Detail zu beschreiben (meint regeln) und dann auch für die Durchsetzung zu sorgen hat zu einer ungesunden Anwendung dieser eigentlich wichtigen Prinzipien geführt.
Daher rühren meiner Meinung nach auch die Kontroversen dieser Diskussion was ich schade finde denn über der Klärung von Begrifflichkeiten bleibt das eigentliche auf der Strecke.

Beim letzten Satz deiner Ausführung fehlt mir was, wenn ich das Grundeinkommen als "Recht" denke, wie soll das dann aussehen, kann man das auch essen?

Viele Grüße


Martin Brucks


Am 03.10.2010 07:04, schrieb Joerg Drescher: 
Hallo Martin, und wen's sonst noch interessiert,

etwas zu Deiner These: Wenn Kapitalismus die Verliebtheit in die Mehrung des Geldes beim Individuum bedeutet und Geld ein "Recht auf Pflicht" ist (quid pro quo - dies für das; zweckorientierter: do ut des - ich gebe, damit Du gibst), geht es beim Kapitalismus also um die Anhäufung von "Rechten auf Pflichten". Rechte sind "Dürfen-Aussagen" und beschreiben die Freiheit innerhalb eines Systems; Pflichten sind "Sollen-Aussagen" und schränken die Freiheit innerhalb eines Systems ein, weil man ja etwas "soll", was man vielleicht gar nicht "will". Nun strebt jedes System eigentlich nach der größtmöglichen Freiheit, weshalb die "Sollen-Aussagen" weniger beliebt sind (konnte man das in dieser Diskussion schon feststellen?). Der Kommunismus dreht das Spiel um, wie Du sagst - also eine "Pflicht auf Recht". Diese Idee ist ungefähr so, wie die Aussage: Im Kapitalismus beuten Menschen Menschen aus und im Kommunismus ist es genau umgekehrt.

Das war die Betrachtung von Seiten der "Natur des Rechts"; gehen wir aber nun über zur "Natur des Menschens". Winfried Brugger (wurde in dieser Diskussion schon genannt) meinte, daß der "Kalte Krieg" auch ein Konflikt der unterschiedlichen Menschenbilder war, ohne diese näher zu beschreiben. Also selbst denken: Der Mensch im Nicht-Kommunismus wird als liberales Individuum gesehen (atomistische Auffassung der Gesellschaft), wo der Einzelne einen Teil seiner möglichen Handlungen nur zum Zweck unterläßt, um die Basis zu erhalten, sein Ich ungestört entfalten zu können. Im Kommunismus wird der Mensch als soziales Individuum gesehen (gesamtheitliche Auffassung der Gesellschaft), wo der Einzelne seine möglichen Handlungen darauf ausrichtet, um die Gemeinschaft zu erhalten. So gesehen ein Spannungsverhältnis zwischen Egoismus und Altruismus. Das ganze findet man auch bei Douglas McGregor und seiner Theorie X/Y, womit wir bei der Motivation wären, die Du auch ansprichst.

Ein Grundeinkommen in Form von Geld ändert da nicht viel... Werner Rätz meinte mal, man solle das Grundeinkommen nichtmonetär denken... Was liegt also näher, das Grundeinkommen mal als "Recht" zu denken, wie es eigentlich viele fordern...

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus






----- Original Message ----- 
From: Martin Brucks 
To: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
Sent: Saturday, October 02, 2010 9:16 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 64, Eintrag 16


Ich habe die Liste abonniert und lese seitdem mit, jetzt möchte ich ebenfalls einen Beitrag zur Diskussion leisten.


Gehen wir mal ein wenig rückwärts und überlegen uns, wie das denn war als es kein Geld gab und kein/kaum Tauschhandel.
Wer nicht jagt oder sammelt hat nichts zu essen. Daran hat sich nichts geändert, außer dass es nicht mehr jedem bewusst ist und vielen Nachkommen auch nicht mehr konsequent beigebracht wird.
In sofern wohnt der Forderung nach einem Grundeinkommen, bedingungslos oder nicht, ohnehin die Möglichkeit inne, diesen Zusammenhang ignorieren zu können.
Einige wenige kippen das Prinzip nicht, werden es mehr, ist es nicht mehr zu halten, dann allerdings ist auch kein anderes System zu halten.
Für mich gilt - ich arbeite, also bin ich - genauso aber auch, ich bin, also arbeite ich.
Im Beitrag von Manfred schreibt er von der Schulpflicht und das ist für mich genau der Schlüssel.
Bildung ist der Weg, auf dem Erkenntnisse aber auch Erfordernisse tradiert werden - immerschon.
Und jetzt wage ich mal eine These: der Kapitalismus ist die Verliebtheit in die Mehrung des Geldes beim Individuum, soweit konsensfähig!?, der Kommunismus ist aber nur die Kehrseite der selben Münze denn er bedient sich der selben Prinzipien, fordert aber eine Umverteilung, weg vom Individuum hin zur Allgemeinheit. Das ist der Motivationskiller schlechthin.
Arbeit macht ja garnicht krank, sie kann sogar gesund machen, nur die Bedingungen unter denen sie stattfindet entscheiden darüber wie sie sich auswirkt.
Ich kenne Leute, die tagelang von morgens bis abends Holz sägen und hacken, damit sie die angenehme Wärme eines Kamins oder Kachelofens genießen können und sie fühlen sich prächtig dabei.
Und genau das ist das Entscheidende. Es gibt ein Motiv und das ist der Antrieb.
Das BGE versetzt den Einzelnen in die Lage entscheiden zu können, das wird Auswirkungen haben, positive.
Dem Wollen, Geld zu mehren wird das nicht entgegen wirken und solange jeder Einzelne auch die Möglichkeit hat, über das BGE hinaus Wohlstand zu erwirtschaften gibt es genügend Motivation, das auch zu wollen.
Gegen reich werden habe ich persönlich wenig einzuwenden, wenn es auf Kosten anderer geht schon und deshalb muss es nicht nur das BGE geben sondern unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie das Steuersystem müssen auf den Prüfstand.




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