[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Norbert Maack nofrima at t-online.de
Sa Okt 31 02:52:11 CET 2009


Hallo Jörg, Christine und MitleserInnen,
Gerechtigkeit ist ein hohes Ideal ebenso wie Freiheit.
Wenn man z. B. bei wikipedia nachschaut ( 
http://de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit ) , wird allerdings deutlich, 
wie unscharf dieser Wert ist.
Mit diesem Begriff alleine kommen wir nicht weiter; da müssen wir wohl 
unseren Gerechtigkeitsbegriff konkretisieren und das halte ich für eine 
wichtige zu leistende Aufgabe.
Möglicherweise  - oder sogar wahrscheinlich - würden wir dabei zu dem 
Ergebnis kommen, dass selbst unser Grundgesetz nicht mit unserem 
Verständnis von Gerechtigkeit übereinstimmt.
Ich frage mich, weshalb es offenbar so schwer ist bzw. unmöglich zu sein 
scheint, eine konsensfähige Definition von Gerechtigkeit zu formulieren.
Eine andere Übersetzung von BGE könnte lauten "_Bi_tte_ G_erechtigkeit 
_E_inführen".
Ich bin neugierig, ob jemand diese Vorlage aufgreift.

Mit sonnigen Grüßen
    Norbert Maack


Joerg Drescher schrieb:
> Hallo Christine und wen's sonst noch interessiert,
>
> merci für Deine Antwort! Hier ein Artikel über die Untersuchung mit 
> Kindern und deren Gerechtigkeitssinn, was Du angesprochen hast:
> http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,574807,00.html
>
> In diesem Zusammenhang dürfte auch folgender Effekt interessant sein, 
> bei dem es um Besitz geht (Macht wird von manchen als Besitz 
> angesehen, was diesem Effekt eine besondere Note gibt): 
> http://de.wikipedia.org/wiki/Endowment-Effekt
>
> Zur ursprünglichen Frage, ob Gerechtigkeit verhandelbar ist, muß man 
> nur an ein Gericht gehen. Ob dort allerdings Gerechtigkeit 
> ausgehandelt wird, ist ein anderes Thema - die Verhandlung findet 
> weniger auf argumentativer Basis statt, sondern eher auf gesetzlicher 
> (also festgeschriebener "Gerechtigkeit"). Nur zeigt sich, daß Recht 
> nicht zwingend Gerechtigkeit bedeutet (z.B. Drittes Reich) und sogar 
> Ungerechtigkeit manifestieren kann (vgl. Milgram-Experiment, 
> Stanford-Prison-Experiment; bei beiden wird die Verantwortung an 
> Authoritäten abgeben - Authorität können auch Gesetze/Vorschriften 
> sein, die von Gesetzeshütern verteidigt werden).
>
> Ich stimme Dir zu, daß das Gerechtigkeitsgefühl empfindlich 
> (kollektiv) verletzt sein muß, damit Leute aufstehen. Wenn aber eben 
> diesen (aufstandsbereiten) Leuten ein Gerechtigkeitsdenken vermittelt 
> wird (Leistungsgerechtigkeit), das zwar ihrem instinkten Gefühl 
> zuwiederläuft und dennoch argumentativ (Logik/Verstand) einleuchtet, 
> kommt es solange nicht zum Aufstand, bis diese Leute durch ihr eigenes 
> Gerechtigkeitsdenken in eine Situation gebracht werden, wo sie es über 
> den Haufen werfen (Brecht: Erst kommt das Essen, dann die Moral). 
> Andere warten auf das "jüngste Gericht" und erdulden bis dahin alles 
> fatalistisch (Weg des geringsten Widerstands).
>
> Zudem wird (beim Grundeinkommen) viel von Freiheit gesprochen, doch 
> halte ich Gerechtigkeit für wichtiger, da sich beides gegenseitig 
> bedingt, wobei die "Freiheit zur Ungerechtigkeit" mit der Zeit die 
> Freiheit einschränkt (Stichwort: Gated Communities). Hier halte ich es 
> mit Hegel, der Freiheit als "Einsicht in die Notwendigkeit" beschrieb 
> - also auch die Einsicht, daß Gerechtigkeit (für ein 
> freies/friedliches Zusammenleben) notwenig ist.
>
> Viele Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
>
>
>
> ----- Original Message ----- From: "Christine Ax" <ax at fhochx.de>
> To: "'Joerg Drescher'" <iovialis at gmx.de>; 
> <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Sent: Monday, October 26, 2009 5:47 PM
> Subject: AW: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?
>
>
> Hallo Ihr zusammen,
>
> in diesem Kontext interessant sind viele Untersuchungen, die in der
> jüngeren Vergangenheit sowohl von den empirischen
> Wirtschaftswissenschaftlern als auch mit Kindern gemacht wurden. Das
> Gefühl für Gerechtigkeit stellt sich bei Kindern irgendwann ein.. so mit
> 5 oder sechs Jahren meine ich zu erinnern. Es liegt scheinbar in unserer
> Natur oder ist in unserem "sozialen Wesen" angelegt. Auch die
> Wirtschaftswissenschaften gehen ja zunehmend davon aus, dass wir in
> unserem Verhalten den Aspekt der Gerechtigkeit stets mitdenken und er
> unser Verhalten/Entscheidungen mit beeinflusst.
> Außerdem gibt es seit der französischen Revolution einen Diskurs über
> Gerechtigkeit, der etwas mit Gleichbehandlung und Chancengleichheit zu
> tun hatte. Das Bürgertum hat das Schwert der Gerechtigkeit gegen den
> Adel geschwungen, um Vorrechte qua Geburt abzuschaffen und wollte
> an ihre Stelle das Ideal der Gleichbehandlung und gerechten Entlohnung
> von Leistung zu stellen. Leider liegt es wohl auch in der Natur des
> Menschen das eigene Vermögen - und sei es auch ererbt - sofort als das
> Eigene zu verteidigen und als Art persönlichen Verdienst anzusehen. Ich
> treffe immer wieder Menschen, die ihr Glück ausschließlich dem Umstand
> verdanken, in die richtige Familie hineingeboren zu sein. Sie fühlen
> sich gerne als Elite und verschwenden keinen Gedanken daran, dass sie
> ihren Wohlstand nicht eigenen Verdiensten verdanken. Politisch relevant
> dürfte der Gedanke der Gerechtigkeit immer dann werden, wenn abweichend
> von unserem persönlichen und kollektiven Gerechtigkeitsgefühl und
> -begriff das Ausmaß der Ungerechtigkeit so groß ist, dass viele Menschen
> bereit sind, für mehr Gerechtigkeit aufzustehen und zu kämpfen oder/und
> wenn sie die Hoffnung verloren haben, dass sie von "denen da oben" noch
> vertreten werden.
>
> Mir persönlcih gefällt der Bibelspruch sehr gut der da lautet: Ein Tag
> Gerechtigkeit ist mehr Wert als 100 Jahr Almosen. Gerechtigkeit hat für
> mich nicht nur eine materiellen Chrarakter sondern eine immateriellen:
> Ohne Gerechtigkeit ist die Würde des Menschen in Gefahr. Simone Weil hat
> in den 20er Jahren in ihren Fabriktagebüchern sehr eindrucksvoll den
> Hunger der Menschen nach Gerechtigkeit beschrieben.
>
> Es grüßt vom Netzwerk Hamburg
> Christine Ax
> www.koennensgesellschaft.de
>
>
> _______________________________________________
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