[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Norbert Maack nofrima at t-online.de
Fr Nov 13 01:41:10 CET 2009


Hallo Christiane,
/"//Zumindest kann  jeder damit (/mit dem Gespräch über Gerechtigkeit) 
/anfangen, der es /(dass das Gespräch notwendig ist) /einsieht. "/

Ich bin dabei.
Und halte es für sinnvoll, nicht nach Definitionen zu suchen, wie ich es 
anfangs vorgeschlagen habe, sondern besser anhand von möglichst 
konkreten Fragestellungen sich dem Verständnis von Gerechtigkeit zu nähern.
Voraussetzung für ein solches Gespräch sollte allerdings sein, dass die 
TeilnehmerInnen G. für einen hohen und erstrebenswerten Wert halten; 
anderenfalls wäre es möglich zu sagen, dass man einen bestimmten 
Sachverhalt zwar für nicht gerecht hält, gleichzeitig aber fatalistisch 
meinen könnte, dass die Verhältnisse eben so sind, "der Mensch" eben so 
ist, und überhaupt G. höheren Werten unterzuordnen sei.

Also ich beginne mal mit einer grundlegenden Frage, nämlich ob es 
gerecht ist, dass Menschen/Staaten anderen Menschen/Staaten Gewalt 
antun, was letztlich der Frage entspricht, ob es gerechte Kriege gibt, 
bzw. ob ein staatliches Gewaltmonopol gerecht ist.
Die entsprechenden Antworten auf viele weitere G.-Fragen leiten sich aus 
der Antwort auf diese Frage ab.

Meine Antwort auf diese Frage ist ein sehr klares Nein. Und dieses Nein 
bedeutet gleichzeitig, dass ich die Institution des Staates bereits als 
für nicht kompatibel mit Gerechtigkeit halte.

Insofern kann ein Gespräch über Gerechtigkeit unter den Bedingungen der 
Staatlichkeit sinnvollerweise nur geführt werden, wenn man ein Mehr oder 
Weniger an Gerechtigkeit für möglich hält. Dies würde dann dazu führen, 
dass man sich damit beschäftigen müsste, für wen ein Mehr und für wen 
ein Weniger an Gerechtigkeit angestrebt werden soll. Und das würde 
automatisch der Gerechtigkeit widersprechen. Oder kann es gerecht sein, 
wenn nicht allen Menschen gleiche Gerechtigkeit widerfährt? (2. Frage)

Die daraus folgende 3. Frage müsste lauten: Ist Gerechtigkeit ein 
absoluter Wert? Folgt dieser Begriff dem Entweder-oder-Prinzip? Ich 
neige dazu dieses zu behaupten. Entweder Gerechtigkeit für Alle oder es 
ist keine Gerechtigkeit, nach dem Motto "Alle sind gleich, aber manche 
sind eben gleicher" (Orwells animalfarm).

Entweder wir streichen also den Begriff Gerechtigkeit aus unserem 
Wertekanon zugunsten eines höheren Wertes, z.B. Sicherheit (für das 
Eigentum) die der Staat garantiert, oder wir suchen nach Alternativen 
Visionen einer entstaatlichten Erde.

Starker Tobak?

Sonnenstrahlen
    Norbert



1981klaus- schrieb:
> Hallo Joerg, Norbert, Andere ...
>
> Gerechtigkeit ist m.E. eine abstrakte Größe, ähnlich der Wahrheit, der 
> Liebe, dem Sinn ... mit ihnen vergleichbar und auch mit ihnen 
> beschreibbar.
> Aber nur immer wieder neu und immer unvollkommen - immer nur als 
> Annäherung.
> Es gibt kein berechenbares Maß - kein fertiges - für Gerechtigkeit.
> (Was dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall).
>
> Auch die Gerechtigkeit der TauschBörsen, die die Zeit - von der jeder 
> 24 Std. am Tag hat - als Maß nehmen ist nicht vollständig.
> Es gibt Menschen die mehr Zeit brauchen, Tätigkeiten, die weniger Zeit 
> brauchen usw.
>
> Im ersten Rechtseminar im Studium der Sozialarbeit sagte der Dozent 
> und Richter den berühmten Satz, der sich mir auch in der Praxis 
> ständig bestätigt:
> "Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand."
>
> Den Grund sagt er auch:
> Weil Recht und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche Dinge sind.
> Bei jedem Akt der Rechsformulierung in §§§ werden Regeln festgezurrt, 
> die für einige oder viele Fälle gelten mögen - nie aber für alle.
> Es muss daher immer das eigene Empfinden geben, den eigenen Maßstab, 
> das Gewissen meinethalben.
>
> Letztlich sind wir immer verantwortlich - das auf das Kollektiv 
> umzumünzen ist schwierig, ein Prozess, ein ewiger vermutlich.
>
> Gesetze, die mit einer bestimmten Absicht auf den Weg gebracht werden 
> kommen oft völlig verändert auf die Welt - weil viele Menschen und 
> Zeiteinheiten beteiligt sind.
> Viele Horizonte und Standpunkte.
>
> Es sind alles (nur) wichtige ! Annäherungen.
>
> Aber das Gespräch dazu ist notwendig.
> Das könnte z.B. dauerhaft eingerichtet werden?
> So wie das Studium Fundamentale in der Uni Witten Herdecke, das 
> verpflichtend ist für die Studenten.
> Nun ja - beim BGE müssten das die Medien leisten?
> Die Regierung?
> Zumindest kann  jeder damit anfangen, der es einsieht.
>
> Herzlichen Gruß
> Christiane
> PS: wie kommst Du auf den Vergleich mit Gazelle und Löwe?
> Ich kenne den aus einem anderen (abstrakten) Kontext.
>
>
>
>
>
>
>
>
>
>
> Joerg Drescher schrieb:
>> Hallo Norbert und wen's sonst noch interessiert,
>>  
>> Deine "Übersetzung" (*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen) finde ich 
>> prima! Gleidfalls stimme ich zu, gemeinsam einen 
>> Gerechtigkeitsbegriff zu entwerfen, der im Konsens von allen getragen 
>> werden kann. Vor längerer Zeit hatte ich hierzu einmal vorgeschlagen, 
>> ein "Manifest der Gerechtigkeit" zu schreiben, was allerdings auf 
>> keine Resonanz stieß. Vielleicht deshalb, weil Gerechtigkeit ein 
>> Gefühl ist, das man nicht "manifestieren" kann, sondern im jeweiligen 
>> Kontext entsteht. Aber gerade in dieser Kontextabhängigkeit sehe ich 
>> eine Chance, da dies immer auf der (menschlichen) Fähigkeit beruht, 
>> Gerechtigkeit zu empfinden (ein Löwe, der eine Gazelle erlegt, wird 
>> sich kaum darum kümmern, ob das gerecht war oder nicht; andere 
>> Gazellen werden ebenfalls nicht darüber nachdenken; aber ein Mensch 
>> kann sich die Gerechtigkeitsfrage stellen).
>>  
>> Was ist allerdings "gerecht" und was ist dabei "verhandelbar"?
>>  
>> Nehmen wir an, daß "gerecht" eine "Rechtfertigung" 
>> (Begründung/Argumentation) ist, so mag dies im Falle des Löwen zwar 
>> nicht verhandelbar sein (es liegt in der Natur des Löwen, Gazellen 
>> zum eigenen Überleben zu erlegen), doch in Fällen 
>> zwischenmenschlichen Zusammenlebens läßt sich sehr wohl nach einer 
>> Rechtfertigung fragen: zum Beispiel. weshalb der eine mehr 
>> haben/erhalten soll, als ein anderer. Dabei kann man auch Beispiele 
>> konstruieren, bei denen sich Rechtfertigungen entziehen: wird der 
>> Löwe (oder auch ein Mensch) vom Blitz erschlagen, so bleibt uns die 
>> Begründung verborgen. Entsprechend steht "Gerechtigkeit" im 
>> Zusammenhang mit "Sinn", der sich uns nicht immer offenbart.
>>  
>> Wissen wir vom Sinn, so kann das als "gewiss" bezeichnet werden, was 
>> "Gerechtigkeit" ins Licht des "Gewissens" rückt. Im Fall des Löwen 
>> wird wohl niemand ein "schlechtes Gewissen" haben, aber auch nicht im 
>> Fall eines vom Blitz erschlagenen Menschen. In beiden Fällen spielt 
>> die Natur den "Täter". Sind wir allerdings selbst handlungsbeteiligt, 
>> basiert ein "schlechtes Gewissen" entweder auf der Unfähigkeit, den 
>> "Sinn" zu erfassen, oder darauf, daß wir uns bewußt sind, daß der 
>> "Sinn" nicht gerecht(fertigt) ist. Nur muß hierzu jemand nach der 
>> "Rechtfertigung" einer begangenen oder unterlassenen Handlung fragen 
>> (was in manchen Fällen durch die handelnde/unterlassende Person 
>> selbst passiert).
>>  
>> Damit wären wir bei der "Verhandelbarkeit" von "Gerechtigkeit", die 
>> im Argumentationsaustausch besteht. So kann ein Mörder sehr wohl 
>> glauben/fühlen, seine Tat sei "gerecht" gewesen, indem er Argumente 
>> vorbringt, die sein Handeln (aus seiner Sicht) rechtfertigen. Dies 
>> kann sogar soweit gehen, daß der Mörder auf keinerlei Gegenargumente 
>> eingeht, die seine (aus seiner Sicht) gerechtfertigte Tat begründet. 
>> Es gibt in der Geschichte auch Beispiele, die Mörder durch 
>> Mehrheitsmeinung stützen (3. Reich, Rote Khmer...). Entsprechend 
>> gilt, daß das, was wir heute für "gerecht(fertigt)" halten, nicht 
>> zwingend für alle Ewigkeiten als "gerecht(fertigt)" gelten muß. 
>> Schließlich erweitern wir auch ständig unser (Ge)Wissen. Deshalb wäre 
>> ein "Manifest der Gerechtigkeit" nur auf Basis unseres heutigen 
>> Wissens möglich.
>>  
>> Um aber noch das Gesagte auf das Thema Grundeinkommen zu beziehen, 
>> fehlt mir bis heute eine Rechtfertigung, weshalb ich vom Staat ein 
>> solches Grundeinkommen für mich fordern kann. Umgekehrt ist es 
>> leichter zu argumentieren, warum ich's jedem geben würde. 
>> Entsprechend fehlt (zumindest mir) ein gerecht(fertigt)er Anspruch 
>> auf ein Grundeinkommen, was eben die angefragte Verhandelbarkeit so 
>> schwierig macht. Kurz: Habe ich ein "Recht auf Gerechtigkeit"? Daher 
>> kann BGE auch heißen: "*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen"...
>>  
>> Viele Grüße aus Kiew,
>>  
>> Jörg (Drescher)
>> Projekt Jovialismus
>> http://www.iovialis.org
>>  
>>  
>>  
>>  
>>  
>>  
>>  
>>  
>>
>>     ----- Original Message -----
>>     *From:* Norbert Maack <mailto:nofrima at t-online.de>
>>     *To:* Joerg Drescher <mailto:iovialis at gmx.de>
>>     *Cc:* ax at fhochx.de <mailto:ax at fhochx.de> ;
>>     debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>>     <mailto:debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
>>     *Sent:* Saturday, October 31, 2009 3:52 AM
>>     *Subject:* Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit
>>     verhandelbar?
>>
>>     Hallo Jörg, Christine und MitleserInnen,
>>     Gerechtigkeit ist ein hohes Ideal ebenso wie Freiheit.
>>     Wenn man z. B. bei wikipedia nachschaut (
>>     http://de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit ) , wird allerdings
>>     deutlich, wie unscharf dieser Wert ist.
>>     Mit diesem Begriff alleine kommen wir nicht weiter; da müssen wir
>>     wohl unseren Gerechtigkeitsbegriff konkretisieren und das halte
>>     ich für eine wichtige zu leistende Aufgabe.
>>     Möglicherweise  - oder sogar wahrscheinlich - würden wir dabei zu
>>     dem Ergebnis kommen, dass selbst unser Grundgesetz nicht mit
>>     unserem Verständnis von Gerechtigkeit übereinstimmt.
>>     Ich frage mich, weshalb es offenbar so schwer ist bzw. unmöglich
>>     zu sein scheint, eine konsensfähige Definition von Gerechtigkeit
>>     zu formulieren.
>>     Eine andere Übersetzung von BGE könnte lauten "_Bi_tte_
>>     G_erechtigkeit _E_inführen".
>>     Ich bin neugierig, ob jemand diese Vorlage aufgreift.
>>
>>     Mit sonnigen Grüßen
>>         Norbert Maack
>>
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