[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Nov 12 20:17:10 CET 2009


Hallo Christiane (und wen's sonst noch interessiert),

Irgendwo habe ich einmal das Zitat gelesen (weiß aber nicht mehr von wem das 
ist und ob es exakt so lautete):
Es ist schon verwunderlich, daß es abertausende Gesetze gibt, die eigentlich 
alle nur das "Gebot der Nächstenliebe" verwirklichen wollen.

Schaut man sich die "Rechtsgrundsätze" von unterschiedlichen Religionen an, 
so deuten sie alle auf dieses "Gebot der Nächstenliebe" hin:
http://pics.livejournal.com/april_draft/pic/0001cd8t

Kurz zusammengefaßt: "Leben und leben lassen". Letztlich ist der (objektive) 
Sinn des Lebens, Leben zu erhalten (oftmals aus Kurzsichtigkeit auf das 
eigene Überleben und seine Nächsten bezogen).

Wobei ich nicht ganz zustimme, ist, daß Gesetze nicht für alle gelten 
können - allein die Naturgesetze (zu denen ich auch die Sterblichkeit zähle) 
zeigen dies. Dir ging's aber wohl eher um Gesetze im rechtlichen Sinn. Dabei 
sind Gesetze eigentlich immer "Grenzen der Freiheit", wobei die menschlichen 
Gesetze eher Gebote (moralischer, ethischer und/oder sittlicher Natur) sind, 
für deren Übertretungen man eigentlich nur dann bestraft wird, wenn man von 
jemandem erwischt wird, der über eine entsprechende Autorität (Form von 
Macht) zur Sanktionierung verfügt. Diese Gebote gelten eigentlich deshalb, 
um dem "wie (zusammen) leben" einen engeren Rahmen und tieferen Sinn zu 
geben, statt die absolute Freiheit mit dem bloßen Sinn der "Lebenserhaltung" 
zuzulassen.

Sprechen wir über Gerechtigkeit, so ist dies nach meinem Verständnis die 
Deckung von individuellem Rechtsverständnis und objektiver Rechtsauffassung 
(was die zeitliche Komponente außer acht läßt - z.B. Menschenopfer der 
Majas). Das gilt auch für Wahrheit, die eine Deckung von individuellem 
Wahrheitsverständnis und objektiver Wahrheitsauffassung (wieder ohne 
zeitliche Komponente) wäre. Will man beides zeitlos machen, bedarf es eines 
"Dritten" (egal wo und wann er lebt), der dem Sachverhalt zustimmt. Diese 
Aufgabe erfüllte einmal "Gott", der früher auch über eine gewisse Autorität 
verfügte (aber mangels abnehmender "Kirchenmacht" enorm einbüßte).

In Bezug auf ein Grundeinkommen sollte mein gefühlter Rechtsanspruch (auf 
ein Grundeinkommen) mit der objektiven Rechtsauffassung verhandelbar sein. 
Erst durch eine Verhandlung kann sich die objektive Rechtsauffassung ändern 
(oder mein Rechtsverständnis). Aber aus dem Grundrecht (Leben) läßt sich ein 
Grundeinkommen nicht ableiten (denn von Geld kann im Allgemeinen kein Mensch 
direkt leben - zu Nahrstoffarm).

Liebe Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org




----- Original Message ----- 
From: "1981klaus-" <1981klaus- at gmx.net>
To: "Debatte Grundeinkommen" 
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Tuesday, November 10, 2009 6:29 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?


Hallo Joerg, Norbert, Andere ...

Gerechtigkeit ist m.E. eine abstrakte Größe, ähnlich der Wahrheit, der
Liebe, dem Sinn ... mit ihnen vergleichbar und auch mit ihnen beschreibbar.
Aber nur immer wieder neu und immer unvollkommen - immer nur als Annäherung.
Es gibt kein berechenbares Maß - kein fertiges - für Gerechtigkeit.
(Was dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall).

Auch die Gerechtigkeit der TauschBörsen, die die Zeit - von der jeder 24
Std. am Tag hat - als Maß nehmen ist nicht vollständig.
Es gibt Menschen die mehr Zeit brauchen, Tätigkeiten, die weniger Zeit
brauchen usw.

Im ersten Rechtseminar im Studium der Sozialarbeit sagte der Dozent und
Richter den berühmten Satz, der sich mir auch in der Praxis ständig
bestätigt:
"Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand."

Den Grund sagt er auch:
Weil Recht und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche Dinge sind.
Bei jedem Akt der Rechsformulierung in §§§ werden Regeln festgezurrt,
die für einige oder viele Fälle gelten mögen - nie aber für alle.
Es muss daher immer das eigene Empfinden geben, den eigenen Maßstab, das
Gewissen meinethalben.

Letztlich sind wir immer verantwortlich - das auf das Kollektiv
umzumünzen ist schwierig, ein Prozess, ein ewiger vermutlich.

Gesetze, die mit einer bestimmten Absicht auf den Weg gebracht werden
kommen oft völlig verändert auf die Welt - weil viele Menschen und
Zeiteinheiten beteiligt sind.
Viele Horizonte und Standpunkte.

Es sind alles (nur) wichtige ! Annäherungen.

Aber das Gespräch dazu ist notwendig.
Das könnte z.B. dauerhaft eingerichtet werden?
So wie das Studium Fundamentale in der Uni Witten Herdecke, das
verpflichtend ist für die Studenten.
Nun ja - beim BGE müssten das die Medien leisten?
Die Regierung?
Zumindest kann  jeder damit anfangen, der es einsieht.

Herzlichen Gruß
Christiane
PS: wie kommst Du auf den Vergleich mit Gazelle und Löwe?
Ich kenne den aus einem anderen (abstrakten) Kontext.






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