[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

1981klaus- 1981klaus- at gmx.net
Di Nov 10 17:29:14 CET 2009


Hallo Joerg, Norbert, Andere ...

Gerechtigkeit ist m.E. eine abstrakte Größe, ähnlich der Wahrheit, der 
Liebe, dem Sinn ... mit ihnen vergleichbar und auch mit ihnen beschreibbar.
Aber nur immer wieder neu und immer unvollkommen - immer nur als Annäherung.
Es gibt kein berechenbares Maß - kein fertiges - für Gerechtigkeit.
(Was dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall).

Auch die Gerechtigkeit der TauschBörsen, die die Zeit - von der jeder 24 
Std. am Tag hat - als Maß nehmen ist nicht vollständig.
Es gibt Menschen die mehr Zeit brauchen, Tätigkeiten, die weniger Zeit 
brauchen usw.

Im ersten Rechtseminar im Studium der Sozialarbeit sagte der Dozent und 
Richter den berühmten Satz, der sich mir auch in der Praxis ständig 
bestätigt:
"Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand."

Den Grund sagt er auch:
Weil Recht und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche Dinge sind.
Bei jedem Akt der Rechsformulierung in §§§ werden Regeln festgezurrt, 
die für einige oder viele Fälle gelten mögen - nie aber für alle.
Es muss daher immer das eigene Empfinden geben, den eigenen Maßstab, das 
Gewissen meinethalben.

Letztlich sind wir immer verantwortlich - das auf das Kollektiv 
umzumünzen ist schwierig, ein Prozess, ein ewiger vermutlich.

Gesetze, die mit einer bestimmten Absicht auf den Weg gebracht werden 
kommen oft völlig verändert auf die Welt - weil viele Menschen und 
Zeiteinheiten beteiligt sind.
Viele Horizonte und Standpunkte.

Es sind alles (nur) wichtige ! Annäherungen.

Aber das Gespräch dazu ist notwendig.
Das könnte z.B. dauerhaft eingerichtet werden?
So wie das Studium Fundamentale in der Uni Witten Herdecke, das 
verpflichtend ist für die Studenten.
Nun ja - beim BGE müssten das die Medien leisten?
Die Regierung?
Zumindest kann  jeder damit anfangen, der es einsieht.

Herzlichen Gruß
Christiane
PS: wie kommst Du auf den Vergleich mit Gazelle und Löwe?
Ich kenne den aus einem anderen (abstrakten) Kontext.










Joerg Drescher schrieb:
> Hallo Norbert und wen's sonst noch interessiert,
>  
> Deine "Übersetzung" (*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen) finde ich 
> prima! Gleidfalls stimme ich zu, gemeinsam einen Gerechtigkeitsbegriff 
> zu entwerfen, der im Konsens von allen getragen werden kann. Vor 
> längerer Zeit hatte ich hierzu einmal vorgeschlagen, ein "Manifest der 
> Gerechtigkeit" zu schreiben, was allerdings auf keine Resonanz stieß. 
> Vielleicht deshalb, weil Gerechtigkeit ein Gefühl ist, das man nicht 
> "manifestieren" kann, sondern im jeweiligen Kontext entsteht. Aber 
> gerade in dieser Kontextabhängigkeit sehe ich eine Chance, da dies 
> immer auf der (menschlichen) Fähigkeit beruht, Gerechtigkeit zu 
> empfinden (ein Löwe, der eine Gazelle erlegt, wird sich kaum darum 
> kümmern, ob das gerecht war oder nicht; andere Gazellen werden 
> ebenfalls nicht darüber nachdenken; aber ein Mensch kann sich die 
> Gerechtigkeitsfrage stellen).
>  
> Was ist allerdings "gerecht" und was ist dabei "verhandelbar"?
>  
> Nehmen wir an, daß "gerecht" eine "Rechtfertigung" 
> (Begründung/Argumentation) ist, so mag dies im Falle des Löwen zwar 
> nicht verhandelbar sein (es liegt in der Natur des Löwen, Gazellen zum 
> eigenen Überleben zu erlegen), doch in Fällen zwischenmenschlichen 
> Zusammenlebens läßt sich sehr wohl nach einer Rechtfertigung fragen: 
> zum Beispiel. weshalb der eine mehr haben/erhalten soll, als ein 
> anderer. Dabei kann man auch Beispiele konstruieren, bei denen sich 
> Rechtfertigungen entziehen: wird der Löwe (oder auch ein Mensch) vom 
> Blitz erschlagen, so bleibt uns die Begründung verborgen. Entsprechend 
> steht "Gerechtigkeit" im Zusammenhang mit "Sinn", der sich uns nicht 
> immer offenbart.
>  
> Wissen wir vom Sinn, so kann das als "gewiss" bezeichnet werden, was 
> "Gerechtigkeit" ins Licht des "Gewissens" rückt. Im Fall des Löwen 
> wird wohl niemand ein "schlechtes Gewissen" haben, aber auch nicht im 
> Fall eines vom Blitz erschlagenen Menschen. In beiden Fällen spielt 
> die Natur den "Täter". Sind wir allerdings selbst handlungsbeteiligt, 
> basiert ein "schlechtes Gewissen" entweder auf der Unfähigkeit, den 
> "Sinn" zu erfassen, oder darauf, daß wir uns bewußt sind, daß der 
> "Sinn" nicht gerecht(fertigt) ist. Nur muß hierzu jemand nach der 
> "Rechtfertigung" einer begangenen oder unterlassenen Handlung fragen 
> (was in manchen Fällen durch die handelnde/unterlassende Person selbst 
> passiert).
>  
> Damit wären wir bei der "Verhandelbarkeit" von "Gerechtigkeit", die im 
> Argumentationsaustausch besteht. So kann ein Mörder sehr wohl 
> glauben/fühlen, seine Tat sei "gerecht" gewesen, indem er Argumente 
> vorbringt, die sein Handeln (aus seiner Sicht) rechtfertigen. Dies 
> kann sogar soweit gehen, daß der Mörder auf keinerlei Gegenargumente 
> eingeht, die seine (aus seiner Sicht) gerechtfertigte Tat begründet. 
> Es gibt in der Geschichte auch Beispiele, die Mörder durch 
> Mehrheitsmeinung stützen (3. Reich, Rote Khmer...). Entsprechend gilt, 
> daß das, was wir heute für "gerecht(fertigt)" halten, nicht zwingend 
> für alle Ewigkeiten als "gerecht(fertigt)" gelten muß. Schließlich 
> erweitern wir auch ständig unser (Ge)Wissen. Deshalb wäre ein 
> "Manifest der Gerechtigkeit" nur auf Basis unseres heutigen Wissens 
> möglich.
>  
> Um aber noch das Gesagte auf das Thema Grundeinkommen zu beziehen, 
> fehlt mir bis heute eine Rechtfertigung, weshalb ich vom Staat ein 
> solches Grundeinkommen für mich fordern kann. Umgekehrt ist es 
> leichter zu argumentieren, warum ich's jedem geben würde. Entsprechend 
> fehlt (zumindest mir) ein gerecht(fertigt)er Anspruch auf ein 
> Grundeinkommen, was eben die angefragte Verhandelbarkeit so schwierig 
> macht. Kurz: Habe ich ein "Recht auf Gerechtigkeit"? Daher kann BGE 
> auch heißen: "*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen"...
>  
> Viele Grüße aus Kiew,
>  
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>
>     ----- Original Message -----
>     *From:* Norbert Maack <mailto:nofrima at t-online.de>
>     *To:* Joerg Drescher <mailto:iovialis at gmx.de>
>     *Cc:* ax at fhochx.de <mailto:ax at fhochx.de> ;
>     debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>     <mailto:debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
>     *Sent:* Saturday, October 31, 2009 3:52 AM
>     *Subject:* Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit
>     verhandelbar?
>
>     Hallo Jörg, Christine und MitleserInnen,
>     Gerechtigkeit ist ein hohes Ideal ebenso wie Freiheit.
>     Wenn man z. B. bei wikipedia nachschaut (
>     http://de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit ) , wird allerdings
>     deutlich, wie unscharf dieser Wert ist.
>     Mit diesem Begriff alleine kommen wir nicht weiter; da müssen wir
>     wohl unseren Gerechtigkeitsbegriff konkretisieren und das halte
>     ich für eine wichtige zu leistende Aufgabe.
>     Möglicherweise  - oder sogar wahrscheinlich - würden wir dabei zu
>     dem Ergebnis kommen, dass selbst unser Grundgesetz nicht mit
>     unserem Verständnis von Gerechtigkeit übereinstimmt.
>     Ich frage mich, weshalb es offenbar so schwer ist bzw. unmöglich
>     zu sein scheint, eine konsensfähige Definition von Gerechtigkeit
>     zu formulieren.
>     Eine andere Übersetzung von BGE könnte lauten "_Bi_tte_
>     G_erechtigkeit _E_inführen".
>     Ich bin neugierig, ob jemand diese Vorlage aufgreift.
>
>     Mit sonnigen Grüßen
>         Norbert Maack
>
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