[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Nov 14 13:35:33 CET 2009


Hallo Norbert (und wen's sonst noch interessiert),

eine Diskussion über das Thema "Gerechtigkeit" kann aus meiner Sicht nicht ohne Definition des Begriffs stattfinden, da sich die Diskussion immer auf etwas undefiniertes beziehen würde. Doch was ist der "Kleinste Gemeinsame Nenner", auf den man sich bei "Gerechtigkeit" einigen könnte? Mir scheint das "Recht auf Leben" als Grundlage für jede Art von Gerechtigkeit geeignet. Selbst in der (belebten) Natur ergibt das bei dem Beispiel mit dem Löwen und der Gazelle Sinn: Das "Recht auf Leben" gibt dem Löwen (aufgrund seiner Natur) das "Recht", die Gazelle zu töten. Da der Löwe allerdings nicht unzählige Gazellen umbringt (aus bloßer Lust am Töten), sondern nur soviele, wie er zum Leben "braucht", erscheint es "gerecht". Aus Sicht der Gazelle wiederum ist das nicht gerecht, denn schließlich hat sie das gleiche "Recht auf Leben". Aber auch sie "tötet", um selbst leben zu können (was gerne vergessen wird, da Pflanzen nicht als "Lebewesen" betrachtet werden). Daraus leitet sich ab, daß das "Recht auf Leben" eine gewisse Hierarchie besitzt, die (z.B. von Manfred) als "Recht des Stärkeren" bezeichnet wird. In der Natur wird allerdings noch aus anderen Gründen getötet: Zur Verteidigung des eigenen Lebens, bzw. der eigenen Art.

Damit wäre die Frage nach einem "gerechten Krieg" beantwortet: Krieg kann dann gerecht sein, wenn es kein anderes Mittel gibt, um das Leben anderer/aller zu schützen (was z.B. den Einsatz in Afghanistan "rechtfertigt", da ein Truppenabzug zur Lebensgefahr vieler unschuldiger Menschen im Land führen würde - womit ich nicht sagen will, daß deshalb Angriffe der "Beschützer" stattfinden dürfen; anderes Beispiel: Attentate auf Diktatoren, die Kriege beabsichtigen).

Die Frage über das Gewaltmonopol eines Staates wirft für mich die Frage nach dem Sinn eines Staates auf. Da man davon ausgehen kann, daß es Menschen gibt, die nicht friedfertig zusammenleben können/wollen, ist ein staatliches Gewaltmonopol dadurch gerechtfertigt, wenn dieses dazu dient, eben solche "unfriedlichen" Streitigkeiten zu schlichten. Das soll heißen: Der Staat tritt als Garant für das "Recht auf Leben" (und davon abgeleitete Rechte) auf - und damit ist Staat und Gerechtigkeit eng miteinander verknüpft. Leider nehmen sich Staaten das Recht heraus, ihr Gewaltmonopol dazu zu verwenden, Gegner zu bekämpfen (der Staat als Gruppe sieht sein "Recht auf Leben" bedroht) oder Interessen zu verfolgen, die nicht dem "Recht auf Leben (aller)" entsprechen. Der "Steuerstaat" zum Beispiel garantiert immer weniger das "Recht auf Leben", sondern besteht hauptsächlich zum Schutz des "Rechts auf Eigentum". Würde im "Recht auf Leben" das "Eigentum" jedes Einzelnen verstanden werden, wäre dagegen nichts zu sagen... Der Staat sollte aber auf keinen Fall versuchen, ein Grundeinkommen dazu zu nutzen, dieses "Eigentum" zu kaufen, um in den Besitz des "Rechts auf Leben" zu kommen (was nur über die Bedingungslosigkeit möglich ist).

Um auf die Ursprungsfrage zurückzukommen: Ist Gerechtigkeit (verstanden als "Recht auf Leben") verhandelbar?

Liebe Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org





  ----- Original Message ----- 
  From: Norbert Maack 
  To: 1981klaus- 
  Cc: Debatte Grundeinkommen 
  Sent: Friday, November 13, 2009 2:41 AM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?


  Hallo Christiane,
  "Zumindest kann  jeder damit (mit dem Gespräch über Gerechtigkeit) anfangen, der es (dass das Gespräch notwendig ist) einsieht. "

  Ich bin dabei. 
  Und halte es für sinnvoll, nicht nach Definitionen zu suchen, wie ich es anfangs vorgeschlagen habe, sondern besser anhand von möglichst konkreten Fragestellungen sich dem Verständnis von Gerechtigkeit zu nähern. 
  Voraussetzung für ein solches Gespräch sollte allerdings sein, dass die TeilnehmerInnen G. für einen hohen und erstrebenswerten Wert halten; anderenfalls wäre es möglich zu sagen, dass man einen bestimmten Sachverhalt zwar für nicht gerecht hält, gleichzeitig aber fatalistisch meinen könnte, dass die Verhältnisse eben so sind, "der Mensch" eben so ist, und überhaupt G. höheren Werten unterzuordnen sei. 

  Also ich beginne mal mit einer grundlegenden Frage, nämlich ob es gerecht ist, dass Menschen/Staaten anderen Menschen/Staaten Gewalt antun, was letztlich der Frage entspricht, ob es gerechte Kriege gibt, bzw. ob ein staatliches Gewaltmonopol gerecht ist. 
  Die entsprechenden Antworten auf viele weitere G.-Fragen leiten sich aus der Antwort auf diese Frage ab. 

  Meine Antwort auf diese Frage ist ein sehr klares Nein. Und dieses Nein bedeutet gleichzeitig, dass ich die Institution des Staates bereits als für nicht kompatibel mit Gerechtigkeit halte. 

  Insofern kann ein Gespräch über Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Staatlichkeit sinnvollerweise nur geführt werden, wenn man ein Mehr oder Weniger an Gerechtigkeit für möglich hält. Dies würde dann dazu führen, dass man sich damit beschäftigen müsste, für wen ein Mehr und für wen ein Weniger an Gerechtigkeit angestrebt werden soll. Und das würde automatisch der Gerechtigkeit widersprechen. Oder kann es gerecht sein, wenn nicht allen Menschen gleiche Gerechtigkeit widerfährt? (2. Frage)

  Die daraus folgende 3. Frage müsste lauten: Ist Gerechtigkeit ein absoluter Wert? Folgt dieser Begriff dem Entweder-oder-Prinzip? Ich neige dazu dieses zu behaupten. Entweder Gerechtigkeit für Alle oder es ist keine Gerechtigkeit, nach dem Motto "Alle sind gleich, aber manche sind eben gleicher" (Orwells animalfarm). 

  Entweder wir streichen also den Begriff Gerechtigkeit aus unserem Wertekanon zugunsten eines höheren Wertes, z.B. Sicherheit (für das Eigentum) die der Staat garantiert, oder wir suchen nach Alternativen Visionen einer entstaatlichten Erde. 

  Starker Tobak?

  Sonnenstrahlen
      Norbert

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