[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Norbert Maack nofrima at t-online.de
Mi Nov 11 01:23:49 CET 2009


Hallo Jörg,
hier habe ich ein interessantes Gespräch mit Prof. Ernst Fehr zum Thema 
"was ist Gerechtigkeit" gefunden: http://www.stefanklein.info/node/232

Mit sonnigen Grüßen
    Norbert

Joerg Drescher schrieb:
> Hallo Norbert und wen's sonst noch interessiert,
>  
> Deine "Übersetzung" (*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen) finde ich 
> prima! Gleidfalls stimme ich zu, gemeinsam einen Gerechtigkeitsbegriff 
> zu entwerfen, der im Konsens von allen getragen werden kann. Vor 
> längerer Zeit hatte ich hierzu einmal vorgeschlagen, ein "Manifest der 
> Gerechtigkeit" zu schreiben, was allerdings auf keine Resonanz stieß. 
> Vielleicht deshalb, weil Gerechtigkeit ein Gefühl ist, das man nicht 
> "manifestieren" kann, sondern im jeweiligen Kontext entsteht. Aber 
> gerade in dieser Kontextabhängigkeit sehe ich eine Chance, da dies 
> immer auf der (menschlichen) Fähigkeit beruht, Gerechtigkeit zu 
> empfinden (ein Löwe, der eine Gazelle erlegt, wird sich kaum darum 
> kümmern, ob das gerecht war oder nicht; andere Gazellen werden 
> ebenfalls nicht darüber nachdenken; aber ein Mensch kann sich die 
> Gerechtigkeitsfrage stellen).
>  
> Was ist allerdings "gerecht" und was ist dabei "verhandelbar"?
>  
> Nehmen wir an, daß "gerecht" eine "Rechtfertigung" 
> (Begründung/Argumentation) ist, so mag dies im Falle des Löwen zwar 
> nicht verhandelbar sein (es liegt in der Natur des Löwen, Gazellen zum 
> eigenen Überleben zu erlegen), doch in Fällen zwischenmenschlichen 
> Zusammenlebens läßt sich sehr wohl nach einer Rechtfertigung fragen: 
> zum Beispiel. weshalb der eine mehr haben/erhalten soll, als ein 
> anderer. Dabei kann man auch Beispiele konstruieren, bei denen sich 
> Rechtfertigungen entziehen: wird der Löwe (oder auch ein Mensch) vom 
> Blitz erschlagen, so bleibt uns die Begründung verborgen. Entsprechend 
> steht "Gerechtigkeit" im Zusammenhang mit "Sinn", der sich uns nicht 
> immer offenbart.
>  
> Wissen wir vom Sinn, so kann das als "gewiss" bezeichnet werden, was 
> "Gerechtigkeit" ins Licht des "Gewissens" rückt. Im Fall des Löwen 
> wird wohl niemand ein "schlechtes Gewissen" haben, aber auch nicht im 
> Fall eines vom Blitz erschlagenen Menschen. In beiden Fällen spielt 
> die Natur den "Täter". Sind wir allerdings selbst handlungsbeteiligt, 
> basiert ein "schlechtes Gewissen" entweder auf der Unfähigkeit, den 
> "Sinn" zu erfassen, oder darauf, daß wir uns bewußt sind, daß der 
> "Sinn" nicht gerecht(fertigt) ist. Nur muß hierzu jemand nach der 
> "Rechtfertigung" einer begangenen oder unterlassenen Handlung fragen 
> (was in manchen Fällen durch die handelnde/unterlassende Person selbst 
> passiert).
>  
> Damit wären wir bei der "Verhandelbarkeit" von "Gerechtigkeit", die im 
> Argumentationsaustausch besteht. So kann ein Mörder sehr wohl 
> glauben/fühlen, seine Tat sei "gerecht" gewesen, indem er Argumente 
> vorbringt, die sein Handeln (aus seiner Sicht) rechtfertigen. Dies 
> kann sogar soweit gehen, daß der Mörder auf keinerlei Gegenargumente 
> eingeht, die seine (aus seiner Sicht) gerechtfertigte Tat begründet. 
> Es gibt in der Geschichte auch Beispiele, die Mörder durch 
> Mehrheitsmeinung stützen (3. Reich, Rote Khmer...). Entsprechend gilt, 
> daß das, was wir heute für "gerecht(fertigt)" halten, nicht zwingend 
> für alle Ewigkeiten als "gerecht(fertigt)" gelten muß. Schließlich 
> erweitern wir auch ständig unser (Ge)Wissen. Deshalb wäre ein 
> "Manifest der Gerechtigkeit" nur auf Basis unseres heutigen Wissens 
> möglich.
>  
> Um aber noch das Gesagte auf das Thema Grundeinkommen zu beziehen, 
> fehlt mir bis heute eine Rechtfertigung, weshalb ich vom Staat ein 
> solches Grundeinkommen für mich fordern kann. Umgekehrt ist es 
> leichter zu argumentieren, warum ich's jedem geben würde. Entsprechend 
> fehlt (zumindest mir) ein gerecht(fertigt)er Anspruch auf ein 
> Grundeinkommen, was eben die angefragte Verhandelbarkeit so schwierig 
> macht. Kurz: Habe ich ein "Recht auf Gerechtigkeit"? Daher kann BGE 
> auch heißen: "*B*itte *G*erechtigkeit *E*inführen"...
>  
> Viele Grüße aus Kiew,
>  
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>  
>
>     ----- Original Message -----
>     *From:* Norbert Maack <mailto:nofrima at t-online.de>
>     *To:* Joerg Drescher <mailto:iovialis at gmx.de>
>     *Cc:* ax at fhochx.de <mailto:ax at fhochx.de> ;
>     debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>     <mailto:debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
>     *Sent:* Saturday, October 31, 2009 3:52 AM
>     *Subject:* Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit
>     verhandelbar?
>
>     Hallo Jörg, Christine und MitleserInnen,
>     Gerechtigkeit ist ein hohes Ideal ebenso wie Freiheit.
>     Wenn man z. B. bei wikipedia nachschaut (
>     http://de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit ) , wird allerdings
>     deutlich, wie unscharf dieser Wert ist.
>     Mit diesem Begriff alleine kommen wir nicht weiter; da müssen wir
>     wohl unseren Gerechtigkeitsbegriff konkretisieren und das halte
>     ich für eine wichtige zu leistende Aufgabe.
>     Möglicherweise  - oder sogar wahrscheinlich - würden wir dabei zu
>     dem Ergebnis kommen, dass selbst unser Grundgesetz nicht mit
>     unserem Verständnis von Gerechtigkeit übereinstimmt.
>     Ich frage mich, weshalb es offenbar so schwer ist bzw. unmöglich
>     zu sein scheint, eine konsensfähige Definition von Gerechtigkeit
>     zu formulieren.
>     Eine andere Übersetzung von BGE könnte lauten "_Bi_tte_
>     G_erechtigkeit _E_inführen".
>     Ich bin neugierig, ob jemand diese Vorlage aufgreift.
>
>     Mit sonnigen Grüßen
>         Norbert Maack
>
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