[Debatte-Grundeinkommen] Grundrente

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mi Jun 3 19:03:49 CEST 2009


Hallo zusammen,

vor kurzem habe ich mit einem befreundeten Rechtsanwalt, der in der DDR aufgewachsen ist, übers BGE geredet Ich schätze ihn sehr für sein Gerechtigkeitsempfinden, was auch in diesem Gespräch zum Ausdruck kam. Er sieht zwar die ganzen Probleme in der Sozialversorgung, besteht aber auf den Gerechtigkeitsanspruch, daß Leute, die etwas von einer Gemeinschaft (bedingungslos) verlangen, auch etwas an die Gemeinschaft (bedingungslos) zurückgeben sollen. So unrecht will ich ihm in diesem Fall gar nicht geben.

Aus dem Gespräch entwickelte sich das Konzept einer Grundrente, das im Prinzip der Idee des "Bedingungslosen Grundeinkommens" insoweit ähnlich ist, als daß es die Kriterien des BGEs "aufweicht". Das bedeutet konkret:

Es gibt ein "Bedingungsloses Grundeinkommen", das in seiner Höhe wirklich nur das nötigste abdeckt (besser als "garantiertes Minimum" zu verstehen); wer allerdings eine Zeit lang "gesellschaftsrelevante Arbeiten" leistet (z.B. für zwei Jahre), erwirbt damit den Anspruch auf eine Grundrente, die höher liegt, als dieses "Minimum". Wer keine Lust hat, "gesellschaftsrelevante Arbeit" zu leisten, kann sich in der freien Wirtschaft versuchen, muß allerdings selbst für seine Rente sorgen - was er immer hat: sein "Minimum".

Einerseits hat dieses Auszahlungsmodell den Effekt, daß Menschen wirklich mit der Arbeitswelt in Berührung kommen und auch einmal lernen, was "Arbeit" heißt. Andererseits wird die große Angst etwas beiseite geschoben, daß Dinge nicht mehr gemacht werden, weil sich niemand dafür findet, aber die "gesellschaftlich relevant" sind (z.B. Müllabfuhr, Straßenkehren usw.). Zudem kann derjenige bei der "gesellschaftsrelevanten Arbeit" seine eigenen Fähigkeiten kennen lernen und kommt mit den Belangen der Gesellschaft in Berührung. Der "Erziehungseffekt" ist gleichzeitig, daß einer Leistung eine Vorleistung vorausgeht - daß Nehmen und Geben in Einklang stehen sollte.

Jene, die ihre "gesellschaftlichen Pflichtjahre" hinter sich gebracht haben (was es übrigens heute in Form von Bundeswehr oder "Zivildienst" für Männer in Deutschland schon gibt), können danach mit einer Grundrente tätig werden (das gibt's heute nicht) - diese entspricht im Prinzip dem, was unter "Bedingungsloses Grundeinkommen" verstanden wird (mit der Vorbedingung, der Gesellschaft etwas zu leisten). Diese Zeit hat außerdem den Effekt, wie sie in totalitären Regiemen genutzt wurden (z.B. bei der HJ, FDJ oder "Pioniere"...), um den Gemeinschaftssinn zu fördern. Wer geht schon freiwillig zu den Pfadfindern, wenn die Eltern diese Erfahrung nicht selbst gemacht hätten?

Hintergrund dieser Gedanken ist, weil ich immer mehr zu dem Schluß komme, daß Menschsein eine Sache der Erziehung und Bildung ist. Wer lernt, mit seiner Freiheit umzugehen, kann wirklich frei werden. Und es ist Aufgabe einer Gesellschaft, so mein Fazit, diesen (Selbst)Lernprozess in Gang zu bringen - eine alleinige, vor allem bedingungslose Auszahlung eines Grundeinkommens, halte ich inzwischen für den falschen Weg, wenn nicht begleitende (auch bedingte) Maßnahmen daneben stehen.

Über Meinungen freue ich mich natürlich,

viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
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