[Debatte-Grundeinkommen] Ja - der Blick auf das Wesentliche ist notwendig/Die Galbraiths

Robert Zion zion at robert-zion.de
Mo Feb 23 11:30:30 CET 2009


Lieber Karl, liebe Mitdiskutierende,

je mehr sich der Charakter der Krise zeigt desto mehr bin ich der Ansicht, dass die kurz-, mittel und langfristigen Lösungen nur grundlegend sein können. Dabei würde ich mehr auf die US-Ökonomen James und John Kenneth Galbraith setzen als stur auf Keynes.

Was die Banken betrifft, hat James Galbraith kürzlich gefordert: Spareinlagen von Staats wegen sichern, Banken insolvent gehen lassen, Führungen austauschen, Bank restrukturieren und als stinknormale Geschäftsbank neu gründen (bei uns beträfe dies zunächst die Hypo Real Estate, die Dresdner Bank und die Commerzbank). Desweiteren: Aufhebung des Bankgeheimnisses, Verbot von Zweckgesellschaften und entsprechenden Geschäften außerhalb der Bilanzen, Verbot all jener strukturierten Finanzprodukte, die die Krise ausgelöst haben, strikte Regulierung von Hedgefonds.

Die Politik muss sich als oberstes Prinzip die Transparenz und demokratische Kontrolle des Finanzwesens auf die Fahnen schreiben. Die politische Macht der Deutschen Bank, gegen die bisher hierzulande keine Politik gemacht werden konnte, ist zu brechen; eine Aufgabe, die ähnlich schwierig sein wird, wie die Zerschlagung des Oligopols der Energieriesen. Wenn Banken systemrelevant sind und deshalb der Staat für diese in letzter Konsequenz mit seiner Substanz bürgt und sie damit der üblichen Marktbereinigung entzieht, dann haben wir eben keine Marktwirtschaft, sondern Stamokap (Staatsmonopolkapitalismus).

Das gleiche gilt für die sogenannten Schlüsselindustrien. Die ganze Diskussion um Opel ist doch grotesk. Statt zu retten, was ohnehin nicht mehr zu retten ist (da empfehle ich die Lektüre des aktuellen Spiegel) und damit den Strukturwandel auszubremsen und sich die Staatsverschuldung und Probleme von morgen zu organsieren, muss jetzt das Geld massiv in die Umstellung der Wertschöpfungsbasis investiert werden, wie es im Beschluss von Erfurt steht (nach einem übernommenen Änderungsantrag von mir): "Wir wollen daher die Chance, die in einer solch schwerwiegenden Krise auch steckt, mit unserem grünen New Deal jetzt nutzen, einen schrittweisen Wandel unserer Wertschöpfungsbasis hin zu einer humanen und ökologischen Wirtschaft zu erreichen: Bildung, Soziales und öffentliche Güter, Gesundheit und Pflege, ökologische Dienstleistungen und Produkte, Kultur und Wissenschaft."

Da kommt dann ein weiterer Faktor ins Spiel. Wie es scheint, will Obama tatsächlich einen Grünen New Deal, d.h. die massive Transformation der US-Ökonomie in eine sozial-ökologische Richtung. Dazu unten ein Artikel aus der FTD. Bemerkenswert daran ist vor allem, die Orientierung an dem Gedanken John Kenneth Galbraiths: Die Überwindung der öffentlichen Armut.

Was der Staat jetzt dauerhaft stützen muss, ist weder das überkommene Bankensystem noch die untergehenden fordistischen Schlüsselindustrien, sondern den Bürger -und zwar mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Erst ein solches ermöglicht auch ordnungspolitisch die Transformation in eine Wissens- und Dientsleitungsgesellschaft und das Entstehen der neuen Humansektoren (Arbeit von Menschen für Menschen) und öffentlicher Güter, weil diese keineswegs über das klassische Normarbeitsverhältnis organisiert werden können.

Prinzipiell stellt sich doch die Frage: Wollen wir tatsächlich Klientelpolitik nach Tagesgespräch und dem medialen Geschwätz machen ("Wir müssen dies und das retten retten wegen der Arbeitsplätze"), oder sagen wir endlich was Sache ist und weisen endlich auf die Alternative hin: Entweder ein ähnlich gewaltsamer Prozess der Deindustriealisierung wie in den angelsächsischen Staaten oder ein bewusst gestalteter Transformationsprozess, der auf das hinausläuft, was wir ja bereits einen "neuen Gesellschaftsvertrag" nennen. 

Die Sozial- und Wirtschaftsordnung nach der Krise wird entweder die Gleiche wie vor der Krise sein (und dann könnten der nächste boom und der nächste bust endgültig die Demokratie hinwegfegen) oder eben eine andere, jenseits der kapitalistischen Prämissen, die allesamt einem Denken, einem Naturverhältnis und Wirtschaften des 19. Jahrhunderts entstammen.

Ein weitere Gedanke treibt mich derzeit auch um: die Frage der Legitimation einer neuen Sozial- und Wirtschaftsordnung. Denn ein neuer Gesellschaftsvertrag verlangt auch einen neuen Grundkonsens, einen neuen "Gemeinwillen", um mit Rousseau zu sprechen. Diese ist meiner Ansicht nach nur über Plebiszite herzustellen, denn bisher sind es immer noch die Minderheiten der Geld- und Funktionseliten, die die politischen und medialen Diskurse und auch die Parteien in unserem repräsentativen System okkupiert haben.  

Wir Grünen sollten uns jetzt möglich schnell also Gedanken über unsere ordnungspolitischen Prinzipien in den gegenwärtigen und anstehenden Debatten machen - sonst werden wir in den kommenden Wahlen unser blaues Wunder erleben - wir kommen ja jetzt schon nicht vor (stattdessen wird jetzt aus der Parteispitze versucht, uns die Ampel schmackhaft zu machen. Und die Botschaft, die damit ausgesendet und auch genau so ankommen wird, entspricht ja genau der Intention dieses Vorstoßes: Die wollen nur noch regieren. Ich will aber nicht wissen, dass und mit wem wir regieren wollen, sondern zunächst einmal warum!). Bezüglich der ordnungspolitischen Prinzipien, sind die fünf Prinzipien, die bereits hier und hier formuliert wurden, im Übrigen nicht die Schlechtesten:

  . DEMOKRATIE (partizipativ): Demokratie geht vor Wirtschaft und muss auf diese ausgeweitet werden.

  . WIRTSCHAFTSORDNUNG (offen): Die internen Regeln der Wirtschaftsordnung selbst in ihren Mischformen müssen immer Ergebnis und nicht gesetzter Ausgangspunkt der Demokratie sein.

  . ORDNUNG DER WIRTSCHAFT (ordnungspolitisch): Die äußeren demokratisch-rechtsstaatlichen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftens müssen jederzeit demokratisch transparent und beeinflussbar sein.

  . NACHHALTIGKEIT (durchhaltbar): Nichts darf der Natur entnommen werden, was ihr nicht im Sinne einer naturgrundlagengebundenen Kreislaufwirtschaft wieder zurückgegeben werden oder was sie nicht selbst erneuern kann.

  . GERECHTIGKEIT (solidarisch): Verteilungsgerechtigkeit bleibt nach wie vor Bedingung der Möglichkeit von Teilhabe-, Chancen-, Zugangs-, und Geschlechtergerechtigkeit.



Liebe Grüße

Robert


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Robert Zion Vorstandssprecher
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Kolumne
Christian Schütte - Der Galbraith-Moment
von Christian Schütte
In Washington ist Wunschkonzert. Das Stimulusprogramm wird auch der Einstieg in eine dauerhaft größere Rolle des Staates. Aber für die Konjunktur bringt es zu wenig.

Es war immer klar, dass das neue amerikanische Konjunkturpaket eine gigantische Wette sein wird. Das aktuelle Wechselspiel zwischen dem Crash eines überzüchteten Finanzsystems und dem weltweiten Absturz der Realwirtschaft ist historisch ohne Beispiel. 

Wer da auf die Schnelle einige Hundert Milliarden Dollar Staatsgeld in die Schlacht wirft und das US-Haushaltsdefizit in Richtung eines Zehntels der gesamten Wirtschaftsleistung treibt, der braucht neben dem Vertrauen in John Maynard Keynes eben auch ein ordentliches Stück Gottvertrauen. Es gibt gute Argumente für einen solchen Versuch, eine neue Große Depression abzuwenden - verlässliche ökonomische Modelle und erfolgreiche Vorbilder dafür gibt es aber nicht. 

Das 780-Mrd.-$-Paket, auf das sich die Parlamentarier in Washington nun einigen wollen, ist allerdings noch viel riskanter, als ohnehin unvermeidlich wäre. Denn der geistige Vater dieses Pakets heißt in weiten Teilen nicht John Maynard Keynes, sondern John Kenneth Galbraith. 

Angriff auf die "öffentliche Armut"
Was der Kongress beschließen wird, ist nicht nur ein kurzfristiger keynesianischer Konjunkturkick, mit dem der Staat vorübergehend eine riesige Nachfragelücke auszufüllen versucht. Es ist in weiten Teilen auch der Einstieg in eine dauerhaft größere Rolle des Staates, der Versuch, eine empfundene strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte und der öffentlichen Dienste zu korrigieren. 


Der populäre Politökonom Galbraith, der einst als Wirtschaftsberater unter demokratischen Präsidenten von Franklin D. Roosevelt bis John F. Kennedy diente, prägte für diese Unterfinanzierung einmal die Formel von der "öffentlichen Armut", die in den USA einem geradezu obszönen "privaten Reichtum" gegenüberstehe. Viele Demokraten im Kongress und in der Regierung von Barack Obama sehen offenbar nun eine Art Galbraith-Moment gekommen, in dem der Staatsanteil endlich dauerhaft ausgeweitet werden muss. 

Eine griffige Formulierung von Rahm Emanuel, dem Stabschef des neuen Präsidenten, macht die Runde: "A crisis is a terrible thing to waste - es wäre zu schade, eine Krise einfach ungenutzt verstreichen zu lassen." 

Der politische Preis für dieses Ziel ist vergangene Woche schnell deutlich geworden. Während es für keynesianische Ideen seit Langem auch bei den Republikanern Unterstützung gibt, führte die Galbraith-Strategie direkt in den Grabenkampf der Lager hinein. Das Konjunkturpaket, das nicht der Präsident zusammengestellt hatte, sondern die Führung seiner Parteifreunde im Kongress, wurde von der eigentlich recht zerstrittenen Opposition erst einmal geschlossen abgelehnt. 

Es bestehe nur zu zehn Prozent aus Wirtschafts- und zu 90 Prozent aus Sozialpolitik, ätzt das liberal-konservative "Wall Street Journal". Barack Obama, der als ruhiger, überparteilicher Versöhner einen neuen Stil in Washington versprochen hatte, griff die Gegner des Pakets vergangene Woche in einer geradezu wütenden Rede an. 

Noch viel wichtiger ist aber, dass der Geist von Galbraith auch den ökonomischen Effekt dieses Stimulus gefährdet. Als wichtigste Kriterien für ein wirksames Konjunkturpaket galten bislang allgemein die "drei T" - es müsse "timely, temporary, targeted" sein, also schnell, befristet und gezielt. 

Wer allerdings die Rolle des Staatssektors nachhaltig stärken will, dem ist Schnelligkeit nicht so wichtig, Befristung eher lästig und Zielgenauigkeit oft etwas völlig anderes als die Maximierung eines Nachfrageeffekts. 

Entsprechend ungeeignet für die Konjunkturbelebung sind etliche Teile des Pakets. Nach einer ersten Analyse des unabhängigen Congressional Budget Office wird nur knapp ein Zehntel der geplanten Staatsausgaben noch im laufenden Jahr abfließen. Mehr als die Hälfte der Ausgaben ist erst ab 2011 vorgesehen. 

In der verqueren Ausrichtung zeigt sich letztlich auch ein tieferes Problem aller Versuche keynesianischer Politik. In einer Nachfragekrise gibt es Staatsleistungen zeitweise zu einem volkswirtschaftlichen Schnäppchenpreis: Wo die Arbeitskräfte ohnehin nichts zu tun haben und das Kapital ohnehin nicht investiert wird, verdrängen staatliche Nachfragemilliarden keinerlei private Aktivität. Sie rufen vielmehr zusätzliche Wirtschaftsleistung hervor. 

Rechnet man hinzu, dass die Staatsausgaben weitere Käufe auslösen, dann finanziert sich manches schon fast von selbst. Die Regierung Obama etwa argumentiert mit einem Multiplikator von rund 1,8. Jeder Dollar kreditfinanzierter Staatsausgaben soll 1,80 $ zusätzliches Bruttoinlandsprodukt (BIP) auslösen.

Teil 3: Verzicht auf Kosten-Nutzen-Analysen
So wird ein Stimulus zum vernünftigen Geschäft für den Finanzminister, jede Frage nach Befristung und nach Kosten-Nutzen-Analysen der Projekte erübrigt sich. Keynes selbst spöttelte einmal, der Staat müsse einfach nur Flaschen mit Geld ein- und ausgraben lassen. 

Völlig klar ist aber auch, dass dies nur in wenigen Extremsituationen gilt. Unter normaleren Bedingungen sind Projekte der Marke Flaschenbuddeln eben kein Wachstumsmotor, sondern Vernichtung von Wohlstand. 

Es wird langfristig sehr teuer, wenn die Politik ungehemmt "Schubladenprojekte" abruft, die oft gerade deshalb in der Schublade liegen, weil sie sich eigentlich nicht rechnen. Das klassische Beispiel dafür ist Japan, das seit Anfang der 90er-Jahre mit hohen Ausgaben gegen die Flaute kämpft. Riesenbeträge landeten so in absurden Bauprojekten, mit denen vor allem die Klientel der Regierungspartei bedient wurde. Dafür wurden Staatsschulden aufgehäuft, die bald 180 Prozent des BIP erreichen. 

Übrigens sah schon Keynes in seinen späteren Jahren solche Projekte mit Skepsis. Die seien vielleicht gut gegen chronischen Nachfragemangel, notierte er 1942. "Aber sie sind nicht schnell genug zu organisieren (und vor allem später nicht zurückzudrehen und abzuschaffen), um das geeignetste Mittel zur Verhinderung von Konjunkturschwankungen zu sein." 

Christian Schütte ist FTD-Kommentarchef. 

Aus der FTD vom 09.02.2009
© 2009 Financial Times Deutschland
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