[Debatte-Grundeinkommen] Schon wieder versprochen - Die SPD und der Tag der Arbeit

Robert Zion zion at robert-zion.de
Fr Mai 2 19:03:00 CEST 2008


Schon wieder versprochen
 
In ihrem Aufsatz in der Sueddeutschen Zeitung zum 1. Mai folgen Frank-Walter Steinmeier und Kurt Beck (SPD) Wirtschaftsminister Glos (CSU) nach und versprechen die Vollbeschäftigung - und dokumentieren damit nur einmal mehr den Niedergang der Sozialdemokratie. 
 
Wenn die zwei designierten Kanzlerkandidaten der SPD zum Tag der Arbeit über die Zukunft derselben einen Aufsatz veröffentlichen, dann ist dies keine Kleinigkeit. Hier geht es schlicht um eine der Kernfragen, die das historische Projekt der Sozialdemokratie stets mit ausgemacht hat und die sie, will sie den Umbruch in eine postindustrielle Gesellschaft überleben, neu beantworten muss. Aber die Antwort, die die beiden um die Führung der SPD ringenden Spitzenvertreter ihrer Flügel gemeinsam noch geben können, ist mehr als ernüchternd. Es ist schon wieder ein Versprechen - durchaus im doppelten Wortsinn zu verstehen.
 
Die Botschaft lautet, dass nach New Labour dank der SPD jetzt Good Labour kommen würde - und zwar für alle: "Die Anstrengung hat sich für das Land und die Menschen ausgezahlt. An diesem 1. Mai, nach knapp zehn Jahren sozialdemokratischer Gestaltung in der Bundesregierung, können wir mit einigem Stolz sagen, dass wir die Wende zum Besseren geschafft haben. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf gut 3,5 Millionen gesunken. Wir sehen sogar gute Chancen, in diesem Jahr zum ersten Mal im vereinten Deutschland wieder eine ,Zwei' vor dem Komma zu erreichen. (...) Gestärkt durch die Erfolge, sagen wir jetzt: Wir wollen die Arbeitslosigkeit nicht nur bekämpfen - wir wollen sie besiegen. Unser Ziel für das nächste Jahrzehnt ist: Vollbeschäftigung in Deutschland zu guten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen."
 
Der Wahrheits- und Plausibilitätsgehalt dieser forschen Eigenwerbung ist ungefähr so hoch, wie der Umfragewert der SPD. Laut Forsa liegt dieser derzeit bei 23 Prozent. Machen wir doch einmal eine andere Rechnung auf, benutzen wir die Statistik also nicht als Politikum, sondern verstehen wir sie doch einfach als möglichst präzise Entscheidungsgrundlage für die Politik. Demnach sind laut Bundesregierung von den 2007 durchschnittlich 6,348 Millionen Beziehern von Arbeitslosengeld I (Alg I) und Arbeitslosengeld II (Alg II) 3,135 Millionen (49 Prozent) nicht in der Arbeitslosenstatistik registriert. Dagegen sind insgesamt 3,213 Millionen (51 Prozent) arbeitslos gemeldet gewesen, so die Regierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion. Außer den Leistungsempfängern habe es noch 686.000 Arbeitslose gegeben, die keine Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Von den durchschnittlich 1,092 Millionen Alg-I-Empfängern im Jahr 2007 seien 26 Prozent nicht in der Arbeitslosenstatistik aufgetaucht - schreibt die Regierung. 225.000 der Alg-I-Bezieher fielen unter die so genannte 58er-Regel, 25.000 der nicht als arbeitslos geführten Personen hätten an einer Trainingsmaßnahme teilgenommen, 26.000 seien arbeitsunfähig erkrankt und 16.000 seien vermindert leistungsfähig gewesen.
 
Kriterien für die Aufnahme in die Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit sind die Arbeitslosmeldung, die Beschäftigungslosigkeit und die Verfügbarkeit. Danach würden etwa Personen, die arbeitsunfähig erkrankt oder dauerhaft erwerbsgemindert sind, nicht als arbeitslos gezählt, "weil sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen". Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, waren von den im Jahr 2007 durchschnittlich 5,329 Millionen Alg II-Empfängern 2,473 Millionen (46 Prozent) als arbeitslos registriert und 2,856 Millionen (54 Prozent) nicht als arbeitslos registriert. Eine Zuordnung zu bestimmten Gruppen sei bisher statistisch nur annäherungsweise möglich. Zur Gruppe der erwerbstätigen Hilfebedürftigen ("Aufstocker") mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von mehr als 400 Euro zählten demnach 524.000 Personen. Der Gruppe der "Ein-Euro-Jobber" und Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen wurden demnach 418.000 der als nicht arbeitslos registrierten Alg-II-Bezieher zugeordnet. Ferner seien 484.000 unter-20-jährige und 312.000 über-58-jährige Alg-II-Empfänger statistisch nicht als arbeitslos geführt worden.
 
Summa summarum: 8.086.000. Nun mögen es je nach Zählung ein bisschen weniger oder ein bisschen mehr sein. Doch darauf kommt es nicht wirklich an. Worauf es ankommt, ist, dass die Sozialdemokratie den gewaltigen Umbruch unserer Arbeitsgesellschaft schön- und sich dabei gegenwärtig selbst endgültig um Kopf und Kragen redet. Die einzige statistische Zahl, die dem gemäß für Steinmeier und Beck wirklich ein Politikum sein und deren Wahrheitsgehalt sie sehr ernst nehmen sollten, ist die von Forsa ermittelte 23. So hängen weit über hundert Jahre sozialdemokratische Identität und Kampf für menschenwürdige Arbeit in der Industriegesellschaft nunmehr wie ein schwerer Fels am Bein einer SPD, die keinen Schritt vorwärts kommt. Ein Fels, der sie nun im Strudel eines in der Seele der Sozialdemokratie noch nicht angekommen Modernisierungsprozesses mit in den Abgrund zu ziehen droht. Steinmeier und Beck glauben sich an diesem Fels festhalten zu müssen.
 
Die SPD hat sämtliche linken Diskurse über den postindustriellen Wandel der Arbeit hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft glatt verschlafen. Eine Sozialdemokratie aber, die einen falschen Arbeitsbegriff hat, hat gar keinen mehr. Die Partei überaltert folglich, nicht nur demografisch in den Unterbezirken und Ortsverbänden, sondern auch konzeptionell. Die Antwort, die Gerhard Schröder und Tony Blair 1999 (im Schröder-Blair-Papier) mit New Labour noch geben konnten, lautete: "Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit." Der protestantische Arbeitsethos, von dem einst Max Weber sprach, sitzt tief. Und nachdem mit der Agenda2010 ein guter Teil dieses Programms umgesetzt wurde, lautet die Antwort, die Steinmeier und Beck noch geben können: Mindestlöhne. Dies wirkt nicht nur wie eine nachträgliche Rechtfertigung der erfolgten Teilumwandlung von Massenarbeitslosigkeit in Arbeitsarmut, es ist auch so gedacht.
 
De facto wird es ohnehin eine Rückumwandlung werden. Dass nämlich die Arbeitgeber in den unteren Segmenten ihre Arbeitnehmer schlichtweg nicht über deren Produktivität entlohnen können, vor dieser ernüchternden ökonomischen Tatsache wird auch der Zweckoptimismus der beiden SPD-Granden nicht lange hinwegtäuschen können. Es sei denn, die Einführung flächendeckender Mindestlöhne würde tatsächlich zu einer massiven Zurückverteilung vom Faktor Kapital zum Faktor Arbeit führen und der verteilungsneutrale Spielraum tatsächlich wieder annähernd erreicht. Wer's glaubt wird selig - und hätte damit der sozialdemokratischen Seele bestenfalls noch ein letzte Schonfrist eingeräumt. Man ist schon fasst versucht, ihnen daher die Worte des leider verstorbenen Peter Glotz hinterher zu rufen: "Zwar war ich nie das, was man in meiner Jugend mit dummem Stolz einen 'Marxisten' genannt hat. Ein Element der marxistischen Lehre habe ich aber immer für richtig gehalten: Es macht keinen Sinn, gegen ökonomische Gesetzlichkeiten anzugreinen." Stattdessen ist es die von Glotz diagnostiziere "beschleunigte Gesellschaft", die die Sozialdemokratie gegenwärtig überholt.
 
Und so warten wir dann weiter auf den ersten Sozialdemokraten seit Willy Brandt mit Format. Auf den ersten, der einen neuen Ethos formuliert und sagt: "Über zwanzig Jahre falsche Versprechen sind genug. Die Zeit der industriegesellschaftlichen Normarbeit für alle ist ein für allemal vorbei. Der Markt nimmt nicht mehr alle zu für uns würdigen Bedingungen in seinem Korb auf. Wir brauchen in dieser Gesellschaft neue Anerkennungs- und Entlohnungsformen für Arbeit. Darum müssen und können wir mehr Freiheit wagen, ein Grundeinkommen und einen gemeinwohlorientierten Sektor". 
 
 
Robert Zion, 01. Mai 2008
 
 

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