[Debatte-Grundeinkommen] BGE-Konzept von Götz Werner

Roland Müller webmaster at muendiger-buerger.de
Mi Mär 19 23:13:26 CET 2008


Hallo Eckard,
 
da Deine Mail eher ein Statement ist, aber nicht als Diskussionsgrundlage
dienen soll, werde ich mich mit meiner Antwort kurz fassen, und nicht auf
Details eingehen. 
Zunächst empfehle ich, das Buch von Götz Werner, "Einkommen für alle" zu
lesen. Dort wird auf die meisten Deiner Fragen eingegangen.
 
Da ich selbst (Klein)unternehmer bin, möchte ich aber auf den Vorwurf
eingehen, dass Unternehmer nur deshalb das Bedingungslose Grundeinkommen
unterstützen, weil sie sich dadurch die Taschen noch voller wirtschaften
können.
Götz Werner und Hasso Plattner gehören zu den vermögendsten Deutschen. Götz
Werner ist ein Anhänger der antroposophischen Lehre und Hasso Plattner
engagiert sich seit vielen Jahren als Mäzen und Unterstützer von humanitären
Projekten. Beide sind hoch angesehen und für mich über den Verdacht der
persönlichen Bereicherung erhaben.
Die Forderung nach Streichung der Besteuerung von Erträgen und Einkommen mag
auf den ersten Blick anrüchig wirken. Wer aber jemals ein Unternehmen
gegründet hat und erfahren mußte, wie viele Steuern er nicht nur auf
erwirtschaftete Gewinne, sondern auch im Voraus auf zu erwartende Gewinne
abführen mußte, der weiß, wie schnell ein Unternehmensgründer dadurch in die
tiefroten Zahlen rutschen kann. Es ist nicht sinnvoll, wenn Unternehmen
Kapital aus dem Betrieb als Steuer abführen muss, zu einem Zeitpunkt, da das
Kapital noch für die Produktion benötigt würde.
Die Einkommensbesteuerung führt dazu, dass "Gestaltungsspielräume" gesucht
und natürlich auch gefunden werden. Das wird allgemein als ungerecht
empfungen. Bei der Konsumbesteuerung hingegen, ist eine Steuerflucht nicht
möglich. Wer konsumiert, zahlt automatisch Steuern. "Gerechtigkeit" könnte
dadurch geschaffen werden, dass eine Progression entsprechend eines
Luxusfaktors eingeführt wird. Wer es sich leisten kann, einen Ferrari für
380.000,- Euro zu kaufen, kann problemlos auch noch ein- oder
zweihunderttausend Euro mehr bezahlen. Hier haben die Politiker mein volles
Vertrauen, die kriegen das sicher hin.
Ich möchte jetzt nicht auf weitere Details wie die möglichen Auswirkungen
auf Löhne, Preise, und Steuern eingehen, das würde den Rahmen einer
Mailingliste sprengen.
Eine letzte Bemerkung sei mir noch gestattet. Bedenken, wie Du sie hier
vorträgst, zeigen, wie notwendig es ist immer wieder über dieses Thema zu
sprechen. Diese und weitere Bedenken wurden uns anerzogen, um nicht zu sagen
antrainiert. "Ohne Fleiß kein Preis", "Arbeit macht frei" oder "Sozial ist,
was Arbeit schafft" sind geflügelte Worte, die die herrschenden Ansichten
verdeutlichen.
Es unverzichtbar, den eigenen Kopf von diesen Bedenken freizuräumen. Es ist
Zeit für eine neue Sicht der Dinge.
 
Herzliche Grüße,
Roland (Müller)
 
 
 

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de
[mailto:debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de] Im Auftrag
von "Eckhard Rülke"
Gesendet: Dienstag, 18. März 2008 19:39
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] BGE-Konzept von Götz Werner



Liebe BGE-Enthusiasten,

bei Vielem, was hier geschrieben wird, bin ich selbst unsicher. Zu einem
aber habe ich inzwischen eine feste Meinung. Und das ist Herr Professor Götz
Werner. Da sein BGE-Konzept immer wieder angesprochen wird, möchte ich etwas
dazu sagen.



Vorgeschichte: Während der Mündener Gespräche der Sozialwissenschaftlichen
Gesellschaft im Sommer 2006 gab es einen Vortrag von einem Herrn André
Presse, seines Zeichens PR-Beauftragter am Institut des Herrn Prof. Werner,
und anschließende Biertischdiskussion.

Daraus zwei verschiedene Fakten: 

1. Wenn man bei gegebener Wirtschaftslage (2006) die Mehrwertsteuer um 1%
erhöht und diese zusätzliche Einnahme gleichmäßig auf alle Bundesbürger
verteilen würde, bekäme jeder pro Monat 8,-€ ausgezahlt. – laut Aussage Herr
Presse von seinem Institut so berechnet.

2. Der Professor Götz Werner – im richtigen Leben Chef der Drogriemarktkette
DM – leitet ein extra für ihn und sein Projekt geschaffenes Institut an der
Universität in Karlsruhe, welches eigentlich gar kein Institut der Uni,
sondern privat finanziert ist. Und zwar in der Hauptsache von dem bekannten
und international besonders erfolgreichen Softwarekonzern SAP. – Da frage
ich mich schon mal: Was treibt die von ihren Aktionären bezahlten und deren
Profitwachstum verpflichteten Manager von SAP dazu, Geld für ein Projekt zur
Stärkung der kleinen Leute auszugeben? 

Entsprechend vorgewarnt besuchte ich einen der vielen öffentlichen Auftritte
des Herrn Götz Werner persönlich.

 

Mein Urteil: Der Mann ist sicherlich ein begnadeter Redner, der auch große
Versammlungen in seinen Bann zieht und dabei Botschaften geschickt rüber
bringt. Aber wenn man es schafft, das ganze Drumrumgerede auszublenden und
nur auf die Fakten zu hören, fällt es wie Schuppen von den Augen: Der Mann
ist ein Trittbrettfahrer, der in Wirklichkeit genau das Gegenteil
propagiert.

Sein Konzept in Kurzform:

1.	Als erstes und unbedingt müssen alle Steuern und Abgaben auf alle
Arten von Einkommen abgeschafft werden! 

2.	Die einzige „gerechte“ Steuer ist die Mehrwertsteuer. Die wird
soviel erhöht, dass die Einnahmen für alles zu finanzierende reichen. 

3.	BGE für alle in Höhe von 1500,-€ pro Monat, bezahlt aus der erhöhten
Mehrwertsteuer

Von Punkt 3 sind alle begeistert und das wird ausführlich besprochen.
Weitere konkrete Zahlen gibt’s nicht. Auf Anfragen wird praktisch nicht
eingegangen.



Das heißt: Wenn 1% Mwst-Erhöhung 8,-€ BGE ergibt, bräuchte man für 800,-€
BGE eine Mwst-Erhöhung von 100%. 

Für die angestrebten 1500,-€ müsste die Mwst um fast 200% erhöht werden. Im
Klartext: Alle Waren würden dann fast dreimal soviel kosten wie jetzt.

Kann sich jeder selbst ausrechnen, was er dann noch kaufen könnte und was
die 1500,-€ BGE dann noch wert sind. Ob langsam und schrittweise eingeführt
oder nicht – der Gesamtumsatz wird zwangsläufig sinken. Bei weniger Umsatz
wird auch weniger Mwst eingenommen. Zur Finanzierung des BGE müsste der
Prozentsatz der Mwst weiter erhöht werden. Usw.



Aber soweit würde es vermutlich gar nicht erst kommen, weil ja laut
Prof.Werner zu allererst alle Einkommenssteuern abgeschafft werden müssen
(warum eigentlich?). Dann müsste die Mwst erstmal soweit erhöht werden, dass
all das wieder bezahlt werden kann, was jetzt von Einkommenssteuern gedeckt
ist: Staatliche Verwaltung, Zinsen auf Staatsschulden, Militär, Polizei,
Straßenbau, Schulen und Krankenhäuser. Da wird vor lauter Mwsterhöhung und
Umsatzeinbuße wohl die Einführung des BGE in den Ansätzen stecken bleiben.



Und was soll dann das Ganze?

Nun, der Punkt 1 würde uns erhalten bleiben: Alle Einkommen, Konzerngewinne,
Börsenspekulation und Kapitalzinsen wären offiziell steuerfrei. Cash in de
Täsch. Die Schweiz und Liechtenstein werden überflüssig. Das wäre natürlich
zum Vorteil für die Aktionäre von SAP und für Herrn Götz Werner.

Und von der Mehrwertsteuer weiß man ja, dass sie kleine Leute mehr betrifft,
als Reiche. Weil kleine Leute praktisch ihr gesamtes Geld für ihren
Lebensunterhalt brauchen und damit auch auf alles Mwst bezahlen müssen,
während Reiche einen beträchtlichen Teil übrig haben und in Geldanlagen
stecken. Dieser Teil wäre dann vollkommen steuerfrei – d.h. an der
Finanzierung der Gemeinkosten völlig unbeteiligt – und ergäbe eine sich
selbst beschleunigende Kapitalanhäufungsspirale und eponentielle
Renditeforderungen.



Mein Fazit: Genau hinhören, wenn jemand ein BGE proklamiert. Die
Finanzierung ist vermutlich das wichtigste Bewertungskriterium.



PS: Ich weiß, wie viele Argumente gegen diese meine Darstellung noch zu
diskutieren wären. Man kann die Darstellung damit vielleicht etwas
abschwächen aber m.E. nicht entkräften.

Tut mir leid, dass es nicht kürzer ging.

Viele Grüße

Eckhard


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