[Debatte-Grundeinkommen] BGE-Konzept von Götz Werner

Norbert Maack norbert.maack at solargeneration.de
Sa Apr 12 03:00:03 CEST 2008


Hallo Eckhard,
ich halte es für günstig, zwei Diskussionsstränge auseinander zu halten.
1. theoretische Überlegungen zu der Frage, wie grundsätzlich dieses 
Modell funktionieren kann und
2. die praktischen Konsequenzen bei der Durchführung eines Modells, wie 
Preisentwicklung, Kaufkraft etc. sich dynamisch entwickeln werden.

Ich bin mit meiner Argumentation noch bei 1.
Ich verstehe die Idee des BGE so, dass der "Kuchen", das BIP, anders 
verteilt werden soll als es gegenwärtig geschieht. Diese Verteilung kann 
über Steuern geregelt werden. Diese Steuerung sollte ein Ziel haben, auf 
das hingesteuert wird. Das BIP besteht im weitesten Sinne aus 
Leistungen, die Menschen für einander erbringen. Um die etwas 
überspitzte aber anschauliche Formulierung von Ernst Ulrich Schultz 
(letzte Nachricht) aufzugreifen "soll es uns aus der Sklaverei befreien" 
, kann die Verteilung im einen Extrem so aussehen wie in einer 
Sklavenhaltergesellschaft: Die Herren teilen den Kuchen unter sich auf 
und die Sklaven bekommen auch einige Krümel. Die Sklaven rudern und die 
Herren holen sich den Genuss. Im anderen Extrem wird der Kuchen unter 
allen gleichmäßig aufgeteilt: alle rudern und teilen miteinander den 
Genuss (Störtebeker?). Zwischen diesen beiden Extremen gibt es reichlich 
Möglichkeiten, die man ansteuern könnte, wenn man die Wahl bzw. das 
Steuer in der Hand und damit umzugehen gelernt hat.
Ein wesentliches Steuerelement ist die durchschnittliche Besteuerung der 
Leistungen. Ein anderes die differenzielle Besteuerung (Progression). 
Ein drittes die Aufteilung in Produktions- und Verbrauchssteuern, wobei 
wohl letzteres nur dann einen Unterschied macht, wenn nicht alles was 
produziert auch verbraucht wird (Import/Export).  

Ich habe in meinem Beispiel die durchschnittliche Besteuerung der 
Einfachheit halber mit 50% angesetzt, weil es nach meinen Überlegungen 
auf den goldenen Mittelwert zwischen den beiden oben beschriebenen 
Extremen hinsteuern würde. Um zum Extrem der Slavenhaltergesellschaft zu 
steuern, würde man diese auf 0%, um zur egalitären Gesellschaft zu 
steuern auf 100% setzen. Letzteres entspricht dem Modell von echt 
solidarischen (Wohn-)Gemeinschaften, in denen alles Geld in eine Kasse 
kommt und dann geteilt wird.

Soweit meine knapp formulierten Gedanken zur Theorie. Keine Ahnung, ob 
Du oder überhaupt jemand mir dabei folgen kann(st), da ich mich mit der 
Materie noch nicht allzu lange befasse. (Feedback erwünscht.)

Deine Frage: "Du gehst allen Ernstes davon aus, ..." zielt auf den 
Strang der Praktikabilität (2.). Und dazu kann ich nur sagen: Nein, 
davon gehe ich nicht aus; denn die (Macht-)Verhältnisse, die sind (noch) 
nicht so.

Deine zweite Frage: "wo dieses viele Geld herkommen soll.." beantworte 
ich mit der Gegenfrage: Wo geht es denn jetzt hin?

Mit sonnigen Grüßen

       Norbert


Eckhard Rülke schrieb:
>
> Hallo Norbert,
>
>  
>
> ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht mit 
> nebensächlichen Details verzetteln. Deswegen laß' ich die Einzelpunkte 
> weg und wiederhole nur nochmal meinen prinzipiellen Einwand:
>
>  
>
> Du schreibst: "Wenn ich davon ausgehe, dass alle Leistungen mit 50% 
> besteuert werden, ergibt dies die Hälfte des BIP." - in Zahlen: 
> 17.500$ pro Kopf pro Jahr. Das heißt, Du gehst allen Ernstes davon 
> aus, dass aus den 82 Mio Einwohnern Deutschlands 1.435 Milliarden $ 
> zusätzliche Steuern rauszuholen sind, wovon man dann ganz komfortabel 
> ein BGE finanzieren könnte.
>
>  
>
> Und ich frage, wo dieses viele Geld herkommen soll. Da sich die 
> Einnahmesituation nicht ändert, geht die erhöhte Steuerforderung doch 
> zwangsläufig zu Lasten des Umsatzes - wie wir es ja mit den 3 
> Prozentpunkten ab 2007 praktisch erlebt haben. Wenn aber mit einer 
> großen Steuerhöhung der Gesamtumsatz deutlich sinkt, gibt es auch 
> proportional weniger Mehrwertsteuereinnahmen als ursprünglich 
> angenommen. Der tatsächliche Betrag wird viel geringer als 17.500$ pro 
> Kopf.
>
>  
>
> Als Zweites kommt hinzu, dass diese Mehrwertsteuereinnahme praktisch 
> viel weniger wert ist, als es ein gleich großer Betrag heute wäre. 
> Weil sich die Preise um die zusätzliche Mehrwertsteuer erhöht haben, 
> kann man sich für gleich Geld viel weniger kaufen, als heute.
>
>  
>
> Durch diese beiden Faktoren (1. Steuerhöhung senkt den Umsatz. 2. Das 
> eingenommene Geld hat weniger Kaufkraft) kann man mit 50% Steuer kein 
> existenzsicherndes BGE finanzieren. Von dem, was dabei pro Kopf übrig 
> bleibt könnte ein heutigen Hartz IV Empfänger nicht leben. Wenn man 
> aber die Steuer noch weiter erhöht, nimmt die Wirkung diese Faktoren 
> überproportional zu.
>
>
>>  
>>  
>> ----- Ursprüngliche Nachricht -----
>> Von: Norbert Maack
>> Gesendet: 14:47 Uhr
>> An: Eckhard Rülke
>> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] BGE-Konzept von Götz Werner
>>
>> Hallo Eckart,
>>
>> 1. zur Klarstellung: ich hatte nicht Deine Überlegungen als absurd 
>> bezeichnet, sondern geschrieben, dass Du mit Deinen Überlegungen das 
>> BGE-Modell von Werner als absurd dargestellt hast.
>>
>> 2. Wenn es stimmen würde, dass Herrn Presse einen Prozentpunkt nicht 
>> nur gesagt sondern auch gemeint hat, wäre das ganze Projekt 
>> tatsächlich absurd. Denn dann würde ja 1% Mwst 8 Euro monatl. 
>> Einkommen/Kopf bedeuten.  Um 800 Euro Einkommen zu ermöglichen, wären 
>> 100% Mwst nötig. Das scheint mir wirklich absurd und deswegen nehme 
>> ich an, dass hier ein Missverständnis vorliegt.
>>
>> 3. 35 000 $ BIP pro Kopf habe ich aus folgender Tabelle entnommen. 
>> http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt_pro_Kopf
>>     Meine Überschlagsrechnung ging nicht von einer Erhöhung um 50 
>> Prozentpunkte aus (bitte genau lesen) sondern von 50% Steuer. Und 
>> wenn        ich davon ausgehe, dass alle Leistungen mit 50% besteuert 
>> werden, ergibt dies die Hälfte des BIP.
>>
>> 4. Deine weiteren Ausführungen kann ich nicht nachvollziehen. Wie 
>> diese Rechnung: 17.500 $ pro Kopf ( x 82 Mio Einwohner = 213 Mio $)  ???
>>
>> 5. Und insgesamt halte ich die Berechnungen auf Grund der heutigen 
>> Zahlen für müßig, da im Falle eines BGE die gesamte Preisbildung sich 
>>             dynamisch verändern wird.
>> 6. Und schließlich halte ich auch ein über die Jahre festes BGE für 
>> unmöglich; m. E. muss es jährlich an das tatsächliche BIP angepasst 
>> werden.
>>
>>
>> Trotzdem ein schönes Wochenende!
>>   
>>       Norbert
>>
>>
>>
>> Eckhard Rülke schrieb: 
>>>
>>>  
>>>
>>> Hallo Norbert,
>>>
>>>    1. Herr Andé Presse meinte eindeutig die Erhöhung von (damals)
>>>       16% auf 17%, d.h. ich hätte eindeutigerweise ProzentPUNKT
>>>       schreiben müssen. Entschuldigung.
>>>    2. Die Berechnung, dass solch ein Prozentpunkt 8,-€ monatliches
>>>       BGE bringen würde stammt nicht von mir sondern vom Institut
>>>       für Entrepreneurship des Herrn Prof. Werner.
>>>    3. Deine Rechnung mit 35.000 $ BIP pro Kopf, kann ich nicht
>>>       nachvollziehen. Unabhängig davon, dass ich nicht weiß, wie
>>>       realistisch die 35.000 sind – und wieso Dollar? Was ich
>>>       überhaupt nicht verstehe, ist, wieso bei einer Mwst-Erhöhung
>>>       um 50%(Prozentpunkte) plötzlich 17.500 $ pro Kopf ( x 82 Mio
>>>       Einwohner = 213 Mio $) mehr Geld da sein soll. Wo sollte denn
>>>       das herkommen?
>>>
>>>  
>>>
>>> Wenn ich zB. 20.000,-€ Nettoeinkommen im Jahr verfügbar habe, könnte 
>>> ich – je nach dem, wie mein Jahreswarenkorb aussieht – zB. für 
>>> 18.000,-€ Nettopreis Waren einkaufen und würde gleichzeitig 2.000,-€ 
>>> Mwst entrichtet haben. Wenn dann die Mwst um 50 Prozentpunkte erhöht 
>>> würde, müsste ich für den gleichen Jahreswarenkorb 9.000,-€ Mwst 
>>> mehr bezahlen, was mein Beitrag zur BGE-Finanzierung wäre.
>>>
>>>  
>>>
>>> Doch das ist blanke Theorie, weil ich ja nur 20.000,-€ insgesamt zur 
>>> Verfügung habe. Gezwungenermaßen werde ich mich bescheiden und nur 
>>> noch einen Warenkorb von ca. 12.400,-€ netto einkaufen und auf den 
>>> ich 7.600,-€ Mwst bezahle. Für die BGE-Finanzierung stünden also 
>>> statt zusätzlichen 9.000,-€ nur 5.600,-€ zur Verfügung. Da sich 
>>> gleichzeitig alle Preise um etwa 45% erhöht haben, kann man sich 
>>> dafür soviel Waren kaufen, wie heutzutage für 3.862,-€.
>>>
>>>  
>>>
>>> Da es im Prinzip allen Wirtschaftsteilnehmern so geht, wie mir mit 
>>> meiner Familie, muß man auch Dein Beispiel proportional umrechnen: 
>>> Aus 35.000$ BIP pro Kopf ergäbe sich so ein BGE mit einer Kaufkraft 
>>> von 563,-$ pro Monat.
>>>
>>>  
>>>
>>> Durch eine Verdopplung des Mwst-Aufschlages auf 100 Prozentpunkte 
>>> würde sich dieser Betrag aber keineswegs ebenfalls verdoppeln, denn 
>>> alle Waren und Dienstleistungen würden dann das 1,9-fache kosten. 
>>> Wegen weiterer erzwungener Selbsteinschränkung der Steuerzahler und 
>>> der weiteren Kaufkrafteinbuße ergäbe sich dann ein BGE mit einer 
>>> Kaufkraft von 654,-$ pro Kopf und Monat.
>>>
>>>  
>>>
>>>
>>> Nun erklär’ mir doch bitte mal, was an diesen Überlegungen absurd ist.
>>>
>>>  
>>>
>>> MfG
>>>
>>> Eckhard 
>>>
>>>  
>>>
>>>
>>>>  
>>>>  
>>>> ----- Ursprüngliche Nachricht -----
>>>> Von: Norbert Maack
>>>> Gesendet: 05.04.08 03:44 Uhr
>>>> An: Liste Grundeinkommen
>>>> Betreff: [Debatte-Grundeinkommen]  BGE-Konzept von Götz Werner
>>>>
>>>> Hallo Eckhard,
>>>> zu Deinem Postiung vom 19.3., das ich jetzt erst (da neu) gelesen habe:
>>>>
>>>>  
>>>>
>>>> > Mein Fazit: Genau hinhören, wenn jemand ein BGE proklamiert. 
>>>>
>>>>  
>>>>
>>>> Nicht nur genau hinhören ist wichtig, sondern ggf. auch _nachfragen_:
>>>>
>>>>    
>>>>
>>>> > 1. Wenn man bei gegebener Wirtschaftslage (2006) die Mehrwertsteuer um 1% erhöht, …
>>>>
>>>>  
>>>>
>>>> Die Erhöhung der Mwst. um x % ist etwas anderes als die Erhöhung um 
>>>> x Prozentpunkte.
>>>>
>>>> So ist eine Erhöhung der Mwst von 16 % auf 19 % zwar nur eine 
>>>> Erhöhung um 3 Prozentpunkte, aber der Mwst.-Betrag erhöht sich 
>>>> dabei um 19-16/ (16/100) = 18,75 %!!
>>>>
>>>>
>>>> Insofern würde eine Nachfrage bei  Herrn André Presse sinnvoll 
>>>> sein, ob er die Erhöhung um 1% (nämlich des Betrages) oder um einen 
>>>> Prozent*punkt *gemeint hat.
>>>>
>>>>
>>>> Im letzteren Fall hast Du mit Deiner Berechnung ungefähr Recht, 
>>>> anderenfalls würde ein wesentlich geringerer und damit 
>>>> realistischer Anstieg nötig sein:
>>>>
>>>> Ein Anstieg von 16 % um 1 % käme dann nach meiner Rechnung nämlich 
>>>> nur auf 16, 16%, der 8 Euro/Kopf bringen täte. Um auf 1600 
>>>> Euro/Kopf zu kommen, müsste eine Erhöhung um 1600/8 = 200% 
>>>> stattfinden und das wären nach A.R. 200*0,16 = 32%, was auf 
>>>> insgesamt ca. 50% rauskäme. Dabei ständen mit den ursprünglichen 16 
>>>> % immerhin noch knapp ein Drittel (500 Euro/Kopf) zusätzlich für 
>>>> die übrigen Staatsausgaben zur Verfügung.
>>>>
>>>>  
>>>>
>>>>
>>>> Bei einem BIP pro Kopf von 35.000 $ und 50% Steuer wären das 17 500 
>>>> $ pro Kopf im Jahr, was pro Monat auf ca. 1 500 $ käme. Da fehlen 
>>>> dann noch die 16%,  das kann man so genau wohl nicht rausrechnen, 
>>>> aber größenordnungsmäßig scheint es mir nicht so absurd, wie Du es 
>>>> mit Deiner Berechnung nahe legst.
>>>>
>>>>  
>>>>
>>>> Mit sonnigen Grüßen
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>>>>             Norbert Maack
>>>>
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