[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Für alle Marxisten...

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mo Okt 22 13:32:28 CEST 2007


Hallo Rüdiger (und sonstige Interessierte),

danke für Deine ausführliche Antwort, was zum besseren Verständnis beiträgt. Trotzdem bin ich der Meinung, daß der Kommunismus, bzw. Marxismus nicht funktioniert. Der Mensch ist eben nicht auf der Ebene gleich, wie ihn diese Theorien gleich machen wollen. Deshalb ist jeder realer Umsetzungsversuch zum Scheitern verurteilt (was uns die Geschichte gezeigt hat). Auch würde ich behaupten, daß Marx Hegel nicht ganz verstanden hatte, sondern gewisse Dinge fehlinterpretiert wurden. Hegel ist eben nicht ganz so einfach zu verstehen. Der Hauptfehler liegt in meinen Augen darin, daß die Dialektik von Hegel auf den Materialismus übertragen wurde.

Du führst den Sozialneid als Komponente auf, der zum Funktionieren von verschiedenen Systemen notwendig sei. Da gebe ich Dir gerne Recht. Doch fragen wir einmal, was Sozialneid eigentlich ist. Hat es damit zu tun, nicht zu akzeptieren, daß Menschen unterschiedlich sind - oder vielleicht besser ausgedrückt: daß Menschen in unterschiedlichen Besitzverhältnissen stehen? Was spricht dagegen, daß der eine mehr hat, als der andere? Meiner Meinung nach spricht nur dann etwas dagegen, wenn jener, der weniger hat, davon nicht mehr "frei" leben kann. Und diese "Unfreiheit" führt zum Sozialneid (jener, die nicht ausreichend zum Leben haben). Aber sie hängt auch mit Unvernunft zusammen.

Im Gegensatz zum Marxismus verstehe ich nach dem Klassenkampf nicht den Übergang zurück zur Urgemeinschaft (sozialistische, kommunistische Gesellschaft), sondern ein Übergang zum Kulturkampf. Die gesamte Geschichte weist einen "Geschlechterkampf" auf, der zwischen dem weiblichen Prinzip (Gesellschaft) und dem männlichen Prinzip (Gemeinschaft) herrscht. Gemeinschaften (Klassen) lösen sich innerhalb einer Gesellschaft langsam auf. Das passiert auch in kapitalistischen Gesellschaften: beim Arbeitsamt trifft sich heute der einfache Handwerker mit dem 50jährigen Ingenieur und beide haben das "gleiche Schicksal" - trotzdem verbindet sie nichts (die "Klasse"). Der Übergang von Gemeinschaft (was viele als schmerzlich empfinden) zur Gesellschaft ist ein Individualisierungsprozeß, aber auch ein Identitätsproblem (konnte ich mich früher mit einer bestimmten "Klasse" identifizieren, tue ich mir heute schwer, weil es auch innerhalb der "Klasse" Unterschiede gibt). Man sucht sich neue Identifikationsmöglichkeiten - so zum Beispiel in der Postsowjetunion im "Nationalismus"; aber auch Religionen bieten Identifikation. Diese (sich neu bildenen) "Über"-Gemeinschaften sind keine "Klassen", sondern "Kulturen", welche in Konkurrenz treten. Erst durch die Überwindung des "Kulturkampfs" wird es zur tatsächlichen Weltgesellschaft kommen, die sich Marx wünschte (Stichwort: "Alle Kulturen der Völker gehören allen Menschen").

Der Konflikt besteht nicht in den Ideologien, sondern im Menschsein: dem Problem der Gleichheit und gleichzeitigen Unterschiedlichkeit. Wo finde ich das aber bei Marx? Welchen Weg schlägt er vor? Entspricht dieser Weg noch der heutigen Zeit? Wo wird bei Marx der Mensch betrachtet? Wie sieht er ihn?

Warum ich nun diese Artikel als Beispiele genommen hatte, hing damit zusammen, daß sie oberflächlich betrachtet, Argumente für den Marxismus/Kommunismus sind. Ich dachte auch lange, diese Ideale wären erstrebenswert, obwohl ich immer etwas ablehnend demgegenüber war. Meine Zeit in der Ukraine brachten mich mit Grundsätzen in Berührung, die tiefer gingen. Der Kommunismus gilt hier bei vielen noch als erstrebenswertes Ideal, weil es an Alternativen mangelt, die diese spürbare Ungerechtigkeit beheben.

Wir stehen vor einer "neuen sozialen Frage", die auf "soziale Gerechtigkeit" hinausläuft. Und "soziale Gerechtigkeit" hat sehr viel mit Gleichheit zu tun. Das BGE versucht eine Antwort darauf zu geben, aber ein marxistisch/kommunistisches BGE scheint meiner Meinung nach nicht zu funktionieren, weil es die Unterschiedlichkeit der Menschen nicht berücksichtigt. Es entspricht einfach nicht der Natur (sonst wäre das Universum absolut gleichmäßig mit Materie gefüllt und Leben würde nicht existieren). Der Ansatz von Matthias (Dilthey) gefällt mir deshalb am Besten, denn dort wird jedem das zugestanden, was er selbst erarbeitet (bis zu einer Höhe, die sich am Gesamterwirtschafteten orientiert - "eigener Hände Arbeit"), aber verteilt jedem etwas aus dem Gesamtvermögen. Es ist ein "sich selbst regulierendes System".

Ich weiß nicht, ob Du die Fassung des "Jovialismus als Staatstheorie" vom September gelesen hast - darin stehen diese Überlegungen als Vorschlag beschrieben; außerdem auch, warum ich die Demokratie (als Mehrheitsverfahren) für "schlecht" halte. Ich versuchte Anarchie zu organisieren, die über dem Marxismus/Kommunismus steht.

Wir leben in bewegten Zeiten und es steht uns frei, selbst zu bewegen - aber nicht unbedingt hin zu einem System, das die menschliche Natur "falsch" beurteilt.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg







  ----- Original Message ----- 
  From: Rüdiger Heescher 
  To: Joerg Drescher 
  Cc: genugfueralle at listen.attac.de ; debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de 
  Sent: Monday, October 22, 2007 12:41 PM
  Subject: Re: [Genugfueralle] Für alle Marxisten...


  Lieber Jörg


  ich weiss jetzt nicht so genau, was diese Artikel im Zusammenhang mit Deiner Ausführung zu tun haben.


  Erstmal: In der UdSSR gab es keinen Kommunismus oder Marxismus. Das war ein Leninistischer Sozialismus, der zu einem Staatskapitalismus gemacht wurde aus welchen Gründen auch immer. Im Prinzip kann man sagen, dass Putin letztlich genauso wieder dahin steuert. Dabei spielen die Menschen als Bürger sowieso kaum eine Rolle. Das ist die gleiche Denke wie damals von den StamoKap der SPD weswegen sich jetzt auch wohl Schröder so gut mit Putin versteht.


  zweitens: Das geschieht aus Sozialneid heraus, was Du beschreibst und wenn ein System Sozialneid bedient, dann kann es kein Marxismus sein als Kommunismus. Kommunismus heute gedacht ist ein libertärer was systemisch ohne Sozialneid auskommt ohne Menschen umerziehen zu müssen. Sozialneid ist eine Notwendigkeit für Sozialdemokratie innerhalb des Kapitalismus. Ohne dem kann Sozialdemokratie zur Legitimation gar nicht funktionieren. Der Kapitalismus ist darauf angewiesen und SOzialdemokratie gibt dem Kapitlaimsus damit wiederum eine Legitimierung und das ganz persönlich über Sozialneid. Bei der Sozialistischen Staatlichen Variante sieht es ähnlich aus und hat uns im kalten Krieg gezeigt.


  Warum das damals alles nicht funktioniert hat lag an Lenin, der es praktisch umsetzen wollte, wo aber der Kapitalismus noch lange nicht soweit war überwunden zu werden. Er glaubte, dass man gleich als Übergangsform den Sozialismus einführen müsse mit Gewalt um dann irgend wann den Kommunismus zu bekommen. Es herrschte damals ja die Vorstellung, dass man erstmal zum üben den Sozialsmus braucht um dann irgendwann den Kommunismus zu erreichen. Die Realität hat gezeigt, dass es ganz anders kam und aus puren ökonomischen und Überlebenszwängen das System dann gekippt werden musste zu einem totalitätren Staatskapitalismus, was letztlich dem Faschismus gleichzustellen ist. Ein gelernter Marxist wusste, dass dieses genau das gegenteil von dem ist, was man eigentlich wollte. Worauf es ankommt beim Kommunismus um ihn zu erreichen ist ihn in der Blüte des Kapitalismus systemisch zu überwinden. Ohne dann mit erzieherischen Methoden den Menschen über einen Sozialismus dann dorthin zu kommen. Mit Erzieherischen Methoden wird man den Menschen nicht dazu kriegen ein perfekter Mensch für ein perfektes System hinzubekommen. Das wird immer in die urne gehen. Es müssen die Rahmenbedingunegn geschaffen werden, die dann den Menschen aus sich heraus ohne SOzialneid, Gier etc handeln zu lassen. und das ist das libertäre Moment, was es dann ausmacht.


  drittens: Bei den Grünen wird als erster Partei von allen 5 auf einer BDK darüber abgestimmt wohin man will mit der Möglichkeit ein bGE wie auch immer geartet zu fordern. Die völlige Abkehr von Hartz 4 ist somit eingeleitet und auch die Denke die hinter Grusi steht wird jetzt bei den Grünen aufgeweicht. Man kommt was das angeht wieder zu völlig alten überlegungen, wie damals noch in den 70er oder 80er JAhren. Und das ist gar nicht schlecht. Interessant ist, dass gerade vermeintliche Linke innerhalb der Grünen nun auf Grusi bestehen. Interessant ist auch dass man bei allen Überlegungen immer im Hinterkopf hat wo man Koalionsfähig ist und was man da am besten berücksichtigt. Koalionsfähigkeit heisst nicht alleine Machterhalt oder Regierungsfähigkeit sondern auch die Möglichkeit Mehrheiten in seinen Positionen zu finden. und die Diskussion bei den Grünen ist dabei spannend weil es auch Diskussionen in dieser Form bei anderen Parteien entwickeln kann.


  Es ist viel in Bewegung zur Zeit und die Annäherung kann durchaus von allen Möglichen Partiene her in diesem Punkt passieren. Bei den Gralshütern von Sozialdemokratie sicherlich nicht. Da wird man vor eine Wand laufen. Denn gerade diese sind darauf angewiesen, dass ein kapitalistisches System wie auch immer erhalten bleibt um eine legitimierung zur eigenen Existenz zu bekommen. Bestes Beispiel hierbei sind Gewerkschaften.


  Überwindung des Kapitalimsus funktioniert daher auch nur wenn man einsieht, dass die eigene Existenzlegitimierung nicht mehr notwendig ist. Aber da gilt es noch viele dicke Bretter zu bohren. SOlange wie das weiterhin noch vorhanden ist, werden gurndsätzlich im Menschen immer weiter SOzialneid und auch Gier befördert. Es ist also ein Wechselspiel. SOlange das eine existiert ist dann das andere auch noch notwendig. So müsste man es sich vorstellen. Es ist also alles ein Prozess der dauert. Man kann nicht einfach ein System festlegen und sagen, dass ist nun das tollste System und alle Menschen müssen dann so funtkionieren. Das passiert aber solange man eine Ideologie zugrunde legt. 


  Wenn wir es hinbekommen, dass die Menschen egal mit welcher Ideologie behaftet irgend wann den Leitspruch aus dem Kantischen Verständnis heraus hinbekommen, dass Vernunft walten solle durch "Einsicht in die Notwendigkeit" dann kann viel sich bewegen und die Richtung führen in die wir wollen. Und dann kommen wir direkt zum Geschichtsphilosophischen Verständnis von Hegel. In seinem System  funktioniert es einfach so, dass diese BEwegung in diesem Verständnis erfolgt.


  Das wird aber noch dauern ehe wir das dann auch historisch betrachtet so bewerten können.


  gruss


  Rüdiger
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