[Debatte-Grundeinkommen] Bürgergeld = neoliberal?

Thomas Löding thomas.loeding at gmx.de
Di Nov 27 16:09:44 CET 2007


Lieber Michael Opielka,
die Behauptung, dass das Bürgergeld-Modell von Althaus "neoliberal" ist, lässt sich bei einer genaueren Prüfung m. E. NICHT so einfach widerlegen. 
 
Zudem gibt es übrigens gut begründete Zweifel an der Behauptung, die Grundeinkommensidee selbst habe vor allem neoliberale Wurzeln. Das möchte ich kurz ausführen. Du schreibst:
 
"Die Grundeinkommensidee hat selbstverständlich ordoliberale bzw. neoliberale Wurzeln, am prominentesten bei Milton Friedman, später bei Joachim Mitschke und heute bei Thomas Straubhaar, dessen "idealtypisches" Bürgergeld-Modell den Sozialstaat auf eine Negative Einkommenssteuer zusammenstutzen will - ergänzt durch ein Gutscheinmodell für Bildung." 
 
Ich erlaube mir hier den Hinweis, dass das erste detaillierte Grundeinkommensmodell  genau 20 Jahre VOR Friedman, im August 1942, veröffentlicht und als mögliche Alternative zum Beveridge-Plan in Großbritannien öffentlich diskutiert wurde. Die britische Sozialpolitikerin Juliette Rhys-Williams wollte mit ihrem Modell damals schon die hohen Verwaltungskosten aufgrund der Bedürftigkeitsprüfung abschaffen - in DIESER Hinsicht wurde also durchaus ein schlankerer Staat, wie ihn Neoliberale fordern, gewünscht. Mit DIESEM traditionell neoliberalen Element haben rechte und linke Modelle, innerhalb dieses Kontextes, bis heute keine Probleme.
 
ABER: Ganz anders als später Friedman forderte Rhys-Williams mit ihrem eher rousseauistisch-egalitaristischen Modell a) ausdrücklich eine vertikale Einkommensverteilung von reich zu arm, schloss b) Mindestlöhne keineswegs aus und betonte c), dass es zusätzlich zu bestehenden staatlichen Sozialleistungen gezahlt werden solle.
 
Daran werden meines Erachtens sehr gut die UNTERSCHIEDE zum neoliberalen Modell Friedmans deutlich, der nicht müde wird zu betonen, warum 
a) Einkommensumverteilung ein falscher staatlicher Eingriff sei
b) Mindestlohnsätze den freien Markt nach neoklassischer Auffassung beeinträchtigen und
c) sonstige staatliche Leistungen durch das Grundeinkommen ERSETZT und nicht ergänzt werden sollen (Friedman erläutert ausführlich, das auch Gesundheitsversorgung, Altersversorgung und Pflichtversicherungen viel besser durch private Anbieter als durch staatliche geleistet werden könnten). 
 
Eindeutig neoliberal ist ZUSÄTZLICH Friedmans Position gegen Instrumente zur Arbeitszeitverkürzung. 
 
Nun zu Althaus. Du schreibst:
 
"Das Althaus-Modell könnte man in der rechten Mitte des Grundeinkommensspektrums einordnen - es umfasst nämlich zwei wesentliche Elemente, die es von der neoliberalen Tradition abgrenzen: eine Zusatzrente nach Schweizer Vorbild in Höhe des doppelten Bürgergeldes und ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen, was die Neoliberalen in der Regel radikal ablehnen."
 
In diesem Punkt stimme ich mit Dir überein: Das steuerfinanzierte Gesundheitswesen im Althaus-Modell ist nicht neoliberal (bzw. nicht neoliberal im Sinne Friedmans; die Tatsache, dass die Gesundheitskosten aufgrund der Kopfpauschale von den Lohnkosten abgekoppelt werden sollen, befreit die Unternehmer allerdings von den Lohnnebenkosten für Gesundheit, womit das Modell in angebotsorientiert-neoliberaler Manier zumindest zu "mehr Markt" tendiert).
 
Das Bürgergeld von Althaus ist also a) bezüglich des schlankeren Staates bei der Einsparung des Bedürftigkeitsprüfungsaufwandes neoliberal, aber eben nicht neoliberaler als linke Modelle in diesem Kontext. Dieser "Vorwurf" wäre also, von linker Seite aus geäußert, nicht sonderlich aufrichtig.
Und b) ist das Bürgergeld-Modell nicht gegen ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen und also - in diesem einen Teilaspekt - nicht radikal neoliberal. Kein Widerspruch. 
 
Wie verhält es sich aber mit den weiteren (und zumeist seit der ersten Debatte in den 1940er Jahren ebenso grundlegenden) Aspekten?
 
Bezüglich weiterer grundlegender Aspekte sind ERSTENS zahlreiche Äußerungen von Althaus gegen Mindestlöhne auszumachen die - fast im selben Wortlaut wie bei Friedman - traditionell neoliberal daherkommen. 
Und ZWEITENS kann Althaus nichts mit einer der wichtigsten zu erwartenden Folgen eines ausreichend hohen Grundeinkommens, der Arbeitszeitverkürzung, anfangen: Von Instrumenten zur Arbeitszeitverkürzung ist nicht nur keine Rede im Bürgergeldmodell, es lassen sich sogar eindeutig ablehnende Zitate gegenüber Instrumenten zur AZV von Althaus (in traditionell neoliberaler Manier) belegen (siehe Literaturhinweis unten). 
DRITTENS wird die Arbeitslosenversicherung (Alg I), die zur Lebensstandardsicherung in einigen aktuellen Grundeinkommensmodellen erhalten bleibt, von Althaus schlicht weggekürzt.
 
Gewiss, es gibt radikal-neoliberale Modelle wie der von Dir genannte Straubhaar, die noch weiter "rechts" stehen. Dennoch tritt Althaus auch noch in einem weiteren Punkt in die Fußstapfen des Chicagoer Ökonomen, denn:
 
VIERTENS beabsichtigt Althaus mit Höhe des Grundeinkommens - genau wie Friedman - keine Möglichkeit für die Bezieher, unsittliche Arbeitsangebote abzulehenen, da die Einkommenshöhe unterhalb aller tatsächlichen Armutsgrenzen  festgelegt wurde. Vielmehr stellt er fest:
"Es ist ja nicht so, dass die Höhe des Solidarischen Bürgergeldes, wie wir sie vorschlagen, besonders üppig ist. Der Anreiz, selbst etwas zu tun, ist da, und es besteht keine Angst vor genereller Beharrung."

 
Mit gerade einmal 600 Euro monatlich liegt das Bürgergeld nämlich einerseits unter dem (derzeit tatsächlich ausbezahlten) Hartz-IV-Regelsatz, der regional aufgrund von Mieten etc. durchaus darüber liegen kann. Zudem liegt es unter einer Grenze, die m.E. auch nicht von "grünen" oder "rechten" Modellen unterschritten werden darf, wenn sie ernst genommen werden und mehrheitsfähig werden wollen: 
Der Armutsgefährdungsgrenze, wie sie sich nach (auch für die BRD geltendem) EU-Recht derzeit auf 856 Euro monatlich quantifizieren lässt.
Darunter darf meines Erachtens kein Modell liegen, egal ob es libertär, sozialistisch, sozialliberal, liberal, konservativ, neoliberal oder von der katholischen Soziallehre geprägt ist, wenn es den Menschen bedingungslos als Menschen anerkennen will.
 
Ich habe mich zu entschuldigen, denn meine als "kurz" angekündigten Ausführungen wurden nun doch etwas länger als geplant. 
 
Und dass, obwohl es sich hier um einen Beitrag auf einer Diskussionsliste handelt - und ich dementsprechend auf Fussnoten und ausführliche Belege verzichtet habe. 
Alle hier genannten Argumente sind aber auch mit entsprechenden Belegen in meiner Diplomarbeit (Das bedingungslose Grundeinkommen - eine neoliberale Forderung? Universität Göttingen 2007) nachlesbar unter:
www.archiv-grundeinkommen.de/loeding/20070502-Loeding-bge-diplom.pdf
 
Ich hoffe dennoch mit meinem Beitrag etwas zur Klärung der Frage beigetragen zu haben, ob bestimmte Modelle als "neoliberal" gelten können oder nicht.
 
Ansonsten wünsche ich noch einen guten Tag und uns allen weiterhin eine fruchtbare Diskussion.
 
Thomas Löding

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