[Debatte-Grundeinkommen] Bürgergeld = neoliberal?

Michael Opielka michael.opielka at isoe.org
Mo Nov 26 10:49:15 CET 2007


Liebe Freunde,

 

in einem Artikel in der taz vom 8.10. zum Grundeinkommenskongress in Basel:

http://ww.taz.de/index.php?id=deutschland-artikel
<http://ww.taz.de/index.php?id=deutschland-artikel&art=5720&id=wirtschaft-ar
tikel&src=HL&cHash=c21e76c302&type=98>
&art=5720&id=wirtschaft-artikel&src=HL&cHash=c21e76c302&type=98 

finde ich folgendes Zitat:

 

"Ein Modell wie das von Dieter Althaus steht schlicht in einer neoliberalen
Tradition und hat nichts mit unseren Ansätzen zu tun", meinte Ronald
Blaschke vom Netzwerk Grundeinkommen.

 

Angenommen, Ronald wurde richtig zitiert, dann muss eine derartige Äußerung
strikt zurückgewiesen werden. Sie ist falsch und gefährdet die Umsetzung der
Idee des Grundeinkommens. Warum?

 

Die Grundeinkommensidee hat selbstverständlich ordoliberale bzw. neoliberale
Wurzeln, am prominentesten bei Milton Friedman, später bei Joachim Mitschke
und heute bei Thomas Straubhaar, dessen „idealtypisches“ Bürgergeld-Modell
den Sozialstaat auf eine Negative Einkommenssteuer zusammenstutzen will –
ergänzt durch ein Gutscheinmodell für Bildung. 

 

Doch auch die von den Gegnern des Grundeinkommens hoch gehaltene Idee der
Bismarckschen Sozialversicherungen hat liberale und auch rechte Wurzeln:
Bismarck war Nationalliberaler und verantwortlich für die Sozialistengesetze
1877, die meisten Nazis hielten die Sozialversicherungen für ein
volksdeutsches Gut und die wesentlichen Ausweitungen der
Sozialversicherungen erfolgten nach 1945 durch Christdemokraten. Dennoch
behaupten heute die meisten „Linken“ in den Grünen, der SPD und den
Gewerkschaften, dass die lohnarbeitszentrierten Sozialversicherungen „links“
und nur durch eine „Grundsicherung“ zu erweitern seien.

 

Das Althaus-Modell des „Solidarischen Bürgergeldes“ steht natürlich in der
Tradition der Grundeinkommensidee und hat selbstverständlich etwas mit den
Ansätzen des Netzwerk Grundeinkommen und von BIEN zu tun.

 

Dennoch hat Ronald etwas Richtiges geahnt: Auch auf dem Plafonds des
Grundeinkommens gibt es rechte und linke Konzepte – würde es dieses Spektrum
nämlich nicht geben, dann wäre die Grundeinkommensidee chancenlos! Das
Althaus-Modell könnte man in der rechten Mitte des Grundeinkommensspektrums
einordnen – es umfasst nämlich zwei wesentliche Elemente, die es von der
neoliberalen Tradition abgrenzen: eine Zusatzrente nach Schweizer Vorbild in
Höhe des doppelten Bürgergeldes und ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen,
was die Neoliberalen in der Regel radikal ablehnen. 

 

Linksutopische Modelle, wie in der Linkspartei teils zirkulierend,
abstrahieren von der existierenden Bevölkerung und schlagen ein
Grundeinkommen von 1000 Euro monatlich vor, wollen teils explizit eine
Staatsquote von 70-80% erreichen, also einen distributiven Sozialismus. Eine
Familie mit zwei Kindern hätte dann ein Grundeinkommen von 3000 bis 4000
Euro netto, da würden sich sehr viele freuen. Ein solches Konzept steht in
der Tat nicht in der „neoliberalen Tradition“. Es lohnt aber das
Gedankenexperiment, ob die Bevölkerung – selbst nach umfassenden
Informationen – per Plebiszit einem solchen Modell zustimmen würde.

 

Es ist verständlich, dass sich Parteipolitiker um ihre Partei bemühen.
Ronald Blaschke ist Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Linkspartei.
Dennoch empfiehlt es sich sehr, in der Bewegung für ein Grundeinkommen das
Ritual politischer Übertreibung zu vermeiden und zu schauen, was das
Gemeinsame ist.

 

Wenn man das missachtet, wiederholt sich auch künftig die Erfahrung des
grünen Bundesparteitags vom vergangenen Wochenende: die Gegner des
Grundeinkommens bauten das Althaus-Modell als Attrappe des Sozialabbaus auf
– ohne sich ernsthaft beispielsweise mit dem von Wolfgang Strengmann-Kuhn
und mir erstellten Gutachten zu diesem Modell beschäftigt zu haben:
http://idw-online.de/pages/de/news236397 .

 

Schöne Grüße

Michael Opielka

 

 

________________________________________________

 

prof. dr. michael opielka

institut für sozialökologie (isö)

pützbungert 21

d-53639 königswinter

fon +(49)-2244-871659

fax +(49)-2244-871664

michael.opielka at isoe.org

www.isoe.org

 

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20071126/4567ab38/attachment.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen