[Debatte-Grundeinkommen] [Debatte.bag.wirtschaft] Diskussionsentwurf "Gr üne Grundsicherung"

Dirk Jacobi djacobi at gwdg.de
Di Jun 20 12:29:47 CEST 2006


Lieber Michael,

ich stimme Dir zwar zu, dass bei der 
Arbeitslosenversicherung und stärker noch der 
Rentenversicherung heute immer wieder und von 
(fast) allen Seiten der 
(Privat-)Versicherungscharakter mit der 
Beitrags-Leistungsäquivalenz als zentralem 
Prinzip betont wird. Das ist aber weder 
notwendig: Stimmt diese eingeschränkte Ausdeutung 
doch zum Beispiel überhaupt nicht mit den 
weiteren in der RV zentral verankerten Prinzipien 
(Koppelung am Lohnniveau zum Zeitpunkt der 
Auszahlung, Familienernährerprinzip, 
Demographiefaktor) überein und diese Prinzipien 
wollen die Vertreter des Versicherungsprinzips 
eigentümlicherweise auch gar nicht abschaffen. 
Zudem war das auch nicht immer so: Die Ausdeutung 
der Sozialversicherung als (Privat-)Versicherung 
ist erst in den letzten Jahrzehnten gewachsen und 
ist weit davon entfernt, immer schon dominant gewesen zu sein.
Deswegen bin ich (etwas) optimistischer, dass an 
dieser Front auch ohne Deine Grundeinkommensversicherung Bewegung möglich ist.

Ich denke das wesentlich größere Problem, und 
damit sage ich nichts neues, ist die 
festgefahrene Auffassung: "Surfers should not be 
fed", also jemand, der nicht arbeitet nur ein 
Anrecht auf staatliche Existenzsicherung hat, 
wenn er seine (Selbst-)Hilfelosigkeit und 
Bedürftigkeit nachweisen kann. Das ist das 
Haupthindernis für die Einführung von Grundeinkommensmodellen jeglicher Art.
Deswegen müßte man nach meiner Auffassung darauf 
setzen, durch kleinere Einstiegsmodelle an dieser 
Stelle einen gesellschaftlichen Lernprozess in 
Gang zu setzen. Die, nun wirklich sehr 
beschränkte, Durchsetzungswahrscheinlichkeit 
müßte zudem dadurch gesteigert werden, indem man 
die (vorhandenen!) positiven wirtschafts- und 
arbeitsmarktpolitischen Effekte in den 
Vordergrund bei der Begründung der 
Einstiegsmodelle stellt. Ein Beispiel ist 
sicherlich die Begründung für den dem 
Grundeinkommen nahe verwandte Vorschlag des 
Basiskapitals mit der notwendigen 
Kapitalbereitstellung für Bildungsinvestitionen (Offe, Grözinger, Maschke).

Herzliche Grüße,
Dirk Jacobi


At 20:55 19.06.2006, Michael Opielka wrote:

>Lieber Manuel, liebe Freunde,
>
>euer Vorschlag ist interessant und gegenüber dem Vorentwurf eleganter, der
>mit einem Einkommenssteuersatz von 50% plus (!) Arbeitgebersteuer von 22%
>plus erhöhte Verbrauchssteuern einen überskandinavischen Eingriff
>beinhaltete ­ und daher wenig realistisch schien.
>
>Interessant ist auch das darin enthaltene Teil-Grundeinkommen (partial basic
>income), das ihr als bedingungslosen "Sockel" bezeichnet.
>
>Grundproblem eures Ansatzes ist aus meiner Sicht, dass ihr sowohl
>Geldtransfers wie Sachtransfers (Krankenversicherung) aus Steuermitteln
>aufbringen wollt, was angesichts einer Steuerquote von ca. 18-19% im
>obersten Quintil der Einkommenssteuerzahler (Stand 2004, Angaben BMF) zu
>einem Aufschrei und zu "von oben" gesteuerten Steuerprotesten führen würde.
>Wir sind hier nicht in Skandinavien - und auch dort gab es
>Steuerprotestparteien.
>
>Theoretisch steht hinter diesem "Grundproblem", dass ihr die Sozialpolitik
>unter die allgemeine Steuerpolitik, also die - historisch betrachtet -
>Polizeifunktion des Staates subsumiert. Das ist (wenig reflektierter)
>Mainstream der Ökonomie, aber politisch-historisch fragwürdig.
>
>Wenn dieses Prinzip in der Krankenversicherung durchschlagen würde, dann
>droht bei den anstehenden "Rationierungen" im Gesundheitswesen, dass die
>Verteilungskampflogik die Solidarlogik überlagert.
>
>Mir erscheint es in der deutschen und kontinentaleuropäischen Tradition
>ratsamer, die Idee der Grundsicherung in einer "Grundeinkommensversicherung"
>zu realisieren (dazu u.a. mein Buch "Sozialpolitik", rowohlt enzyklopädie,
>2004) und die Krankenversicherung - daran anschließend - nach
>österreichischem Vorbild als Bürgerversicherung zu gestalten.
>
>Das wäre eine Synthese von Sozialversicherung und Steuer, mit
>"Sozialsteuern" als Abgaben, eigenständigen, vom Bundeshaushalt
>abgekoppelten Körperschaften (wie bisher) und dem "Gefühl", dass wer mehr
>einzahlt auch mehr bekommt - aber keine "Beitragsäquivalenz" wie bisher mit
>Eigentumsfiktion, sondern eine Teilhabeäquivalenz wie in der Schweizer
>Rentenversicherung: die höchste Leistung ist das Doppelte des
>Grundeinkommens.
>
>Schöne Grüße
>Michael Opielka
>
>__________________________________________
>
>prof. dr. michael opielka
>fachhochschule jena - fachbereich sozialwesen
>http://www.sw.fh-jena.de/people/michael.opielka/download
>
>
>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>Von: debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de
>[mailto:debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de] Im Auftrag von Manuel
>Emmler
>Gesendet: Mittwoch, 7. Juni 2006 18:22
>An: Verborgene_Empfaenger:
>Betreff: [Debatte.bag.wirtschaft] Diskussionsentwurf"Grüne Grundsicherung"
>
>Liebe Befürworter/innen einer Grundsicherung,
>Liebe Gegner/innen,
>
>der unten stehende Link führt zu einer aktualisierten Version eines
>Diskussionsentwurfs zur Grünen Grundsicherung. Wenn ihr wollt, könnt ihr
>euch auf der Seite als Unterstützer/innen eintragen. Siehe:
>
>http://www.grundsicherung.org
>
>Viele Grüße
>Thomas Porski und Manuel Emmler
>--
>
>Manuel Emmler
>Brüsseler Str. 16
>
>13353 Berlin
>
>Tel.: 030-45310435
>Mobil: 0177-3237445
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