[Debatte-Grundeinkommen] Arbeit, Linkspartei und Grundeinkommen /Konzept

j.behncke j.behncke at bln.de
Di Jun 6 18:47:45 CEST 2006


Hallo, Christian, hallo, Christiane, liebe Liste!

Das mit der Beschäftigungstherapie für Millionäre ist nicht ganz neu: In Berlin, im preußischen Arkadien, auf der Pfaueninsel ist eine sogenannte Meierei zu besichtigen ( in den Wintermonaten geöffnet ). Diese Meierei diente der preußischen Königsfamilie, Kühe zu melken und andere Art von bäuerlicher Arbeit zu verrichten, schlicht, um die Zeit totzuschlagen. Besuch sehr empfehlenswert.

Nun eine kleine Anmerkung zum Thema Arbeit und des Menschen Verhältnis zu selbiger:

Nach meiner Auffassung ist die "natürliche", in den Urgesellschaften verankerte Form der Arbeit die Betätigung in Ackerbau, Viehzucht und Jagd, schlicht um sich zu ernähren. Je größer die Not, umso größer auch der Fortschritt: Gesellschaften, die von der Natur sozusagen alles angeboten bekommen ( ohne größeren eigenen Einsatz ) entwickeln sich nicht oder nur sehr langsam.
Gesellschaften, die sich mühen (sic!) müssen, entwickeln sich besser oder gar nicht, je nach dem wie die Verhältnisse sind. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich wohl auch die christlich-asketische Einstellung entwickelt, daß das Menschenleben voller "Mühsal" sein müsse.

Schnell haben die führenden Gruppen in den jeweiligen Gesellschaftsordnungen erkannt, daß es einfacher ist, diese Mühsal anderen aufzutragen und selber gut zu leben: Dies war das Prinzip in Griechischen und Römischen Gesellschaften ( Arbeit war verpönt und den Sklaven vorbehalten ) bis hinein in die feudalen Gesellschaftsformen der Neuzeit: Niemand an den Höfen hat sich gepriesen, daß er arbeitet, man hat von den Abgaben der einfachen Bevölkerung gelebt. 

Dann kam die französische Revolution, damit die Abschaffung des Feudalstaates und - janusköpfig und nicht unabhängig davon  -die industrielle Revolution mit ihrer Arbeitsteiligkeit und dem kapitalistischen System als Verteilungsbasis. Mit ihr entwickelte sich der Begriff der Erwerbsarbeit: Ich stehe am Fließband, erhalte einen Lohn und kaufe mir von dem Lohn Brot und Milch, um zu leben. Dieses System war dominierend und Begleiter bei der Entwicklung unserer modernen Demokratien westeuropäischer Prägung - so dominierend, daß heute viele der Ansicht sind, ohne das System kapitalistisch organisierter Erwerbsarbeit funktioniere keine Demokratie (obwohl das klassiche Griechenland ein Gegenbeispiel wäre ).

Dieses System: Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit, hat ca. 200 Jahre ( meist mehr schlecht als recht ) funktioniert. Eine grandiose Ausnahme war das durch die Katastrophe des zweiten Weltkrieges ermöglichte Wirtschaftswunder in der neu gegründeten BRD in den fünfziger bis späten sechziger Jahren. Dieses kurze Kapitel haben sich unsere heute aktiven Politiker zum Maßstab gemacht. Aus dieser Zeit stammt auch die Idee ( Adenauer! ) die Renten auf Basis einer erwerbsarbeitabhängigen Umlage zu finanzieren: Ein System, das bei Vollbeschäftigung genial, bei hoher Arbeitslosigkeit zum Untergang bestimmt ist ( siehe heute ).  

In einer globalisierten und immer produktiveren (Welt)gesellschaft funktioniert das Modell: Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit nicht mehr. Es ist für einen großen Teil der Bevölkerung nicht mehr zu realisieren. 

Ist die Alternative eine Rückkehr zu den Urformen der Gesellschaft? Nein: Die Alternative ist ein andere Verteilung der erwirtschafteten Werte. 

Und das bringt mich nach langer Vorrede zum eigentlichen Thema: Der zentrale Punkt ist nicht die Arbeit, schon gar nicht die Erwerbsarbeit, sondern die Wertschöpfung, das "schöpferisch tätig sein" an sich. Das ist es, was den Menschen antreibt. Zugegebenermaßen trifft das nicht auf jedes Individuum im gleichem Maße zu: Aber es ist wohl von niemendem zu bestreiten, daß es nicht der Sinn des Lebens sein kann, tagaus tagein an einer fiepsenden Lidl Kasse zu sitzen, um sein kümmerliches Dasein zu bestreiten.

Also: statement: Der Mensch will schöpferisch tätig sein ( "schaffen" wie es unsere Freunde in Schwaben nennnen ). Durch die damit verbundene Schaffung von Werten leistet er den wesentlichen Beitrag zur Prosperität der Gesellschaft und damit auch die Basis für ein existenzsicherndes Grundeinkommen.  

Nun mag manche Mutter oder Vater einwenden: das kann ich bei meiner Tochter oder meinem Sohn nicht erkennen: Ein Drang zum Schaffen, schöpferisch tätig zu sein. Das ist wohl wahr in nicht wenigen Fällen: Aber hier zeigt sich, daß der schöpferische Tätigkeitswillen sich nur in Verbindung mit einer gewissen Reife entwickeln kann, und diese - Paradox - ist häufig erst durch Mühsal und Anstrengung zu erringen: jetzt sind wir zurück bei der christlich-asketischen Sozialethik. 

Was nun? Gib das Problem dahin, wo es hingehört: zur gesellschaftlich/individuellen Erziehung, d.h an Schule und Elternhaus. 

Aber sage nicht, daß jeder, der keiner Erwerbsarbeit nachgehen muß, Probleme hat, seinen Tag zu organisieren und "in der Hängematte" liegt: Das Gegenteil ist wahr: Das beste Beispiel sind unsere 20 Millionen Rentner in Deutschland: Sie beeenden von einem Tag auf den anderen ihre Erwerbsarbeit und niemand macht sich Gedanken, daß sie "in der Hängematte" hängen und keinen geordneten Tagesablauf haben. ( Allerdings hat die Kreativität nach 45 Jahren Erwerbsarbeit in einer Fabrik häufig schon sehr gelitten. Aber in der Beziehung erwartet ja auch keiner mehr etwas ).

Schlußfolgerung: Der Mensch will nicht arbeiten, sondern tätig sein, zumindest der reife Mensch hat dieses Bedürfnis. Insofern braucht man nicht besorgt zu sein, sondern im Gegenteil hocherfreut über die Freisetzung von soviel schöpferischem Potential, wenn er keiner Erwerbsarbeit zur Sicherung seiner nackten Existenz mehr nachgehen muß. 

Es ist der Schritt von der erwerbsarbeitzentrierten Gesellschaft ( die nur 200 Jahre von 5000 Jahren aufgeschriebener Menschheitsgeschichte ausmacht ) zu einer Tätigkeitsorientierten Gesellschaft zu unternehmen. 

Grüße

Joachim Behncke, Berlin 

P.S.: Berühmte Beispiele alimentierter künstlerischer Tätigkeit sind Richard Wagner ( ohne Ludwig II kein Ring ) und sehr viele Maler an den Königshöfen des 17. und 18. Jahrhunderts: Wieviel schöpferisches mag wohl in uns stecken und vergammelt am Fließband oder an der Kasse?


----- Original Message ----- 
  From: 1981klaus- 
  To: Debatte Grundeinkommen 
  Sent: Tuesday, June 06, 2006 12:42 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Linkspartei und Grundeinkommen /Konzept


  Hallo Christian und Liste,

  Christian Aurich schrieb:

Gibt es "Beweise" dass Menschen wirklich arbeiten wollen? Gibt es
bereits eine Umfrage, die es belegen würde?
Wenn nicht: wäre es nicht sehr dienlich für die Idee Grundeinkommen
einmal eine representative Umfrage durchzuführen, was die Leute wirklich
machen würden, wenn sie auf einmal für ein Grundeinkommen nicht mehr
arbeiten müssten? Damit könnten Zweifler zumindest schon einmal in
diesem Punkt überzeugt werden.
  
  Siehe mal: http://www.initiative-grundeinkommen.ch/
  http://www.initiative-grundeinkommen.ch/content/was/
  da fehlen noch viele Eintragungen (Eure z.B. und auch meine leider).

  Es gibt noch http://www.bmfsfj.de/Kategorien/aktuelles,did=15980.html
  Ich weiß nicht, ob es inzwischen noch weitere gibt, in dem 1. Freiwilligensurvey 1999 war aber diesem Link des BMFSFJ nach ehrenamtliche Tätigkeit bereits von 1/3 der Bevölkerung getätigt  worden.

  Im Übrigen bekommt der Bürger ja eben nur ein relativ geringes Grundeinkommen. Damit wird er keine großen Sprünge machen können. Wenn er das doch möchte, kann auch er das nur, in dem er dazu verdient. 

  Da ja nicht mehr so viel Arbeit da ist (ich schrieb bereits, nur 1/3 der Bevölkerung lebt angeblich durch die eigene Erwerbsarbeit) , wird er sich Mühe geben müssen, um die angebotene Arbeit zu bekommen. Mühe ist nicht gleich Faulheit.

  Im Übrigen glaube ich, dass allein "good will Beobachten und Vergleichen" zu dem Ergebnis kommen muss, dass ohne menschlichen Druck, dafür aber aus dem Druck der Tatsachenlogik heraus die Bereitschaft, zu sehen was man aus sich und der Welt machen kann wesentlich höher ausfällt. Wenn keiner Lust hat abzuwaschen bleibt das Geschirr eben dreckig.  Aus ähnlichem Grund werden im therapeutischen Rahmen gerne Segelturns angeboten, da dort die Elementargewalt von Notwendigkeiten - auch des gemeinschaftlichen Zusammenarbeitens! - ohne menschlichen Druck erfahrbar wird.

  Außerdem wird der fehlende Druck dazu führen, dass man mehr Lust am Tun hat, weil der ganze Protest- und Widerspruchsgeist, die Diffamierung und Demütigung schlicht rausgenommen wird. Auch, weil man nicht verpflichtet ist, eine Tätigkeit den ganzen Tag zu machen, sondern weil man abwechseln kann. Natürlich muss man verbindlich bleiben. Aber die Zeiteinheiten werden sich anders gestalten können. Was man tut wird man in Absprache und mit einer gewissen Einsicht tun, nicht aus einem eher  undurchsichtigen Gesetz heraus.

  Zum lustigen Schluss: es heißt, dass auch einige gut betuchte Millionäre sich so dermaßen beöden, dass kluge Köpfe das als Marktlücke fanden: sie bringen denen als Therapie und Füllung der von Langeweile durchlöcherten Seele das Bügeln und Hauswirtschaften u.ä, bei.

  Gruß
  Christiane



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