[Debatte-Grundeinkommen] Das Wernersche Grundeinkommen istnicht finanzierbar!

j.behncke j.behncke at bln.de
So Jul 16 16:49:51 CEST 2006


Liebe Liste!

Nein, das ist kein Witz, es ist richtig verstanden.

Auf einer Podimusdiskussion am vergangenen Freitag an der Uni Frankfurt hat er bestätigt, daß in dem Moment der Einführung des Grundeinkommens die Gehälter um eben diesen Betrag zu kürzen seien. Dies sei aber nicht so schlimm, weil es eine einmalige Sache sei und danach nicht wieder vorkomme.

Grüße
Joachim Behncke, Berlin
  ----- Original Message ----- 
  From: lothar walczak 
  To: Volker Brandl 
  Cc: grundeinkommen 
  Sent: Saturday, July 15, 2006 8:44 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Das Wernersche Grundeinkommen istnicht finanzierbar!


  Hallo Herr Brandl.
  Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie, dass Herr Werner folgendes vorschlägt:

  Ich bin abhängig beschäftigt.
  Ich bekomme jetzt 750€ Grundeinkommen vom Staat
  Dafür kann mein Arbeitgeber die ersten 750€ die ich bei ihm verdient hätte, behalten?

  Das wäre allerdings schon im Ansatz abstrus und ich habe das so noch nicht gehört.
  Im Wernerschen Modell gibt es nur Verbrauchssteuer, also kommt ein Freibetrag oder negative Einkommenssteuer oder sonst ein Einbehalt nicht vor!!

  Es ist eher so, dass ich durch das Grundeinkommen in die Lage versetzt werde aus einer stärkeren, weil unabhängigeren Position Lohnverhandlungen zu führen. Die Arbeit wird allerdings billiger, weil die Lohnnebenkosten wegfallen. Das kurbelt die Wirtschaft an und senkt die Nettopreise der Produkte und Dienstleistungen. Der hohe MWST-Satz holt das Geld zur Finanzierung des GE herein. 
  Übrigens soll es JEDER bekommen, egal ob Millionär oder Bettler, unabhängig von Höhe und Art der Einkünfte.
  Nebenbei: So könnte ein Millionär - so er denn durch das Nadelöhr möchte - sein ganzes Kapital verschenken oder der Allgemeinheit zur Verfügung stellen ohne verhungern zu müssen. Gleiches Recht (auf "Armut") für alle. 
  MfG
  Lothar Walczak


  Verehrte Listen-TeilnehmerInnen!


    In einigen Beiträgen dieser Liste wurde in letzter Zeit hin und her argumentiert, wie hoch denn G. Werner sein Grundeinkommen selbst ansetzt, und in welcher Höhe und unter welchen Bedingungen es finanzierbar wäre. So schreibt Carl Jaegert am 23.06: 
     
    "Und auch Götz Werner befürwortet ... ein Grundeinkommen... . Wie hoch in Zahlen und unter welchen steuerlichen Rahmenbedingungen dies sein muß, diese Frage steht doch heute gar nicht auf der Tagesordnung."

    Dem muß ich entgegenhalten: In vielen seiner Äußerungen  hat G. Werner ein existenzsicherndes Mindest-Grundeinkommen von 750 Euro monatlich genannt, das "bereits heute" finanzierbar wäre, und das später angehoben werden  könnte  bis auf 1200 oder 1500 Euro. (Aus seinem Munde gehört,  klang dies für mich keineswegs wie eine bloße "Provokation"). Ebenso konkret  nennt Werner Rahmenbedingungen, unter denen er sein GE realisieren will: Alle heutigen Steuern sollen abgeschafft, der Mehrwertsteuersatz soll, bezogen auf die heutigen Preise, (schrittweise) auf 50 % angehoben werden! Und Werner legt fest, dass das GE "substitutiv" ausgezahlt werden solle. 

    Die Finanzierungsfrage
     
    Der entscheidende Punkt bezüglich dieser Vorgaben: Wenn man sorgfältig nachrechnet - ich habe dies auf der Basis der Finanz- und Sozialstatistiken des Jahres 2003 getan und dabei alle Einsparungen an öffentlichen (!)  Geldern berücksichtigt, die die Einführung eines GE mit sich bringt (nämlich 280 Milliarden Euro) - so erkennt man: der Wernersche Vorschlag ist überhaupt nicht finanzierbar. Egal, wie hoch sein GE ausfiele, würde es sehr große bis astronomische gesamtstaatliche Haushaltsdefizite zur Folge haben.
     
    Wie kann man diese Defizite verstehen? Die Haupt-Antwort auf diese Frage heißt: "substitutive Auszahlung" des GEs! Nach Werner ersetzt ("substituiert") das an jede BürgerInnen ausgezahlte GE (eventuell vorhandenen) Einkünfte bis zur Höhe des GEs. Die Folge:  Arbeitgeber (Staat und Wirtschaft) und Sozialbehörden ersparen sich  deshalb entprechende Gehalts-, Lohn, Sozialgelder- und Renten-Auszahlungen usw. (Siehe dazu den Anhang am Ende dieser Mail).
     
    Eine denkwürdige Konsequenz dieser von Werner geforderten Auszahlungsweise ist dies: Die Grundeinkommens-Auszahlungen aus der Staatskassa  vermehren nicht vor allem dazu, das Geld in den Taschen BürgerInnen. Sondern diese Gelder werden in gleichem oder sogar wesentlich höherem Maß dafür verwendet, der Wirtschaft - ja der Wirtschaft! - Gehalts- und Lohn-Auszahlungen in der Höhe von Hunderten von Milliarden Euro zu ersparen!   Erstaunlich, aber wahr!  Bei einem monatlichen GE von 750 Euro gewinnt die Wirtschaft 256 Milliarden Euro. Dieser Betrag  ist  über das 1,5-fache größer als die Summe, welche die BürgerInnen insgesamt durch die Auszahlung des GEs dazugewinnen (s.u. Anhang)! 
     
    Diese Subventionierung der Wirtschaft ist also von einer Größenordnung, die es in  unserer Republik noch nie gegeben hat. Das sind Fakten,  die in dieser quantitativen Ausprägung  leider nur den allerwenigsten FreundInnen des Wernerschen GEs überhaupt bewußt sind!  Ob sie Werner selbst bewußt sind? Jedenfalls hat er diese zwingenden und und für den steuerzahlenden Bürger durchaus relevanten Konsequenzen seiner Modellannahmen nie und nirgendwo offengelegt! (Warum wohl nicht?) Ist es angesichts dieser Zahlenverhältnisse überhaupt angemessen, vom "Wernersches Grundeinkommen" zu sprechen? Wäre nicht "Wernersche Wirtschaftssubventionierung" der angemessenere Begriff? 
     
    Werner hofft, daß die Wirtschaft diese Subventionen, die ihr bedingungslos (!) zugute kommen, über Preissenkungen an die Konsumenten von Gütern weitergeben würde. Für die Finanzierungsproblematik des GEs ist dies allerdings unerheblich:  Denn gänzlich unabhängig davon, was die Wirtschaft mit den auf diese Weise gewonnenen Milliarden letztlich macht, die dafür erforderlichen Auszahlungen aus der Staatskassa belasten das gesamtstaatliche Budget außerordentlich  und erzeugen riesig große, untragbare Haushaltsdefizite. Jeder der einmal wirklich rechnet, kann dies sehen (s.u. Anhang)!

    So betrachtet, ist die Realisierbarkeit des Wernerschen GE eben keineswegs nur eine "rechtliche Frage", wie Carl Jaegert kürzlich geschrieben hat, sondern es geht zunächst einmal darum, sich über die Konsequenzen der Wernerschen Modellannahmen klar zu werden, insbesondere auch über die Konsequenzen für die Finanzierungs-Problematik. Und diesbezüglich zeigt sich eben: Man kann nicht mehr Geld ausgeben, als man hat, wenn man nicht eine Reise nach Wolkenkukucksheim antreten will. Dies gilt auch für den Staatshaushalt. Und wenn der Staat so viel ausgeben soll, wie Werner dies vorsieht, dann müßte Werner auch klar zeigen, wo dieses Geld herkommen soll! Dies hat er aber eben solide bisher nie getan. Seine diesbezüglichen Äußerungen erweisen sich, wenn man sie präzise nachrechnet,  als extrem kurzschlüssig und undurchdacht. Dies wurde für mich durch zahllose kontroverse Diskussionen in Werners engerem Umfeld erhärtet. Insofern ist das Wernersche Modell in meinen Augen - ein Luftschloß! Denn alle Wernerschen Verheissungen positiver gesellschaflicher Wirkungen seines GEs stehen oder fallen ja mit der Möglichkeit der Finanzierbarkeit des GEs.
     
    Deshalb zweifle ich  auch nicht daran: Grundeinkommens-Freunde, zu denen auch ich mich zähle, werden früher oder später nicht darum herum kommen, über realisierbare, über ehrlich durchgerechnete Modelle nachzudenken!

    Mit freundlichen Grüßen!   Volker Brandl


     
    Anhang: Die "substitutive Auszahlung" des GEs
     
    Das GE an alle BürgerInnen "substitutiv auszuzahlen", wie Werner dies vorsieht, heißt: Jede BürgerIn enthält das volle GE; es ersetzt allerdings bisherige Einkünfte oder Einkunftsteile. Hinsichtlich der Erwerbstätigen in der Wirtschaft, die ein Erwerbs-Einkommen - über der Höhe des GE liegend - beziehen,  und das sind bei 750 Euro GE  die meisten, bedeutet dies: 750 Euro ihres (Netto-) Erwerbseinkommens werden durch das GE ersetzt. Diesen Teil des Einkommens braucht der Arbeitgeber nicht mehr zu bezahlen, denn abhängige Erwerbstätige, die höhere Einkünfte haben als das GE, sollen ja nach Werner durch die Auszahlung des GEs nicht "reicher" werden. Die Wirtschaft als Arbeitgeber kann also, so Werner,  Gehalts- und Lohnauszahlungen in beträchtlichem Ausmaß einsparen, und zwar (netto) pro ArbeitnehmerIn in der Höhe des GEs. Belaufen sich Erwerbseinkünfte hingegen auf einen  geringeren Betrag als 750 Euro, so erspart sich die Wirtschaft nur diesen geringeren Betrag; die BürgerIn verfügt in diesem Fall über Gesamt-Einkünfte genau in der Höhe des GEs.
     
    Stellt man analoge Überlegungen für alle 30 Millionen abhängigen Erwerbstätigen in der Wirtschaft an, so kann man unter Zugrundelegung von Einkommensstatistiken leicht ausrechnen, welche (Netto-) Gehalts- und Lohnzahlungen die Wirtschaft durch GE-Auszahlungen insgesamt einspart. Rechnet man noch die GEs-Auszahlungen für die 4,2 Millionen Selbstständigen hinzu, so ergeben sich, wie gesagt, - bei einem GE von  750 Euro monatlich - gigantische 256 Milliarden Euro an Wirtschaftssubvention. Diese Summe  vergrößert sich bei einer Erhöhung auf ein GE von 1500 Euro auf sage und schreibe 419 Milliarden Euro jährlich. Und das bei einem Gesamt-Staatsbudget von ca. 500 Milliarden Euro!
     
    Entscheidend ist hier: Diese Ausgaben für das Wernersche GE müssen aus dem Staatshaushalt finanziert werden, sie reissen tiefe Löcher in die Staatskassa, sie  verursachen astronomisch hohe Haushaltsdefizite: So resultiert für ein GE von 750 Euro monatlich (berechnet für 70 Millionen BürgerInnen)  summa summarum ein jährliches Gesamt-Staatshaushalts-Defizit von 286 Milliarden Euro! (Im Jahr 2003 hatten wir ein Staats-Defizit von 65 Milliarden und dies war schon viel zu hoch!)  Die Höhe dieses Defizits entspricht, wie man sieht, in etwa der Höhe der Wirtschaftssubvention. Womit die Eingangsthese bestätigt ist, dass das hier betrachtete Defizit entscheidend durch die substitutive (!) Auszahlung des GEs verursacht wird. Bei einem Hochgehen auf ein GE von monatlich 1500 Euro erhöht sich das Defizit des Staatshaushaltes sogar auf 850 Milliarden Euro! Nichts könnte somit falscher sein als das Wernersche, auf sein eigenes Modell gemünzte  Wort , "dass alle zur Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens erforderlichen Geldströme schon heute fließen".
     
    Diese Zahlen sprechen für sich!  Man fühlt sich wie auf einen anderen Stern versetzt!
     
    Wenn Werner übrigens angesicht der Finanzierungsproblematik  manchmal vage andeutet, dass die hier erläuterten exorbitanten Haushalts-Defizite durch zukünftig zu erwartende Produktivitätsgewinne ausglichen werden könnten, so halte ich dies - in mehreren Hinsichten - für reines, unbegründetes Wunschdenken...  
     





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