[Trennmuster] Variable(n), Programmvariable(n)
Guenter Milde
milde at users.sf.net
Mi Okt 12 14:27:00 CEST 2022
Am 7.10.22 schrieb Keno Wehr:
> Am 26.09.22 um 17:45 schrieb Guenter Milde:
> > > > Mein Vorschlag ist die Auszeichnung
> > > >
> > > > va-ri>a-bel
> > > > Va-ri>a-ble
> > > >
> > > > analog zu
> > > >
> > > > al-ge-bra>i-sche
> > > > Al-ka-lo>i-de
> > > > Ar-te-ri>i-tis
> > > > ...
> > > > Zy-klo>i-den
> > > >
> > > > Mit Zykloide haben wir einen Präzedenzfall für die Auszeichnung einer im
> > > > Duden rot gekennzeichneten Schwankungs-Morphemgrenz-Notrennung (auch in AR).
> > > Meines Erachtens ist das Wortbildungssuffix eher „-bel“ von lat. „-bilis“.
> > > Das a dürfte in der Regel zum Wortstamm gehören (lat. Infinitive variare,
> > > acceptare).
> > Da halte ich mich lieber an die etablierte Sprachwissenschaft:
> >
> > https://www.duden.de/rechtschreibung/_abel
> > https://www.dwds.de/?qu=-bel
> > https://www.dwds.de/wb/-abel
> Mich erinnert das an die Diskussion über das Suffix -ment vs. -ament vor
> einigen Jahren.
> Das DWDS ist ein wertvolles Hilfsmittel, aber in diesem Fall nehme ich mir
> eine andere Meinung heraus.
> Der Dissens ist vor allem darin begründet, dass die „etablierte
> Sprachwissenschaft“ den Wortschatz heute vor allem nach der „synchronen
> Methode“ analysiert, d. h. ohne die Beachtung der Etymologie. Ich dagegen
> bin ein entschiedener Anhänger der „diachronen Methode“, die ein Wort aus
> seiner Geschichte erklärt.
> Bei den Wörtern auf -bel/-abel ist die Geschichte nun etwas unübersichtlich.
> Es gibt Wörter wie variabel (< lat. variabilis), die schon die alten Römer
> kannten. Andere – wie blamabel – sind nach etwas anderen Gesetzmäßigkeiten
> erst im Französischen gebildet worden und können auf keinen direkten
> lateinischen Vorläufer verweisen.
> Die Römer hängten das Suffix -bilis an den Wortstamm an. Falls der Wortstamm
> nicht auf einen Vokal endete, wurde „i“ als Füllvokal verwendet.
> Verb acceptare, Stamm accepta- > Adjektiv acceptabilis
> Verb durare, Stamm dura- > Adjektiv durabilis
> Verb formidare, Stamm formida- > Adjektiv formidabilis
> Verb miserari, Stamm misera- > Adjektiv miserabilis
> Verb variare, Stamm varia- > Adjektiv variabilis
> Verb compati, Stamm compati- > Adjektiv compatibilis mit i als Bestandteil
> des Stamms
> Verb disponere, Stamm dispon- > Adjektiv disponibilis mit Füllvokal i
> Verb dissolvere, Stamm dissolv- > Adjektiv dissolubilis mit als u gelesenem
> v am Stammende (gleicher Buchstabe im klassischen Latein)
> Verb flectere, Partizip flexus, Stamm flex- > Adjektiv flexibilis mit
> Füllvokal i
> Verb convertere, Stamm convert- > Adjektiv convertibilis mit Füllvokal i
> Verb revertere, Partizip reversus, Stamm revers- > Adjektiv reversibilis mit
> Füllvokal i
> Im Französischen wurde später aufgrund von Übergeneralisierung bei
> Neubildungen generell -able an den Stamm gehängt.
> Verb blâmer, Stamm blâm- > Adjektiv blâmable
> Verb discuter, Stamm discut- > Adjektiv discutable
> Verb profiter, Stamm profit- > Adjektiv profitable
> Dagegen mit i statt a:
> frz. Substantiv peine > Adjektiv pénible
> Es gibt dann auch Fälle, wo beide Prinzipien in eins fallen:
> lat. Verb operari, Stamm opera- > frz. Verb opérer, Stamm opér- > Adjektiv
> opérable
> lat. Verb confortare, Stamm conforta- > frz. Verb conforter, Stamm confort-
> > Adjektiv confortable > engl. comfortable
Ich denke, sowohl Römer als auch Franzosen haben sich bei der Wortbildung
nur wenig darum geschert, ob der Vokal an der Morphemgrenze nun zum Stamm
oder zum Suffix gehört. Das haben dann erst spätere Sprachwissenschaftler
"entschieden", beim Versuch Ordnung in die "natürlich" gewachsene Sprachen
zu bringen.
> Unklar ist die genaue Ableitung von „justitiabel“, aber letztlich steht
> dahinter offenbar das lat. Substantiv „justitia“.
Laut https://www.duden.de/rechtschreibung/justiziabel
französisch justiciable < mittellateinisch justitiabilis
also auch über das Französische (mit -able) in das Deutsche gelangt.
> Die einzigen Markierungskandidaten für ein Suffix >abel wären „variabel“ und
> „justitiabel“. Aufgrund der beschriebenen Sachlage plädiere ich für einen
> Verzicht auf diese Markierung.
Die Sprachwissenschaft gibt uns also keine konsensfähige Begründung der
Trennstellenauszeichnung. Es bleibt der Dissens bezüglich der Handhabung von
Zwischenstationen (hier Französich) bei der Übernahme fremder Wörter ins
Deutsche.
Für die Auszeichnung in der Trennmusterliste ist allerdings die "Qualität"
der Trennstelle in der deutschen Gegenwartssprache entscheidend:
Hilfe/Erschwernis beim Lesen, Ligaturaufbruch, Aussprache, Abweichungen von
der Sprechsilbenregel, Silbenverteilung im Notentext.
Hinzu kommt der Wunsch nach innerer Konsistenz und Klarheit der Auszeichnung.
Ich ändere meinen Auszeichnungsvorschlag auf "va-ri-a-ble":
Angesichts dessen, dass den 2 Wörtern mit …iable rund 20 mit
-able gegenüberstehen, die nicht an der Morphemgrenze getrennt werden
(akzeptabel, …, ve-ri-ta-bel) ist meines Erachtens die Trennung Varia-
ble ähnlich ungünstig der bei Suffixauszeichnung bevorzugten Trennung Vari-
able.
Für Ligaturaufbruch und Sprechsilbenregel ist die Auszeichnung egal.
Die Aussprachebeispiele im Netz legen eine getrennte Aussprche der Vokale ia
aber ohne Glottisschlag nahe.
Mit der gegenwärtigen Auszeichnung "va-ri.a-ble" ist die Trennung im
TeX-Normalstil in AR und NR genau wie im Notentext "va-ria-ble".
Mit der Auszeichnung "va-ri-a-ble" bleibt die Trennung im TeX-Normalstil
gleich, aber im Notentext hätten wir "va-ri-a-ble".
So würde ich "variable" auch vorzugsweise singen/auf Noten verteilen.
Die innere Konsistenz der "wortliste" ist durch die 150 anderen
Vorkommen von "i-a-" (A·dri-a-na, …, Di-a-mant, …, Triage, Vi-a-gra) gegeben.
Bei justitiabel/justiziabel höre ich eine stärkere Verschleifung des "ia"
zu "ja": hier plädiere ich für Beibehaltung von jus-ti-ti.a-bel analog zu
Jus-ti-ti.ar und Jus-ti-ti.as.
Günter
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