[Trennmuster] Variable(n), Programmvariable(n)
Keno Wehr
wehr at abgol.de
Fr Okt 7 22:49:48 CEST 2022
Am 26.09.22 um 17:45 schrieb Guenter Milde:
>>> Mein Vorschlag ist die Auszeichnung
>>>
>>> va-ri>a-bel
>>> Va-ri>a-ble
>>>
>>> analog zu
>>>
>>> al-ge-bra>i-sche
>>> Al-ka-lo>i-de
>>> Ar-te-ri>i-tis
>>> ...
>>> Zy-klo>i-den
>>>
>>> Mit Zykloide haben wir einen Präzedenzfall für die Auszeichnung einer im
>>> Duden rot gekennzeichneten Schwankungs-Morphemgrenz-Notrennung (auch in AR).
>> Meines Erachtens ist das Wortbildungssuffix eher „-bel“ von lat. „-bilis“.
>> Das a dürfte in der Regel zum Wortstamm gehören (lat. Infinitive variare,
>> acceptare).
> Da halte ich mich lieber an die etablierte Sprachwissenschaft:
>
> https://www.duden.de/rechtschreibung/_abel
> https://www.dwds.de/?qu=-bel
> https://www.dwds.de/wb/-abel
Mich erinnert das an die Diskussion über das Suffix -ment vs. -ament vor
einigen Jahren.
Das DWDS ist ein wertvolles Hilfsmittel, aber in diesem Fall nehme ich
mir eine andere Meinung heraus.
Der Dissens ist vor allem darin begründet, dass die „etablierte
Sprachwissenschaft“ den Wortschatz heute vor allem nach der „synchronen
Methode“ analysiert, d. h. ohne die Beachtung der Etymologie. Ich
dagegen bin ein entschiedener Anhänger der „diachronen Methode“, die ein
Wort aus seiner Geschichte erklärt.
Bei den Wörtern auf -bel/-abel ist die Geschichte nun etwas
unübersichtlich. Es gibt Wörter wie variabel (< lat. variabilis), die
schon die alten Römer kannten. Andere – wie blamabel – sind nach etwas
anderen Gesetzmäßigkeiten erst im Französischen gebildet worden und
können auf keinen direkten lateinischen Vorläufer verweisen.
Die Römer hängten das Suffix -bilis an den Wortstamm an. Falls der
Wortstamm nicht auf einen Vokal endete, wurde „i“ als Füllvokal verwendet.
Verb acceptare, Stamm accepta- > Adjektiv acceptabilis
Verb durare, Stamm dura- > Adjektiv durabilis
Verb formidare, Stamm formida- > Adjektiv formidabilis
Verb miserari, Stamm misera- > Adjektiv miserabilis
Verb variare, Stamm varia- > Adjektiv variabilis
Verb compati, Stamm compati- > Adjektiv compatibilis mit i als
Bestandteil des Stamms
Verb disponere, Stamm dispon- > Adjektiv disponibilis mit Füllvokal i
Verb dissolvere, Stamm dissolv- > Adjektiv dissolubilis mit als u
gelesenem v am Stammende (gleicher Buchstabe im klassischen Latein)
Verb flectere, Partizip flexus, Stamm flex- > Adjektiv flexibilis mit
Füllvokal i
Verb convertere, Stamm convert- > Adjektiv convertibilis mit Füllvokal i
Verb revertere, Partizip reversus, Stamm revers- > Adjektiv reversibilis
mit Füllvokal i
Im Französischen wurde später aufgrund von Übergeneralisierung bei
Neubildungen generell -able an den Stamm gehängt.
Verb blâmer, Stamm blâm- > Adjektiv blâmable
Verb discuter, Stamm discut- > Adjektiv discutable
Verb profiter, Stamm profit- > Adjektiv profitable
Dagegen mit i statt a:
frz. Substantiv peine > Adjektiv pénible
Es gibt dann auch Fälle, wo beide Prinzipien in eins fallen:
lat. Verb operari, Stamm opera- > frz. Verb opérer, Stamm opér- >
Adjektiv opérable
lat. Verb confortare, Stamm conforta- > frz. Verb conforter, Stamm
confort- > Adjektiv confortable > engl. comfortable
Unklar ist die genaue Ableitung von „justitiabel“, aber letztlich steht
dahinter offenbar das lat. Substantiv „justitia“.
Die einzigen Markierungskandidaten für ein Suffix >abel wären „variabel“
und „justitiabel“. Aufgrund der beschriebenen Sachlage plädiere ich für
einen Verzicht auf diese Markierung.
Gruß
Keno
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