[Trennmuster] Mehrteilige Kurzwörter, Präfixe
Guenter Milde
milde at users.sf.net
Fr Mai 29 13:26:20 CEST 2020
On 27.05.20, Keno Wehr wrote:
> Am 25.05.20 um 13:04 schrieb Guenter Milde:
> > Kurzwörter sind so uneinheitlich, dass eine ausgereifte Systematik für
> > die wenigen Fälle mir zu komplex und zu schwer zu befolgen erscheint.
> > Daher erfolgt(e) die Kennzeichnung "nach Gefühl".
> > Der Kommentar sollte aber immer "Kurzwort" enthalten, wenn der
> > Kurzwortcharakter zu Abweichungen von der gängigen Systematik führt.
> > Dann können Verarbeitungsskripte diese als Ausnahmen handhaben.
> Ist mir auch recht.
> > > Ich schlage sowohl für Fall a als auch für Fall b die einheitliche
> > > Auszeichnung mit „=“ vor. Die Verwendung von „<“ wurde vermutlich
> > > durch das „o“ am Ende von „Abo“ und „Alko“ provoziert. Für mich
> > > liegt hier aber kein Präfixcharakter vor und es handelt sich nicht
> > > um typische Konfixe wie „bio-“, „demo-“, „geo-“. „=“ wird durch den
> > > vollständigen zweiten Bestandteil gerechtfertigt.
> >
> > Ich stimme zu, dass bei Kombination mit einem bekanntem Wort an der
> > Morphemgrenze ein "Morphemtrenner" stehen soll.
> >
> > Doch ich habe anscheinend eine andere Auffassung von "Präfixcharakter".
> > Ich kenne keine allgemein anerkannten, objektiven Kriterien, die eine
> > Zuordnung einer morphologischen Komponente am Wortanfang zur Kategorie
> > Präfix bzw. Teilwort erlauben. Insbesondere für die Worttrennung gelten
> > die gleichen Regeln.
> >
> > Ich wähle die Markierung als Präfix auch bei neugeschöpften Komponenten
> > wenn es sich für mich wie ein Präfix anfühlt, z.B. wegen:
> >
> > * Kürze der ersten Komponente
> > * Geringere "Güte" der Trennung
> > * Ähnlichkeit zu bekannten Präfixen Alko<lenker ~ Bio<gemüse
> > * Bildung in Analogie zu einem präfigiertem Wort
> > (Alko<mat ~ Tempo<mat)
> >
> > oder aus pragmatischen Gründen (einfachere Auszeichnung bei
> > Mehrfachzusammensetzungen).
> >
> > Die hier genannten Beispiele können meinetwegen auch alle mit "="
> > gekennzeichnet werden. Einer allgemeinen Regel "Neuschöpfung != Prefix"
> > würde ich aber nicht zustimmen.
> Ich fasse den Begriff tatsächlich anders auf. Generell verstehe ich unter
> Präfixen eine abgeschlossene Menge (die vermutlich nirgends vollständig
> aufgeführt wird). In diesem Bereich frei etwas neues zu komponieren, geht
> eher nicht, aber man kann es sicherlich auch anders sehen.
Sicher ist ein neuer Präfix nicht so häufig wie eine neue Zusammensetzung
oder Ableitung. Aber warum sollte Sprachwandel bei Präfixen haltmachen?
Zumal der Übergang von einfachen Wörtern über verblasste Präfixe und
präfigierte Wörter zu Zusammensetzungen ein fließender ist.
> Auf diese Thematik komme ich auch vor allem deshalb, weil ich dabei bin, den
> Inhalt der Präfixlisten mit der Wortliste zu vergleichen (mit Hilfe von
> expand_teilwoerter.py).
Welche Präfixlisten sollen als Maßstab dienen? Und wie weit wollen wir uns
von denen "etwas vorschreiben lassen"?
Eine kurze Suche meinerseits brachte nur Listen "der häufigsten ..."
Prefixe oder auf untrennbare Verbalpräfixe beschränkte Listen.
Eine Beschränkung auf untrennbare Verben würde das Problem der
eingeschobenen "ge" und "zu" lösen aber in vielen anderen Fällen zu
erheblich längeren Wichtungssequenzen führen:
mit<an<ge<klagt -> mit==an=ge<klagt
von<ein<an-der -> von==ein=an-der
un<vor<ein<ge<nom-men -> un===vor==ein=ge<nom-men
Psy-cho<neu-ro<en-do<kri-no<lo-gie -> Psy-cho====neu-ro===en-do==kri-no=lo-gie
Manchmal auch zu besserer Wichtung
ul-tra<hoch<er<hitzt -> ul-tra=hoch=er<hitzt (Hierarchie unbestimmt)
I·ko-si<do<de-ka<e·der -> I·ko-si==do==de-ka==e·der
> Und da habe ich mich dann beispielsweise gefragt, ob
> es wirklich nötig ist, für ein Wort (Tempomat) oder zwei Wörter
> (Infotainment, Infothek) ein neues Präfix (tempo-, info-) zu kreieren.
Gegenwärtig haben wir 120 einmalige Präfixe und noch einmal knapp 50 zweimal
vorkommende. Bisher sind Kandidaten dann zu Präfixen geworden, wenn sie
anderen präfigierten Wörtern gleichen:
Japano<logie, Vul-ka-no<lo-ge # wegen z.B. Bio<logie
> Wenn dann demnächst die ganzen Arzneimittel in die Liste übernommen werden
> sollten, würde wohl eine ziemlich große Präfixwelle neu hineinschwappen. Ich
> weiß nicht, ob die Präfixlisten dann noch mit vertretbarem Aufwand wartbar
> sein würden, aber dieses Kriterium ist sicherlich nachrangig.
Letztendlich müssen wir mit Mehrdeutigkeiten und Brüchen leben. Insofern
halte ich die Praktikabilität und "Schönheit" der Auszeichnung in der
Liste für ein wichtigeres Kriterium als die Konformität zu einer
Systematik der Präfixe.
> Vorschlag zur Güte: Der „Abosender“ wird analog zum „Infoabend“ behandelt
> (Abo=sender, Info=abend); „alko-“ wird als neues Präfix anerkannt
> (Alko<lenker).
OK.
> > > 2. Der zweite Bestandteil wurde vorne gekürzt.
> > > a) Der erste Bestandteil ist ein vollständiges Wort.
> > > Tempo<mat (Tempo + Automat)
> > > b) Der erste Bestandteil ist gekürzt, kommt aber auch selbständig vor.
> > > Info<tainment (Information + Entertainment)
> > > c) Der erste Bestandteil ist gekürzt und kommt nicht selbständig vor.
> > > Alko<mat (Alkohol + Automat)
> > > Mecha=tronik (Mechanik + Elektronik)
> > > Hier schlage ich für alle Fälle die Auszeichnung mit „--“ vor. Einen
> > > Präfixcharakter kann ich nirgends erkennen. „=“ wäre höchstens bei a
> > > und b zu rechtfertigen, nicht aber bei „Mechatronik“.
> > Gerade die "Mechatronik" erscheint mir deutlich als zweiteiliges Wort und
> > nicht "aus einem Guß".
> Sehe ich anders. Die beiden Bestandteile sind hier doch ziemlich geschickt
> verlötet, ohne dass die Naht ins Auge fällt.
Phonologisch ja, semantisch sind die gekürzten Bestandteile dennoch
erkennbar, vgl. Eurokopter). Ich hab jetzt wieder Me-cha--tro-nik draus
gemacht weil hier ja wirklich nichts dranhängt.
> > > 3. Der zweite Bestandteil wurde hinten gekürzt, der erste Bestandteil
> > > ebenfalls.
> > > Histo--mat (historischer Materialismus)
> > > Kom--intern (kommunistische Internationale; im Widerspruch zu den
> > > allgemeinen Trennregeln)
> > > Anti<kom--intern
> > > Audi--max (Auditorium maximum)
> > > Jo-sta=beere (Johannis-Stachel-Beere; für die NR im Widerspruch zu
> > > den allgemeinen Trennregeln)
> > > Dies ist die schwierigste Klasse, da „Komintern“ entgegen den
> > > allgemeinen Regeln getrennt wird, ebenso „Josta“ für die NR (wenn
> > > die Trennstelle denn so bleiben soll). Man wird wohl „=“ statt „--“
> > > verwenden müssen. Ein Präfixcharakter ist nicht erkennbar.
> > > Bei zweisilbigen Kurzwörtern wie „Ki-ta“ und „Sta-si“ kann es
> > > dagegen bei der einfachen Auszeichnung bleiben.
> > Für die Jostabeere schlage ich einfache Trennung in "Josta" vor, ggf. mit
> > Unterdrückung.
> >
> > duden.de erwähnt auch Ko-mintern aber schön ist das nicht (auch der Duden
> > empfiehlt nur Kom|in|tern). Da werden wir wohl in den sauren Apfel beißen und
> > An-ti<=kom=in-tern=pakt schreiben müssen.
> Ja. (Eher noch An-ti<=kom=in-tern==pakt.)
> > > 4. Abkürzung mit Präfix
> > > Anti-fa (antifaschistische Aktion)
> > > Dies sollte besser „Anti<fa“ heißen, da „anti“ ein klares Präfix ist.
> > Andererseits ist "Fa" höchstens ein Duschbad.
> >
> > Gegenwärtig ist die Trennung Anti-
> > fa in den Trennstilen "righthyphenmin3"
> > und "hyphenmin3" unterdrückt, mit
> > der Änderung wäre sie erlaubt.
Andererseits möchten wir ja auch lieber Anti-fa als An-tifa...
Ich hab jetzt doch "Anti<fa # Kurzwort".
> > > 5. Analogiebildungen zu „Bibliothek“
> > > Arto-thek (besser: Arto<thek)
> > > Disco-thek (besser: Disco<thek)
> > > Hobby=thek
> > > Info<thek (besser: Info=thek)
> > > Video<thek(evtl. auch Video=thek, je nachdem, wie man „Video“
> > > deutet: Kurzwort oder Konfix)
Hier haben wir eine "indirekte Analogie":
Biblio<thek wegen Biblio-
wegen Biblio<grafie wegen Photo<grafie, ...
und Biblio<philie wegen Hämo<philie, Hydro<philie, ...
Und dann analog
Ki-ne-ma<thek, Me-di·o<thek, Pi-na-ko<thek, Vi-no<thek, Dis-ko<thek
In-fo<thek
> > Analog zu "-los", "-keit" und "-artig" könnten wir hier auch eine
> > Suffixauszeichnung vornehmen.
> > Dann wäre auch über "-logie"
> philie, und >kratie
> > nachzudenken.
Allerdings sind da einige der Bestimmungswörter recht "präfixartig"
(Ana-, Apo-, Tauto-, Tri-, ...).
> Hm. Hattest du nicht neulich am Beispiel „Genealogie“ gezeigt, dass das
> nicht geht?
> Wenn ich es richtig verstanden habe, müsste bei einem Suffix die Trennung
> „Gene-alogie“ erlaubt sein, die aber auch der neue Duden nicht hat.
> Entsprechend ist es bei „Videothek“.
Stimmt.
Aber auch bei den als Suffix ausgezeichneten Teilen gibt es bereits
"echte" und "wortartige", z.B. reu·e>los statt reu-e>los
> Ich könnte mir aber Suffixmarkierung bei „-mat“ vorstellen: Alko>mat,
> Tempo>mat?
> In der Liste steht auch noch der „Ban-ko-mat“ (ohne besondere Auszeichnung).
Da sträubt sich mein Sprachgefühl. Dann doch eher als nicht selbständig
vorkommendes Grundwort analog zu Fällen wie
=ar-bei-tung, =beu-ter, =bür-tig, =by, =ca-po, =dem-mi, ...
denn -mat ist ja ein ursprünglich nur in Automat vorkommendes Kurzwort
https://www.dwds.de/wb/Automat.
> (Und dann ist mir noch das „Glut-amat“ vor die Flinte gelaufen. Das kann
> doch so nicht stimmen!)
Ist (lokal) korrigiert.
> > > 6. Schwierige Chemikalien
> > > Bei den folgenden Fällen bitte ich insbesondere Gisbert und Johannes
> > > um Kommentierung.
> > > Vier hinten gekürzten Bestandteile:
> > > Di-clo--fe-nac < 2-[2-(2,6-*Dic*h*lo*rophenylamino)*phen*yl]*ac*etic
> > > acid
> > > Die ausgewählte günstigste Trennstelle scheint nicht zur
> > > etymologischen Herleitung zu passen. Ebensowenig die Trennung vor
> > > dem „n“. Vielleicht eher „Di<clo=fen=ac“ (vgl. oben Nummer 3).
> > Ich denke, bei diesem Kunstwort ist zu wenig von den Bestandteilen übrig
> > um eine morphemische Trennung zu rechtfertigen. Das ist dann so ähnlich
> > wie Ra=d=a=·r zu trennen (wegen RAdio Detection And Ranging)
> Stimmt. Also einfach „Di-clo-fe-nac“?
Ja.
Viele Grüße
Günter
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