[Trennmuster] Fremdworttrennungen
Keno Wehr
keno.wehr at abgol.de
Mi Jun 13 23:47:11 CEST 2018
Am 11.06.2018 um 00:22 schrieb Guenter Milde:
>
>> Die Analogie zwischen Konsonantengruppen wie »bl«, »kl«, »br« und »kr«
>> einerseits und »gn« andererseits liegt für mich nicht gerade auf der
>> Hand und ich sehe mich hierin in den von modernen Altphilologen für
>> lateinische Texte aufgestellten Silbentrennungsregeln (s. u.)
>> bestätigt.
> Die in der Wikipedia-Übersicht
> https://de.wikipedia.org/wiki/Lateinische_Wortteilung zu findende
> Beschreibung des „muta cum liquida“
>
> ein Cluster aus Verschluss- oder sonstigem stimmlosen Laut und
> Dauerlaut
>
> und die Beispiele
>
> te-gmen, La-tmus, rhy-thmus, Pha-tnae, Ara-chne, Da-phne
>
> liefern die Brücke wenn es -gm, -tm und -tn gibt ist -gn nicht so weit
> von der Rolle...
>
Lieber Günter, liebe Trennfreunde!
Mit diesem Wikipedia-Artikel ist Vorsicht geboten. Zu Recht steht zu
Beginn der Warnhinweis wegen unzureichender Belege. (Die am Ende
angegebene »Lateinische Wortkunde« von Raab ist den hiesigen
Bibliotheken leider nicht zu bekommen.)
Auch wird in dem Artikel darauf hingewiesen, dass es einen Unterschied
zwischen lateinischer Wortteilung und Silbentrennung gebe, ohne zu
sagen, worin dieser liegt und was überhaupt die unterschiedliche
Bedeutung der beiden Begriffe sein soll (vermutlich geht es um
orthographische vs. Sprechsilbentrennung).
Soweit ich es überblicken kann, gibt es für das Lateinische mindestens
drei verschiedene Trennphilosophien. Mit aufsteigender Tendenz zur
Konsonantenhäufung am Zeilenanfang sind dies:
1. Trennung nach den von modernen Altphilologen aufgestellten Regeln,
die sich an (klassischen) lateinischen Lautgesetzen und Sprechsilben
orientieren und durch die Worttrennung in antiken Inschriften weitgehend
unterstützt werden. Hier bleiben bei Konsonantenclustern nur b/p/d/t/g/c
+ l/r zusammen, wie neulich von mir aus der Grammatik von
Rubenbauer/Hofmann zitiert. Trennmuster nach diesen Regeln sind für TeX
unter dem Namen »classiclatin« (Babel-Sprachoption »latin.classic«)
verfügbar (funktionieren aber nicht in allen Fällen zuverlässig, wie mir
scheinen will). Diese Regeln passen in meinen Augen am besten zu der im
deutschen Sprachraum üblichen lateinischen Aussprache.
2. Trennung nach leicht modifizierten italienischen Trennregeln. Dies
wird durch die in Italien und vielen weiteren Ländern übliche Aussprache
des Lateins gerechtfertigt. Die Grundregel ist hier, dass alles auf die
neue Zeile kommt, womit ein italienisches Wort beginnen kann. Über die
unter 1 genannten Konsonantengruppen hinaus bleiben etwa »gn«, »st«,
»str«, »sp«, »sc«, »scr« zusammen. Die TeX-Trennmuster hierzu haben den
Namen »latin« (mit gleichlautender Babel-Sprachoption). Dazu existiert
ein TUG-Boat-Artikel von C. Beccari (Jg. 13, 1992, S. 23).
3. Trennung nach griechischen Trennregeln. Dies entspricht dem, was der
Wikipedia-Artikel »Lateinische Wortteilung« beschreibt. Hier bleiben
weitere Konsontengruppen, beispielsweise »ct«, »gm« und »mn«,
ungetrennt. Rubenbauer/Hofmann schreiben hierzu: »Dagegen weichen die
römischen Nationalgrammatiker hiervon [d. h. von den unter 1 genannten
Regeln] hauptsächlich in der Vorschrift ab, daß zur zweiten Silbe alle
diejenigen Konsonantengruppen zu ziehen seien, die im Wortanlaut stehen
können; die Regel beruht nicht auf lebendiger Sprachbeobachtung, sondern
auf mechanischer Übertragung von Gesetzen der grch. Silbentrennung.«
TeX-Trennmuster existieren für diese Regeln nicht. Sie kommen aber
beispielsweise im Gotteslob für die Trennung lateinischer Gesangstexte
zum Einsatz.
Dies sollte deutlich machen, dass es im Lateinischen keine kanonische
Silbentrennung gibt, auf die man sich bei der Fremdworttrennung berufen
könnte. Ich vermute, dass § 112 und Vorgängerregelungen
Kompromisslösungen sind, die sicherstellen, dass Fremdwörter aus den am
stärksten relevanten Herkunftssprachen (Latein, Griechisch, Französisch)
unter Anwendung einer überschaubaren Regel weitestgehend angemessen
getrennt werden.
Nun noch zum Begriff der Liquida: Hierunter werden leider nicht immer
die gleichen Laute/Buchstaben verstanden. Immer zählen dazu l und r, zum
Teil auch n und evtl. zusätzlich auch noch m. Moderne lateinische
Grammatiken verwenden den Begriff ausschließlich für l und r.
>> Wenn man streng an § 112 festhält, müsste es »Di-a-gno-se« sein, aber das
>> betrachte ich nicht als vorteilhaft.
> Ja, "Diagnose" ist ein Sonderfall, wo die Morphemgrenze mit der
> Fremdwortsilbe zusammentrifft. Solange nur zwischen "traditionell" und
> "moderne Sprechsilben" unterschieden wird, kein Problem. Für "traditionelle
> Sprechsilben" müsste dann z.B. "Dia<-g-no-se" ausgezeichnet werden
> (mit "<-" als Symbol für Trennstelle, die sowohl morphemisch oder auch als
> Fremdwort-Sprechsilbe begründet werden kann).
>
Die Notwendigkeit für »<-« sehe ich nicht.
Wenn »Di-a<g-no-se« ausgezeichnet wird, wird daraus
a) bei etymologischer/morphematischer Trennung »Dia-gno-se« durch
Unterdrückung der Trennstellen im Abstand 1 von der Präfixmarkierung;
b) bei verblasster Etymologie und Sprechsilbentrennung »Di-ag-no-se«
durch Unterdrückung der Präfixmarkierung zwischen Vokal und Einzelkonsonant;
c) bei verblasster Etymologie und Fremdwortsilbentrennung (Anwendung von
§ 112) »Dia-gno-se« durch Unterdrückung der Trennung vor dem Einzelvokal
»a«. Die Trennung nach dem »a« bleibt erhalten, da kein Einzelkonsonant
mehr auf die Präfixmarkierung folgt.
Gruß
Keno
Mehr Informationen über die Mailingliste Trennmuster