[DBJRinfo] Stellungnahme des Deutschen Bundesjugendrings zur öffentlichen Anhörung zum Wehrdienst-Modernisierungsgesetz des Verteidigungsausschusses
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Mi Nov 5 09:55:11 CET 2025
STELLUNGNAHME
Berlin, der 03.11.2025
Die Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) Daniela Broda
wurde als Sachverständige zur öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines
Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes –
Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) des Verteidigungsausschusses
am 10. November 2025 eingeladen. Der DBJR hat dazu eine schriftliche
Stellungnahme abgegeben.
*Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes
zur Modernisierung des Wehrdienstes –
Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) des
Verteidigungsausschusses am 10.11.2025*
Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) ist die Arbeitsgemeinschaft der
Jugendverbände und Landesjugendringe in Deutschland. Er vertritt die
Interessen von rund sechs Millionen jungen Menschen, die sich in
Jugendverbänden engagieren und damit einen zentralen Beitrag zur
demokratischen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Stabilität in
Deutschland leisten. Die Positionen und Forderungen des DBJR beruhen auf
demokratisch legitimierten Beschlüssen junger Menschen über ihre
Jugendverbände und Jugendringe.
*Einordnung und Grundsatz*
Der DBJR teilt die Einschätzung, dass Europa und Deutschland vor
wachsenden sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen
stehen. Die Bedrohungslage ist komplex – sie umfasst nicht nur
militärische Risiken von außen, sondern auch Angriffe auf demokratische
Institutionen, Desinformation, gesellschaftliche Spaltung und die
Delegitimation zivilgesellschaftlicher Strukturen im Inneren.
Komplexe Bedrohungslagen verlangen komplexe Antworten. Sicherheit im 21.
Jahrhundert geht weit über militärische Aufwuchsfähigkeit hinaus. Wer
Verteidigung modernisieren will, darf sich daher nicht auf die
„einfachste Lösung“ beschränken – den Zugriff auf junge Menschen –,
sondern muss auf langfristige Strukturen setzen und die Verantwortung
und notwendige Beiträge dazu über alle Generationen hinweg gerecht
verteilen. In der politischen Debatte wird diese „einfachste Lösung“
häufig mit dem Argument begründet, junge Menschen müssten „etwas
zurückgeben“ oder man könne „ihnen auch etwas abverlangen“. Dieses
Narrativ verkennt die Realität: Junge Menschen leisten längst einen
erheblichen Beitrag zum Gemeinwohl – in Jugendverbänden,
Freiwilligendiensten, Rettungsorganisationen oder Initiativen. Sie
tragen bereits heute Verantwortung für die Gesellschaft, ohne dass man
sie dazu verpflichten müsste. Junge Menschen „schulden“ der Gesellschaft
auch nichts, nur weil sie jung sind. Der Beitrag zur Gesellschaft auch
in Form des Engagements für die innere und äußere Verteidigung der
Demokratie adressiert alle Altersgruppen gleichermaßen.
Zugleich zeigt sich ein deutlicher Widerspruch zwischen der Rhetorik und
der Realität des Gesetzesvorhabens. Während der Entwurf Freiwilligkeit
betont, lassen politische Begründungen und Formulierungen – etwa zur
„Verfügbarkeit“ junger Jahrgänge – erkennen, dass tatsächlich eine
verpflichtende Struktur vorbereitet wird. Diese Diskrepanz und die
daraus resultierende Unsicherheit für die persönliche Lebensplanung
junger Menschen untergräbt Vertrauen. Sie vermittelt den Eindruck,
staatliche Planungssicherheit werde über individuelle Selbstbestimmung
gestellt – und das in einer Lebensphase, die ohnehin durch hohe
gesellschaftliche und persönliche Belastungen gekennzeichnet ist. Junge
Menschen stehen heute unter erheblichem Druck: Sie tragen weiterhin die
Folgen der Pandemie, die gerade ihre Bildungs- und Entwicklungschancen
massiv eingeschränkt hat. Psychische Belastungen und Zukunftssorgen
nehmen zu, weil globale Krisen, der Klimawandel und ökonomische
Entwicklungen zusätzliche Instabilität erzeugen. In dieser komplexen
Gegenwart, in der Stabilität und Orientierung ohnehin rar sind, wiegen
staatliche Eingriffe in individuelle Lebensentscheidungen umso schwerer.
Eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur beruht aus Sicht des DBJR auf
drei Grundprinzipien: *Weitsicht, Verhältnismäßigkeit und
Generationengerechtigkeit.*
*Weitsicht* bedeutet, Sicherheits- und Verteidigungspolitik als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit langfristiger Perspektive zu
begreifen. Eine weitsichtige Sicherheitsarchitektur richtet den Blick
nicht auf kurzfristige Rekrutierungsquoten oder die Wiederbelebung
überholter Strukturen, sondern auf die Entwicklung zukunftsfähiger und
widerstandsfähiger Systeme. Dazu gehört, militärische, zivile und
gesellschaftliche Ressourcen gemeinsam zu denken und sinnvoll zu
verzahnen – von Katastrophenschutz und Daseinsvorsorge bis hin zur
Stärkung des Ehrenamts und der Freiwilligendienste. Weitsicht heißt
auch, dass der Staat alle Formen von Engagement gleichwertig anerkennt
und keine strukturellen oder gesellschaftlichen Ungleichgewichte
schafft, die einzelne Formen der Verantwortung bevorzugen. Eine moderne
Verteidigungspolitik stärkt echte Freiwilligkeit, statt sie durch
implizite Erwartung oder symbolischen Druck zu ersetzen. Schließlich
bedeutet Weitsicht, Vertrauen und Beteiligung als tragende Säulen einer
resilienten Sicherheitskultur zu verstehen: Nur wer junge Menschen als
Partner*innen ernst nimmt und mit ihnen gemeinsam Zukunftsperspektiven
aushandelt, kann auf ihre Bereitschaft bauen, Verantwortung zu übernehmen.
*Verhältnismäßigkeit* verlangt, staatliche Sicherheitsinteressen im
Einklang mit Freiheitsrechten, Selbstbestimmung und gesellschaftlicher
Teilhabe zu wahren. Sie bedeutet, dass staatliches Handeln geeignet,
erforderlich und zumutbar sein muss – und die Grundrechte junger
Menschen nur in dem Maße berühren darf, wie es zwingend notwendig ist.
In einer freiheitlichen Demokratie darf Sicherheit nie auf Kosten der
Freiheit organisiert werden. Verhältnismäßigkeit heißt daher,
Vorsorgepflichten des Staates stets gegen die individuellen Rechte auf
Bildung, Selbstbestimmung und freie Lebensgestaltung abzuwägen.
Maßnahmen, die junge Menschen vorrangig als „verfügbare Ressource“
behandeln oder einseitig in ihre Lebensplanung eingreifen, widersprechen
diesem Grundsatz.
*Generationengerechtigkeit* bedeutet, Verantwortung für Sicherheit,
Freiheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt solidarisch über alle
Altersgruppen hinweg zu tragen. Wer heute politische Entscheidungen
trifft, muss deren Folgen für künftige Generationen mitbedenken – nicht
abstrakt, sondern im direkten Dialog mit jungen Menschen. Echte
Generationengerechtigkeit macht Beteiligung junger Menschen zu einer
selbstverständlichen Voraussetzung demokratischer Entscheidungsprozesse.
Generationengerechtigkeit heißt deshalb auch, junge Menschen nicht als
Verfügungsmasse sicherheitspolitischer Maßnahmen zu behandeln, sondern
als gleichberechtigte Mitgestaltende einzubeziehen. Nur wenn sie aktiv
an den Entscheidungen beteiligt sind, die ihre Zukunft prägen, entsteht
eine Sicherheitsordnung, die Vertrauen in die Demokratie stärkt und
gesellschaftlichen Zusammenhalt über Generationen hinweg sichert.
*Bewertung des Gesetzesvorhabens*
Aus Sicht des DBJR bleibt der vorliegende Gesetzentwurf hinter den
Maßstäben einer modernen und generationengerechten
Sicherheitsarchitektur zurück.
*Pflicht zur Bereitschaftserklärung für junge Männer* (vgl. § 15a
WPflG-E „Bereitschaftserklärung“)
Die verpflichtende Bereitschaftserklärung für männliche Wehrpflichtige
ab dem Geburtsjahrgang 2008 stellt eine neue Form staatlicher Erfassung
dar. Auf behördliche Aufforderung hin müssen Betroffene persönliche
Angaben zu Qualifikationen, körperlicher Leistungsfähigkeit und ihrem
Interesse am Wehrdienst machen. Der vermeintlich „vorbereitende“
Charakter dieser Maßnahme verschleiert ihre tatsächliche Wirkung: Sie
schafft Erwartungsdruck, institutionalisiert Verfügbarkeiten und leitet
faktisch eine Struktur für mögliche spätere Einberufungen ein. Besonders
kritisch ist, dass die Erhebung der Daten einem doppelten Zweck dient:
Sie soll einerseits das Interesse am Wehrdienst fördern, andererseits im
Spannungs- oder Verteidigungsfall zur Priorisierung bei Einberufungen
herangezogen werden. Hier besteht die Gefahr, dass junge Menschen nicht
vollumfänglich über die Konsequenzen ihrer Angaben informiert sind.
§ 15a Absatz 5 des Entwurfs erlaubt dem Staat, die
Bereitschaftserklärung „erneut anzufordern“, ohne Zeitraum oder Anlass
zu definieren. Unklar bleibt, ob dabei lediglich Qualifikationen
aktualisiert oder sämtliche Angaben einschließlich der grundsätzlichen
Bereitschaft erneut erhoben werden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist
eine vollständige Neuabfrage anzunehmen, was im Interesse junger
Menschen wäre, damit diese sich zu allen Angaben, insbesondere zur ihrem
möglicherweise erklärten Interesse an der Bundeswehr, neu verhalten
können. Um eine tatsächliche Korrekturmöglichkeit sicherzustellen, muss
der Gesetzestext aus Sicht des DBJR klarstellen, dass bei jeder erneuten
Aufforderung alle Angaben neu erhoben werden. Ein ausdrückliches Recht
auf Berichtigung oder Widerruf der Angaben ist bisher nicht vorgesehen.
Daher sollte §15a um ein einen Rechtsanspruch auf jederzeitige
Berichtigung der Angaben ergänzt werden, etwa durch ein Onlineformular
beim Bundesamt für das Personalmanagement.
Der DBJR betont weiterhin, dass die Entscheidung für einen militärischen
Dienst frei von ökonomischem Druck oder staatlichen Erwartungen sein
muss. Bildungszugang oder berufliche Förderung dürfen nicht an
militärisches Engagement gekoppelt werden. Die Annahme, dass durch
gezielte Ansprache, Beratung und Anreizsysteme die Bereitschaft junger
Menschen für einen freiwilligen Militärdienst gesteigert werden kann,
ist aus Sicht des DBJR zudem widersprüchlich. Denn wenn man meint, der
Militärdienst müsse besonders beworben und attraktiver gemacht werden,
um freiwillig gewählt zu werden, bedeutet das zugleich, dass dieser
Dienst von sich aus nicht gleichwertig oder ansprechend genug ist. Würde
man dieses Argument konsequent auf alle Formen freiwilligen Engagements
anwenden, müssten soziale, ökologische oder kulturelle Dienste mit
denselben Mitteln gezielt gefördert wer-den, statt über Dienstpflichten
nachzudenken. Im Entwurf wird jedoch vor allem der militärische
Dienstbesonders unterstützt, während zivilgesellschaftliches Engagement
vergleichsweise wenig Beachtung findet.
Sollte – entgegen der Forderung des DBJR – mit dem Gesetz eine
verpflichtende Bereitschaftserklärung eingeführt werden, fordert der
DBJR daher, dass junge Menschen im Rahmen dieses Verfahrens umfassend
und ausgewogen über sämtliche Formen des Engagements für Staat und
Gesellschaft informiert werden – ausdrücklich auch über zivile und
soziale Möglichkeiten, etwa in den Freiwilligendiensten, im
Katastrophenschutz oder im Rettungswesen. Nur auf dieser Grundlage kann
eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung getroffen werden.
Zugleich weist der DBJR darauf hin, dass eine solche Informationspflicht
keine tatsächliche Gleichstellung zwischen militärischen und zivilen
Diensten bewirken würde. Für eine echte Wahlfreiheit ist vielmehr
erforderlich, dass insbesondere die Freiwilligendienste deutlich besser
ausgestattet und strukturell gestärkt werden. Gleiches gilt für andere
Formen des freiwilligen Engagements.
Darüber hinaus hält der DBJR es für unabdingbar, dass junge Menschen im
Rahmen einer solchen Bereitschaftserklärung auch über ihr
verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Kriegsdienstverweigerung
sowie über die entsprechenden Verfahren informiert werden, um eine
wirklich informierte und selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.
Besorgniserregend bleibt die gezielte Fokussierung auf junge Jahrgänge,
die offenbar als besonders verfügbar und flexibel gelten. Der
Gesetzentwurf argumentiert offen, diese Altersgruppe sei „noch nicht
nachhaltig etabliert“ – eine Formulierung, die eine problematische
Haltung offenbart: Junge Menschen werden als weniger schutzwürdig
wahrgenommen, ihre Lebensentwürfe als vorläufig abgewertet. Gerade in
dieser Phase der Orientierung sind sie jedoch besonders verletzlich. Ein
staatlicher Eingriff in dieser Zeit wirkt tief in individuelle
Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse hinein und kann Biografien
dauerhaft prägen. Umso wichtiger ist es, junge Menschen in dieser
Lebensphase besonders vor solchen Zugriffen zu schützen und
anzuerkennen, dass Lebensplanungen und (Berufs)Biographien von älteren
Bevölkerungsgruppen ebenso Veränderungsprozessen unterliegen und eine
Bereitschaftsabfrage hier dann konsequenterweise ebenso notwendig wäre.
Dies wäre Ausdruck einer intergenerationellen Gleichbehandlung und
Anerkennung dessen, dass junge Menschen die aktuelle
sicherheitspolitische Lage nicht zu verantworten haben.
Damit stellt sich grundsätzlich die Frage, warum ausschließlich junge
Menschen über ihre Bereitschaft zu einem Dienst bei der Bundeswehr
Auskunft geben sollen. Diese einseitige Fokussierung ist nicht
sicherheitspolitisch begründet, sondern politisch bequem. Junge Menschen
verfügen über wenig institutionelles Gewicht, um sich gegen solche
Maßnahmen zu wehren. Selbst das Wahlrecht als eine der grundlegendsten
politischen Beteiligungsmöglichkeiten wird ihnen bis zu diesem Zeitpunkt
vorenthalten. Würde der Gesetzentwurf stattdessen vorsehen, dass auch
ältere Jahrgänge eine entsprechende Erklärung abgeben müssen, wäre die
gesellschaftliche Debatte über Zumutbarkeit, Freiheit und
Selbstbestimmung vermutlich eine völlig andere. Der Entwurf nutzt somit
nicht die sicherheitspolitisch effektivste, sondern die politisch am
wenigsten widersprochene Option – und das auf Kosten einer Generation,
die ohnehin strukturell unterrepräsentiert ist.
Ferner widerspricht diese Haltung nicht nur dem Anspruch auf
Selbstbestimmung und Respekt gegenüber jungen Biografien – sie steht
auch exemplarisch für einen adultistischen Blick auf junge Menschen:
Politisch wird seit Jahren an den Bedarfen junger Generationen gespart,
zentrale Zukunftsfragen – von Klimaschutz über Rentensystem bis hin zu
Bildungsgerechtigkeit – bleiben ungelöst. Während echte politische
Antworten auf die Lebenslagen und Perspektiven junger Menschen
ausstehen, soll nun gerade diese Generation herangezogen werden, um
strukturelle Versäumnisse im Sicherheitsbereich auszugleichen.
Auch wird innerhalb der Bundeswehr selbst zunehmend betont, dass es
nicht nur um Rekrutierung „an der Waffe“ geht – vielmehr besteht ein
wachsender Bedarf an qualifizierten Fachkräften, etwa in Bereichen wie
Logistik, Infrastrukturinstandhaltung oder Technik. Ein nachhaltiger
Aufbau von Kapazitäten und sogenannter „Backbonestrukturen“ lässt sich
jedoch nicht allein durch Bereitschaftsabfragen bei jungen Menschen
realisieren.
*Verordnungsermächtigung (§ 2a WPflG-E)*
Der DBJR spricht sich nachdrücklich gegen die Einführung der in § 2a
WPflG-E vorgesehenen Verordnungsermächtigung aus. Der Gesetzesentwurf
ermöglicht durch die Einführung der Verordnungsermächtigung der
Bundesregierung nach Zustimmung durch den Bundestag ein beschleunigtes
Verfahren zu Wiedereinführung der Wehrpflicht ohne formales
Gesetzgebungsverfahren. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen für den
Erlass der Verordnung nicht ausreichend definiert. Dadurch kann eine
öffentliche Auseinandersetzung über die sogenannte
„verteidigungspolitische Lage“ kurzfristig umgangen werden und die
Planungssicherheit für junge Menschen wird untergraben.¹
*Fehlende Beteiligung junger Menschen*
Trotz der weitreichenden Auswirkungen auf junge Menschen wurden ihre
Perspektiven im gesamten Gesetzgebungsverfahren bislang nicht
systematisch einbezogen. Ein Dialog mit jungen Menschen hat bislang
schlicht nicht stattgefunden. Einen derart tiefgreifenden Eingriff in
ihre Lebensplanung und Freiheitsrechte ohne aktive Beteiligung
vorzunehmen, widerspricht grundlegenden Prinzipien demokratischer
Teilhabe. Dieses Gesetzesvorhaben der Bundesregierung greift vermutlich
wie kein anderes so massiv in die Freiheitsrechte und Lebensplanungen
junger Menschen ein. In Anbetracht der massiven Auswirkungen auf junge
Menschen ist dieses Vorgehen der Bundesregierung beteiligungsfeindlich
und wertet junge Menschen als bloßes Objekt staatlichen Handelns ab.
Immer wieder wird in der politischen Debatte – vor allem von erwachsenen
Entscheidungsträger*innen – das Argument bemüht, junge Menschen selbst
wünschten sich eine Pflicht. Dieses Narrativ dient inzwischen häufig als
Legitimationsgrundlage für verpflichtende Elemente im vorliegenden
Gesetzentwurf oder gar für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Es
spiegelt jedoch nicht die tatsächlichen Haltungen junger Menschen
wider.² Zugleich zeigt sich ein deutlicher Generationeneffekt: Die
Zustimmung zur Wehrpflicht steigt mit dem Alter der Befragten, während
die ablehnende Haltung am stärksten unter denjenigen ausgeprägt ist, die
selbst potenziell betroffen wären.³
Zugleich fehlt jungen Menschen weitgehend die Möglichkeit, ihre Sorgen,
Bedarfe und Einwände in die politische Debatte einzubringen. Bis zur
Volljährigkeit sind sie vom Wahlrecht ausgeschlossen, und auch jenseits
dessen existieren kaum verbindliche Beteiligungsstrukturen, die ihre
Perspektiven in sicherheits- oder verteidigungspolitische
Entscheidungsprozesse einbeziehen.
Wie deutlich dieses Defizit ist, zeigte bislang der Umgang des
Bundesministeriums der Verteidigung mit eigenen
Beteiligungsankündigungen. Ende 2024 hatte das Ministerium selbst zu
einem Servicedesign-Workshop eingeladen, um gemeinsam mit jungen
Menschen Möglichkeiten einer beratenden Mitwirkung an der Konzeption
eines neuen Wehrdienstes zu entwickeln. Das Format sollte ausdrücklich
dazu dienen, „junge Menschen als Fachleute in eigener Sache“
einzubeziehen – wurde jedoch kurzfristig abgesagt und bis heute nicht
ersetzt. Auf massives Drängen der Jugendverbände hin findet nun ein
Austausch zwischen Bundesminister Boris Pistorius und Vertretungen aus
Jugendverbänden statt. Dieser Schritt ist grundsätzlich zu begrüßen,
kann jedoch – auch gemessen an den Qualitätsstandards für Kinder- und
Jugendbeteiligung⁴ – nicht als Beteiligungsformat im engeren Sinne
verstanden werden. Er kommt zu spät, um Einfluss auf zentrale
Weichenstellungen zu nehmen, und bleibt in seiner Anlage auf ein
Austauschformat beschränkt. Aus Sicht des DBJR braucht es insbesondere
für derart in das Leben junger Menschen einschneidende Gesetzesvorhaben
vor dem formalen Gesetzgebungsprozess eine wirksame und echte
Jugendbeteiligung auf Augenhöhe.
Der DBJR stellt fest: Der Gesetzentwurf greift tief in das
Selbstbestimmungsrecht junger Menschen ein und schafft strukturelle
Voraussetzungen für eine mögliche Reaktivierung der Wehrpflicht – ohne
offene, transparente und beteiligungsorientierte gesellschaftliche
Debatte. Die politische Einbindung der noch nicht Wahlberechtigten
bleibt bislang unzureichend. Junge Menschen werden politisch adressiert,
wenn es um ihre Bereitschaft zum Einsatz geht – aber bislang nicht
systematisch beteiligt, wenn über die Bedingungen dieses Einsatzes
entschieden wird.
¹ Ein von Greenpeace Deutschland beauftragtes unabhängiges
verfassungsrechtliches Gutachten weist darüber hinaus auf erhebliche
ver-fassungsrechtliche Bedenken hin. Es kommt zu dem Ergebnis, dass § 2a
WPflG-E gegen den Gesetzesvorbehalt und das Bestimmtheitsgebot des
Grundgesetzes verstoßen könnte. Insbesondere die unklare Definition
einer „verteidigungspolitischen Lage“ eröffne der Bundesregie-rung
weitreichende Handlungsspielräume ohne ausreichende parlamentarische
Kontrolle. Damit, so das Gutachten, drohe ein zentraler Grundsatz des
Rechtsstaats – die demokratische Legitimation schwerer
Grundrechtseingriffe – ausgehöhlt zu werden
(https://www.green-peace.de/publikationen/Rechtsgutachten_zum_neuen_Wehrpflichtgesetz.pdf).
² Eine im September 2025 von Table.Media beauftragte Forsa-Umfrage zeigt
deutlich: 63 Prozent der 14-29-Jährigen lehnen die Wiederein-führung
eines verpflichtenden Wehrdienstes ab – selbst für den Fall, dass die
Bundeswehr nicht genügend Freiwillige gewinnen sollte. Nur 27 Prozentz
befürworten eine allgemeine Pflicht für Männer und Frauen, weitere 8
Prozent ausschließlich für Männer
(https://cdn.table.media/assets/briefings/security/table.briefings-forsa-umdrage-neuer-wehrdienst-wasserzeichen.pdf).
³
https://de.statista.com/infografik/35048/umfrage-zur-wiedereinfuehrung-der-wehrpflicht-in-deutschland-nach-altersgruppen/;
https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/wehrpflicht-bundeswehr-politbarometer-junge-menschen-jugendliche-100.html;
https://presse.wdr.de/plounge/tv/das_erste/2025/07/20250703_ard_deutschlandtrend_wehrpflicht.html
⁴ https://standards.jugendbeteiligung.de/
<https://standards.jugendbeteiligung.de/ >
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