[Pirateninfo] SZ, San

Steffen Jörg steffen.joerg at web.de
Die Mai 6 12:31:58 CEST 2003


Artikel aus der SZ (5.05.03)


http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel291.php

Lizenzvertrag mit Lendenschurz 

Südafrikas Buschmänner erringen einen historischen Sieg: Künftig werden sie an einer Schlankheitspille mitverdienen 



Wie man am besten Antilopen jagt, wissen sie genau. Im Patentrecht aber kennen sich die Buschmänner aus der Kalahari-Wüste nicht so gut aus. 

Das dachten sich wohl auch westliche Pharmafirmen und die südafrikanische Regierung, als sie sich daran machten, aus dem traditionellen Wissen der Buschmänner Profit zu ziehen. Nur hatten sie dabei nicht mit der Zähigkeit der kleinwüchsigen Ureinwohner gerechnet: Nach jahrelangem Kampf sicherte sich das wohl älteste Volk Südafrikas jetzt einen Anteil an der Vermarktung seiner Kenntnisse und errang damit einen historischen Sieg: Erstmals wird ein Volk davon profitieren, wenn aus dem Wissen seiner Ahnen Pillen gedreht werden. 

Dabei hätten Pharmafirmen und Regierung die Zähigkeit der Busch männer eigentlich einkalkulieren müssen. Schließlich wollen sie gerade das vermarkten, was dem auch San genannten Völkchen zu seiner Ausdauer verhilft: Die Buschmänner sind für ihre bis zu 40Stunden dauernden Hetzjagden auf die Kudu-Antilope bekannt. Tagelang kommen die Männer dabei ohne Essen aus, wenn sie ein paar Stücke von dem meterhohen Kaktus Hoodia gordonii kauen, der in der Kalahari wächst. Denn, das weiß ihr Volk schon seit Jahrtausenden: Dieser Kaktus vertreibt den Hunger. 

Das fand auch die Pharmaindustrie interessant. Schließlich locken Milliarden-Gewinne, wenn die Wüstenpflanze auch den Appetit von übergewichtigen Industriestaatlern zügelt. Allein in Deutschland werden jährlich 25Milliarden Euro für die Behandlung von Fettsucht und deren Folgen ausgegeben. Und bisher gibt es nichts, was ohne Nebenwirkungen gegen Übergewicht hilft. 

Schon 1996 war es Wissenschaftlern von Südafrikas Forschungsbeirat für Wissenschaft und Industrie (CSIR) gelungen, aus dem Hoodia-Kaktus jenen chemischen Wirkstoff zu gewinnen, der das Hungergefühl dämpft. Der Beirat ließ die Substanz unter dem Namen P57 patentieren und vergab die Lizenz für Entwicklung und Vermarktung ein Jahr später an die britische Firma Phytopharm, welche die Substanz klinisch testete. 

Tatsächlich verloren neun übergewichtige Briten einige Pfunde, als sie den Hoodia-Kaktus in Pillenform schluckten: Sie nahmen nur noch 2200 Kalorien pro Tag zu sich, obwohl sie so viel essen durften, wie sie wollten. Weitere neun Männer, die mit einem Placebo abgespeist wurden, schaufelten dagegen täglich 3200 Kalorien in sich hinein. Nebenwirkungen schien die Substanz nicht zu haben, und so konnte Phytopharm die Rechte an P57 für 20 bis 30 Millionen Dollar an den US-Pharmariesen Pfizer veräußern. 

Pharmafirmen auf Raubzug 

Die Buschmänner erfuhren von all dem nichts. Erst als ein Vertreter von Pfizer im Jahr 2001 öffentlich erklärte, die San seien ausgestorben, begann das Volk für seine Rechte zu kämpfen. Nach zähen Verhandlungen werden die San künftig sechs Prozent der Lizenzabgaben erhalten, wenn die Schlankheitspillen auf den Markt kommen. "Heute feiern wir, dass die höchste wissenschaftliche Autorität des Landes die Buschmänner als Partner anerkannt hat", sagte Petrus Vaalbooi von den San, der bei der Vertragsunterzeichnung neben einem Lendenschurz nur einen Tierpelz über der Brust trug. 

"Dieses Abkommen symbolisiert die Wiederherstellung der Würde ursprünglicher Völker", lobte auch Südafrikas Minister für Kunst und Kultur, Ben Ngubane. Für den Wirtschaftsrechtler Peter-Tobias Stoll von der Universität Göttingen symbolisiert der Pakt aber auch, wie ungenügend indigenes Wissen bei Patentanmeldungen bisher berücksichtigt wird. 

Zwar existieren mit der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und dem Trips-Abkommen der Welthandelsorganisation zwei Vertragswerke, die den Schutz des geistigen Eigentums garantieren sollen. "Die Regelungen greifen aber oft nicht", sagt Stoll. Denn das weitergehende Abkommen, die CBD, wurde nicht von allen UN-Mitgliedern ratifiziert, darunter auch den USA. Und nach dem Trips-Abkommen können Firmen weiterhin ihre Erfindungen patentieren - gleichgültig, woher sie die Ausgangsstoffe und die Ideen dafür hatten. 

Dabei wird die gesetzliche Regelung immer wichtiger. Denn auf der Suche nach Arzneien probieren Pharmafirmen Pflanzen und Tiere längst nicht mehr nach dem Zufallsprinzip durch. Angesichts von weltweit rund 500000 Arten lassen sich die Unternehmen oft von der einheimischen Bevölkerung auf die richtige Spur bringen - nicht selten, ohne diese später an den Gewinnen zu beteiligen. 

Die Pharmaindustrie befinde sich auf Raubzug durch Wüste und Regenwald, beklagen Nichtregierungsorganisationen deshalb. "Das ist Biopiraterie", meint die Buko-Pharma-Kampagne. Und Greenpeace spricht von postkolonialer Ausplünderung. Ein bekanntes Beispiel ist das Krebsmedikament Vincristin. Mit diesem aus dem Madagaskar-Immergrün isolierten Wirkstoff setzte der US-Konzern Eli Lilly jährlich 100 Millionen Dollar um, bis er die Rechte vor wenigen Jahren verkaufte. Mit dem Staat Madagaskar teilte Eli Lilly nicht. 

Aber nicht nur Heilpflanzen locken westliche Konzerne an. Mittlerweile versuchen Biotech-Firmen sogar, sich die Rechte auf altbewährte Feldfrüchte zu sichern. So beantragte der britische Agro-Riese Monsanto Patentschutz für Sojapflanzen, wie sie auch in der Natur vorkommen; und die US-Firma DuPont hielt ein Patent für besonders ölreichen Mais, der in Mexiko, Chile und Peru seit Generationen gezüchtet wird. 

Bisweilen wehren sich die Einheimischen erfolgreich. So haben im November 2001 Indios aus dem mexikanischen Chiapas durchgesetzt, dass ihr Wissen um Heilpflanzen der Mayas nicht länger ausgekundschaftet wird. Die US- Regierung musste ein Forschungsprogramm nach drei Jahren einstellen. 

Auch vor dem Patentgericht konnten sich Entwicklungsländer in manchen Fällen durchsetzen. Erst im Februar hat das Europäische Patentamt (EPA) das umstrittene Öl-Mais-Patent von DuPont zurückgenommen, nachdem die Regierung Mexikos gemeinsam mit Greenpeace und dem Hilfswerk Misereor dagegen geklagt hatte. Der Mais sei keine Erfindung, sondern werde seit Jahrhunderten in Süd- und Mittelamerika angebaut, hieß es. 

Ähnlich entschied das EPA im Mai 2000: Damals verwarf es ein Patent auf den indischen Neem-Baum. Der US-Konzern Grace und das US- Landwirtschaftsministerium hatten sich die Verwertungsrechte für ein Verfahren gesichert, das die Gewinnung eines Insektizids aus dem Baum beschreibt. Doch auf nahezu identische Weise stellen indische Bauern traditionell Schädlingsbekämpfungsmittel aus dem Neem-Baum her, dessen Wirkung schon in 1500 Jahre alten ayurvedischen Schriften erwähnt wird. 

"Diese Fälle sind ein Erfolg. Aber sie zeigen ebenso wie die Vereinbarung zum Hoodia-Kaktus, dass die Völker starke Partner brauchen", betont der Wirtschaftsrechtler Stoll. "Denn ohne die Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen wären die San leer ausgegangen." Und auch um die Verwertungsrechte für das Neem-Öl zu kippen, hat der Indische Rat für Exporthandel fünf Jahre lang gestritten. "Die eine Seite muss immer kämpfen, wenn sie ihre Rechte wahren will", moniert Stoll. 

Dennoch liege es auch im Interesse der Industrie, ihre einseitige Vorteilsnahme zu beenden. "Die jetzige Situation ist für beide Seiten unbefriedigend", sagt Stoll. "So kann sich kein Markt für grüne Ressourcen entwickeln, weil die Lage auch für die Konzerne viel zu unsicher ist." Er fordert deshalb, dass Firmen schon bei der Patentanmeldung darüber informieren müssen, woher sie die biologischen Grundlagen und auch die Ideen für ihre Forschung haben. 

Sonst könnte sich auch ein Unternehmen aus Simbabwe Salbeitee als Mittel gegen Halsschmerzen patentieren lassen: Europäischen Tee-Fabrikanten wäre die Herstellung dann nur noch gestattet, wenn sie Lizenzgebühren entrichten.

CHRISTINA BERNDT



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Steffen Jörg
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