[Pirateninfo] ILA-Artikel 03/2003: Fairer Handel und Gentechnologie

Silke Pohl silke.pohl at jpberlin.de
Fre Mar 21 22:29:16 CET 2003


Aufpassen wie ein Luchs
Fairer Handel und Gentechnologie

Der so genannte „Faire“ oder „Alternative“ Handel hat es sich zur Aufgabe
gemacht, mit ProduzentInnen von in der Regel klassischen „Kolonialwaren“
(Kaffee, Zucker, Tee, Gewürze etc.) gerechter zusammenzuarbeiten. Das
bedeutet, für die Produkte, die in der Regel für den Export angebaut
wurden und werden, sollen „faire Preise“ gezahlt werden, die zum einen das
Überleben der Bäuerinnen und Bauern ermöglichen und zum anderen auch
Perspektiven der Diversifizierung und der gemeinschaftlichen Entwicklung
ermöglichen (vgl. ila 199). Darüber hinaus soll(t)en aber auch alternative
Strukturen hierzulande geschaffen und Denk- und Konsummuster aufgebrochen
werden. Natürlich ist auch der „Faire Handel“ keine Insel, sondern muss
auf Entwicklungsprozesse in Industrie und Landwirtschaft reagieren, wie
das Beispiel Gentechnologie zeigt.

VON GREGOR KAISER UND ELMAR SCHULZE MESSING
	Der Alternative Handel ist ein primär ländlicher Ansatz, der denjenigen,
die noch Land zum Bebauen haben, eine Zukunft vor Ort erlaubt, auch wenn
einige Vorzeigeprodukte (El Ceibo-Kakao aus Bolivien,
Mascobado-Vollrohrzucker von den Philippinen) in den Metropolen der
Region weiterverarbeitet und so Einkommensmöglichkeiten für
Marginalisierte geschaffen werden. Ökologie und die Landfrage spielen
somit im Alternativen Handel eine wichtige Rolle.
Die Auswirkungen (welt-)politischer Entscheidungen betreffen
selbstverständlich auch die HandelspartnerInnen des Alternativen Handels.
Immer wieder werden daher begleitende Themen aufgegriffen, in den Gruppen
und Weltläden thematisiert und es wird versucht, diese an die KundInnnen
zu vermitteln.1 Aktuell spielen die Themen Patente und Gentechnologie eine
wichtige Rolle: Mit dem Vordringen genmanipulierter Soja z.B. in Form von
Emulgatoren waren/sind auch weiterverarbeitete Produkte des Alternativen
Handels betroffen (z.B. Schoko-Crèmes, Instant-Kakaos oder Schokoladen).
Im Streit um das „Basmati-Patent“ stellt sich die Frage nach der Rolle von
geistigen Eigentumsrechten (TRIPS-Abkommen)2 in der
Welthandelsorganisation WTO.
Um diese Themen aufzugreifen und offensiv um Alternativen zu streiten,
haben verschiedene Alternative Handelsorganisationen sich versichert, dass
zum einen ihre verwendeten Emulgatoren „gentechnikfrei“ sind, oder sie
haben auf diese ganz verzichtet. Der weitergehende Versuch von El Puente
in Kooperation mit Oxfam wereldwinkel (Belgien), das Sojalezithin aus
einem thailändischen Projekt zu beziehen, wurde leider wieder aufgegeben.
Zum anderen hat beispielsweise die gepa mit dem BUND das Siegel „Ohne
Gentechnik“ entwickelt und verwendet es auf Schokoladen und auf
Reissorten. Gerade auf Letzteren ist es zum Politikum geworden, weil der
Landkreis Rhein-Lahn in Rheinland-Pfalz darin eine „Irreführung von
Verbrauchern“ sieht. Das Siegel suggeriere, dass vergleichbare Produkte
gentechnisch verändert seien, obwohl genmanipulierter Reis bisher in der
EU nicht zugelassen sei. Mittlerweile hat das Oberlandesgericht Koblenz
jedoch entschieden, dass durch eine positive Auslobung „Ohne Gentechnik“
eine Wahlfreiheit für die VerbraucherInnen hergestellt wird, da es vielen
VerbraucherInnen nicht nur darum geht, dass bestimmte Produkte keine
nachweisbaren Spuren von Gentechnik enthalten, sondern auch dass Firmen
Gentechnologie prinzipiell und aktiv ablehnen und somit weder in Anbau
noch in der Weiterverarbeitung überhaupt zur Anwendung kommt.
Die Förderung kleinbäuerlichen Reisanbaus und die aktive Ablehnung
großtechnischer Lösungen zur Ernährung der Weltbevölkerung spielt in der
aktuellen „entwicklungspolitischen Diskussion“ eine wichtige Rolle, gerade
in Anbetracht der massiven medialen Aufbauschung der Möglichkeiten des
sogenannten „Goldenen Reis“. Auch das in Bonn ansässige Zentrum für
Entwicklungsforschung (ZEF) macht massiv Werbung für dieses Produkt,
welches Vitamin-A-Mangel beheben helfen soll. Jedoch müssen von eben
diesem Reis Erwachsene mindestens 1,5 kg pro Tag essen, um eine 100%
Versorgung mit Vitamin A zu erreichen. Andererseits reichen schon wenige
Löffel gelbe Süßkartoffel oder eine kleine Mango aus, den Tagesbedarf zu
decken. Die Entwicklung dieses Reis ist mit öffentlichen Forschungsmitteln
gefördert worden – heute gibt es bereits rund 70 Patente, die die
Nutzungsmöglichkeiten stark einschränken. Klar ersichtlich ist an diesem
und anderen Beispielen, dass nicht entwicklungspolitische oder hunger- und
armutsbekämpfende Ziele im Vordergrund stehen, sondern die Erschließung
neuer Märkte und die Kommerzialisierung von zuvor frei zugänglichen
Saatgut und Nahrungsmitteln.
Gerade hier ist auch ein Ansatzpunkt für eine Kampagne gegen Gentechnik
und Patente: Es muss deutlich werden, dass gentechnisch veränderte
Nahrungsmittel politisch gewollt sind, um neue Märkte zu erschließen, und
dafür viel Geld in PR-Arbeit und „Risikobegleitforschung“ gesteckt werden,
die die Vorteile für die Hungernden der Dritten Welt bezeugen und die
WohlstandsbürgerInnen des Nordens als das Problem hinstellen, die den
Armen die billigen Nahrungsmittel vorenthalten.3
Gentechnologie ist teuer, ist eine Hochtechnologie, die trotzdem seit
Jahren gepuscht wird. Warum? Welche Interessen liegen dahinter?
Das Hungerproblem der Mehrheit der Menschen in der Dritten Welt ist nicht
primär in einer unangepassten Technologie begründet. Die Probleme liegen
vielmehr im (fehlenden) Zugang zu Land, in der (politisch geförderten)
Orientierung auf Exportproduktion statt auf Grundnahrungsmittelproduktion
für die Bevölkerung, dem Zurückdrängen von Kleinbauern in  nicht so
ertragreiche Gebiete etc.

	Alternativer Handel setzt hier auf ökologische, gemeinschaftliche und
diversifizierte Produktion. Über deren Förderung hinaus sollte eine
Kampagne gegen Gentechnologie die gesellschaftlichen Voraussetzungen und
Förderer dieser Herrschaftstechnologie durchaus offensiv benennen. Gerade
die dazu geplante NRW-Kampagne für Fairen Handel kann da ein leichtes
Gegengewicht schaffen zu den Millionen, die das Land in die Förderung des
Gentechnikstandortes gesteckt hat.
Die Unterstützung und Schaffung von alternativen Produktionswegen wird ja
bereits betrieben. So wird z.B. der Basmati-Reis der gepa von indischen
Kleinbauern produziert. Diese werden  von der Stiftung Navdanya beim Anbau
und der Vermarktung des Reises unterstützt. Die Stiftung mit ihrer
Gründerin Vandana Shiva setzt sich für den Erhalt traditioneller
Reissorten ein und engagiert sich gegen Biopiraterie und die Patentierung
von Leben (s. Buchtipp). Die Förderung dieser kleinbäuerlichen und
explizit gegen den herrschenden Zeitgeist gerichteten Strukturen ist mehr
denn je wichtiges Merkmal eines auch politisch-ökonomisch alternativen
Handels.
Gerade die beim Basmati- oder auch Jasmin-Reis wichtige Frage nach der
Patentierung von Leben wird zur Zeit vom gepa-Gesellschafter Misereor in
der Fastenaktion 2003 aufgegriffen. Auch wenn diese in einigen Punkten zu
kurz greift, ist es dringend notwendig, diese Kampagne zu unterstützen und
im Rahmen des Alternativen Handels als „Startschuss“ für eine intensivere
Beschäftigung mit einem größere Bedeutung erlangenden Thema zu sehen. Der
hoffentlich noch in diesem Jahr angestoßene Kampagnenteil Gentechnik und
Patente der LAG3W kann an diese Vorarbeiten anknüpfen, sollte aber noch
stärker auf die Macht- und Herrschaftslogiken der Gentechnik eingehen.
Kein Patent auf Leben und die Frage nach dem „geistigen Eigentum“ und
seinem Wert wird die Akteure des Alternativen Handels daher wohl noch
länger beschäftigen; es bleibt zu hoffen, dass die ökonomischen Grundlagen
dabei ebenfalls thematisiert werden und nicht nur gentechnikfreie Produkte
als Wettbewerbsvorteile gesehen und beworben werden.


ILA ist die Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika aus Bonn
siehe auch www.ila-web.de