[Pirateninfo] Buchbesprechungen

Silke Pohl sipohl@yahoo.com
Tue Oct 15 16:13:56 2002


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Wem gehört die Natur?
Zwei Bücher zur Aneignung genetischer
Ressourcen und Globalisierung
von Gregor Kaiser



Schutz der Natur und der biologischen Vielfalt ist seit dem Rio-Gipfel
1992 anscheinend das Thema, wenn die „internationale
Staatengemeinschaft“ mit ihrem Vertragsstaatenwanderzirkus mal
wieder Station macht – im Herbst 2001 in Bonn oder vor wenigen
Wochen in Den Haag. Die Artenvielfalt soll erhalten und
Maßnahmen dazu müssen ergriffen werden, denn die
„Belastbarkeitsgrenze“ der Natur ist erreicht und deren
„Tragekapazität“ überlastet. Das Gute – im Sinne der Herrschenden
– an einer solchen Interpretation ist, dass, wie Brand und Kalcsics
schon in ihren ersten Sätzen schreiben, „Macht- und
Verteilungsfragen kaum mehr gestellt werden“, die Konflikte um
genetische Ressourcen in vielen südlichen Ländern geraten erst gar
nicht ins Blickfeld. Demgegenüber wollen Brand/Kalcsics,
HerausgeberInnen des Buches „Wem gehört die Natur“, anhand des
Beispiels Lateinamerika zeigen, wie machtförmig die Aneignung der
genetischen Ressourcen verläuft und welch zentrales Terrain
internationaler Politik sich hier herausgebildet hat. Nicht Umwelt-
und/oder Nachhaltigkeitsdebatten sind das Feld der
Auseinandersetzung, sondern im Diskurs um neoliberale
Globalisierung ist Biopiraterie zu verorten.

Im Zeitalter von Gentechnologie und „Neuen Biotechnologien“ haben
Transnationale Konzerne (TNC) „das grüne Gold der Gene“
entdeckt, um im Pharma- und Agrobereich Milliardengewinne zu
erwirtschaften (vgl. auch: ila 234, April 2000). Bedeutende
Voraussetzung zur Erwirtschaftung der Profite sind Patente oder
andere Schutzrechte geistigen Eigentums auf Leben – auf Pflanzen,
Tiere, Mikroorganismen, Menschen – deren Vergabe und
Verrechtlichung in den letzten Jahren immer mehr forciert worden
ist. Deutlich wird in mehreren Aufsätzen, dass der neoliberale
Kapitalismus keine reine Marktveranstaltung ist, sondern als zentrale
Orientierung immer noch einen stabilen politischen und
institutionellen Rahmen benötigt. Im Kontext der Biopiraterie, von
Delgado-Ramos als „einen Mechanismus der kapitalistischen
Bereicherung, als umweltzerstörende Aktionen und als Antithese zur
Nachhaltigkeit“ bezeichnet, sind dies die Biodiversitätskonvention
und besonders das Abkommen über Geistige Eigentumsrechte
(TRIPS) in der WTO.

Dass es auch Widerstand gegen diese neue Form der Biopolitik,
gegen diese Durchkommerzialisierung der Natur und des Lebens
gibt und immer mehr im Entstehen ist, wird in Europa kaum
wahrgenommen. Der Kampf gegen dieses „Weltsystem der
Biopiraterie“(Delgado-Ramos), die Herausarbeitung von
Interessensunterschieden zwischen den Ländern des Südens und
des Nordens, aber auch zwischen den Ländern des Südens und
innerhalb dieser ist zentrales Anliegen der meisten der 12 Beiträge
des Buches. Anhand von Biopiraterie-Beispielen aus Ecuador
(Reinhardt), Mexico (Cecena/Giménez; Delgado-Ramos), Costa
Rica und Guatemala (Milborn) werden die Auswirkungen der
kommerziellen Aneignung der Natur beleuchtet und
Interessenskoalitionen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
aufgezeigt.

Zeitlich früher ansetzend, ein etwas breiteres Spektrum verfolgend,
z.T. ein wenig mehr ins Detail gehend – jedoch etwas weniger
kritisch – sind die Beiträge in „Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert
die globalen genetischen Ressourcen?“, herausgegeben von
Klaffenböck, Lachkovics und der Südwind Agentur. Der
Schwerpunkt liegt weniger auf Biopiraterie und ihren Folgen als auf
Fragen einer zukünftigen Ernährungssicherung im Spannungsfeld
zwischen „nachhaltigen Nutzungsformen der biologischen Vielfalt
und dem Einsatz moderner Biotechnologien“. In fünf Hauptkapiteln
gehen jeweils mehrere AutorInnen auf den geschichtlichen
Hintergrund (Stichwort: Grüne Revolution), die Kontrolle der
genetischen Ressourcen durch die Vergabe von Patenten, die Rolle
indigener Völker, lokale Alternativen sowie die politisch-
ökonomischen Dimensionen der Aneignung der Natur ein.

Deutlich wird, dass der von Teilen der Herrschenden immer wieder
behauptete Zwang, zur Bekämpfung des Hungers bräuchten „wir“
Bio- und Gentechnologien, ausgemachter Unsinn ist. Deutlich
werden auch die Verbindungen zwischen „Grüner Revolution“ in den
70er Jahren, Schaffung des Patentschutzes auf Leben in den 90ern
und Gentechnolo- gieforcierung heute. Es geht „schlicht“ um die
Vormachtstellung im Kampf um genetische Ressourcen, um
ökonomische Hegemonie der TNC. Obwohl im dritten (Patente) und
vierten Kapitel (Biosafety) die Diskussion über legislative
Regelwerke im Vordergrund steht und diese auch z.T. relativ
detailliert behandelt werden, lassen sich die Beiträge gut lesen und
geben einem das argumentative Rüstzeug an die Hand, sich gegen
die weitere Liberalisierung des Welthandels zu wehren, den Kampf
gegen die Privatisierung des Lebens aufzunehmen – auch und
gerade in Europa und den USA, denn da sitzen die Transnationals
wie Merck, Bayer, Monsanto oder die WTO.

Eine der Stärken beider Bände ist sicherlich, dass in ihnen viele
AutorInnen des Südens zu Wort kommen und diese ihre eigenen
Erfahrungen schildern und Alternativen benennen können. Beide
Bücher sind für EinsteigerInnen in das Thema zu empfehlen, das
Glossar und die Erklärung „wichtiger Biotechnologien“ in dem Band
von Klaffenböck u.a. kann wertvolle Hilfe leisten. Brand/Kalcsics
schlagen nicht nur inhaltlich die Brücke nach Lateinamerika, sondern
auch dadurch, dass drei Artikel nur in Spanisch abgedruckt sind.1

Brand, Ulrich/ Kalcsics, Monika (Hrsg.): Wem gehört die Natur?
Konflikte um genetische Ressourcen in Lateinamerika, Jahrbuch des
Österreichischen Lateinamerika Instituts, Bd. 5, Brandes &
Apsel/Südwind 2002, 174 S., 15.50 Euro. (Bestellung über amazon
siehe Bild)

Klaffenböck, Gertrude/Lachkovics, Eva/Südwind Agentur (Hrsg.)
Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen genetischen
Ressourcen? (hier Bestellung über amazon) Brandes
Apsel/Südwind, 2001, 287 S., 19,90 Euro

1) Wer des Spanischen nicht so mächtig ist – ihm/ihr sei das Buch
dennoch empfohlen – kann zwei der Aufsätze auch in deutscher
Sprache finden, und zwar: der Aufsatz von Brand/Görg ist in
Deutsch abgedruckt in: Das Argument Heft 4/5 2001; der Beitrag
von Ribeiro in: Görg/Brand: Mythen globalen Umweltmanagements,
2002
(s. auch Besprechung in der nächsten ila).



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