[Pirateninfo] Biopiraterie: Wem gehört die Welt?

Silke Pohl sipohl@yahoo.com
Mon Oct 14 10:20:23 2002


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Text vom Sommer 2002********************************************************************http://wastun.org/tapestry?article=31Biopiraterie: Wem gehört die Welt?von Sönke ZehleDie internationale Debatte über Biodiversität geht von einerKrisensituation aus: auf der Ebene der Arten sowie der ihnenentsprechenden Ökosysteme, aber auch innerhalb einzelner Artenkommt es zu einem unwiederbringlichen Verlust der biologischenVielfalt, der über natürliche (evolutionäre) Prozesse weit hinaus geht.Unterstützt durch biotechnologische Wirtschaftsinteressen, verengtsich das Thema "Verlust biologischer Vielfalt" schnell auf eine Frageder Ressourcenknappheit. Vor allem Kommerzialisierung undPrivatisierung über die Vergabe exklusiver Eigentumsrechte/Patentesollen Verluste begrenzen, Schutzanreize schaffen,Zugangsvoraussetzungen vereinheitlichen und vor allem dieProfitabilität von Forschungsinvestitionen langfristig absichern.Traditionelle Naturschutzinteressen, die die kulturelle, soziale, undwirtschaftliche Bestimmtheit von "Natur" ausgrenzen, tragen nichtdazu bei, das Thema Biodiversität in seiner Komplexitätaufzuschlüsseln. Im Gegenteil: Der abstrakte, nicht zuletzt voneuropäischen und US-amerikanischen UmweltschützerInnen langekultivierte Gegensatz von Natur und Kultur lebt auch in diesemKonflikt weiter, Erbe jener Geschichte kolonialromantischerProjektion, die im "Anderen" der Zivilisation vor allem ein sozial-ökologisch intaktes Gegenbild der eigenen Wirklichkeit sehen wollteund es oft in vermeintlicher Zeit- und Geschichtslosigkeit einfror.Dieses Bild wird durch die Betroffenen immer wieder in Fragegestellt, vor allem durch Mitglieder Indigener Völker, die sich in derihnen zugedachten Rolle als Hüter sozial-ökologischerGanzheitlichkeit allzu oft auf der Seite der "Natur" wiederfinden unddamit in einem Gegensatz zu Kultur und Moderne, der weder derKomplexität ihrer Lebenszusammenhänge gerecht wird noch dieZusammenhänge zwischen ökologischer Nachhaltigkeit undForderungen nach kultureller, politischer und wirtschaftlicherSelbstbestimmung verständlich machen kann.Indigene fordern dazu auf, ihre Traditionen als eigenständigeWissenssysteme zu begreifen, die kulturelle, ökologische, soziale,religiöse und wirtschaftliche Elemente integrieren und so mehr zumErhalt biologischer Vielfalt beitragen können als Patentsysteme, diediese Vielfalt als "Ressource" aus ihrer komplexen Bestimmtheitherauszulösen versuchen und letztlich nur im Rahmen vonMarkttransaktionen "schützen" können. Ihre Besinnung auf Traditionist nicht als Berufung auf die Unveränderlichkeit kollektiverIdentitäten zu verstehen, sondern als Einsicht in die Notwenigkeitder aktiven Bewahrung und Weiterentwicklung des in diesenTraditionen enthaltenen Wissens sowie Widerstand gegen die mitUmweltzerstörung einhergehende Desintegration ihrerLebensgrundlagen.Solange Biodiversität allerdings allein als zu erhaltende Ressourceoder Merkmal einer irgendwie außergeschichtlichen Natur, die es"an sich" zu erhalten gilt, wahrgenommen wird, nicht aber alskomplex bestimmter Prozess mit einer Vielzahl von Akteuren,werden weder die entsprechende Interessenvielfalt noch dieeigentlichen Verlustursachen Berücksichtigung finden.Verlustursachen aus der Sicht Indigener VölkerIndigene Völker nehmen innerhalb des KonfliktfeldsBiodiversitätspolitik die wohl schwächste Position ein.Widersprüchlichkeit und letztlich auch Unvereinbarkeit der in diesemKonfliktbereich vertretenen Interessen werden aus ihrer Sichtbesonders deutlich.Der Begriff "Indigene" bezieht sich keineswegs auf eine homogeneGruppe sondern fasst weltweit etwa 300 bis 400 Millionen Menschennach verschiedensten Kriterien zusammen. Ein Großteil lebt inTerritorien, die allgemein als Zentren biologischer Vielfalt anerkanntwerden. Die Frage des Schutzes dieser Vielfalt muss also die Rollejener, die diese Vielfalt vor Ort bewahren, nachhaltig nutzen undweiterentwickeln, in den Vordergrund stellen.In Anlehnung an den englischen und französischen Sprachgebrauchhat der Begriff "Indigene Völker" inzwischen problematischereBezeichnungen wie "Stammesvölker," "Ureinwohner" oder"Naturvölker" ersetzt. Auch verstehen sich Indigene nicht generellals "ethnische Minderheiten," da sie nicht ausschließlich in Bezugauf die sie umgebenden Staaten wahrgenommen werden möchtenund zudem in einigen Ländern die Bevölkerungsmehrheit stellen. DieBezeichnung "Indigene Völker" und die damit verbundene Forderungnach Anerkennung indigener "Nationen" bezieht sich weniger auf dieeuropäische Definition der Nation als Staatsvolk als auf dieangloamerikanische Praxis, die die Gemeinsamkeit von Kultur,Geschichte und Sprache ebenso hervorhebt wie eine traditionellstarke sozio-kulturelle Beziehung zu den jeweiligen Territorien. Auchim Völkerrecht wird inzwischen der Begriff "Indigene Völker"verwendet, selbst wenn sich die Sichtweise, die in vielen Textenverankerten Rechte auf Selbstbestimmung auch auf Indigene zubeziehen, noch nicht durchgesetzt hat.Versuche, Indigene zu definieren, enden oft in der Einsicht, dass esüber eine allgemeine Definition ethnischer, sprachlicher,geschichtlicher und kultureller Gemeinsamkeiten hinaus vor allemauf Rechte der Selbstdefinition ankommt, die auch von derKonvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einemder bisher wichtigsten Texte in Bezug auf die Rechte Indigener, inden Vordergrund gestellt werden. Im Kontext der Biodiversitätspolitikbestehen Indigene VertreterInnen vor allem auf den engenZusammenhang zwischen Gesellschafts- und Naturverständnis undgeben der Spiritualität eine zentrale Rolle: der Interdependenz allerLebensformen, der Verpflichtung zur Nachhaltigkeit auch gegenüberzukünftigen Generationen, der Einbettung traditionellenUmweltwissens in soziale und religiöse Praktiken und damit demZusammenhang biologischer, kultureller, und sprachlicher Vielfalt.Aus der Sicht Indigener ist der Verlust biologischer Vielfalt vor allemFolge einer radikalen Transformation sozialer und ökologischerZusammenhänge. Erst die enge Verknüpfung von Kolonial- undUmweltgeschichte macht deutlich, dass es sich hierbei keineswegsum ein Phänomen der Gegenwart handelt: Der Rohstofftransfer unddamit auch der Transfer biologischen Materials nahm mit derKolonialexpansion Europas ebenso seinen Anfang wie Versuche zurvermeintlichen "Zivilisierung" und "Modernisierung" Indigener imNamen verschiedenster Religionen und Ideologien. GigantischeStaudammprojekte, Erzabbau und Ölgewinnung, Waldrodungen zurAnlage von Rinderfarmen oder die agrartechnologischeTransformation kleinbäuerlicher Landwirtschaft im Zuge der GrünenRevolution, also der staatlich geförderten Umstellung traditionellerLandwirtschaft auf den betriebsmittel- und lohnarbeitsintensivenAnbau sogenannter Hochertragssorten, haben ihre Spuren in einer"Natur" hinterlassen, deren Schätze schon vor Jahrhunderten Objektder Begierde verschiedenster Eroberer waren.Ex Situ Sammlungen und BauernrechteHeute beherbergen die Botanischen Gärten in London und Berlin,deren Sammlungen im Zuge ausgedehnter Kolonialexpeditionenimmer weiter anwuchsen, einen Großteil der bekanntenpflanzengenetischen Ressourcen. Im Zuge der Grünen Revolutionwurden von Staaten und Konzernen aus den Düngemittel- undSaatgutindustrien in vielen Ländern des Südens InternationaleAgrarforschungszentren eingerichtet, die in Gen-und Saatgutbänkeneinen weiteren Teil dieser für die Nahrungsmittelproduktionwichtigen Ressourcen aufbewahren. Der Status dieser sogenannten"ex situ" Bestände ist umstritten und gilt als zentraler Konfliktbereichinnerhalb der Biodiversitätspolitik. Indigene setzen sich zusammenmit anderen Organisationen dafür ein, dass möglichst viel des hiergelagerten Materials über die Schaffung einer Art "Public Domain"auch weiterhin verfügbar bleibt und nicht über Erteilungkommerzieller Patente die Kosten der Nahrungsmittelversorgung vorallem im globalen Süden in die Höhe treibt.Von Indigenen über Jahrhunderte domestizierte undweiterentwickelte Nutzpflanzen wurden auch in unseren Breiteneingeführt, selbst in den neuesten Schöpfungen kommerziellerSaatgutproduzenten finden sich Spuren dieser Geschichte. DieIronie dieser Entwicklungen ist kaum zu übersehen: während schonin den 60er Jahren Mechanismen zum Schutz kommerziellerSaatgutpatente geschaffen wurden, deren Gültigkeit jetzt über dieProtokolle der Welthandelsorganisation internationalisiert werdensoll, gibt es nach wie vor keine Möglichkeit, vergleichbareLeistungen Indigener in der Domestizierung, Bewahrung,nachhaltigen Nutzung und Weiterentwicklung entsprechendanzuerkennen. Dieser zweite Konflikt taucht als Frage der"Bauernrechte" in der Biodiversitätsdebatte auf. Lösungsansätzesind nicht zuletzt deshalb schwierig, weil sich eine moralischeAnerkennung dieser anonymen, kollektiven Entwicklungsprozessekaum in die Sprache und Mechanismen der Eigentumsrechteumsetzen lässt. Daher gibt es seit einigen Jahren den Versuch,diese Rechte in Form eines Anspruchskatalogs auszudifferenzierenund zum Beispiel im Rahmen des 1996 beschlossenen "GlobalenAktionsplans" Aktivitäten zu unterstützen, die nachweislich zu Schutzund Weiterentwicklung biologischer Vielfalt beitragen. Außerdemwird versucht, Kollektivrechte (sogenannte "traditional resourcerights") als Alternativen innerhalb des Eigentumsrechtsauszuarbeiten.Die Konvention über Biologische VielfaltDie 1992 in Folge des Erdgipfels beschlossene Konvention überBiologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) räumtdagegen der Rolle Indigener im Biodiversitätsprozess einenzentralen Stellenwert ein. Obwohl die CBD sowohl die Frage nachdem Status der "ex situ" Bestände wie die der Bauernrechteausklammert, die noch immer Gegenstand von Verhandlungen imRahmen der Internationalen Organisation für Landwirtschaft (Foodand Agriculture Organization, FAO) sind, werden die RechteIndigener in mehreren Artikeln differenziert und anerkannt. DieBestimmungen der CBD lassen sich durchaus in einem Sinneauslegen, der die Menschenrechte Indigener in den Vordergrundstellt. Beobachter wie die UN sind sich allerdings bewusst, dass dieUmsetzung von Menschenrechten mit der Verbreitung undStandardisierung von Eigentumsrechten im Rahmen derWelthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO)durchaus im Widerspruch steht, und fordert eine entsprechendeAnpassung der betreffenden Abkommen anMenschenrechtsstandards.Widerspruch CBD -­ Intellektuelle EigentumsrechteDie CBD bestätigt, wie im internationalen Recht üblich, dieStaatssouveränität über alle Ressourcen auf eigenem Territorium. InAbwesenheit eines multilateralen Ansatzes werden viele Staatendaher bilaterale Vereinbarungen zur Regelung des Zugangs zurbiologischen Vielfalt auf ihrem Gebiet treffen und die InteressenIndigener weiterhin denen des Staates, der sie umgibt, unterordnen.Daneben steigt der internationale Druck auf Länder im Süden, dievor allem im Norden entwickelten Eigentumsrechte anzuerkennenund umzusetzen, letztlich also Instrumente zu schaffen, die denBiodiversitätsverlust weiter fördern.Ein wichtiges Beispiel betrifft die Anerkennung biotechnologischerPatente auf Nahrungsmittelpflanzen. Schon die Grüne Revolutionhat durch den enormen Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, undstandardisiertem kommerziellem Saatgut zu einer radikalenTransformation traditionell nachhaltig bewirtschafteter Ökosystemegeführt und die enorme Vielfalt traditioneller Sorten, unersetzlichesReservoir für die Weiterentwicklung von Nutzpflanzen, starkreduziert. Darüber hinaus haben kurzzeitig erhöhte Erträge zwarPhasen der Selbstversorgung ermöglicht, die sich aber aufgrund derzunehmenden Verschuldung der Kleinbauern sowie zunehmenderAbhängigkeit von Düngemittel- und Pestizidimporten wederökologisch noch wirtschaftlich als nachhaltig erwies.Es verwundert daher nicht, dass dieselben Konzerne, die vorJahrzehnten diese "Revolution" auch als vermeintliche Antwort aufsoziale Unruhen unterstützten, heute nach neuen Möglichkeitensuchen, kommerzielles Saatgut am Markt zu etablieren. Da in vielentraditionellen Landwirtschaften Saatgut gesammelt und in komplexesoziale Zusammenhänge eingebettet ist, muss ein solcher Marktvielfach erst geschaffen werden. Dies wiederum kann nur danngeschehen, wenn der Nachbau, traditioneller Mechanismus derBewahrung biologischer Vielfalt, durch die Einrichtung kommerziellerPatente kriminalisiert wird. Dazu kommt die gentechnischeModifizierung des Saatguts durch sogenannte "Genetic UseRestriction Technologies" (GURT), von KritikerInnen auchTerminator-Technologien genannt, die die Funktion bestimmterPflanzenmerkmale wie zum Beispiel die Keimfähigheit von externenbiochemischen Katalysatoren abhängig machen. Patentrechtlichgeschütztes Saatgut kann also nur dann keimen, wenn einentsprechendes Präparat gespritzt wird und diese Fähigkeit wiederherstellt.Damit zeigt sich auch, dass kommerzielle biotechnologischeVerfahren nicht als Antwort auf die drängenden Probleme vonHunger und Mangelernährung gewertet werden können. AngeblicheHochertragssorten können aufgrund ihres betriebsmittelintensivenAnbaus eben nicht nachhaltig angebaut werden -­ kurzfristigenErtragssteigerungen stehen enorme Kapital- und Umweltkostengegenüber, abgesehen von der durch eine zunehmendeExportorientierung bedingten Homogenisierung der tatsächlichangebauten Nutzpflanzen, die oft nicht mehr zur Grundversorgungder Lokalbevölkerung zur Verfügung stehen. Selbst dermedienwirksam lancierte "Golden Rice," eine mit Vitamin Aangereicherte Hochertragssorte, kann kaum als ernst gemeinteAntwort auf die Probleme von Hunger und Unterernährung gewertetwerden. Die Pflanze soll zwar angeblich frei verfügbar bleiben, wirdaber durch die enorme Anzahl gleichzeitig angemeldeterNutzpflanzenpatente als PR-Aktion zur Imageverbesserung einerunter starkem Druck stehenden Industrie relativiert. Darüber hinaushängt Mangelernährung, Ergebnis eines komplexen Prozessessozialer und ökologischer Umwälzung, mit dem Verschwindentraditioneller Anbaumethoden und der entsprechend gefördertenVielfalt zusammen und lässt sich durch die Verabreichung einzelnerWirkstoffe kaum in seinen Ursachen bekämpfen.Selbstbestimmung und SolidaritätSympathien für Regionalismus, Subsistenzwirtschaft und kulturelleDifferenz sind zuweilen schwer abzugrenzen von der kulturalistisch-rassistischen Sprache jener, die den vermeintlichen Zusammenhangvon Volk und Raum nur bestätigen können, allgemeine kulturelleHomogenisierung beklagen und Prinzipien der Selbstbestimmungüberhaupt auf alle ethnischen Minderheiten angewendet sehenwollen.Es ist also wichtig, dass sich die Sprache der Solidarität mit denAnliegen Indigener von der völkischen Sprache ethnischerChauvinismen distanziert. Das kann sie, indem sie darauf verweist,dass das Problem des Biodiversitätsverlusts letztlich aucheingebettet bleiben muss in eine allgemeine Kritik derRessourcenprivatisierung, der zunehmenden Dominanz bio- undagrartechnologischer Interessen in unsererNahrungsmittelversorgung, sowie der Verletzung vonMenschenrechten in Namen jener Entwicklungen undModernisierungen, auf die wir angewiesen bleiben, weil unserLebensstil von billiger Energie und billigen Rohstoffen abhängt. Stattsich für eine Bewahrung isolierter Territorien sozial-ökologischerGanzheitlichkeit einzusetzen, gilt es, diese gegenseitigeAbhängigkeit im Namen einer allgemeinen Menschenrechtspolitik inden Vordergrund zu stellen.



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