[IMI-List] [0648] Analysen: KI in Gaza / Sahel / Skandinavien / EU-Rüstungsfonds

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Fr Jan 19 14:45:23 CET 2024


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0648 – 27. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,

wir möchten zunächst auf eine kurze, aber wichtige Nachricht an unsere
Mitglieder, Spender*innen und Freund*innen hinweisen
(https://www.imi-online.de/2024/01/19/eine-kurze-aber-wichtige-nachricht-an-unsere-mitglieder-spenderinnen-und-freundinnen/).
Wir bitten darin alle, die wieder oder weiterhin Post von uns erhalten
wollen, uns ihre aktuelle Adresse mitzuteilen bzw. zu bestätigen.

Außerdem findet sich in dieser IMI-List

1.) der Hinweis auf frisch erschienene IMI-Analysen zur Situation im
Sahel, zur NATO- und US-Militärpräsenz in Skandinavien und der Forderung
nach einem neuen EU-Rüstungsfonds im Umfang von 100 Mrd. Euro.

2.) die IMI-Analyse „KI-Revolution Gaza? Die „Startup Nation“ im Krieg“.


1.) Neue IMI-Analysen

IMI-Analyse2024/04
Stabilisierung im Sahel
Deutschland will Präsenz im Sahel behalten - trotz fehlender Schritte
zur Demokratie.
https://www.imi-online.de/2024/01/19/stabilisierung-im-sahel/
Pablo Flock (19. Januar 2024)

IMI-Analyse 2024/03
Nordischer Brückenkopf
NATO-Mitgliedschaften und US-Militärpräsenz in Skandinavien
https://www.imi-online.de/2024/01/17/nordischer-brueckenkopf/
Ben Müller (17. Januar 2024)

IMI-Standpunkt 2024/003
Shut Elbit Down! Auch in Ulm, Berlin und Koblenz!
Redebeitrag von Jacqueline Andres anlässlich einer Kundgebung in
Tübingen am europaweiten Aktionstag für einen Waffenstillstand am 13.
Januar 2024
https://www.imi-online.de/2024/01/17/shut-elbit-down-auch-in-ulm-berlin-und-koblenz/

(17. Januar 2024)

IMI-Analyse 2024/01
Die EU auf Rüstungskurs – Nach dem Coronafonds nun ein Rüstungsbudget?
https://www.imi-online.de/2024/01/15/die-eu-auf-ruestungskurs-nach-dem-coronafonds-nun-ein-ruestungsbudget/

Jürgen Wagner (15. Januar 2024)


2. Analyse KI im Gaza-Krieg

IMI-Analyse 2024/02
KI-Revolution Gaza?
Die „Startup Nation“ im Krieg
https://www.imi-online.de/2024/01/15/ki-revolution-gaza/
Christoph Marischka (15. Januar 2024)

Nach den brutalen Massakern der Hamas und ihrer Verbündeten am 7.
Oktober 2023 in Israel, welche den aktuellen Krieg in Gaza und darüber
hinaus ausgelöst haben, entbrannte recht schnell eine Debatte, wie die
Hamas Israels hochgerüstete Sicherheitsbehörden so dermaßen überraschen
konnte. Die enge Zusammenarbeit zwischen Militär, Geheimdiensten und dem
Technologiesektor war eine zentrale Komponente des israelischen Konzepts
der „Startup Nation“, das weltweit als Vorbild für
militärisch-technologische Innovationsfähigkeit galt und zahlreiche
Unternehmen und Werkzeuge hervorbrachte, deren Fähigkeiten als führend
oder gar einzigartig galten und gelten. Das gilt v.a. für die
Signalerfassende Aufklärung (SigInt), also das Abhören von
Kommunikation, das Eindringen in Cyber-physikalische Systeme („Hacken“)
und die KI-basierte Auswertung verschiedener Datenquellen. Als populäre
Beispiele könnte u.a. die Schadsoftware Stuxnet genannt werden, hinter
der zumindest anteilig israelische Entwicklungen vermutet werden, sowie
die Spionagesoftware Pegasus, die weltweit Anwendung findet – auch wenn
es um die Überwachung von Menschenrechtsaktivist*innen und kritischen
Journalist*innen geht.

Israelische Tech-Industrie in der Krise?

Die implizite Annahme war, dass sich in dem relativ überschaubaren
Gaza-Streifen keine Maus bewegen könnte, ohne dass sie von Israel
überwacht würde und schon gar nicht die Hamas einen solch komplexen
Angriff vorbereiten könnte, ohne dass nicht zumindest irgendeine KI im
Vorfeld Auffälligkeiten detektieren und melden würde. Eine in dieser
Diskussion häufig vorgetragene Position bestand darin, dass nicht die
Technologie selbst versagt hätte, die israelischen Behörden und die
Gesellschaft insgesamt sich aber zu sehr auf diese verlassen und andere
Formen der Überwachung und des Schutzes – u.a. durch Personal in
Grenznähe – vernachlässigt hätten. In diese Richtung argumentiert auch
eine Analyse von Vincent Carchidi für das Middle East Institut.[1] Aus
dieser Rekonstruktion der Vorbereitungen des Angriffs vom 7. Oktober
2023 ergibt sich auch eine Ahnung davon, wie viele Menschen mit
erheblichem Fachwissen und analytischem Potential gegenüber den
Fähigkeiten und Strukturen der israelischen Verteidigungssysteme
beteiligt gewesen sein müssen.

Trotzdem war das Selbstbewusstsein der Startup Nation kurzfristig
erheblich angekratzt. Bereits zuvor waren als zentral erachtete
Indikatoren militärisch-technologischer Innovationsfähigkeit und für den
Zustand bzw. die „Wettbewerbsfähigkeit“ entsprechender „Ökosysteme“
eingebrochen, darunter das Volumen von Risikokapital, das in
entsprechende Startups fließt und die Zahl der Exits und Übernahmen
durch Unternehmen von Weltrang.[2] Hierbei handelte es sich jedoch
überwiegend um globale Trends, die mit der allgemeinen Konjunkturlage
und dem erhöhten Zinsniveau zusammenhängen, welches grundsätzlich als
Hemmschuh für Risikokapitalinvestitionen und – damit im herrschenden
Denksystem eng zusammenhängend – technologische Innovationen gilt. Als
weiteres, für Israel und die jüngste Eskalation spezifisches
Krisensymptom wurde jedoch in der entsprechenden Szene die Einberufung
zum Militärdienst diskutiert, die aufgrund der besagten Verbindungen die
israelischen Tech-Startups besonders betraf oder zumindest zu bedrohen
schien: Viele Angestellte dieser Unternehmen wurden zum Militärdienst
eingezogen, Branchenverbände und einzelne Firmen berichteten von
durchschnittlich 15% und bis zu einem Drittel ihrer Belegschaft, zudem
habe auch die Produktivität der Verbliebenen abgenommen durch
psychologische Belastung, häufige Alarme wegen anfliegender Raketen oder
Angehörigen, die eingezogen wurden.[3] Ganz grundsätzlich, so wurde an
anderer Stelle ausgebreitet, bilde der anhaltende Krieg keinen guten
Hintergrund für größeren Übernahmen und Investitionen, von denen die
Branche besonders abhängig ist.[4] Dabei mag es sich zumindest in Teilen
auch um professionelles Lamentieren gehandelt haben, um staatliche und
internationale Unterstützung zu mobilisieren. Diese ist dann in
verschiedenen Formen auch erfolgt, so hat etwa die Behörde zur
Innovationsförderung des Finanzministeriums (Israeli Innovation
Authority) ihr Fördervolumen für junge Startups kurzfristig verdreifacht
und Risikokapitalgeber*innen weltweit haben verschiedene Fonds
eingerichtet, um Unternehmen zu unterstützen, die (angeblich) durch den
Militärdienst belastet werden. Das prominenteste Beispiel hierfür heißt
„Iron Nation“ und hat das Ziel proklamiert: „Vielversprechende,
gefährdete Startups [zu] unterstützen, während ihre heldenhaften Teams
ihr Land verteidigen“.[5]

Im Herz einer KI-Revolution?

Inzwischen ist jedoch die Stimmung wieder in den für die Branche
üblichen Optimismus umgeschwungen. Eher bemüht oder beschwörend wirkt da
noch ein Meinungsbeitrag der israelischen Wirtschafts-Botschafterin in
Washington für CNBC Mitte Dezember 2023 unter dem Titel: „Nach jeder
Krise kehrt Israels Wirtschaft stärker zurück“. Hierfür gäbe es
„unglücklicherweise vielfältige Beispiele“. Und auch jetzt wieder sei
„offensichtlich, dass sich Israel bereits wieder erholt, und es sind die
kundigsten und erfahrensten Investoren, die diese tiefgreifende
Gelegenheit nutzen“.[6] Ihr zentrales Narrativ einer besonders
„resilienten“ (Startup-)Nation wurde u.a. in einem Beitrag der Times of
Israel vom 8. Januar 2024 ausführlich aufgegriffen und ausgebreitet.
Zitiert wird hier u.a. die Leiterin der israelischen Niederlassung des
japanischen Tech-Giganten NTT: „Es war ein Jahr, das uns daran erinnert
hat, wie wichtig Einigkeit und die Kraft der gegenseitigen Unterstützung
und der zivilen Kreativität sind […]. Wir haben gesehen, dass das
gesamte Ökosystem hinter der Botschaft steht, dass israelische
Tech-Industrie liefert, egal was passiert“.[7] Es ist insgesamt
auffällig, dass nahezu alle aktuellen Beiträge, die sich auf den Begriff
der „Startup Nation“ berufen, nur Gemeinsamkeiten und Solidarität zu
kennen scheinen, keine Konkurrenz, keine Widersprüche und keine
Konflikte. Angestellte, Kapitalgeber*innen, CEOs, Regierung und Militär
scheinen alle mit hohem persönlichen Engagement dieselben Ziele zu
verfolgen und dieselbe Meinung zu vertreten. Zwar wird z.B. die
Mobilisierung von Reservist*innen als Herausforderung dargestellt, eine
Kritik an ihr ist in diesem Kontext jedoch nicht im Ansatz zu erkennen.
Angesichts der tiefen Risse, welche sich aktuell nicht nur im Hinblick
auf den Krieg und seine Ziele auch durch die israelische Gesellschaft
ziehen, ist es unwahrscheinlich, dass dies auch nur annähernd die
Realität abbildet.

Auch ansonsten scheinen sich die Protagonist*innen dieser Startup Nation
in einer Art Parallel-Universum zu bewegen, die befremdliche
Formulierungen und Ansichten zum Zusammenhang von Krieg, Technologie und
Konjunktur hervorbringt. Ein Beispiel hierfür ist ein Beitrag des
US-amerikanischen Tech-Unternehmers und Risikokapitalinvestoren Michael
Fertik auf seinem (neu eingerichteten) Blog bei Times of Israel mit dem
Titel: „Dieser Krieg wird Israels Stellung als Kraftzentrum der
Künstlichen Intelligenz stärken“; Untertitel: „Der Konflikt mit der
Hamas ist vieles: schrecklich, traurig und auch ein fruchtbarer Boden
für massive und rapide technologische Innovationen“.

Dass Fertik den Krieg „furchtbar“ aber „notwendig“ findet, flechtet er
mehrfach in seinen Beitrag ein, kann ihm aber ansonsten viel Gutes
abgewinnen: „Heute, obwohl Israel mit der traurigen Tatsache
konfrontiert ist, dass es einen weiteren existenziellen Krieg führen
muss, werden die Samen für eine bessere Zukunft gesät. Die besten
Softwareentwickler*innen, Informatiker*innen, Forschenden und
Unternehmer*innen Israels, die jetzt buchstäblich in den Schützengräben
agieren, lernen, was möglich, praktisch und träumbar ist“. Im
Mittelpunkt steht für ihn dabei das Thema Künstliche Intelligenz, bei
der Israel gerade im „Herzen“ dessen stünde, was er mit der „kambrischen
Explosion“ vergleicht. Diese wird populärwissenschaftlich u.a. als
„Urknall des Lebens“ übersetzt und bezeichnet eine erdgeschichtlich
relativ kurze Zeitspanne, in der sehr viele neue Gattungen von
Lebensformen entstanden sind. Diese fast schon metaphysische Metapher
wird dann noch durch recht banale Analogien ergänzt: „Krieg und
militärische Notwendigkeiten werden schon immer mit Erfindungen in
Verbindung gebracht: Klebeband, Mikrowellen, GPS und vielleicht sogar
das Internet“.[8] Während an dieser Aussage inhaltlich nichts zu
kritisieren ist, irritiert doch der euphorische Tonfall des Beitrages im
Angesicht eines Krieges, den man erklärtermaßen „schrecklich“ findet.

Generative KI und psychologische Kriegführung

Skurril bis schockierend erscheinen auch verschiedene Beiträge von und
über Shiran Mlamdovsky Somech und ihr Unternehmen „Generative AI for
Good“ –  was sich sowohl mit „Generative KI für das Gute“ und
„Generative KI für immer“ übersetzen lässt. Somech bezeichnet sich als
Tech-Entrepreneurin und Netzwerkerin, die Startups, NGOs,
Regierungsbehörden und multinationale Unternehmen zusammenbringt. Ihre
Geschäftsidee entwickelte sie zunächst am Thema häusliche Gewalt und
mobilisierte Unternehmen und Behörden, um mit generativer KI ein Video
zu erstellen und zu verbreiten, in dem eine israelische Frau, die von
ihrem Mann brutal erstochen wurde (also bereits tot war), über ihre
Beziehung spricht. Das Video habe dazu beigetragen, dass sich andere
Frauen an entsprechende Hilfsangebote gewandt hätten, und damit „Leben
gerettet“.

Nun allerdings will Somech entsprechende Technologien in den Dienst des
Krieges stellen. In einem Beitrag für die englischsprachige Website der
hebräischen Wirtschaftszeitung „Calcalist“ schreibt sie unter dem (frei
übersetzten) Titel „Generative KI wird einberufen“: „Das Bewusstsein
wird zu einem weiteren Schlachtfeld, wenn Krieg geführt wird und der
wichtigste Kampf entfaltet sich in der digitalen Welt, in der wir alle
Soldaten und Kämpfer werden. Mit unseren Tastaturen werden wir Zeugen,
wie Künstliche Intelligenz zu einem zentralen Werkzeug wird im Krieg um
das Bewusstsein und die Narrative der Menschen. Dies ist ein neues
Kapitel in der Evolution der digitalen psychologischen Kriegführung“.
Anschließend beschreibt sie, dass es sich bei generativer KI um eine
„innovative Technologie“ handle, mit der sich ohne technisches Vorwissen
leicht und schnell neue Inhalte wie Text, Bilder und Videos erzeugen
ließen. Einige „nutzen dies aus, um Angst, Furcht und Verwirrung zu
stiften, indem sie Fake News und Deepfakes erzeugen“. „Auf der anderen
Seite“ böten die neuen Werkzeuge auch die Möglichkeit, breiten und
positiven „Einfluss“ auf die allgemeine Öffentlichkeit zu nehmen.[9]

Schlagzeilen machten Somech und ihr Unternehmen mit einem Video, das
einen achtjährigen Jungen („Nave“) zeigt, der am 7. Oktober 2023 von der
Hamas entführt und als Geisel gehalten wurde. Noch vor seiner
Freilassung während der Waffenruhe Ende November wurde das Video von
Angehörigen auf einer Pressekonferenz vorgeführt und ging viral, hier
ist das Video auch zu sehen).[10] Am Ende des emotionalen und akustisch
mit Herzschlägen unterlegten Videos, in der sich der simulierte Junge an
seine Familie richtet, erscheint ein Text, der erklärt: „Um Nave zu
hören, mussten wir KI benutzen“. Anschließend wird u.a. auf den Hashtag
„#TheWestIsNext“ verwiesen, unter dem die Erzählung verbreitet wird,
dass die Hamas als nächstes den globalen Westen angreifen werde, wenn
Israel ihr nicht jetzt Einhalt gebiete. Spätestens hier könnte man
durchaus argumentieren, dass es auch hier darum geht, „Angst, Furcht und
Verwirrung zu stiften“ in einem „Krieg um das Bewusstsein und die
Narrative der Menschen“. In ihrem Beitrag für Calcalist beschreibt und
verlinkt Somech weitere Projekte, darunter mehrere Plattformen und
Chatbots, die explizit darauf ausgerichtet sind, Kindern die aktuelle
Situation „zu erklären“ und sie zu „beruhigen“.

KI-basierte Flächenbombardements

Apropos Paralleluniversum: In seinem oben genannten Blogeintrag
begründet der Investor Fertik die bevorstehenden und stattfindenden
Quantensprünge damit, dass „Präzision noch nie so wichtig war, wie jetzt
und die Investitionen der IDF [Israel Defense Forces] und ihrer
Verbündeten, um diese Präzision zu erreichen, in den Bereich der
Künstlichen Intelligenz fallen“. Anschließend berichtet er geradezu
euphorisch, wie abgefangene Audio-Signale „in Lichtgeschwindigkeit“ und
„Millionen Stunden von Videoaufnahmen gleichzeitig“ ausgewertet würden,
um automatisiert Vorschläge für Angriffsziele zu extrahieren. Er spielt
damit offenbar auf Veröffentlichungen an, wonach ein großer Teil der in
Gaza bombardierten Ziele durch eine KI-basierte Software vorgeschlagen
würde. Hierüber hat die IMI bereits berichtet und kommentiert: „Eine im
Einzelfall abwägende, gar juristische Prüfung der völkerrechtlich
gebotenen Verhältnismäßigkeit lässt sich [angesichts der schieren Masse
der abgeworfenen Bomben über dicht besiedeltem Gebiet] plausibel nicht
argumentieren. Der Einsatz von KI kann hier – bei aller Empörung, die er
im ersten Moment hervorrufen mag – auch als Teil einer
(völkerrechtlichen) Legitimation verstanden werden“.[11]

Tatsächlich deutet eigentlich nichts darauf hin, dass die von Fertik
proklamierte „Präzision“ existiert oder überhaupt angestrebt wird. Der
Experte für die Untersuchung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen, Marc
Garlasco, hat in einem abwägenden Beitrag die Argumentation des
Stabchefs der israelischen Luftwaffe zur Begründung der Luftschläge
analysiert. Er beschreibt in diesem Zusammenhang, dass die Mehrheit der
(bis dahin, Ende Dezember 2023) 29.000 abgeworfenen Bomben ungelenkt
gewesen seien und hiervon wiederum ein Großteil „zu den größten gehören,
die regulär verwendet werden“, die noch im Umkreis von 300 Metern
tödliche Wirkung haben könnten. Gerade vor dem Hintergrund, dass Israel
über „eine der fähigsten militärischen Aufklärungen der Welt verfügt“
und angeblich KI bei der Zielfindung einsetzt, sieht er Anzeichen dafür,
dass die israelische Luftwaffe „weniger fokussiert auf eine auf
Aufklärung basierte Luftkampagne ist, sondern eher darauf, im
palästinensischen Sozialgefüge 'Schock zu erzeugen' und den Druck auf
die Hamas zu erhöhen – falls zutreffend eine klar rechtswidrige
Gewaltanwendung, weil die Gesellschaft kein legitimes Ziel ist“.[12]

Die südafrikanische Anklageschrift gegen Israel wegen mutmaßlichem
Völkermord fasst die weitgehend unbestrittenen Fakten zum Stand 27.
Dezember 2023 zusammen: Demnach wurden seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza
mindestens 21.110 Menschen getötet und 55.243 verletzt. Unter den
Getöteten waren 7.729 Kinder, weitere 4.700 Frauen und Kinder werden
vermisst und ihre Leichen sind vermutlich unter dem Schutt begraben. Zu
jenem Zeitpunkt galten 1,9 Mio. Palästinenser*innen als intern
Vertriebene, mehr als 355.000 Wohneinheiten und damit 60% des
Gesamtbestandes galten als zerstört oder beschädigt. Die Zerstörungen
seien so großflächig, dass sie aus dem Weltraum sichtbar wären.[13]
Präzision sieht anders aus. Nach Angaben eines israelischen
Armeesprechers seien bis 6. Januar 2024 8.000 bis 9.000 Hamas-Kämpfer
getötet oder gefangengenommen worden.[14] Während sich die Angaben zu
gefangenen Hamas-Angehörigen im dreistelligen Bereich bewegen, liegt
diese Zahl sehr nah an den Angaben zu getöteten Männern in Gaza
insgesamt und ist entsprechend unglaubwürdig. Das Komitee zum Schutz von
Journalisten berichtet zum Stand vom 12. Januar 2024 von 79 bestätigt
getöteten Journalist*innen in Israel und Gaza,[15] 16 weitere wurden
verletzt (im Jahr 2022 betrug die entsprechende Zahl weltweit 67). Auch
das ist nicht gerade ein Indiz für herausragende Präzision.

Diese Zahlen und diese Kriegführung sind keine Werbung für Künstliche
Intelligenz und ihre Anwendung bei der Zielfindung. Falls dieser Krieg
tatsächlich das „Herz“ einer KI-Revolution darstellt, sind das düstere
Aussichten. Dessen ungeachtet scheint sich das Selbstbewusstsein der
Startup Nation vor dem Hintergrund der Flächenbombardements erholt und
zu neuen Höhen aufgeschwungen haben. Zum Glück steht die Startup Nation
nicht für die israelische Gesellschaft insgesamt, in der die Kritik am
militärischen Vorgehen und dem Versagen der Sicherheitsbehörden im
Vorfeld – auch an dem zu großen Vertrauen auf technische Lösungen – anhält.

Anmerkugen
[1]Vincent Carchidi: The October 7 Hamas attack - An Israeli
overreliance on technology?, Middle East Institute, 23.10.2023, www.mei.edu.
[2]Sharon Wrobel: Israeli tech exits slump 56% in 2023, deal flow drops
to lowest level in a decade, Times of Israel, 6.12.2023,
www.timesofisrael.com.
[3]Oliver Mitchell: 2 Israeli robotics startup on the impact of war, The
RobotReport, 30.10.2023, www.therobotreport.com, sowie Alex Konrad /
Alexandra S. Levine: Israel Founders Struggle To Balance Startups And
Front-Line Military Service, Forbes, 13.10.2023, www.forbes.com.
[4]Steven Scheer: War threatens funding recovery in Israel's vital tech
industry, Reuters, 11.10.2023, www.reuters.com.
[5]www.ironnation.org/, Startseite Stand 15.1.2024.
[6]Anat Katz: After crisis, Israel’s economy always comes back stronger,
CNBC Op-Ed, 12.12.2023, www.cnbc.com.
[7]Sharon Wrobel: After Israeli tech mobilized in wartime, how will
startups fare in 2024?, Times of Israel, 8.1.2024, www.timesofisrael.com.
[8]Michael Fertik: This war will bolster Israel’s stature as an AI
powerhouse, Times of Israel: The Blogs, 2.1.2024,
https://blogs.timesofisrael.com.
[9]Shiran Mlamdovsky Somech: Generative AI called up for duty, Ctech (by
Calcalist), 19.10.2023, www.calcalistech.com.
[10]Jessica Steinberg: Tormented grandfather shows AI video of
8-year-old grandson, held in Gaza, Times of Israel, 1.11.2023,
www.timesofisrael.com.
[11]Christoph Marischka: Gaza: KI-basierte Bombardierung -
Technologischer Solutionismus im sog. „Nahost-Konflikt“, IMI-Standpunkt
2023/049, 8.12.2023, www.imi-online.de.
[12]Marc Garlasco: Legal Questions Answered and Unanswered in Israel’s
Air War in Gaza, Lawfare Blog, 2.1.2024, www.lawfaremedia.org.
[13]Südafrikanisches Außenministerium: Anklageschrift gegen Israel,
abrufbar auf der Homepage des Internationalen Gerichtshofs:
https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf.
[14]NBC News: „Up to 9,000 Hamas fighters killed or captured, IDF says,
Meldung vom 6.1.2024, www.nbcnews.com.
[15]Committee to Protect Journalists: „Journalist casualties in the
Israel-Gaza war“, Stand 13.1.2024. Die jeweils aktualisierten Zahlen
finden sich hier:
https://cpj.org/2024/01/journalist-casualties-in-the-israel-gaza-conflict/.





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