[IMI-List] [0647] FCAS-Studien / Eurofighter-Exporte
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Di Jan 9 14:41:40 CET 2024
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0647 – 27. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
verbunden mit den besten Wünschen für ein hoffentlich friedlicheres Jahr
2024 finden sich in dieser IMI-List
1.) der Hinweis auf zwei kritische Studien zum Future Combat Air System
(FCAS);
2.) ein Beitrag zum Export von Eurofightern nach Saudi Arabien und den
rüstungspolitischen Hintergründen.
1. Kritische Studien zu FCAS:
Kurz vor dem Ende des Jahres 2023 sind zwei Studien zum Future Combat
Air System (FCAS) veröffentlicht worden, auf die wir hier noch einmal
hinweisen wollen.
Greenpeace hat eine Studie „Flug ins Ungewisse“ des IMI-Beirats Marius
Pletsch herausgegeben, in der die Kosten abgeschätzt werden, die bei
einer Realisierung des neuen Luftkampfsystems anfallen könnten.
Insgesamt ergeben sich aus diesen Berechnungen Gesamtkosten von 1,1 bis
2 Billionen Euro:
Marius Pletsch: Flug ins Ungewisse – Die teure Odyssee des Future Combat
Air Systems
Greenpeace, Dezember 2023.
Studie:
https://www.greenpeace.de/publikationen/Studie_FCAS_Kosten_Ruestung.pdf
In einer Studie der Informationsstelle Militarisierung beschreibt
Christoph Marischka das Luftkampfsystem FCAS als „europäischen Weg zur
Militarisierung der Künstlichen Intelligenz“, da diese in FCAS u.a. in
Form von Schwarmsteuerung und Zielerfassung zum Einsatz kommen soll:
Christoph Marischka: Luftkampfsystem FCAS - Der europäische Weg zur
Militarisierung der Künstlichen Intelligenz
IMI-Studie 5/2023, Dezember 2023
https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2023-5-FCAS-KI.pdf
IMI-Mitteilung
Zwei kritische Studien zum Future Combat Air System (FCAS)
Kosten in Billionenhöhe und Richtungsentscheidung beim Einsatz
militärischer KI
https://www.imi-online.de/2024/01/09/zwei-kritische-studien-zum-future-combat-air-system-fcas/
IMI (9. Januar 2024)
2. Rüstungspolitische Hintergründe zum Eurofighter-Export
IMI-Standpunkt 2024/002 (Update, 9.1.2024)
Waffen ohne Wenn und Aber
Rüstungsexportrekorde und Eurofighter-Ausfuhren
Jürgen Wagner (9. Januar 2024)
Voriges Jahr haben die deutschen Rüstungsexporte ein Allzeithoch
erreicht. Gleichzeitig startet die Bundesregierung mit einem
exportpolitischen Paukenschlag ins neue Jahr: Die bisherige Blockade des
Exports britischer Eurofighter soll beendet werden, wie heute berichtet
wird. Interessierte Kreise nutzen diese Ankündigung nun auch gleich noch
als Steilvorlage, um auch die Waffenlieferungen an die Ukraine noch
weiter zu eskalieren.
Trauriger Rekord
Auch wenn die deutschen Rüstungsexporte von Jahr zu Jahr teils stark
schwanken, in der Tendenz ist die Richtung klar: steil nach oben! Im
Durchschnitt der Jahre 2005 und 2014 wurden jährliche Genehmigungen im
Wert von 4,76 Mrd. Euro erteilt, zwischen 2015 und 2022 waren es dagegen
7,12 Mrd. Euro. Als bisheriger Höchststand thronte das Jahr 2021 mit
9,35 Mrd. Euro auf dem Exportgipfel, bevor die Zahl 2022 wieder – leicht
– auf 8,36 Mrd. Euro sank (siehe IMI-Analyse 2023/001).
Für 2023 ist nun ein erneuter sprunghafter Anstieg zu verzeichnen: „Die
Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Rüstungsexporte im Gesamtwert
von 12,2 Milliarden Euro genehmigt. Das entspricht einer Steigerung von
fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ist damit der höchste je
genehmigte Umfang binnen eines Jahres. […] Wie das
Bundeswirtschaftsministerium mitteilte, entfielen 4,4 Milliarden Euro
davon auf die Waffenlieferungen an die Ukraine.“ (Zeit Online, 4.1.2023)
Seltsamerweise weist die zuletzt vor vier Tagen aktualisierte offizielle
Internetseite der Bundesregierung für 2023 Ausgaben für
Waffenlieferungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg von 5,4 Mrd.
Euro aus (2022: 2 Mrd. Euro). Wie sich die Diskrepanz erklären lässt,
ist nicht ganz klar (vermutlich handelt es sich um den Unterschied
zwischen bereitgestellten und abgerufenen Mitteln). Jedenfalls weist die
Seite für die kommenden Jahre weiter Verpflichtungsermächtigungen für
Ukraine-Lieferungen im Umfang von 10,5 Mrd. Euro aus, ein Betrag, der in
diesem Umfang im August letzten Jahres beschlossen wurde.
Eurofighter-Export: Bahn frei
Großspurig hieß es noch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung: „Wir
erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange
diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“
Dass mit diesem Satz zuvorderst Exporte an Saudi-Arabien gemeint waren,
steht außer Frage (siehe IMI-Analyse 2022/19). Vor diesem Hintergrund
entschied sich die Bundesregierung im Juli 2023 dazu, die von ihr
abhängige Zustimmung für die Lieferung britischer Eurofighter an
Saudi-Arabien zu verweigern. Nun wird aber berichtet, Außenministerin
Annalena Baerbock habe – mutmaßlich in Absprache mit anderen
Regierungsvertreter*innen – gestern verkündet, die ursprünglich
mindestens bis Herbst 2025 terminierte Exportblockade aufzugeben: „Die
Bundesregierung rückt von ihrem Nein zur Lieferung von Kampfflugzeugen
an Saudi-Arabien ab. Deutschland werde sich dem britischen Wunsch nach
Bau und Lieferung von Eurofighter-Jets an das Königreich nicht weiter
‚entgegenstellen‘, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei
einem Besuch in Jerusalem. Sie begründete das mit der konstruktiven
Rolle Saudi-Arabiens während des Gaza-Kriegs, in dem das Land positiv zu
Israel steht.“ (Zeit Online, 8.1.2024)
Wie glaubwürdig das angegebene Motiv ist, mit saudischen Eurofightern
seien schließlich auch mehrfach Raketen abgefangen worden, die aus
jemenitischem Gebiet nach Israel abgefeuert worden sein sollen, lässt
sich schwer einschätzen. In jedem Fall wäre dies nicht die einzige und
sicherlich auch nicht vorrangige Aufgabe der Eurofighter. Schließlich
haben die Kampfhandlungen in jüngster Zeit zwar abgenommen, sie können
aber jederzeit wieder massiv aufflackern – und dass in diesem Fall dann
auch saudische Eurofighter eingesetzt würden, wäre relativ
wahrscheinlich. So schrieb zum Beispiel der ehemalige
LINKEN-Bundestagsabgeordnete Fabio Di Masi auf Twitter/X: „Es ist
übrigens eine Täuschung der Öffentlichkeit zu meinen die Euro-Fighter
dienten ‚nur‘ dem Abfangen von Raketen der Huthis. Die Scheichs werden
diese nicht recyceln und anschließend brav wieder zurückgeben! Im Jemen
Krieg trug Saudi Arabien zum Tod von ca 400 Tsd Menschen bei.“
Mögliche Motive
Gut möglich, dass auch andere als die offiziell genannten Überlegungen
oder eine Kombination davon ausschlaggebend gewesen sein könnten. So
wurde zum Beispiel bereits im November in einem Times-Artikel berichtet,
Deutschland erwäge, seine bisherige Blockade der britischen Eurofighter
aufzugeben, weil Berlin überlege, aus dem deutsch-französischen
FCAS-Projekt aus- und ins britisch-geführte Kampfflugzeugprojekt
einzusteigen. Die Freigabe der Exporte wurde in dem Beitrag in diesem
Zusammenhang als eine Art deutsche Geste des guten Rüstungswillens
beschrieben (siehe IMI-Aktuell 2023/711).
Weil die Quadriga genannte vierte deutsche Eurofighter-Tranche bald
ausgeliefert sein soll, werden seit einiger Zeit massiv Forderungen nach
einer fünften Tranche erhoben, die in diesem Zusammenhang auch eine
Rolle spielen könnten. So wurde in einer vom „Bundesverband der
Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie“ (BDLI) im Oktober 2023
veröffentlichte Gefälligkeitsstudie von PricewaterhouseCoopers (PWC)
dringender Eurofighter-Exportbedarf angemeldet: „Argumentiert wird dabei
folgendermaßen: Das Future Combat Air System wird allerfrühestens (wenn
überhaupt) ab 2040 ausgeliefert, ausgelastet ist die deutsche
Luftfahrtindustrie (also v.a. Airbus) durch Quadriga aber nur bis zum
Jahr 2030. Um die Zeit bis zum FCAS überbrücken zu können, würde deshalb
eine fünfte Tranche mit mindestens 100 Eurofightern benötigt, die
allerdings schon bald beauftragt werden müsse.“ (IMI-Analyse 2023/47)
Mit einer deutschen Bestellung von 40 Eurofightern plus einer
vorhandenen Order von 25 Exemplaren aus Spanien werde die
Wirtschaftlichkeitsgrenze von 100 Exemplaren allerdings verfehlt, wie
Michael Schöllhorn, Leiter von Airbus Defence and Space, in idesem
Zusammenhang weiter argumentierte. Weitere Abnehmer müssten im Export
gesucht werden – wobei ein Land laut Schöllhorn von zentraler Bedeutung
sei: „Genauso wichtig für das Kampfflugzeugprogramm aber bleibt der
Export. Österreich, die Türkei, Qatar und Ägypten zählte Schöllhorn als
Interessenten auf. In diesen Tagen beteiligt sich die Luftwaffe erstmals
mit Eurofightern an einer Übung in Jordanien. Entscheidend aber ist das
Interesse Saudi-Arabiens, denn an ihm scheiden sich die Geister. Für 48
Maschinen gibt es eine Option, insgesamt wird über eine Lieferung von 72
Kampfjets gesprochen. Die Eurofighter-Partner Großbritannien, Italien
und Spanien drängen auf die Ausfuhr, Berlin bremst.“ (FAZ, 13.10.2023)
In diesem Zusammenhang erblickt beispielsweise die Wirtschaftswoche
(8.1.2024) ein wesentliches Motiv für die Eurofighter-Entscheidung: „Ein
weiterer Grund für Baerbocks Spurenwechsel hat wohl mit knallharten
innerdeutschen Wirtschaftsinteressen zu tun. Seit Monaten fahren die
Flugzeugbauer hierzulande massive Lobby gegen das bisherige Ampel-Veto
zum Export von Eurofightern an die Saudis. […] Zwar läuft die Produktion
des Eurofighters noch bis 2030. Doch weil einige Teile des Jets bereits
drei Jahre vor dem Termin produziert werden müssen, könnte den
Zulieferern 2027 die Arbeit ausgehen.“
Ergänzend könnte die jetzige Entscheidung auch eine Signalwirkung haben,
wodurch generell Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien (und anderen
ähnlich gelagerten Fällen) Tür und Tor geöffnet werden könnte – das
zumindest erhofft sich laut Welt (9.1.2024) die Rüstungsindustrie: „Nun
soll doch das Veto aus dem Kanzleramt wegfallen, was aus Sicht der
Rüstungsindustrie einen Dominoeffekt für die gesamte Branche haben
könnte, wenn wieder Exporte freigegeben werden. […] Vor gut einem
Jahrzehnt gehörte Riad auch zu den potenziellen Käufern des deutschen
Kampfpanzers Leopard. Stattdessen modernisieren die Saudis ihre Flotte
der M1-Abrams-Panzer. Auf dem potenziellen Bestellzettel des
Herrscherhauses soll auch der Airbus-Militärtransporter A400M stehen.“
Welches dieser Motive hier entscheidend war, lässt sich kaum sagen. Fest
steht aber, dass mit der Eurofighter-Entscheidung die Lieferung von
Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete nun noch weiter zur Gewohnheit wird.
Steilvorlage für Ukraine-Exporte
Interessierte Kreise nahmen die Steilvorlage in Sachen Eurofighter
Export umgehend auf, um auch bei den Waffenlieferungen für die Ukraine
eine noch schärfere Gangart zu fordern. Die Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte
zum Beispiel postwendend: „Wer Eurofighter nach Saudi-Arabien
exportiert, der muss auch umgehend den Taurus an die Ukraine liefern.“
Obwohl es zahlreiche gute Gründe gibt, (nicht nur) von der Lieferung der
Taurus-Raketen abzusehen (siehe IMI-Standpunkt 2023/035), nehmen
Forderungen in diese Richtung aktuell wieder massiv Fahrt auf. Gestern
wurde dazu etwa prominent Ex-Bundespräsident Joachim Gauck in der
Bild-Zeitung Platz eingeräumt, dessen Äußerungen auch bei Spiegel Online
wiedergegeben wurden: „Ich kenne mich im Militärischen nicht aus, aber
ich habe mit Menschen gesprochen, die über das notwendige militärische
Wissen verfügen. Und nach diesen Gesprächen kann ich nicht mehr
nachvollziehen, dass wir zögern, diese Waffe und weitere Munition zu
liefern. […] Deshalb dürfen wir das tun. Und wir müssen es tun – mit
allem, was uns zur Verfügung steht. Ohne Wenn und Aber.“
So wird bereits früh weiter am Argumentationsteppich geknüpft, damit
Deutschland auch im neuen Jahr neue Rekorde in Sachen Rüstungsexporte
verzeichnen kann.
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