[IMI-List] [0645] Bericht IMI-Kongress / Studie Digitaler MIK
IMI-JW
imi at imi-online.de
Di Dez 5 12:55:51 CET 2023
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0645 – 26. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) der Hinweis auf eine neue Studie zum digitalen
Militärisch-industriellen Komplex in Deutschland und den USA;
2.) Der Bericht zum IMI-Kongress „Deutschland im Kriegszustand?!“
1.) Studie digitaler MIK und weitere neue IMI-Texte
Soeben ist eine neue IMI-Studie erschienen, die sich mit dem digitalen
MIK in den USA und Deutschland beschäftigt:
IMI-Studie 2023/04
Ein digitaler MIK – oder viele?
Politikgestaltende Netzwerke aus Wissenschaft, Militär und
Digitalwirtschaft in den USA und Deutschland
https://www.imi-online.de/2023/12/05/ein-digitaler-mik-oder-viele/
Christoph Marischka (5. Dezember 2023)
Inhaltsverzeichnis
1. USA
1.1 Die Ursprünge des digitalen Zeitalters im Zweiten Weltkrieg
1.2 Nur ein Beispiel: RAND
1.3 Das Denksystem der RMA
1.4 Die neuen Player: Google & Co
2. Deutschland
2.1 Die frühe IKT-Industrie in Deutschland
2.2 Relativ isolierte Wehrforschung
2.3 Durchbruch Dual Use
2.4 Die Bundeswehr wird Cyber
2.5 Ein neues, disruptives Mindset in der Wissenschaft
2.6 Risikokapital, die Big Four und GovTech
3. Fazit
3.1 „Digitale Souveränität“ - Fantasma und Transferprogramm
Gesamte Studie zum herunterladen:
https://www.imi-online.de/2023/12/05/ein-digitaler-mik-oder-viele/
2.) Bericht vom IMI-Kongress
Der IMI-Kongress fand in diesem JAhr vom 24. bis 26. November statt. Wir
bedanken uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei all denen,
die auf die eine oder andere Art zum Gelingen mit beigetragen haben!
IMI-Mitteilung
Deutschland im Kriegszustand?!
Bericht vom 27. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
https://www.imi-online.de/2023/11/30/deutschland-im-kriegszustand-3/
IMI (30. November 2023)
Am 25. und 26. November 2023 fand der alljährliche Kongress der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) zum inzwischen bereits 27. Mal
statt. Über die Tage verteilt rund 200 Menschen informierten sich und
diskutierten über „Deutschland im Kriegszustand?!“ in der
Hermann-Hepper-Halle in Tübingen. Nachdem coronabedingt damit länger
ausgesetzt werden musste, konnte es am Freitagabend in diesem Jahr auch
endlich wieder eine Auftaktveranstaltung in der Hausbar des
Wohnprojektes Schellingstraße geben. Mit einer Punk-Rock-Lyrik-Lesung
mit Texten, die seit Beginn des Ukraine-Krieges entstanden sind, wurde
der Kongress in lockerer und gemütlicher Atmosphäre eröffnet.
Den Auftakt am Samstag bestritt IMI-Vorstand Tobias Pflüger unter dem
Titel "Deutschland im Krieg (mit Russland)?" Er kritisierte darin sowohl
den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, als auch
Waffenlieferungen und Ausbildung ukrainischer Soldat*innen in
Deutschland. Damit habe Deutschland die Schwelle zur direkten
Kriegsbeteiligung faktisch überschritten, wie auch eine Reihe
juristischer Einschätzungen, darunter auch ein Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, nahelegten. Medial, aber
auch seitens politischer Akteure wie Außenministerin Baerbock werde
teils offen eingeräumt, man befinde sich im Krieg mit Russland. Die
Formulierung von der "Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime" in den
neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 9. November 2023 sei
damit folgerichtig. Pflüger: "Dieses Land wird von der
Ampel-Bundesregierung aus SPD, GRÜNEN und FDP in eine mentale,
politische und materielle Kriegstüchtigkeit geführt. Dazu wird
aufgerüstet, mit Milliarden an Kosten, zugleich findet Sozialabbau
statt. Es ist Zeit, dazu Nein zu sagen und mit allen verfügbaren Kräften
gegen diese Militarisierung zu mobilisieren."
Der Referent Pablo Flock, der Mitarbeiter der IMI ist und seinen Master
in Global Studies mit einer Diskursanalyse zu Verschwörungstheorien in
rechtsextremen Medien abschloss, begann das Panel „Die Medien im
(Ukraine-)Krieg“ mit der Frage, ob die Medien in Deutschland im Krieg
seien, und entgegnete sofort, dass es keineswegs den Druck wie in der
Ukraine oder gar Russland auf die Medien gebe. Trotzdem scheint es, als
ob die genannten 10 Grundsätze der Kriegspropaganda in Deutschland
zuträfen. Die von Richard D. Precht und Harald Welzer angestoßene
Debatte, ob die Medien einseitig für Waffenlieferungen und gegen
Verhandlungen berichtet hätten, wurde anhand der Ergebnisse zweier
quantitativer Studien, eine von der Otto-Brenner-Stiftung finanzierte
und eine von Welzer selbst, erörtert. Letztendlich sprächen beide
Studien dafür, da sie zeigten, dass nahezu alle Medien die Lieferung
schwerer Waffen überwiegend positiv und Verhandlungen überwiegend
negativ darstellten. Zudem sei der Diskurs sehr auf deutsche
Politiker*innen fokussiert gewesen. Als Faktoren dafür nannte er hier
die Beeinflussung durch Thinktanks wie dem Zentrum Liberale Moderne,
aber auch besonders die Zentralisierung und Prekarisierung des Journalismus.
Unter dem Titel „Mental im Krieg?“ folgten mehrere kürzere Beiträge auf
einem gemeinsamen Podium. Einleitend stellte Alexander Kleiß, Beirat der
Informationsstelle Militarisierung, das Konzept des „banal militarism“
vor, das wesentlich auf die Wissenschaflter*innen Tanja Thomas und
Fabian Virchow zurückgehe und an das ältere Konzept des „banal
nationalism“ anknüpfe. Übersetzt werden könnten beide als
„Veralltäglichung“ des Nationalen bzw. Militärischen. Anhand der
Social-Media-Kampagne „Free the Leopards“, mit der – auf
Tierrechtsparolen anspielend – für die Lieferung von Kampfpanzern
geworben wurde, diente dem Referenten dabei als ein Beispiel, wie damit
zugleich eine Verharmlosung und Verherrlichung von Waffensystemen und
den Kriegen, in denen sie zum Einsatz kommen, einhergehe. Als weiteres,
eindrückliches Beispiel hierfür nannte und zeigte der Referent das Video
„Supergeil“, welches das ukrainische Verteidigungsministerium
veröffentlicht hatte. Dabei handelte es sich um ein neu
zusammengeschnittenes Musikvideo, in dem deutsche Waffen glorifiziert
und um deren Lieferung gebeten wurde.
Anschließend stellte Jacqueline Andres, Mitglied im Vorstand der IMI,
dar, wie Motive an sich emanzipatorischer Bewegungen wie dem Humanismus,
dem Feminismus und der queeren Community in den Kriegsdiskurs
eingebunden würden. Als Beispiele dienten hierbei das sog.
Einhorn-Bataillon der ukrainischen Armee und Regenbogen-Fahnen in den
Ruinen von Gaza. Das Narrativ, mit militärischer Gewalt „Zivilisation“
in anderen Gesellschaften durchzusetzen, sei keineswegs neu, wie Andres
im Rückgriff auf koloniale Diskurse darstellte. Besonders im Falle des
Feminismus stünde diese Instrumentalisierung in einem eklatanten
Widerspruch zum eigentlichen Kern des Kampfes gegen Herrschaft und das
Patriarchat. Militär und Militarismus seinen geradezu deren Zuspitzung
und müssten aus feministischer Perspektive bekämpft werden.
Anschließend referierte Michael Schulze von Glaßer, Geschäftsführer der
Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen
(DFG-VK) und langjähriger Beobachter der Rekrutierungsbemühungen der
Bundeswehr. Hinsichtlich der Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr
ließe sich eigentlich keine Zeitenwende ausmachen, so von Glaßer. Denn
das Problem, dass die Bundeswehr nicht genug Rekrut*innen finde, bestehe
schon lange, spätestens seit der von Ursula von der Leyen 2016
ausgerufenen „Trendwende Personal“. Die Bundeswehr wolle auf über
200.000 Kräfte anwachsen, „dümpelt aber in der Praxis stets nur um die
180.000 herum“. Mit dem russischen Angriff und der ausgerufenen
Zeitenwende habe es zwar einen ganz kurzen Zuwachs bei den Bewerbungen
gegeben, seither seien sie aber eher rückläufig gegenüber den Zeiträumen
zuvor. Zweifellos werde die Bundeswehr immer aggressiver und mit immer
mehr unterschiedlichen Formaten, v.a. auf Social Media, für sich werben.
Dieser Trend wäre jedoch bereits zuvor offensichtlich gewesen - und aus
Sicht des Militärs auch offensichtlich nötig.
Zweifellos mit der ausgerufenen Zeitenwende in Verbindung stünden dem
Referenten Chris Hüppmeier zufolge jedoch die aktuellen Angriffe auf die
Zivilklauseln – Selbstverpflichtungen wissenschaftlicher Institutionen
wie Hochschulen, sich nicht für militärische Zwecke einspannen zu
lassen. Diese seien auch eine Konsequenz aus der Instrumentalisierung
der Wissenschaft im Zweiten Weltkrieg und ihrer Rolle bei der
Entwicklung von Waffen, mit denen sich mehrfach der ganze Planet
zerstören ließe. Aktuell jedoch werde von Wissenschaftsverbänden und der
Politik vehement eine Abschaffung der Zivilklauseln und – gestützt auf
rassistische Motive („Hinter jedem chinesischen Forscher kann sich die
Partei verbergen“, Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung
und Forschung) eine Renationalisierung der Wissenschaft angestrebt. Dies
stieße erfreulicherweise auf Widerstand, der sich noch intensivieren
könnte, wenn künftig die Landesregierung Hessen mit einem quasi-Verbot
von Zivilklauseln in die Autonomie der Hochschulen eingreifen wolle.
Am Samstagabend wurde über „Rüstungsexporte: Vehikel für Macht- und
Interessenspolitik“ diskutiert. Susanne Weipert, die Koordinatorin der
Aktion Aufschrei -Stoppt den Waffenhandel, beschrieb dabei die aktuelle
Problematik, dass die Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien
gesetzlich nicht geprüft und Verstöße nicht sanktioniert werden könnten.
Ein Rüstungsexportgesetz solle hier Abhilfe schaffen, allerdings sträube
sich die Bundesregierung vor allem, ein Verbandsklagerecht darin zu
verankern, was eines der wesentlichsten Defizite der bislang
vorliegenden Eckpunkte für ein solches Gesetz sei. Im Anschluss
präsentierte Claudia Haydt, die Mitglied im IMI-Vorstand ist, eine
grundsätzliche Kritik an jedweden Waffenexporten. Zu unterscheiden seien
direkte Gründe, wodurch Waffenlieferungen zu einer unmittelbaren
Beihilfe und Mittäterschaft in Konflikten würden (etwa zu Krieg,
Vertreibung, Unterdrückung, Ausbeutung). Daneben hätten
Waffenlieferungen aber auch negative strukturelle Auswirkungen (wie die
Schwächung ziviler Alternativen, Wettrüsten, verstärkte Spannungen).
Rüstungshandel gehöre zu den korruptionsanfälligsten
Wirtschaftssektoren. Auch in Deutschland belegt der Rechnungshof
zunehmende Verstöße gegen Richtlinien zur Korruptionsbekämpfung. Eine
Abkehr von der bisherigen Rüstungsexportpolitik sei deshalb dringend
geboten, so Haydts abschließende Kritik.
Der Auftakt am Sonntagmorgen beschäftigte sich mit „Kriegswirtschaft?
Eine wirtschafts- und militärpolitische Einordnung“. IMI-Beirat Martin
Kirsch machte den Anfang, indem er argumentierte, um von einer voll
ausgewachsenen Kriegswirtschaft sprechen zu können, würden derzeit noch
viele wichtig Elemente fehlen (z.B. keine Wehrpflicht; keine Umstellung
von Zivil- auf Rüstungsproduktion…). Andererseits seien aber gerade in
jüngster Zeit Phänomene zu beobachten, wie u.a. das Vorhalten enormer
Produktionskapazitäten, direkte staatliche Eingriffe in die Produktion,
zunehmende staatliche Beteiligungen an Rüstungsfirmen oder auch das
aktuell erwogene Vorkaufsrecht für die Bundeswehr. Hierdurch würde sich
aktuell das Pendel Stück für Stück in Richtung einer Kriegswirtschaft
verschieben, so Kirschs Fazit. Im Anschluss daran argumentierte
IMI-Vorstand Jürgen Wagner, auch auf EU-Ebene seien im laufenden Jahr
einzelne wichtige Elemente einer Kriegswirtschaft auf die Schiene
gesetzt worden. Vor allem die derzeit bis 2025 befristeten neuen
EU-Finanztöpfe EDIRPA (zur gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern)
und ASAP (zur Ankurbelung der Munitionsproduktion) seien hier zu nennen.
Anfang 2024 wolle die Kommission dann eine Art Kriegswirtschaftsgesetz
vorlegen, in dem ASAP und EDIRPA zeitlich unbefristet und auf alle
Rüstungsgüter erweitert zusammenfließen sollen, so Wagner.
Das letzte Panel ging auf die „Folgen der Aufrüstung: Sozial und global“
ein. Den ersten, auf Deutschland fokussierten Vortrag hielt IMI-Vorstand
Jürgen Wagner, der anhand des Verteidigungshaushaltes argumentierte, bei
der Erzählung von der kaputtgesparten Bundeswehr handele es sich um ein
Märchen. Mit 100 Milliarden als Sondervermögen betiteltem Kriegskredit
käme man nun endlich über das lange anvisierte 2%-Ziel der NATO. Doch
während 2% des BIPs sehr wenig klängen, entsprächen sie 20% des
Bundeshaushalts. Und da dem Verteidigungsministerium de facto schon
zugesagt sei, dass das 2%-Ziel auch nach dem Auslaufen des
Sondervermögens 2027 oder 2028 gesichert bliebe, hätten diese und
folgende Regierungen eigentlich keine andere Möglichkeit außer im
Haushalt für Arbeit und Soziales weitere massive Kürzungen vorzunehmen
oder die Steuern zu erhöhen.
Pablo Flock, der im letzten Jahr schon zu den Auswirkungen des
Ukrainekriegs auf den Globalen Süden referierte, erzählte zuerst die
Geschichte der beiden südasiatischen Länder Sri Lanka und Pakistan
weiter, wo die Verknappung und Verteuerung des von Europa weggekauften
Flüssiggases zu Zahlungsengpässen und Eingriffen durch den
internationalen Währungsfonds (IWF) führte. Im Falle Pakistans gebe es
mit einem geleakten Dokument Anzeichen dafür, dass die USA diesen Kredit
des IWFs nutzen, um den unliebsamen Premier Imran Khan aus dem Amt zu
jagen. Danach ging er auf die Sahelländer ein, wo die Doppelmoral des
Westens in der Ukraine und im Gazakonflikt, die Hinwendung zu anderen
Mächten befeuere. An der afrikanischen Friedensinitiative und dem
wachsen von Bündnissen wie BRICS sei diese Zuwendung zur Multipolarität
zu sehen.
Auf dem Abschlusspodium unter dem Motto „Raus aus der Schockstarre –
rein in die Bewegungen“ waren die antifaschistische Aktivistin Kitty,
die Anti-Atom-Aktivist*innen Elisabeth und Martin, die das Magazin
Anti-Atom-Aktuell herausgeben, Andreas Linder, der sich antirassistisch
u.a. bei Move On in Tübingen politisch betätigt und die bei Verdi in
München aktive Gewerkschafterin Hedwig Krimmer, die den Friedensappell
„Sagt Nein!“ mit initiiert hatte, vertreten. Eine Schockstarre konnten
nicht alle in ihren jeweiligen Spektren ausmachen, zumindest wurde aber
eine Krise der Linken allgemein konstatiert. Wege aus der Krise sahen
die Diskutierenden v.a. im Aufbau offener Strukturen, offenen Gesprächs-
und Dialogangeboten und einer verstärkten Organisierung. So hob Hedwig
Krimmer hervor, dass ein langfristiger Effekt des Appells „Sagt Nein!“
auch eine Organisierung der friedenspolitischen Kräfte innerhalb der
Gewerkschaften sei. Alle waren sich auch einig, dass die verschiedenen
Bewegungen zusammen gehören und gedacht werden müssten. Viele sind in
mehreren Spektren gleichzeitig aktiv.
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