[IMI-List] [0633] Großmanöver Air Defender / Kriegswirtschaft - Friedenssteuer
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Mo Mai 15 14:08:29 CEST 2023
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0633 .......... 26. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) Eine neue IMI-Analyse zum Großmanöver Air Defender, gegen das auch
Proteste geplant sind;
2.) Hinweise auf neue Texte zum Thema Friedenssteuergesetz und den neuen
EU-Töpfen zum Aufbau einer Kriegswirtschaft.
1.) Friedenssteuer - Kriegswirtschaft
IMI-Analyse 2023/21 (Update, 11.5.2023)
Munition für den Ukraine-Krieg
Die EU ASAP in Richtung Kriegswirtschaft?
https://www.imi-online.de/2023/05/09/munition-fuer-den-ukraine-krieg/
Jürgen Wagner (9. Mai 2023)
IMI-Standpunkt 2023/017
Forderung nach einem Friedenssteuergesetz
Zum vierzigjährigen Bestehen des Netzwerk Friedenssteuer e.V.
https://www.imi-online.de/2023/05/10/forderung-nach-einem-friedenssteuergesetz/
Gertie Brammer (10. Mai 2023)
2.) IMI-Analyse: Großmanöver Air Defender
IMI-Analyse 2023/22
Air Defender 2023
Luftwaffenmanöver der Superlative im Juni über Deutschland
https://www.imi-online.de/2023/05/15/air-defender-2023/
Martin Kirsch (15. Mai 2023)
Mitte Juni 2023 wird es laut über Deutschland. Die Bundeswehr, die US
Luftstreitkräfte und 23 weitere Verbündete planen die größte
Luftwaffenverlegeübung seit Bestehen der NATO.[1] Zentrum des folgenden
Luftwaffenmanövers werden drei Lufträume über Deutschland sein. An den
„drei Hauptdrehkreuzen“ im niedersächsischen Wunstorf, in Jagel und Hohn
in Schleswig-Holstein und in Lechfeld in Bayern haben die praktischen
Vorbereitungen längst begonnen.[2] Neben knapp 100 Kampf-, Tank- und
Transportflugzeugen der Luftwaffenreserve (Air National Guard)[3] aus
den USA werden über 100 weitere Militärflugzeuge aus 23 europäischen
Staaten sowie ein Flugzeug aus Japan beteiligt sein.[4]
Massive Belastung im deutschen Luftraum
Die zentralen Übungslufträume befinden sich über der Nord- und Ostsee
sowie über dem Norden, Nordosten und Südwesten Deutschlands.[5] Dort
sollen vom 12. bis 23. Juni täglich jeweils rund 40 bis 80
Militärmaschinen zu übungsweisen Luftkriegsoperationen aufsteigen.[6]
Insgesamt sind rund 250 sogenannte „Sorties“, also militärische
Flugbewegungen, pro Tag geplant. Um dieses massive Aufkommen von
Militärflügen überhaupt umsetzen zu können, werden die drei
Übungslufträume für den zivilen Luftverkehr täglich mindestens vier
Stunden vollständig gesperrt. Die zivile Luftfahrt rechnet auch an
großen Flughäfen wie Hamburg, Berlin, München und Stuttgart mit
deutlichen Einschränkungen und manöverbedingten Flugverspätungen.[7] Die
Anwohner*innen der betroffenen Luftwaffenbasen und Übungsräume müssen
darüber hinaus mit massivem Fluglärm der Kampfjets rechnen. Über
Mecklenburg-Vorpommern sowie an den Luft-Boden-Schießplätzen der
Bundeswehr in Bergen in Niedersachsen und Grafenwöhr in Bayern, kommen
durch das verstärkte Aufkommen von Tiefflügen besondere Belastungen
hinzu.[8] Daher schwört die Luftwaffe die Anwohner*innen bereits darauf
ein, dass sie den massiven Fluglärm der übenden Kampfjets doch bitte als
Beitrag zur militärischen Sicherheit Deutschlands ertragen sollten.
Übung für Artikel-5-Szenario
Sicherheit für Deutschland bedeutet in dieser Logik ein Übungsszenario,
in dem Luftkriegsoperation nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages,
also für einen Krieg der NATO mit Russland in Europa, trainiert werden.
Die Luftstreitkräfte der NATO gelten in solch einem Kriegsfall als
„Kräfte der ersten Stunde“, weil sie innerhalb von wenigen Minuten bis
einigen Stunden und damit deutlich schneller als Land- und
Seestreitkräfte, in die Kämpfe eingreifen könnten. Dem entsprechend soll
die Verlegung von rund 100 US Militärflugzeugen über den Atlantik nach
Deutschland und in angrenzende Staaten innerhalb von wenigen Stunden
vollzogen werden. Deutschland wird während Air Defender 23 in der Luft
übungsweise zu dem, was es auch in einem Kriegsfall wäre –
Logistikknoten und Zwischenstation für NATO-Kampftruppen, die von Westen
nach Osten ziehen. Während ein Großteil der Luftkriegsübungen über
Deutschland und der Nordsee stattfinden werden und die Flugzeuge der
Verbündeten in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Polen und
Tschechien stationiert sein werden, sind im Rahmen des Manövers auch
tägliche Hin- und Rückflüge nach Estland und Rumänien vorgesehen. Die
übenden NATO-Jets fliegen also bis an die unmittelbare Ostgrenze des
Bündnisgebietes.[9]
Manöver in angespannten Zeiten - seit 2018 in Planung
Der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, brüstet sich damit, dass er
bereits seit seiner Amtseinführung 2018 an einem entsprechenden
Großmanöver plane. In 2019 startete die Luftwaffe eine kleinere
Übungsserie für einen von der Bundeswehr geführten multinationalen
Luftwaffengroßverband (Multinational Air Group / MAG). Nach Abstimmungen
mit den USA wurde 2021 die Integration einer Verlegeübung der
US-Luftwaffenreserve und die Namensgebung Air Defender 2023
beschlossen.[10] Neben der Zusammenziehung von über 200
Militärflugzeugen soll das deutsche Zentrum Luftoperationen im
nordrhein-westfälischen Kalkar während Air Defender 2023 unter Beweis
stellen, dass es in der Lage ist, Luftwaffenverbände dieser
Größenordnung zu führen. Ziel ist die Zertifizierung als Joint Air Force
Component Command der NATO – also als bündnisgemeinsames Kommando für
Großverbände der Luftstreitkräfte.
Auf diese deutsche Führungsrolle ist Gerhartz deutlich stolz. So betonte
er in einem Interview: „Es ist eine Übung, wo die NATO unterstützt. Aber
es ist eine deutsch geführte Übung.“[11]
Die Pläne für Air Defender 2023 stammen noch aus der Zeit vor der
russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022. Der aktuelle Krieg
in der Ukraine ist damit nicht ursächlich für die bevorstehenden
massiven Luftkriegsspiele. Neben dem gestiegenen Umfang – die Zahl der
Teilnehmerstaaten wurde im letzten Jahr von 18 auf 24 aufgestockt –
lässt sich auch die Wirkung des Manövers allerdings nicht ohne die
Betrachtung der prekären Sicherheitslage in Europa bemessen. So werden
die übungsweise Mobilisierung von fast 100 Militärflugzeugen und
mehreren tausend Soldat*innen der US-Luftwaffenreserve nach Europa und
die dortigen Luftkriegsübungen mit Flügen bis an die Grenzen zu
Russland, Belarus und der Ukraine in Moskau wohl kaum als Zeichen der
Deeskalation vonseiten der NATO gewertet werden.
Russland als Adressat
Wenig auf Entspannung bedacht zeigen sich auch die beiden für das
Luftwaffenmanöver maßgeblich verantwortlichen Generäle. Auch wenn
Russland in den offiziellen Dokumenten zu Air Defender 2023 nicht
genannt wird und das Manöver laut der Bundesregierung auf einem „rein
generischen Szenario“ basiert,[12] machten der deutsche
Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und der Chef der US Air National
Guard Michael A. Loh bereits an anderen Stellen deutlich, gegen wen sich
das Manöver richtet. Schon 2021 legte Loh seine Motivation für die
Teilnahme dar: „Ich möchte, dass [meine Leute] anfangen, mehr über
unsere drohenden Gefahren – China und Russland – nachzudenken und
versuchen, sie auf diese Standards zu bringen. [...] Was bedeutet es,
unter den Kommandostruktur der NATO zu stehen und wie operieren wir
eigentlich innerhalb der NATO?“[13] Luftwaffeninspekteur Gerhartz
drückte es so aus: „Mit der Übung Air Defender zeigen wir, dass die
Luftwaffe das erste militärische Mittel in einer Krise ist. […] Wir
können sehr schnell, in Stunden, Kräfte aus den USA nach Deutschland
verlegen und so für eine glaubhafte Abschreckung sorgen.“[14]
Damit wiederholt sich das bereits seit Jahren vollzogene Muster von
gegenseitigen militärischen Muskelspielen und Drohgebärden in einem
höchst unsicheren Umfeld auf immer konfrontativere Weise. Währenddessen
kommt es bereits im Regelbetrieb immer wieder zu gefährlichen
Situationen in den Lufträumen entlang der NATO-Grenzen, wenn sich dort
russische und NATO Kampfjets gefährlich nahe kommen. Allein im
vergangenen Jahr kam es laut NATO zu 570 solchen Vorfällen und damit zu
doppelt so vielen wie im Vorjahr.[15] Jeder dieser Vorfälle birgt die
Gefahr in sich, bei einem tatsächlichen Zusammenstoß zu einer
ungewollten Eskalation zu führen.
Konfrontation statt Rückversicherung
Trotz alledem werden bisher gängige Formen der gegenseitigen
Rückversicherung zwischen NATO und Russland bei Großmanövern im Rahmen
von Air Defender 2023 einfach missachtet. Eine formale Benachrichtigung
Russlands halten der deutsche Luftwaffeninspekteur und der Chef der US
Air National Guard nicht für nötig. Bei einem Pressetermin Anfang April
auf der Joint Base Andrews bei Washington sprach Gerhartz sichtlich
stolz darüber, dass er einem Reporter am Vortag auf die Frage nach der
Informationspolitik gegenüber Russland geantwortet habe: „Wir werden
ihnen [Russland] keinen Brief schreiben. Sie werden die Nachricht schon
erhalten/verstehen, wenn unsere Flugzeuge ausschwärmen.“[16] Auf diese
bewusste Doppeldeutigkeit im englischen Original reagiert der US General
Loh vor laufenden Kameras mit einem breiten Grinsen. Bei dieser
Provokation handelt es sich allerdings nicht bloß um einen unnötig
provokativen Stil. Bisher war es gängige Praxis, dass NATO-Staaten ihre
Manöver auf formalem, diplomatischem Wege ankündigten und Einladungen an
Militärbeobachter, auch aus Russland und Belarus, aussprachen. Diese
Praxis diente der gegenseitigen Versicherung, dass die Militärübungen
zwar dem gegenseitigen Muskelspiel und der Abschreckung, nicht aber der
Vorbereitung eines Angriffs dienten. In der aktuellen Phase der
militärischen Konfrontation in der Ukraine auf diese
Kommunikationsformen zu verzichten, ist hochgradig gefährlich.
Proteste sind bereits angekündigt
Um die Kritik am Großmanöver Air Defender 2023 auch am Ort des
Geschehens sichtbar zu machen, mobilisiert die Friedensinitiative
Neustadt/Wunstorf am 10. Juni 2023 um 11:55 (fünf vor Zwölf) zu einer
Demonstration am Fliegerhost Wunstorf bei Hannover.[17] Zudem soll dort
während des Manövers vom 12. bis 23. Juni täglich eine Mahnwache
stattfinden. Vermutlich werden sich auch an anderen Standorten noch
Proteste formieren.
Anmerkungen
[1] Bundeswehr: Übung – Air Defender 2023, o.D., bundeswehr.de.
[2] Beispielhaft für Jagel und Hohn in Schleswig-Holstein: NDR:
Luftwaffen-Großübung Air Defender in SH - Die Vorbereitungen laufen, 04.
April 2023, ndr.de.
[3] Die rund 100 Militärflugzeuge aus den USA werden nicht von der
von US Air Force, sondern von der Air National Guard gestellt. Dabei
handelt es sich um Luftwaffenreservetruppen, die unter der Flagge der
US-Bundesstaaten fliegen und von deren Gouverneuren z.B. nach
Naturkatastropen eingesetzt werden kann. Darüber hinaus kann der US
Präsident die Air Natinal Guard im Krigsfall unter sein Kommando rufen
und weltweit in den Einsatz schicken. So waren Soldat*innen der Air
National Guard beispielsweise an den Kriegen im Irak und in Afghanistan
zu Tausenden beteiligt. Mit rund 100.000 Angehörigen und 1.300
Flugzeugen ist die Air Natinal Guard um ein vielfaches größer als die
gesamte Luftwaffe der Bundeswehr. Die Angehörigen der Air National Guard
sind zu großen Teilen keine Vollzeitsoldat*innen, sondern sogenannte
Militsoldat*innen. Neben einem zivilen Job absolvieren ein gewisses
Kontingent an Wochenendübungen und einer Großübung im Jahr, um sich an
den jeweilgen Waffensysteen fit zu halten. Für 46 Einheiten aus 36
US-Bundesstaaten wird Air Defender eben diese Großübung für das Jahr
2023 sein.
[4] Bundeswehr: Übung – Air Defender 2023, o.D., bundeswehr.de.
[5] Detailierte Informationen zu den Übungslufträumen finden sich
unter: Bundeswehr: Übung – Air Defender 2023, o.D., bundeswehr.de.;
Luftwaffe, Zentrum Luftoperationen: Vorübergehende Einrichtung von
Gebieten mit Flugbeschränkungen anlässlich der Militärübung „Air
Defender 2023“, 09.02.23, abrufbar unter: daec.de und Deutscher
Bundestag: Drucksache 20/6293, Kleine Anfrage: Air Defender 2023 – Die
Luftkriegsübung über Deutschland, 31.03.23, bundestag.de.
[6] Bundeswehr: Fact Sheet Air Defender 2023, o.D., bundeswehr.de.
[7] Hamburger Morgenpost: Mega-Militärmanöver – Wo Urlauber bald
starke Nerven brauchen, 08.05.23, morgenpost.de.
[8] Deutscher Bundestag: Drucksache 20/6293, 31.03.23, bundestag.de.
[9] Bundeswehr: Übung – Air Defender 2023, o.D., bundeswehr.de.
[10] Bundeswehr: Air Defender 2023 – Jahre der Vorbereitung, um 200
Flugzeuge in die Luft zu bekommen, 28.03.23, bundeswehr.de.
[11] Deutsche Welle: Die NATO übt Reaktionsfähigkeit ihrer
Luftstreitkräfte bei einer Krisensituation, 08.04.23, abrufbar via
youtube.com.
[12] Deutscher Bundestag: Drucksache 20/6293, 31.03.23, bundestag.de.
[13] Defence News: Germany, US plan major aerial drill to defend
Europe, 05.11.21, defensenews.com. (Übersetzung MK)
[14] Hamburger Morgenpost: Mega-Militärmanöver – Wo Urlauber bald
starke Nerven brauchen, 08.05.23, morgenpost.de.
[15] Redaktionsnetzwer Deutschland: Nato fängt in 570 Fällen russische
Jets ab – doppelt so viele wie im Vorjahr, 14.02.23, rnd.de.
[16] Defense Now: National Guardsmen Reveal Their Big Secret on Air
Defender '23 Media Day!, Minute 4, 05.04.23, Abrufbar via: youtube.com.
(Übersetzung des Autors)
[17] Friedenskooperative: Demo gegen Nato-Manöver Air Defender 23,
o.D., friedenskooperative.de.
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