[IMI-List] [0628] Analysen: Future Combat Air System / Rüstungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich
IMI
imi at imi-online.de
Mo Jan 30 16:09:11 CET 2023
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0628 .......... 26. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) ein Artikel zu Ansätzen für eine Kampagne gegen das Future Combat
Air System (FCAS);
2.) ein Artikel über die von Kooperation und Konkurrenz geprägte
Rüstungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich.
1.) IMI-Analyse: Future Combat Air System (FCAS)
IMI-Analyse 2023/04
FCAS
Ansatzpunkte für eine Kampagne am Beispiel Stuttgart
https://www.imi-online.de/2023/01/25/fcas/
Christoph Marischka (25. Januar 2023) [Links zu den Quellen finden sich
online]
Mit einem geschätzten Gesamtvolumen von sagenhaften 500 Mrd. Euro ist
das sog. Future Combat Air System (FCAS) eines der größten
Rüstungsprojekte der Welt. Dabei geht es jedoch nicht alleine darum, in
zukünftigen Konflikten „Luftüberlegenheit“1 oder allgemeiner die
„europäische und transatlantische Verteidigungsfähigkeit“2
sicherzustellen. Nein, es handelt sich auch um ein industriepolitisches
Programm, mit dem Deutschland, Frankreich und Spanien sich nicht zuletzt
gegenüber dem Verbündeten USA im Bezug auf (militärische)
Schlüsseltechnologien positionieren wollen. Das geht einerseits nur
gemeinsam, zugleich wird jedoch auch zwischen den beteiligten Staaten
und Unternehmen erbittert darum gerungen, wer welche
Schlüsselkomponenten beitragen und die zugrundeliegenden Technologien
zugleich für sich behalten darf. Wegen dieser zähen Verhandlungen
verzögerte sich das Projekt schon mehrfach und stand es auch schon
vermeintlich vor dem Aus.
Als eine dieser Schlüsseltechnologien, die im FCAS erstmals umfangreich
zum Einsatz kommen soll, wird auch von den beteiligten Firmen immer
wieder gerne „künstliche Intelligenz“ (KI) genannt. Obwohl dieser
Begriff schwammig ist und verschiedene Anwendungen, die der KI
zugerechnet werden, längst auch bei europäischen Armeen im Einsatz sind,
wird FCAS absehbar der militärischen Anwendung von KI zum Durchbruch
verhelfen. Dafür spricht unter anderem, dass Airbus als einer der
Hauptakteure des Konsortiums und das Fraunhofer FKIE in Bonn früh eine
an das Projekt angeschlossene „Arbeitsgemeinschaft Technikverantwortung“
gebildet haben, um – vermeintlich „[e]rstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik“ – „ein verteidigungspolitisches Großprojekt von Beginn
an“ durch Überlegungen zu ethischen und rechtlichen Aspekten der neuen
Technologien zu begleiten.3 Zur grundsätzlichen Notwendigkeit des
Einsatzes von KI in künftigen Waffensystemen hat sich die AG allerdings
schon eindeutig positioniert und dabei gleich mal heftig gegen
Intiativen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausgeteilt, die sich
grundsätzlich gegen „Autonomie“ in Waffensystemen aussprechen. Das
„politisch aufgeladene Schlagwort der ‚Autonomen Waffensysteme‘“
bezeichnen sie in diesem Zusammenhang z.B. als „bewusst irreführend“.4
Das FCAS ist dabei als „System der Systeme“ konzipiert, das nur im Kern
aus einem bemannten Kampfflugzeug der nächsten Generation (NGF) bestehen
soll, zusätzlich jedoch über eine sog. Combat Cloud
(informationstechnische Gefechts-Wolke) mit verschiedenen unbemannten
Flugzeugen, Waffensystemen, Satelliten und Gefechtsständen verbunden
sein und damit eine Informationsüberlegenheit in nahezu Echtzeit
gewährleisten soll. Darüber hinaus sollen auch was Tarnung,
Cybersicherheit und Verschlüsselung, Elektronische Kampfführung und
Entscheidungsunterstützung angeht, neueste Technologien zum Einsatz
kommen. Eines jedenfalls ist ganz klar: Solch ein Waffensystem braucht
man nicht für irgendwelche so genannten Friedenseinsätze oder
UN-Missionen, sondern für den Krieg gegen einen ebenfalls hochgerüsteten
Gegner mit ausgereifter industrieller und technologischer Infrastruktur.
Entsprechend werden auch diese potentiellen Kontrahenten, insbesondere
China, die Entwicklung des FCAS ganz genau verfolgen und ihrerseits
nachrüsten.
Nicht nur wegen der Kosten sondern auch wegen der zu erwartenden
technischen und ethischen Dammbrüche sowie der mit dem FCAS verbundenen
Eskalationsdynamik im internationalen Wettbewerb und Rüstungswettlauf
ist es deshalb begrüßenswert, dass verschiedene Organisationen in
Deutschland aktuell eine Kampagne gegen das Großprojekt vorbereiten. Sie
werden dabei vor der Herausforderung stehen, dass es sich bei FCAS um
ein kompliziertes und relativ abstraktes Großprojekt handelt, das sich –
trotz der bereits jetzt verausgabten Milliardenbeträge – zunächst nur in
Planungsbüros, hoch-spezialisierten Komponenten in ebensolchen
Werkshallen und wenigen Demonstratoren materialisieren wird. Das
bemannte Kampfflugzeug der nächsten Generation als Kernelement soll
beispielsweise erst ab 2040 einsatzbereit sein.
Um die mindestens bis dahin relativ abstrakte Entwicklung des FCAS
trotzdem sichtbar zu machen, wird deshalb vorgeschlagen, das dahinter
stehende Netzwerk von Unternehmen und Institutionen herauszuarbeiten und
zwar an einem Ort, der bislang und absehbar keine zentrale Rolle bei der
Entwicklung des FCAS spielen wird. Trotzdem lässt sich auch an Stuttgart
deutlich machen, wie umfassend das Rüstungsprojekt und die damit
verbundenen technologischen Entwicklungen sind und wo es deshalb auch
überall Ansatzpunkte für die kommende Kampagne gibt.
Die Combat Cloud …
Nordöstlich von Stuttgart befindet sich in Ditzingen der deutsche
Hauptsitz des französischen Unternehmens Thales, das zu den zehn größten
Rüstungsherstellern in Europa zählt. Sein Repertoire in diesem Bereich
ist umfassend und reicht von Abwehrkanonen auf Schiffen und Bodenradaren
zum Grenz- und Feldlagerschutz über Helmdisplays für Kampfpiloten bis
hin zu Komponenten für Satelliten und Kommunikations-Infrastruktur für
Panzer. Mit der Übernahme der entsprechenden Teile der Stuttgarter Firma
Standard Elektrik Lorenz wurde Thales zum wichtigsten Ausrüster des
Heeres mit Funkgeräten. Entsprechend große Hoffnungen machte sich der
Konzern, beim deutschen Mammut-Projekt Digitalisierung landbasierter
Operationen (D-LBO) abräumen zu können. Grob gesagt handelt es sich
dabei um das Vorhaben, alle Einheiten des Heeres mit modernen und
kompatiblen Funkgeräten und Computern auszustatten, die zugleich u.a.
Bilder und Ziel- bzw. Positionsdaten übertragen können. Die so erzeugte
Datenwolke ermöglicht es dann auch auf verschiedenen Ebenen, KI als
Entscheidungsunterstützung in einen Gefechtsverlauf zu integrieren, der
sich dadurch absehbar massiv beschleunigen wird. In den Worten von
Thales handelt es sich dabei um einen „Informations- und
Kommunikationsverbund, der auf der untersten taktischen Ebene beim
abgesessenen Soldaten beginnt und auf der Ebene des verlegefähigen
Gefechtsstands endet… Insgesamt bis zu 25.000 Fahrzeuge und bis zu
155.000 Soldaten sollen dann untereinander vernetzt kommunizieren können“.5
Bislang konnte Thales im Rahmen von D-LBO jedoch nur kleinere Verträge
abschließen. Der aus dem 100-Mrd.-Sondervermögen finanzierte Auftrag zur
Bereitstellung von bis zu 34.000 Funkgeräten für knapp 3 Mrd. Euro, dem
der Haushaltsausschuss in seiner letzten Sitzung 2022 zustimmte, ging
hingegen an das Münchner Rüstungsunternehmen „Rohde & Schwarz“.
Nun hofft Thales, umfangreich von FCAS profitieren zu können und sich
zugleich als Standard in der informationstechnischen Vernetzung der
europäischen Luftstreitkräfte etablieren zu können. Hierzu
unterzeichnete das Unternehmen im Februar 2020 ein Abkommen mit Airbus,
um gemeinsam die „Air Combat Cloud“ des FCAS zu entwickeln, also jenen
Datenverbund, über den Gefechtsstände, bemanntes Kampfflugzeug,
Satelliten und Drohnen Daten austauschen sollen, wozu auch die
Bestätigung von Zielvorschlägen und die Missionsplanung für autonome
Subsysteme zählt. Bereits zuvor hatten sich auch deutsche
Rüstungsunternehmen in Position gebracht: Im Juni 2019 hatten die
Unternehmen Hensoldt, Diehl Defence, ESG und – wiederum – Rohde &
Schwarz auf der Paris Air Show die Gründung eines Konsortiums bekannt
gegeben, welches das Future Combat Mission System für FCAS entwickeln
will. Hier steht noch etwas konkreter der „vernetzte Einsatzes von
Sensoren und Effektoren“ im Mittelpunkt.6 Das Konzept „Sensor-2-Shooter“
wird gerade viel unter dem Begriff des Hyperwar diskutiert und stellt
demnach eine Reaktion auf die zunehmende Integration autonomer Systeme
und die massiv wachsende Menge zu verarbeitender Daten dar: „Eine
Antwort auf diese Entwicklung ist die resiliente Vernetzung von Sensorik
und Effektorik beteiligter Kräfte, wie etwa Kameras, Drohnen und
unbemannte Land- und Luftsysteme. Die Vielzahl der aufkommenden Daten
und Informationen wird dabei mit den verfügbaren Wirkmitteln in Bezug
gesetzt. Dadurch lassen sich einem militärischen Führer im besten Falle
bereits Angebote für angemessenes Handeln unterbreiten – das Prinzip
‚Sensor to Shooter‘“.7
Natürlich sind die beiden Konsortien Ausdruck sowohl zwischenstaatlicher
Konkurrenz in Hinblick auf Technologie und Standardisierung, als auch
klassischer Konkurrenz zwischen den beteiligten Unternehmen. Es ist
jedoch absehbar, dass bei einem Großprojekt wie FCAS für alle
Beteiligten etwas abfallen wird, auch wenn um die Aufteilung der
verschiedenen Komponenten politisch hart gerungen wird. Dass FCAS jedoch
bereits lange vor seiner Realisierung und der Vergabe konkreter Aufträge
für die abschließende Realisierung den (west-)europäischen Rüstungsmarkt
restrukturiert, ist jedenfalls offensichtlich.
… und Stuttgarter Bezüge
Wie gesagt hat Thales seinen deutschen Hauptsitz nahe Stuttgart – im
übrigen in Nachbarschaft zu einer größeren Niederlassung von Atos, einem
weiteren zentralen französischem Dienstleister bei der Digitalisierung
der Bundeswehr und der französischen Streitkräfte. Diese befindet sich
im Gewerbepark des benachbarten Weilimdorf, wo sich auch eine kleinere
Niederlassung von Rohde & Schwarz befinden soll (die jedoch auf der
unternehmenseigenen Liste der Niederlassungen in Deutschland8 nicht
aufgeführt ist). Laut der Website it.region-stuttgart.de, die von der
öffentlich getragenen Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH
betrieben wird, handelt es sich hierbei um einen Standort der Rohde &
Schwarz SIT GmbH. Diese ist dafür bekannt, nach dem Ende der DDR mit
Unterstützung des BND ehemalige Angehörige der Stasi integriert zu
haben9 und entwickelt seither Verschlüsselungslösungen für
Regierungsbehörden und Bundeswehr.
Die Unternehmen Hensoldt und Airbus haben keine größeren Niederlassungen
in Stuttgart selbst. Eine Tochterfirma der Rüstungssparte von Airbus
befindet sich mit der Tesat-Spacecom GmbH jedoch in Backnang, gut 20km
nordwestlich des Zentrums von Stuttgart und Endhaltestelle zweier
Stuttgarter S-Bahnlinien. Spezialisiert auf Sensorik für Satelliten und
Laserkommunikation und hierbei weltweit einigermaßen führend wäre es
durchaus plausibel, dass hier Komponenten des
FCAS-Kommunikationsverbundes entwickelt werden könnten.
Standorte von Hensoldt befinden sich lediglich in der weiteren Umgebung
der Landeshauptstadt, darunter Richtung Osten in Aalen und Oberkochen.
In Aalen arbeiten nach Unternehmensangaben „rund 70 Kollegen intensiv an
der Veredelung von rohen Sensordaten hin zu missionsrelevanten
Informationen“. In Oberkochen „entwickeln, konstruieren und produzieren“
demnach etwa 700 Mitarbeitende „modernste optische und optronische
Geräte für militärische, zivile und sicherheitstechnische Anwendungen.
Optronische Systeme aus Oberkochen ermöglichen eine schnelle und
detaillierte Aufklärung zur Kampfunterstützung, zum Grenzschutz und zum
Schutz kritischer Infrastrukturen“. In Pforzheim westlich von Stuttgart
befindet sich ein Standort, der auf die Avionik spezialisiert ist,
worunter elektronische Sensor- und Steuersysteme in Luftfahrzeugen
verstanden werden. Nach Unternehmensangaben wurde dort die „bestehende
Produktpalette … auch um industrielle Multicopter und
Autopiloten/Flugcomputern für UAVs und OPVs“, also Steuerungssysteme für
(potentiell) unbemannte Luftfahrzeuge, „erweitert“.10 Weitere
Hensoldt-Standorte in Baden-Württemberg befinden sich in Ulm und
Immenstaad am Bodensee. Da es sich bei Hensoldt um die 2017 von Airbus
ausgegliederte Sensorik- und Elektronik-Sparte von Airbus handelt,
befinden sich entsprechende Standorte von Airbus oft noch in
unmittelbarer Nachbarschaft oder einzelne Kostenstellen sogar auf dem
Gelände der jeweiligen Hensoldt-Niederlassungen.
Campus Vaihingen
Sowohl Hensoldt, als auch Airbus unterhalten jedoch enge Verbindungen
zur Universität Stuttgart, deren technisch-naturwissenschaftliche
Institute überwiegend auf dem Campus Vaihingen angesiedelt sind. Zu
einzelnen dieser Institute bestehen besonders enge Verbindungen. Seit
2018 ist die Universität Stuttgart einer von drei deutschen Partnern im
Airbus Global University Partnership Programme (AGUPP). Das
entsprechende Abkommen unterzeichnete für die Uni Prof. Peter Middendorf
vom Institut für Flugzeugbau (IFB) anlässlich der internationalen Luft-
und Raumfahrtmesse in Berlin. Zukünftig wolle man „junge Menschen
gemeinsam auf ihre Karriere in der Luft- und Raumfahrt vorbereiten“,
ließ sich der Airbus-Vertreter aus diesem Anlass zitieren.11 Peter
Middendorf als Leiter des IFB hatte laut seinem Lebenslauf an der
Universität der Bundeswehr in München studiert, wo er nach einer
zwischenzeitlichen Stellung als Sachgebietsleiter Eurofighter bei der
Luftwaffe in Köln als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, bevor er
bis zur Ernennung als Professor in Stuttgart zehn Jahre lang in
verschiedenen Unternehmen beschäftigt war, die heute zu Airbus gehören.
Das IFB macht auch in seiner „Institutsgeschichte“ keinen Hehl aus der
langen Geschichte der Zusammenarbeit mit Industrie und Militär,
einschließlich des Zweiten Weltkrieges.12 Das Institut hat mehrere
Drittmittelprojekte gemeinsam mit Airbus durchgeführt, u.a. sein
Forschungsbereich Flugzeugentwurf arbeitet eng mit dem Unternehmen
zusammen. Ähnliches gilt für das Institut für Flugmechanik und
Flugregelung (IFR), das gemeinsam mit Airbus u.a. ein Steuerungssystem
für unbemannte Luftfahrzeuge entwickelt und das Institut für
Luftfahrtsysteme (ILS). Mehrfach befinden sich Airbus-Ingenieure unter
den Lehrbeauftragten. Das ILS dokumentiert aktuell (17. Januar 2023)
mehrere Praktikums- und Stellenangebote des Raketenherstellers MBDA, von
Airbus und auch des Deutschen Zentrums Luft- und Raumfahrt (DLR), davon
zumindest eine mit explizit militärischem Bezug.13 Auch eine Stelle als
Werksstudentin bei Hensoldt wird dort („im Bereich Airborn SIGINT“)
beworben.
Auch das DLR hat einen eigenen Standort auf dem Campus Vaihingen. Das
DLR ist in sehr viele zivile Forschungsprojekte eingebunden, übernimmt
aber auch unmittelbare militärische Funktionen wie die Steuerung und
Datenverarbeitung der Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten der
Bundeswehr bzw. des BND. Bereits im Oktober 2018 hatten das DLR und die
Rüstungssparte von Airbus „eine Rahmenvereinbarung zur künftigen
Kooperation bei Forschungsaktivitäten im Bereich Forschung und
Technologie“ unterzeichnet und als Anlass hierfür explizit auf FCAS
verwiesen: „Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen hin zu einer
deutsch-französischen Kooperation im Kontext eines Luftkampfsystems der
Zukunft (FCAS) ist es notwendig, wesentliche Voraussetzungen für
technologische Weiterentwicklungen zu schaffen. Eine der Grundlagen
hierfür bildet die synergetische Nutzung von wissenschaftlicher
Expertise und industrieller Erfahrung“.14 Als Beispiel hierfür wird das
Projekt „Diabolo“ für „Technologien und Entwurf von Kampfflugzeugen der
nächsten Generation“ genannt, an dem neben zehn verschiedenen Instituten
des DLR auch Airbus und MTU beteiligt sind und das vom BMVg finanziert
wird. Zwar sind die sieben DLR-Institute, die in Vaihingen präsent sind,
nicht an Diabolo beteiligt, wohl aber das „Systemhaus Technik“ des DLR,
das dort einen seiner fünf Standorte unterhält und nach eigenen Worten
„einmalige Geräte, Anlagen und Modelle für die Spitzenforschung“
konzipiert, entwickelt und fertigt.15
Zuletzt sollte noch erwähnt werden, dass sich in Sichtweite des Campus
Vahingen auch der Stuttgarter Standort des Max-Planck-Instituts für
Intelligente Systeme (MPI-IS) befindet. Dieses ging in wesentlichen
Teilen aus dem Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
hervor, das Grundlagenforschung zu KI und Künstlichen Neuronalen Netzen
(KNN) betreibt und bereits in der Vergangenheit auch mit der
Rüstungsindustrie kooperiert hat. Führende Wissenschaftler*innen beider
MPIs sind mit dem Projekt MICrONs, finanziert von der IARPA, der
gemeinsamen Forschungsbehörde der US-Geheimdienste, an
Grundlagenforschung zu maschinellem Sehen und KNNs beteiligt. V.a. das
MPI-IS arbeitet dabei – u.a. im Rahmen des öffentlich geförderten „Cyber
Valley“ eng mit dem Weltkonzern Amazon zusammen, der KI nicht nur in der
Werbung und Logistik anwendet, sondern auch für die Datenverwaltung von
US-Geheimdiensten und Pentagon nutzbar macht. Engere Bezüge des MPI-IS
zu FCAS oder anderen konkreten Rüstungsprojekten sind zwar bislang nicht
bekannt, aber angesichts der gewaltigen Forschungsaufwendungen für FCAS
und der Tatsache, dass es der militärischen Anwendung von KI in Europa
den Weg ebnen könnte, könnten hier militärische Fragestellungen
zukünftig weiter an Relevanz gewinnen.
Duales Studium und Bildungspartnerschaften
2021 hatte der Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband (SDS) an
der Duale Hochschule Baden Württemberg recherchiert, ob und in welchem
Umfang die DHBW mit der Rüstungsindustrie kooperiert. „Die Resonanz
unter Studierenden und auch Alumnis zu unserer Recherche waren von
großer Betroffenheit gezeichnet“, schreiben sie in einem offenen Brief
an die Leitung der DHBW. Darin heißt es u.a.: „Im Laufe unserer
Recherche haben wir Kooperationen an nahezu allen Standorten mit
verschiedensten Unternehmen der Waffenindustrie festgestellt: An den
Standorten Ravensburg, Lörrach, Stuttgart und Villingen-Schwenningen
werden Studierende unter anderem in den Studiengängen
Wirtschaftsinformatik, Maschinenbau, BWL und Wirtschaftsingenieurwesen
ausgebildet. Wir haben Kooperationen mit über 15 Rüstungsunternehmen
festgestellt, zu diesen zählen u.a. Krauss-Maffei Wegmann, die
Rüstungssparte von Airbus, Thales, Heckler & Koch, Junghans,
Rheinmetall, Hensoldt, Diehl sowie die Northrop-Tochter Northrop Grumman
LITEF in Freiburg im Breisgau“.16 Ohne bewussten Bezug zu FCAS sind
unter den beispielhaft genannten Unternehmen mit Airbus, Thales,
Hensoldt und Diehl mindestens vier Akteure benannt, die sehr konkret an
FCAS beteiligt sind bzw. beteiligt sein wollen. Auch das DLR bietet in
sieben Studiengängen Arbeitsplätze für Studierende der DHBW an.
U.a. Airbus und Hensoldt werben aktiv für ein duales Studium. So
schreibt etwa Airbus auf seiner Homepage: „Das Duale Studium bei Airbus
bereitet dich auf spannende Tätigkeitsfelder in der Luft- und
Raumfahrtindustrie vor. Unser Ziel ist es, dir ein hochwertiges,
praxisnahes Studium sowie einen sicheren Arbeitsplatz nach deinem
erfolgreichen Abschluss anzubieten“. Überschrieben ist die Seite mit dem
Titel: „Duales Studium bei Airbus in Deutschland – Eröffne dir neue
Perspektiven“.17 Unter den fünfzehn genannten Standorten, an denen ein
Duales Studium demnach möglich ist, werden u.a. Backnang, Ulm und
Friedrichshafen genannt. Auch Hensoldt bewirbt Bachelor-Studiengänge in
verschiedenen Fachbereichen an seinen verschiedenen Standorten und
spricht damit junge Menschen an, die „an Technik interessiert und bereit
[sind,] Verantwortung in spannenden Projekten“ zu übernehmen. Auf der
selben Seite werden auch „Schülerpraktika“ in unterschiedlichen Formaten
angeboten: „Wir wollen zusammen mit dir herausfinden, wo deine Stärken
liegen und dich für einen passenden Beruf begeistern!“. Die IHK Ulm
unterstützt das Rüstungsunternehmen beim Abschluss so genannter
Bildungspartnerschaften und listet aktuell für den Großraum Ulm sechs
Schulen auf, die mit Hensoldt eine Zusammenarbeit vereinbart haben.18
Hensoldt berichtet hierüber unter der Überschrift „Schülern Technik
schmackhaft machen“.19 Im Dezember 2021 wurde Hensoldt „dank seiner
engagierten, zielgerichteten Förderung der Auszubildenden und dual
Studierenden sowie durch die umfassende Begleitung bei der beruflichen
Orientierung von Schülerinnen und Schülern“ vom Netzwerk Schulwirtschaft
mit dem 1. Platz beim Wettbewerb „Schülerwirtschaft-Starter“
ausgezeichnet, der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
gefördert wird und im konkreten Fall in (digitaler) Präsenz des
parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Bareiß verliehen wurde.20
Sonstige Stuttgarter Bezüge
Während Airbus für die Konzeption der als „Remote Carriers“ bezeichneten
Drohnen und die Combat Cloud des FCAS zuständig sein wird, soll das
eigentliche Kampfflugzeug vom französischen Rüstungsunternehmen Dassault
gebaut werden – mit Triebwerken, die wiederum von MTU entwickelt werden.
Auch Dassault unterhält einen kleinen Standort bei Stuttgart und zwar
wiederum nahe am Campus Vaihingen im STEP (STEP Stuttgarter Engineering
Park), der von einer gleichnamigen GmbH entwickelt wird, die (ebenso wie
der Technologiepark Tübingen-Reutlingen als Gravitationszentrum des
„Cyber Valley“) der landeseigenen baden-württembergischen Förderbank
L-Bank und damit dem Land gehört. Konkret handelt es sich bei dem eher
unscheinbaren Standort im neuen Technologiepark um den deutschen
Hauptsitz von Dassault Systèmes, der bereits in den 1980er Jahren
ausgegliederten Software-Sparte des Unternehmens, die aber – wie die
v.a. in der Rüstung aktive Dassaul Aviation – weiterhin zur Dassault
Group gehört. Eine unmittelbare Involvierung des Stuttgarter Standortes
in FCAS ist damit eher unwahrscheinlich.
Im März 2021 berichtete das DLR, es habe sich „mittels
Computersimulationen an Entwurf und Entwicklung eines neuartigen
Mechanismus beteiligt, der das gezielte Absetzen von unbemannten
Flugzeugen (Unmanned Aerial Vehicle, UAV) von der Heckrampe eines
fliegenden Transportflugzeugs ermöglicht. Das Projekt wurde in
Kooperation mit Airbus, der Geradts GmbH und der SFL GmbH durchgeführt“.
Geradts Systemtechnik ist eine kleines Unternehmen aus Bremen, das v.a.
für die Rüstungsindustrie und das DHL tätig ist. Die SFL GmbH wurde nach
eigenen Angaben aus dem Umfeld des Instituts für Flugzeugbau (IFB, s.o.)
gegründet und entwickelte zunächst u.a. Solarflugzeuge und zuletzt v.a.u
unbemannte Luftfahrzeuge, teilweise auch explizit für den militärischen
Gebrauch. Seinen Standort hat es zwischen dem Campus Vaihingen und dem
STEP. Das simulierte Absetzen einer Drohne im Flug aus einem Airbus
A400M, wurde im Dezember 2022 auch praktisch umgesetzt. Aero.de schreibt
hierzu: „Eine Sprecherin der Bundeswehr erklärte den Zusammenhang der
Tests mit dem FCAS-Programm wie folgt: ‚FCAS soll aus bemannten
Mehrzweckkampfflugzeugen, unbemannten Begleitflugzeugen sowie neuen
Waffen- und Kommunikationssystemen bestehen. Transportflugzeuge wie die
A400M fungieren als ‚Kraftverstärker‘ und Reichweitenverlängerer für die
Remote Carrier‘“. Ein A400M solle demnach künftig „bis zu 40 Drohnen
aufnehmen können“.21 Neben dem inhaltlichen besteht aber v.a. auch ein
institutioneller Zusammenhang, wie ihn das DLR in seinem Beitrag zur
vorangegangenen Simulation beschreibt: „Das Projekt ist Teil der
Initiative ‚Innovationen für FCAS‘ (I4 FCAS) mit dem Ziel, deutsche
nicht-traditionelle Verteidigungsunternehmen (sogn. non-traditional
defence players), die Startups, kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
und Forschungsinstitute abdecken, in die Entwicklung des Future Combat
Air System (FCAS) einzubeziehen. Diese im April 2020 eingeleitete
Initiative wurde vom deutschen Verteidigungsministerium finanziert.22 Es
ist also ein explizites und strategisch verfolgtes Ziel, über FCAS
zusätzliche Unternehmen und Forschungsinstitute in die Rüstung
einzubeziehen.
Ansatzpunkte für Protest
Wie gezeigt wurde, bietet auch der Großraum Stuttgart verschiedene Orte
und Ansatzpunkte, um auf das Mega-Rüstungsprojekt FCAS hinzuweisen oder
Protest v.a. gegen die damit verbundenen Kosten zu organisieren. Neben
Kosten und Eskalationspotential ist auch darauf hinzuweisen, wie
entsprechende Projekte zur Militarisierung der Gesellschaft,
insbesondere der Forschung und der Industrie beitragen können und tw.
auch sollen. Während es sich bei Hensoldt, MTU und Diehl um eindeutige
Rüstungsunternehmen handelt, die mit FCAS reicher und mächtiger werden
können, wird es bei anderen Unternehmen wie Airbus und Thales zumindest
zum Ausbau der Rüstungssparte beitragen. Bildungskooperationen mit
solchen Unternehmen sind dann umso mehr abzulehnen oder zumindest
eindeutig auf die zivile Entwicklung zu beschränken – was sich in der
Praxis allerdings schwierig gestalten dürfte.
Nicht alle Unternehmen und v.a. Forschungsinstitute, die hier genannt
wurden, sind bislang konkret in FCAS eingebunden und bei einigen mag das
zumindest an den konkreten Standorten um Stuttgart auch eher
unwahrscheinlich bleiben. Trotzdem ist auch hier – vielleicht sogar
gemeinsam mit den Beschäftigten, Forschenden und Studierenden – auf die
Gefahr hinzuweisen, dass die gewaltigen, für FCAS in Aussicht gestellten
Ressourcen, auch ihre Forschungsbereiche, Studiengänge oder Unternehmen
transformieren und in die Rüstung einbinden könnten – und sollen. Man
sollte bei solchen Diskussionen stets auch bedenken, welchen Einfluss es
auf Forschung, Bildung und Industrie haben könnte, wenn die geschätzten
500 Mrd. und die damit verbundene Industrie- und Forschungspolitik nicht
auf die Entwicklung eines Kampfjets, einer Combat-Cloud und
Drohnenschwärmen für einen großen Krieg, sondern auf die Bekämpfung des
Klimawandels, des Hungers oder der sozialen Ungleichheit abzielten. Ob
die Lösung dieser Probleme in der Luft- und Raumfahrt zu finden wären,
kann allerdings bezweifelt werden.
2.) IMI-Analyse: Deutsch-französische Rüstungspartnerschaft
IMI-Analyse 2023/05
Waffenbrüder?
In Rüstungsfragen ist die deutsch-französische „Partnerschaft“ von
Kooperation und Konkurrenz geprägt
https://www.imi-online.de/2023/01/30/waffenbrueder/
Jürgen Wagner (30. Januar 2023) [Links zu den Quellen finden sich online]
Schon lange strebt Deutschland, mehr noch aber Frankreich an, aus der
Europäischen Union eine Großmacht zu machen, die dank eines starken
heimischen rüstungsindustriellen Komplexes auf Augenhöhe mit den USA
agieren kann. Lange wurden derlei Versuche mehr oder weniger kategorisch
von Großbritannien blockiert, was jedoch mit dem britischen
Austrittsreferendum im Juni 2016 sein Ende fand. Schnell erklärten sich
Deutschland und Frankreich daraufhin eigenmächtig zum neuen
„Führungsduo“ und setzten in der Tat eine Reihe weiteichender
Initiativen in Gang. Beiden Ländern ist völlig bewusst, dass es ihnen
nur gemeinsam gelingen wird, Widerstände gegen den Aufbau eines
europäischen Rüstungskomplexes – unter ihrer Führung, wohlgemerkt – zu
überwinden. Gleichzeitig nehmen aber auch die Spannungen um den
jeweiligen Anteil am europäischen Rüstungskuchen immer weiter zu, wie
sich insbesondere auch anhand der Debatten im Vorfeld des
deutsch-französischen Ministerrates zeigte. Das Treffen musste aufgrund
heftiger Konflikte mehrmals verschoben werden und fand schlussendlich
symbolträchtig zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2023
statt. Zwar war man dort sichtlich bemüht, die deutsch-französische
Freundschaft hochleben zu lassen, abseits von Lippenbekenntnissen
blieben aber wesentliche (Führungs-)Fragen weiter ungelöst.
Vom Ministerrat zum Aachener-Vertrag
Die Urnen des britischen Referendums waren kaum weggeräumt, da wurden
bereits die ersten gemeinsamen Papiere deutsch-französischer
Spitzenpolitiker*innen verfasst, in denen die Führungsrolle in
europäischen Militär- und Rüstungsfragen reklamiert wurde.
Sprichwörtlich wegweisend erwies sich dann das Treffen des
deutsch-französischen Ministerrates am 13. Juli 2017, weil dort unter
anderem zwei deutsch-französische Rüstungsgroßprojekte beschlossen
wurden. Einmal war das das Luftkampfsystem (Future Combat Air System,
FCAS) mit einem geschätzten Gesamtvolumen von bis zu 500 Mrd. Euro. Eng
damit verbunden ist das geplante Kampfpanzersystem (Main Ground Combat
System, MGCS), das es immerhin auf geschätzte 100 Mrd. Umsatz bringen
könnte. Mit geplanten Auslieferungsterminen zwischen 2035 (MGCS) und
2040 (FCAS) sind beide Vorhaben allerdings noch in einem sehr frühen
Stadium und ihre Realisierung alles andere als gesichert.
Die „Idee“ hinter diesen Rüstungsprojekten ist – aus
deutsch-französischer Sicht zumindest – äußerst charmant: Beide Länder
einigen sich zunächst auf alle wesentlichen Rahmenbedingungen und
Spezifikationen, erst dann sollen weitere Länder ins Boot geholt werden,
um aus den Projekten dann die europäischen Standardsysteme zu machen.
Die ohnehin dominierende Stellung der deutsch-französischen
Rüstungskonzerne würde so weiter gestärkt, kleinere Anbieter aus dem
Markt gedrängt und so unter dem Stichwort der „Konsolidierung“ die
Herausbildung eines deutsch-französisch dominierten Rüstungskomplexes
beschleunigt.
Am 22. Januar 2019, dem 56. Jahrestag des Élysée-Vertrags, folgte die
Unterzeichnung des deutsch-französischen Aachener-Vertrags. Darin wird
unter anderem festgehalten, dass sich beide Länder künftig im Vorfeld
der „großen europäischen Treffen“ konsultieren würden, um „gemeinsame
Standpunkte herzustellen und gemeinsame Äußerungen der Ministerinnen und
Minister herbeizuführen.“ Explizit soll dabei die „Erarbeitung
gemeinsamer Verteidigungsprogramme“ den Ausbau eines europäischen
Rüstungskomplexes voranbringen, weil es ihr Ziel ist, die
„Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und
-industriellen Basis zu fördern.“
Stotternde Rüstungsprojekte
Obwohl er recht zügig Fahrt aufnahm, geriet der deutsch-französische
Militarisierungsmotor fast ebenso schnell wieder erheblich ins Stottern.
Das lag einmal daran, dass andere EU-Länder keine sonderlich große
Begeisterung an den Tag legen, sich klaglos den deutsch-französischen
Vorgaben unterzuordnen. So schlossen sich Italien und Schweden dem
britischen Tempest-Kampfflugzeugprojekt an, das sich inzwischen zu einer
immer ernsteren Alternative zum FCAS entwickelt. Und Polen, das
ursprünglich gerne von Anfang an in die Entwicklung des
MCGS-Kampfpanzers involviert gewesen wäre, aber außen vor gelassen
wurde, stieg kurzerhand auf US-Panzer um.
Doch auch innerhalb des Führungsduos knirschte es immer lauter: Beim
FCAS erhob die deutsche Seite den Vorwurf, Frankreich lege seine
Führungsrolle so aus, dass es darauf poche, das Projekt allein nach
seinen Interessen durchzuziehen („French Combat Air System“). Umgekehrt
beschuldigt Dassault seinen „Partner“ Airbus mit einiger Berechtigung,
vor allem darauf abzuzielen, sich fehlendes (Tarnkappen-)Know-How
aneignen zu wollen. Die Konflikte waren zwischenzeitlich derart heftig,
dass mehrfach über das Aus des Prestigeprojektes spekuliert wurde. Dies
hatte zur Folge, dass es mit dem FCAS lange Zeit überhaupt nicht
voranging und auch wenn im November eine grundsätzliche Einigung erzielt
wurde, die den Weg für die nächste Projektphase 1b freimachte, hinkt das
Projekt bereits jetzt rund ein Jahr hinter dem Zeitplan her. Analog dazu
kommt auch das Kampfpanzer-Projekt MGCS nicht voran, bei dem Deutschland
die Führungsrolle innehat. Schuld ist hier die explizite Kopplung an
Fortschritte beim FCAS, aber auch die komplizierte Verteilung der
Aufträge zwischen KNDS (Nexter + KMW) sowie Rheinmetall – als
Rheinmetall dann im Juni 2022 mit dem Panther KF51 auch noch ein
Konkurrenzprodukt vorstellte, löste das auf der anderen Seite des Rheins
nur noch Kopfschütteln aus (siehe IMI-Studie 2022/7).
Die Kosten für die beiden Großprojekte sollen bis 2026 aus dem
Sondervermögen der Bundeswehr beglichen werden. Als im Dezember 2022 die
ersten Gelder aus dem Sondervermögen abgesegnet wurden, stieß dabei
allerdings Einiges auf französischer Seite auf Unverständnis. Da sind
einmal die 8,3 Mrd. Euro (mit Folgeaufträgen mindestens 10 Mrd. Euro)
für die Anschaffung von F-35 Kampfjets. Lange war mit französischer
Unterstützung die Anschaffung von F-18 bevorzugt worden, weil in den
deutlich moderneren F-35 eine Bedrohung für die Realisierung des
FCAS-Projektes gesehen wurde. Auch die Entscheidung, als Ersatz für die
Seefernaufklärer P-3C Orion zwölf (inzwischen 8) P-8 Poseidon des
US-Herstellers Boeing zu erwerben und über das Sondervermögen zu
finanzieren, sorgte in Paris für Ärger. Schließlich wurde damit das
deutsch-französische Programm für neue Seefernaufklärer namens Maritime
Airborne Warfare System (MAWS) mehr oder weniger überflüssig, das
dieselben Fähigkeiten bereitgestellt hätte.
Aus Sicht Frankreichs war diese Episode geradezu symptomatisch für
Berlins Neigung, im Zweifelsfall dann doch lieber von den USA zu kaufen
als in den Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes zu investieren.
Als weiteres Beispiel betrachtet Paris die im Oktober 2022 auf deutsche
Initiative ausgerufene European Sky Shield Initiative, bei der 15
europäische Staaten bei der Stärkung der Luftabwehr zusammenarbeiten
wollen. Weshalb Frankreich auch hierauf äußerst verschnupft reagierte,
ließ sich damals in der FAZ (25.10.2022) nachlesen: „Geplant ist die
gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Luftverteidigungssystemen aus
Israel (Arrow 3) und Amerika (Patriot). Für Frankreich kommt die
Entscheidung einer Absage an den Rüstungsstandort Europa gleich. Denn
Berlin hätte auch das von den Rüstungskonzernen MBDA und Thales im
Rahmen der französisch-italienischen Zusammenarbeit entwickelte
Luftverteidigungssystem SAMP/T (in Frankreich: Mamba) sowie
Aster-Raketen in Betracht ziehen können.“
Führungsstreitigkeiten
Hinter vielen dieser Konflikte stecken nicht bloß unterschiedliche
Konzerninteressen, sondern auch waschechte Auseinandersetzungen um die
Führungsrolle in europäischen Rüstungsangelegenheiten. Während
Deutschlands Dominanz im Wirtschaftsbereich recht unumstritten ist,
gerät nun auch Frankreichs Spitzenposition im Militär- und
Rüstungsbereich in Gefahr.
[An dieser Stelle findet sich auf der Website eine Tabelle: Neue
Machtbalance im deutsch-französischen Verhältnis. Budget in Mrd. Dollar
nach NATO-Kriterien. Ausrüstung in% des Gesamtbudgets. Nicht alle Zahlen
der Tabelle erscheinen sonderlich sattelfest, besonders beim Personal.
Sie veranschaulichen aber wie in der französischen Fachpresse das sich
verändernde Mächtegleichgewicht wahrgenommen wird. Quelle: Nicolas
Gros-Verheyde: Au coeur de la crise franco-allemande, la Défense,
Bruxelles2, 26 octobre 2022]
In Frankreich wurde sehr wohl vernommen, dass Kanzler Olaf Scholz stolz
verkündete, durch das Bundeswehr-Sondervermögen werde Deutschland bald
über die „größte konventionelle Armee“ in Europa verfügen. Dass der neue
Verteidigungsminister Boris Pistorius unmittelbar nach Amtsantritt im
Januar 2023 ins selbe Horn blies, macht es wohl auch nicht besser:
„Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa, deswegen sollte
es auch unser Ziel sein, die stärkste und am besten ausgestattete Armee
in der EU zu haben.“
In Paris wird eine generelle Verschiebung des Kräfteverhältnisses
befürchtet, wie etwa das gut vernetzte französische Nachrichtenportal
Bruxelles2 berichtete: „Deutschlands strategische Neupositionierung und
sein Wunsch, die Führung in der europäischen Verteidigung zu übernehmen,
belasten das Verhältnis zwischen Paris und Berlin schwer. […] Bis jetzt
gab es in den Beziehungen in dieser von Frankreich und Deutschland
gebildeten ‚Allianz der Gegensätze‘ eine Art stillschweigendes
Einverständnis. Paris war führend in der Verteidigungs- und
strategischen Außenpolitik. Berlin setzte sich bei Wirtschaft und
Außenhandel durch.“
Nicht erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Frankreich
deshalb sicher auch mit Blick auf die europäischen Kräfteverhältnisse
seine Verteidigungsausgaben deutlich auf inzwischen 43,9 Mrd. Euro
(2023) erhöht. Kurz vor Beginn des deutsch-französischen Ministerrates
legte der französische Präsident Emmanuel Macron noch einmal nach: Waren
im bisherigen Plan zwischen 2019 und 2025 bereits saftig erhöhte
militärische Gesamtausgaben von 295 Mrd. Euro vorgesehen, soll der Etat
nun für die Spanne 2024 bis 2030 auf 413 Mrd. Euro nach oben geschraubt
werden – rund 65 Mrd. Euro soll das französische Rüstungsbudget 2030
betragen, allerdings muss das Parlament noch zustimmen.
Dieses Geld soll insbesondere dem Bereich zugutekommen, der vor allem
anderen die französische Dominanz in der EU sichern hilft: „Es soll vor
allem höhere Ausgaben für die Atomwaffen Frankreichs geben. ‚Nukleare
Abschreckung ist ein Element, das Frankreich von anderen Ländern in
Europa unterscheidet‘, erklärte Macron. ‚Wir sehen erneut, bei der
Analyse des Kriegs in der Ukraine, ihre hohe Bedeutung.‘ Frankreich ist
das einzige EU-Mitglied, das Atomwaffen hat.“ (tagesschau.de, 201.2023)
Vor diesem Hintergrund wird es auch verständlich, weshalb in Paris alle
Alarmglocken angehen, wenn von deutscher Seite Forderungen nach einer
Europäisierung seines Atomwaffenarsenals – sprich einem deutschen
Zugriff – erhoben werden, wie dies beispielsweise letzten Sommer aus
Reihen der Union mehrmals ins Spiel gebracht wurde (siehe IMI-Aktuell
2022/267).
Showdown Ministerrat?
Die Vielzahl an Konflikten sorgte auch dafür, dass das eigentlich für
Oktober 2022 terminierte Treffen des deutsch-französischen Ministerrates
mehrfach verschoben wurde. Schlussendlich traf man sich dann, wie
eingangs erwähnt, im Zuge der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des
Élysée-Vertrages am 22. Januar 2023. Die dabei verabschiedete
Deutsch-französische Erklärung ist reich an Pathos uns salbungsvollen
Worten. So heißt es in der Erklärung, man sei „Seite an Seite“ dazu
„entschlossen“, global „europäische Werte und Interessen zu
verteidigen.“ Die Ukraine erhalte „weiterhin unerschütterliche
Unterstützung“ durch Deutschland und Frankreich. Vor allem sei aber
deutlich geworden, dass die Anstrengungen zur weiteren Militarisierung
der Europäischen Union intensiviert werden müssten: „In diesem
Zusammenhang müssen unsere beiden Länder zur Konsolidierung von Europas
Fähigkeit, sich zu verteidigen und seine Interessen zu vertreten,
beitragen, auch durch die Stärkung der europäischen strategischen
Kultur. Die Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten ist von
entscheidender Bedeutung, auch zur Unterstützung des europäischen
Pfeilers der NATO und über eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen EU
und NATO.“
Ferner wurde erneut ein klares Bekenntnis zu FCAS und MGCS abgegeben:
„Wir begrüßen die jüngsten Entwicklungen beim zukünftigen
Luftkampfsystem (FCAS) und bekräftigen unseren Willen, in demselben
Geist bei dem Bodenkampfsystem (MGCS) voranzukommen.“ In separaten
Schlussfolgerungen des Treffens wurde bezüglich des Kampfpanzersystems
noch einmal explizit festgehalten: „Deutschland und Frankreich sind
entschlossen, erhebliche Fortschritte beim Projekt des Bodenkampfsystems
(Main Ground Combat System, MGCS) zu erzielen. Dies umfasst eine
Einigung über die industrielle Führung in Bezug auf alle
Technologiedemonstratoren (Main Technology Demonstrators, MTD), um
Einsatzfähigkeit zu erreichen. Im weiteren Verlauf wird die Führung bei
dem Projekt bei Deutschland liegen, entsprechend der Führung Frankreichs
bei FCAS.“
Ob diese Lippenbekenntnisse aber in der Lage sein werden, die
zahlreichen handfesten Interessenskonflikte aus dem Weg zu räumen, wird
erst die Zukunft zeigen. Entschieden ist allerdings bereits, wo die
Prioritäten der deutsch-französischen Zusammenarbeit liegen. Deutlich
wurde dies unterem durch ein weiteres gemeinsames Prestigeprojekt, dem
im Frühjahr 2022 verabschiedeten Strategischen Kompass. Das vor allem
unter deutscher und dann französischer Ratspräsidentschaft erarbeitete
Grundsatzdokument soll die künftige EU-Außen- und Sicherheitspolitik
entscheidend prägen. Während in dem 46seitigen Dokument etliche
Vorschläge für neue Rüstungsprojekte gemacht wurden, nimmt darin der
Bereich „Förderung von Abrüstung, Nichtverbreitung und
Rüstungskontrolle“ gerade einmal eine halbe vollkommen blutleere Seite ein.
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