[IMI-List] [0613] Analysen: Kampfbrigade / Sondervermögen / Kompass / Mali

IMI-JW imi at imi-online.de
Fr Jun 10 13:56:08 CEST 2022


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0613 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser Mail findet sich

1.) Hinweise auf Neue IMI-Texte: Sondervermögen (erweiterte Analyse), 
Mali-Mandate und Strategischer Kompass;

2.) Eine Analyse zur Ankündigung die deutsch-geführte NATO-Präsenz in 
Litauen zu einer “robusten Kampfbrigade” ausbauen zu wollen.


1.) Neue Texte: Kompass – Mali - Sondervermögen

IMI-Studie 2022/4
Ein strategischer Kompass für Europas Rückkehr zur Machtpolitik
https://www.imi-online.de/2022/06/10/ein-strategischer-kompass-fuer-europas-rueckkehr-zur-machtpolitik/ 

Jürgen Wagner (10. Juni 2022)

IMI-Analyse 2022/29
Europas heimlicher Krieg im Sahel
MINUSMA und EUTM Mandate wieder einmal abgenickt. Die Berichterstattung 
ist auf Regierungslinie.
https://www.imi-online.de/2022/06/09/europas-heimlicher-krieg-im-sahel/
Pablo Flock (9. Juni 2022)

Dokumentation - Radio Dreyeckland (6.6.2022)
Sondervermögen: „Völlig falsche Prioritätensetzung“
Interview mit Tobias Pflüger
https://www.imi-online.de/2022/06/07/sondervermoegen-voellig-falsche-prioritaetensetzung/ 

(7. Juni 2022)

IMI-Analyse 2022/28
Kriegskredite und Rüstungslisten
Ampel und Union beschließen 100 Mrd. Sondervermögen für die Bundeswehr
https://www.imi-online.de/2022/06/06/kriegskredite-und-ruestungslisten/
Jürgen Wagner (6. Juni 2022)

IMI-Standpunkt 2022/023
Rassistische Traditionen
Rede vor dem U.S. Africa Command (AfriCom) in Stuttgart, 28.5.2022
https://www.imi-online.de/2022/05/30/rassistische-traditionen/
Pablo Flock (30. Mai 2022)


2.) Litauen: Robuste Kampfbrigade unter deutscher Führung

IMI-Analyse 2022/30
Robuste Kampfbrigade
Bundeswehr baut Präsenz in Litauen deutlich aus
https://www.imi-online.de/2022/06/10/robuste-kampfbrigade/
Martin Kirsch (10. Juni 2022)

Deutschland baut seine Präsenz im Baltikum weiter aus. Bei einem Besuch 
in Litauen verkündete Kanzler Scholz die dortige Battlegroup unter 
Führung der Bundeswehr zu einer “robusten Kampfbrigade” ausbauen zu 
wollen. Diese Ankündigung könnte der Startschuss für die Aufstockung der 
NATO-Truppen in allen drei baltischen Staaten und in Polen sein. Welche 
Auswirkungen die zusätzliche Stationierung von NATO-Truppen für den 
Fortbestand der NATO-Russland Grundakte von 1997 hat, ist innerhalb des 
Bündnisses umstritten.

Battlegroup seit fünf Jahren

Am 14. Februar 2022, nur fünf Tage vor Beginn des russischen Angriffs 
auf die Ukraine, hielt sich der deutsche General von Sandrat, Kommandeur 
des Multinationalen Korps Nordost im polnischen Stettin, dem die vier 
NATO-Battlegroups im Baltikum und in Polen unterstellt sind, für einen 
Besuch in Litauen auf. Anlass war das fünfjährige Bestehen der dortigen 
NATO-Battlegroup.

Die Entscheidung zur Stationierung von NATO-Kampfverbänden mit je rund 
1.000 Soldat*innen in den drei baltischen Staaten und Polen war auf dem 
NATO-Gipfel 2016 in Warschau gefallen. Während die Bundeswehr seit 
Anfang 2017 die NATO-Truppen in Litauen führt, haben die USA, Kanada und 
Großbritannien das Kommando über die Battlegroups in Polen, Lettland und 
Estland übernommen.

Die Battlegroup im litauischen Rukla, gelegen zwischen der russischen 
Exklave Kaliningrad und der belarussischen Grenze, soll laut NATO als 
Stolperdraht fungieren – Russland also von einem Angriff abschrecken, 
weil somit sofort auch weitere NATO-Staaten involviert wären. In 
Russland hingegen wurde die Präsenz der NATO von Beginn an als 
offensiver Akt interpretiert.

Im vergangenen Sommer hatten die deutschen Soldaten in Litauen durch 
eine Party auf sich aufmerksam gemacht, bei der körperliche Gewalt, 
entwürdigende Rituale, das Singen von antisemitischen Liedern und das 
Rufen von rassistischen und antisemitischen Parolen sowie das Leugnen 
des Holocaust anscheinend zum guten Ton gehörten. Damals wurde ein 
gesamter Panzergrenadierzug aus Litauen abgezogen. Am 9. Februar 2022 
eröffnete die Staatsanwaltschaft Lüneburg Verfahren gegen drei Soldaten 
wegen Volksverhetzung und der Unterdrückung von Beschwerden.

Mehr NATO

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 19. Februar 2022 gab 
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits fünf Tage vor Kriegsbeginn 
die Linie für die kommenden Wochen und Monate vor: „Wenn das Ziel des 
Kremls ist, weniger NATO an seinen Grenzen zu haben, wird es nur mehr 
NATO bekommen“, ließ Stoltenberg alle Welt wissen. Zu diesem Zeitpunkt 
hatten Deutschland und Großbritannien bereits begonnen ihre Kontingente 
in Litauen und Estland aufzustocken. Die Battlegroup in Litauen ist seit 
Februar von zuvor knapp 1.100 auf gut 1.600 Soldat*innen angewachsen. 
Rund 1.000 Soldat*innen kommen von der Bundeswehr.

Die USA verlegten bereits vor Kriegsbeginn Truppen nach Polen, in die 
Slowakei, nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Auf einem 
außerplanmäßigen NATO-Gipfel am 24. März 2022 in Brüssel wurde diese 
Präsenz im Südosten im NATO-Rahmen formalisiert. Nach dem Vorbild aus 
dem Nordosten werden seit Ende März auch in den vier südöstlichen 
Staaten der NATO-Ostflanke neue Battlegroups eingerichtet. Unter 
tschechischer Führung ist die Bundeswehr in der Slowakei mit einer 
Kampfkompanie und Flugabwehrraketensystemen des Typs Patriot beteiligt.

Nicht erst seit diesem Jahr wird darüber debattiert, die Truppen im 
Baltikum von einem Bataillon (rund 1.000) auf eine Brigade (bis zu 
5.000) aufzustocken. Am 9. Februar 2022 forderte der litauische 
Präsident Gitanas Nausėd öffentlich die permanente Stationierung von 
US-Truppen in Litauen. Damit wäre die deutsche Führungsrolle dort 
faktisch ausgehebelt worden. Bereits während eines Besuches in Vilnius 
im April hatte Außenministerin Baerbock daher einen “substanziellen 
Beitrag” zur verstärkten Verteidigung der baltischen Staaten angekündigt.

Scholz verspricht Kampfbrigade

Am 7. Juni 2022 besuchte auch Bundeskanzler Scholz Litauen. In seinen 
Statements dort setze er auf ein Signal der Stärke. Durch die 
Investitionen des 100 Milliarden Sondervermögens werde die Bundeswehr 
zur „mit Abstand größten konventionellen NATO-Armee Europas“. Wofür 
diese neue Stärke eingesetzt werden soll, machte Scholz auch gegenüber 
den drei anwesenden baltischen Staatspitzen klar: „Als Verbündete werden 
wir jeden Zentimeter des NATO-Gebietes verteidigen.“

Konkret bedeutet das für Scholz, die Battlegroup in Litauen zu einer 
“robusten Kampfbrigade” weiterzuentwickeln.

Bisher ist nur bestätigt, dass die Bundeswehr ein vorgeschobenes 
Brigadekommando nach Litauen entsenden wird. Woher die 3.000 bis 5.000 
Truppen einer Brigade kommen und wo sie stationiert sein werden, ist 
noch offen. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland beruft sich auf Quellen 
aus Regierungskreisen, die berichten, dass die Bundeswehr 3.000 
Soldat*innen bereitstellen will, von denen allerdings nur 1.500 in 
Litauen stationiert werden sollen. Der Rest könnte, wie bereits die 
Aufstockung der Battlegroup im Februar 2022 bei einer Alarmierung aus 
Deutschland nachrücken. Zudem ist davon auszugehen, dass auch 
Partnerstaaten wie Norwegen, die Niederlande und weitere mehr Truppen 
entsenden.

Darüber hinaus könnte auch ein rund 500 Soldat*innen umfassendes 
Kontingent der US-Armee in die Brigade eingebunden werden. Seit 2019 
befindet sich im Rahmen der US-Mission Atlantic Resolve regelmäßig eine 
gepanzertes US-Bataillon in Litauen. Alles in allem würde die Brigade 
mit Reservekräften dann über 4.000 Soldat*innen umfassen.

Startschuss für weitere NATO-Brigaden

Scholz Ankündigung der Schaffung einer NATO-Brigade in Litauen dürfte 
erst der Anfang sein. Mitte Mai 2022 hatten die Regierungen der drei 
baltischen Staaten deutliche Forderungen nach mehr NATO-Truppen in ihren 
Ländern an das Bündnis gestellt. Der formale Beschluss zur Aufstockung 
der Battlegroups im Nordosten dürfte Ende Juni auf dem NATO-Gipfel in 
Madrid fallen. Dann dürfte auch eine Namensänderung ins Haus stehen. Die 
enhanced Forward Presence (eFP/ verstärkte vorgeschobene Präsenz) soll 
eine intensified Forward Presence (iFP/ intensivierte vorgeschobenen 
Präsenz) werden.

In Polen wäre dieser Schritt mit einem reinen Etikettenwechsel möglich. 
Im Rahmen der US-Mission Atlantic Resolve befindet sich dort neben der 
US-geführten NATO-Battlegroup bereits seit 2017 ein rotierendes 
Kontingent in der Größe einer reduzierten Panzerbrigade samt 
Unterstützungskräften. Gemeinsam mit kleinen Kontingenten aus 
Großbritannien, Rumänien und Polen wäre die dortige NATO-Brigade bei 
einem entsprechenden Beschluss des Bündnisses also bereits vor Ort.

In Estland hat Großbritannien sein Kontingent seit Februar 2022 bereits 
verdoppelt. Mit einer zusätzlichen rotierenden Stationierung von 
britischen Truppen in der ehemaligen Garnison Paderborn in 
Nordrhein-Westfalen könnten auch dort Reservekräfte, ähnlich denen der 
Bundeswehr vorgehalten werden. Die britische Verstärkung der Truppen in 
Estland im Februar 2022 war bereits vom dortigen Truppenübungsplatz 
Sennelager auf dem Landweg ins Baltikum aufgebrochen.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Lettland ab. Sowohl die 
Führungsnation Kanada als auch Spanien haben ihre dortigen Kontingente 
bereits deutlich erhöht. Weitere Truppen könnten folgen. Zudem sind an 
der Battlegroup in Lettland bereits jetzt sieben weitere NATO-Staaten 
beteiligt, die ihr Material und Personal aufstocken könnten.

Dauerpräsenz vs. Rotation

Neben der Frage des Umfangs der NATO-Kampfverbände im Baltikum ist auch 
eine Debatte über die Art der Stationierung entbrannt. Seit der 
russischen Invasion in der Ukraine mehren sich die Stimmen, die eine 
permanente Stationierung der NATO dort fordern. Bisher rotieren die 
Truppen für die dortigen Battlegroups samt Material alle sechs bis neun 
Monate aus ihrem jeweiligen Heimatland ins Baltikum. Die Struktur und 
der enorme logistische Aufwand entsprechen eher dem eines Auslandseinsatzes.

In der Öffentlichkeit wird diese Debatte in den USA wohl am deutlichsten 
geführt. Seit Jahresbeginn haben die US-Streitkräfte ihre Truppen in 
Europa von rund 60.000 auf gut 100.000 verstärkt. Eine nicht namentlich 
genannte Quelle aus der US-Administration ging Mitte Mai gegenüber CNN 
davon aus, dass diese Zahl zeitnah nicht wieder schrumpfen werde. Seine 
Vorstellungen, wie diese zusätzlichen Truppen in Europa künftig 
untergebracht werden sollen, legte der oberste US-Militär General Marc 
Milley während einer Anhörung des US-Kongresses im April 2022 dar. 
Milley geht davon aus, dass entlang der NATO-Ostflanke mehr permanente 
Basen mit entsprechender Infrastruktur errichtet werden. Die 
Soldat*innen sollen seiner Vorstellung nach allerdings weiter im 
Rotationsverfahren dort eingesetzt werden.

Bisher hatte auch die Bundesregierung darauf gesetzt, die Truppen im 
Baltikum zu verstärken, sie aber weiterhin kontinuierlich im 
Rotationsverfahren auszutauschen. Das gemeinsame Statement von Scholz 
und dem litauischen Präsidenten Nausėda in Vilnius enthält allerdings 
Hinweise darauf, dass die Bundeswehr dauerhaft Ausrüstung in Litauen 
stationieren könnte. Darin heißt es, Litauen werde “Infrastruktur für 
die Bevorratung und Bereithaltung militärischen Materials” zur Verfügung 
stellen.

In eine ähnliche Richtung deutet auch ein Ankündigung der deutschen 
Rüstungsindustrie. Am 8. Juni, nur einen Tag nach den Besuch von Scholz, 
erklärten Rheinmetall und KMW in einer Pressemitteilung einen neuen 
Firmenstandort in Litauen errichten zu wollen, “um Gefechtsfahrzeuge der 
litauischen sowie weiterer im Baltikum stationierten NATO-Streitkräfte 
umfassend logistisch betreuen zu können.”

Über Logistik weit hinaus birgt die Frage nach einer permanenten 
Stationierung allerdings Sprengkraft innerhalb der NATO und mit Blick 
auf die Reste der gemeinsamen Rüstungskontrolle mit Russland.

Aufrüstungsspirale mit nuklearer Komponente?

Ohnehin von beiden Seiten längst infrage gestellt, könnte die weitere 
Stationierung von NATO-Truppen nahe der russischen Grenze das endgültige 
Ende der NATO-Russland Grundakte von 1997 bedeuten. Diese hatte nicht 
nur den Weg für die erste Runde der NATO-Osterweiterung frei gemacht, 
sondern im Gegenzug auch Richtlinien für die Stationierung von Truppen 
in Osteuropa festgehalten. So wird in einer Formulierung erklärt, die 
NATO habe keine Absicht, dauerhafte “substantielle Kampftruppen” auf dem 
Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts zu stationieren.

Folgt man der aktuellen Debatte innerhalb der NATO, könnten diese 
Diskussionen bald ganz vom Tisch gefegt werden. Einige Mitgliedsstaaten, 
darunter auch Litauen, haben bereits verkündet, sich nach dem russischen 
Einmarsch in der Ukraine nicht mehr an die Grundakte gebunden zu fühlen. 
Diese Meinung hat auch NATO-Vize-Generalsekretär Mircea Geoană bei einem 
Besuch in Litauen öffentlich vertreten. Ob diese Interpretation, die von 
der bisherigen Linie der Bundesregierung abweicht, sich auf dem 
NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid durchsetzen wird, ist noch offen.

Mit einer möglichen Aufkündigung der Grundakte würde sich die NATO 
allerdings nicht nur freie Hand bei der Stationierung von 
konventionellen Truppen in Osteuropa verschaffen. Auch die Zusage der 
NATO, keine Atomwaffen auf dem Territorium der neuen Mitgliedsstaaten zu 
stationieren, wäre damit hinfällig. Ein Ende der NATO-Russland Grundakte 
könnte daher der Beginn eines neuen nuklearen Wettrüstens in Europa 
bedeuten. Wenig Hoffnung in dieser Hinsicht macht auch, dass die 
US-Streitkräfte bereits im Dezember 2021 das 56. Artilleriekommando in 
Deutschland reaktiviert haben, dem bis zum Ende des Kalten Krieges die 
US-Mittelstreckenraketen des Typ Pershing 2 unterstellt war.


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