[IMI-List] [0612] Auswertung: Einigung Bundeswehr-Sondervermögen / Weitere neue Texte

IMI-JW imi at imi-online.de
Mo Mai 30 15:43:14 CEST 2022


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0612 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

die Zeitenwende nimmt leider Form an: Gestern Abend einigten sich die 
Verhandler*innen von Ampel und Union, sodass dem 
Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Mrd. Euro und womöglich sogar einer 
gesetzlichen Verankerung des sogenannten 2-Prozent-Ziels der Weg gebahnt 
wurde.

Bevor in dieser Mail eine erste Auswertung folgt hier erst einmal noch 
die Hinweise auf die seit der letzten IMI-List erschienenen neuen Texte 
auf der IMI-Internetseite:

IMI-Analyse 2022/27 - in: Telepolis, 19.5.2022
Geflüchtete protestieren in Libyen gegen EU-finanzierte Folterknäste
https://www.imi-online.de/2022/05/30/gefluechtete-protestieren-in-libyen-gegen-eu-finanzierte-folterknaeste/ 

Pablo Flock (30. Mai 2022)

IMI-Standpunkt 2022/021
Wir sind am 24. Februar nicht in einer anderen Welt aufgewacht
Geostrategie und der Weg in die Eskalation in der Ukraine
https://www.imi-online.de/2022/05/30/wir-sind-am-24-februar-nicht-in-einer-anderen-welt-aufgewacht/ 

Jens Wittneben (30. Mai 2022)

IMI-Analyse 2022/26
Keine Verhandlungen – Mehr Waffen – Mehr Widerstand
Dreht sich die Stimmung über den Ukraine-Krieg in Deutschland?
https://www.imi-online.de/2022/05/11/keine-verhandlungen-mehr-waffen-mehr-widerstand/ 

Jürgen Wagner (11. Mai 2022)

IMI-Standpunkt 2022/020
Zynische Stellvertreter-Strategie
USA wollen keine Verhandlungen, sondern eine „beispiellose Summe“ für 
einen langen Krieg in der Ukraine bereitstellen
https://www.imi-online.de/2022/04/29/zynische-stellvertreter-strategie/
Jürgen Wagner (29. April 2022)

IMI-Analyse 2022/25
Eskalationsspiralen
Berlin gibt schwere Waffen für Ukraine frei
https://www.imi-online.de/2022/04/27/eskalationsspiralen/
Martin Kirsch (27. April 2022)


Nun aber zur Auswertung der Einigung über das Bundeswehr-Sondervermögen:

IMI-Standpunkt 2022/022
Einigung auf Kriegskredit
Ampel und Union verständigen sich auf 100 Mrd. Sondervermögen für die 
Bundeswehr
https://www.imi-online.de/2022/05/30/einigung-auf-kriegskredit/
Jürgen Wagner (30. Mai 2022)

Mit der am 27. Februar 2022 in seiner Regierungserklärung ausgerufenen 
Zeitenwende kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz zahlreiche tief greifende 
Maßnahmen an, insbesondere was die künftige finanzielle Ausstattung der 
Bundeswehr anbelangt. Die gestern Abend verkündete Einigung zwischen der 
Ampel-Regierung und der Unionsfraktion in Sachen Sondervermögen für die 
Bundeswehr ebnet nun der größten Aufrüstung in der Geschichte der 
Bundeswehr wohl endgültig den Weg. Damit hätten Regierung und 
Unionsopposition im „Grundsatz grünes Licht für Waffenbestellungen bei 
der Rüstungsindustrie in großem Stil“ gegeben, freut sich bereits die FAZ.

Rüstung per Regierungserklärung

In seiner Regierungserklärung brachte Scholz gleich in mehreren 
wichtigen Punkten die letzten kritischen Stimmen innerhalb von SPD und 
Grünen per Kanzlererklärung zum Schweigen, indem er sich zum Beispiel 
klar für die bis dahin hochumstrittene Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen 
oder etwa für die Beschaffung von F-35 Kampfflugzeugen und damit die 
Beibehaltung der Nuklearen Teilhabe aussprach (siehe IMI-Analyse 2022/10).
Völlig zu Recht erhielten allerdings die Passagen, die sich mit der 
künftigen finanziellen Ausstattung der Bundeswehr beschäftigten, die mit 
Abstand größte Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang enthielt die 
Regierungserklärung zwei weitreichende Ankündigungen. Erstens wurde ein 
hoher Mindestbetrag für den offiziellen Rüstungshaushalt ausgelobt: „Wir 
werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des 
Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“

Nicht umsonst war eine solche Größenordnung zwar lange von der NATO 
gefordert, aber ebenso lange für völlig undenkbar gehalten worden. Denn 
was hier so harmlos mit Zahlen im unteren einstelligen Bereich 
daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Erhöhung der 
Ausgaben um riesige Milliardenbeträge. Laut Statista belief sich das 
deutsche Bruttosozialprodukt im Jahr 2021 auf 3.570 Mrd. Euro. Wäre 
hierfür bereits die Scholzsche Formel angewandt worden, hätte sich der 
Militärhaushalt in diesem Jahr statt der tatsächlich eingestellten 46,9 
Mrd. Euro also auf mindestens 71,4 Mrd. Euro belaufen müssen.
Obwohl der Militäretat nach der Einigung auf den Bundeshaushalt 2022 am 
20. Mai 2022 mit 50,4 Mrd. Euro satte 3,5 Mrd. Euro über dem 
Vorjahresniveau liegen wird, ist es somit offensichtlich, dass zu den 
von Kanzler Scholz ausgerufenen 2% eine erhebliche Lücke klafft. Diese 
Kluft soll künftig jährlich durch die zweite in der 
Zeitenwende-Regierungserklärung enthaltene Bundeswehr-Budgetaussage 
geschlossen werden: „Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr 
Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen 
‚Bundeswehr‘ einrichten. […] Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses 
Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel 
werden wir für notwendige

Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.“

Das Geld soll in diesem Jahr per Kredit aufgenommen werden, um 2023 
wieder die Schuldenbremse einhalten zu können. Obwohl zwischenzeitlich 
auch über andere Optionen spekuliert worden war, soll das Sondervermögen 
per Grundgesetzänderung über die Bühne gebracht werden, da es ansonsten 
rechtlich doch auf sehr wackligen Beinen stehen würde. Und hierfür 
braucht es wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die 
Unionsfraktion, die sich - gerade erst von der Regierungsbank geflogen - 
unversehens gleich wieder in einer Position sah, Forderungen stellen zu 
können. In den dann anschließenden Verhandlungen um die Ausgestaltung 
des Sondervermögens pochte die Union vor allem auf zwei Forderungen: 
Einmal, dass die 100 Mrd. Euro ausschließlich der Bundeswehr 
zugutekommen dürften; und zweitens wollte sie das 2-Prozent-Ziel gleich 
mit ins Grundgesetz als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes 
mit hineindrücken.

Fokus Bundeswehr

Der Gesetzentwurf zur Sondervermögen-Grundgesetzänderung in Artikel 87a 
liegt bereits seit März 2022 vor, unter anderem die FAZ (15.3.2022) 
hatte bereits aus ihm zitiert: „Zur Stärkung der Bündnis- und 
Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener 
Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro 
errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und 
Artikel 115 Absatz 2 [Schuldenbremse] nicht anzuwenden. Das Nähere 
regelt ein Bundesgesetz.“

Der recht allgemein gehaltene Begriff der „Bündnis- und 
Verteidigungsfähigkeit“ war dabei hinreichend schwammig formuliert, dass 
vor allem die Grünen darauf pochen konnten, das 100 Mrd. Euro 
Sondervermögen solle auch für andere sicherheitsrelevante Bereiche 
außerhalb der Bundeswehr genutzt werden können. Augenscheinlich konnten 
– oder wollten – sich die Grünen bei der jetzigen Einigung an diesem 
Punkt aber nicht durchsetzen. Dazu lässt sich heute bei tagesschau.de 
nachlesen: „Beim Streitpunkt der Verwendung des Geldes wurde vereinbart, 
dass auch Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie zur 
Stabilisierung von Partnerländern ergriffen werden - aber ‚aus dem 
Bundeshaushalt finanziert‘, also nicht aus dem Sondervermögen. Die Union 
hatte darauf gepocht, dass das Sondervermögen ausschließlich für die 
Bundeswehr verwendet wird. Vor allem die Grünen wollten, dass mit dem 
Geld auch Cyberabwehr sowie Unterstützung für Partnerstaaten finanziert 
wird.“

Ob der im März präsentierte Gesetzesentwurf nun noch einmal geändert 
oder ob der Ausgaben-Fokus auf die Bundeswehr in einer separaten 
Abmachung festgehalten wird, ist bislang unklar. Interessant ist 
jedenfalls, dass der Tagesspiegel berichtet, die grüne Außenministerin 
Annalena Baerbock hätte zunächst in harten Verhandlungen erreicht 
gehabt, dass im Kabinettsbeschluss zum Sondervermögen die direkte 
Nennung der Bundeswehr als alleinigem Nutznießer vermieden worden war. 
Ein echtes Armutszeugnis ist dann aber die Begründung, weshalb die 
Grünen laut Tagesspiegel wohl meinten, hier klein beigeben zu müssen – 
und die sagt auch viel über die Prioritäten der Partei aus: „In den 
Verhandlungen zum Entschließungsantrag des Bundestags zur Lieferung 
schwerer Waffen hatte die Union dann als Preis ihrer Zustimmung 
erreicht, dass statt der Baerbock-Formel wieder die Ausstattung der 
Bundeswehr genannt wurde, was sie auch für die Verhandlung zur 
Grundgesetzänderung einforderten.“

Fest steht auf alle Fälle, wer hier seinen Kopf durchgesetzt hat: 
„Punktsieg für die Union, eine Niederlage für die Grünen“, urteilt der 
Tagesspiegel. Und auch im zweiten zentralen Bereich, dem 2-Prozent-Ziel, 
ist es weitaus weniger klar, als es gerade in der Presse dargestellt 
wird, ob die Union nicht auch hier am Ende noch einen zweiten Punktsieg 
davontragen wird.

2%-Ziel durch die Hintertür?

Die gestrige Einigung zwischen Ampel und Union besage, das 
2-Prozent-Ziel werde künftig „im mehrjährigen Durchschnitt“ erreicht, 
heißt es in Medienberichten. Allerdings hat das Ganze einen erheblichen 
Haken: Angesichts eines Bundeswehr-Etats von 50,4 Mrd. Euro in diesem 
Jahr und den – bisherigen – Planungen in den Eckwerten des 
Bundeshaushaltes vom 16. März, in denen offizielle jährliche 
Militärausgaben von 50,1 Mrd. Euro in den Jahren 2023 bis 2026 
vorgesehen sind, klafft eine jährliche Lücke zum 2-Prozent-Ziel im 
Umfang von rund 25 Mrd. Euro (bei steigender Tendenz), die über das 
Sondervermögen geschlossen werden soll. Bleibt es bei den bisherigen 
Planungen, so wird das Sondervermögen dann aber bereits 2025 
aufgebraucht sein, wie zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für 
Auswärtige Politik (DGAP) errechnete. Vor diesem Hintergrund müsste 
angesichts des zu erwartenden Anstiegs des BIP der offizielle 
Militärhaushalt dann irgendwann 2025 oder 2026 um etwa 30 Mrd. Euro 
angehoben werden – und das bei Einhaltung der „Schwarzen Null“, das 
heißt auf Kosten massiver Einsparungen in anderen Haushalten.

Es sei deshalb zwingend, den offiziellen Haushalt so schnell wie möglich 
auf die besagten 2-Prozent anzuheben, sonst drohten erneut gravierende 
Deckungslücken, so die DGAP weiter: „Laut Entwurf soll der 
Verteidigungshaushalt bei 50,1 Milliarden Euro eingefroren werden. Schon 
2022 müsste der Haushalt aber etwa 75 Milliarden Euro betragen, um auf 
zwei Prozent des BIPs zu kommen. Bleibt der jährliche 
Verteidigungshaushalt bis 2030 konstant, entsteht eine 
Finanzierungslücke von 349 Milliarden Euro. Ein Teil dieser Lücke – 100 
Milliarden Euro – wird durch das Sondervermögen aufgefangen. Damit 
fehlen in den kommenden acht Jahren aber immer noch 249 Milliarden Euro, 
oder 269 Milliarden, wenn das Sondervermögen bis 2032 gestreckt wird.“

Vor diesem Hintergrund beharrte die Union lange darauf, sogar das 
2-Prozent-Ziel als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes mit in 
die Grundgesetzänderung aufzunehmen. Das zumindest scheint nun nach der 
gestrigen Einigung erst einmal vom Tisch zu sein. Die Union habe sich in 
dieser Frage „nicht durchsetzen“ können, ist in der Presse zu lesen. 
Allerdings heißt es nun aus den Reihen der Unionsfraktion, das sei 
ohnehin nie das Ziel gewesen, das 2-Prozent-Ziel solle vielmehr über ein 
kommendes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz auch nach Aufbrauchen des 
Sondervermögens gewährleistet werden: „Unions-Fraktionsvize [Johann] 
Wadephul betont, ein eigenes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz solle die 
Details zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels absichern. Die Lösung 
sieht nun so aus, erläutert er auf Tagesspiegel-Anfrage: Der Bund 
verpflichte sich mit dem Bundeswehr-Finanzierungsgesetz erstmalig per 
Gesetz, die zwei Prozent, also aktuell rund 70 Milliarden Euro im Jahr, 
für die Bundeswehr und Verteidigung, dauerhaft einzuhalten. ‚Das 
geschieht zunächst durch den Bundeshaushalt plus Sondervermögen. Wenn 
dieses aufgebraucht ist, muss der Bundeshaushalt entsprechend erhöht 
werden‘, so Wadephul.“ (Tagesspiegel)

Unklar ist aktuell, ob sich die Verhandler*innen von Ampel und Union 
hierauf verbindlich verständigt haben. Sollte dies der Fall sein, wäre 
die Ampel noch in dieser Legislatur unter einem erheblichen Zugzwang, 
ihr blieben damit nur drei Optionen: Entweder sie beginnt bereits im 
kommenden Jahr damit, den offiziellen Haushalt deutlich anzuheben, würde 
aber damit ihre bisherigen Planungen über den Haufen werfen, den Etat 
auf 50,1 Mrd. Euro einzufrieren; oder sie setzt zum großen Sprung an und 
lässt das offizielle Militärbudget nach Aufbrauchen des Sondervermögens 
in einigen Jahren gleich massiv um die besagten rund 30 Mrd. Euro 
anwachsen, stünde dann aber vor dem Problem, wie dies über Kürzungen in 
anderen Haushalten refinanziert werden soll; oder sie kassiert ihr 
eigenes Gesetz wieder ein, was der Ampel, selbst wenn dies gewollt wäre, 
wohl recht schwerfallen dürfte. Somit wurden gestern wohl die Grundlagen 
gelegt, um aus Deutschland zumindest von den Ausgaben her dauerhaft die 
größte Militärmacht in Europa zu machen.



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