[IMI-List] [0602] General Krisenstab / Studie: EU-Verteidigungsfonds

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Fr Dez 3 15:31:46 CET 2021


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0602 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) der Hinweis auf eine neue IMI-Studie zum ersten offiziellen
Rüstungshaushalt der Europäischen Union;

2.) eine Kommentar zur Ernennung eines Bundeswehr-Generals zum Leiter
des Corona-Krisenstabes.


1.) Studie: EU-Verteidigungsfonds zur EU-Aufrüstung

Seit diesem Jahr verfügt die Europäische Union erstmals auch offiziell
über eine Art Rüstungshaushalt, den EU-Verteidigungsfonds (EVF), über
den die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern mit 8 Mrd. Euro
gefördert werden soll. Am 9. Dezember endet die erste
EVF-Ausschreibungsrunde, die Entscheidung, welche Unternehmen in welchem
Umfang profitieren sollen, soll aber erst im Juni 2022 verkündet werden.
Die frisch erschienene IMI-Studie „Europäische Aufrüstung und
Europäischer Verteidigungsfonds – eine erste Bilanz“ analysiert den EVF
und seine Vorläufer, woraus sich auch Rückschlüsse über die künftigen
Schwerpunkte und die Ausrichtung des neuen EU-Rüstungstopfes ableiten
lassen.


IMI-Studie 2021/9
Europäische Aufrüstung und Europäischer Verteidigungsfonds – eine erste
Bilanz
https://www.imi-online.de/2021/12/02/europaeische-aufruestung-und-europaeischer-verteidigungsfonds-eine-erste-bilanz/

Catrin Lasch (2. Dezember 2021)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Säulen der Rüstungsunion
Der Weg zum Europäischen Verteidigungsfonds
-- EDIDP und PADR – Auswertung
-- Militärische Fähigkeitslücken und Kapazitäten
-- Technologien und Cluster
-- Profiteure: Länder
-- Profiteure: Unternehmen
-- Kleine Staaten: Anreize und Einbindung
EVF: Auswertung und Ausblick
-- Überblick und erste Ausschreibung
-- Fehlende Kontrollmechanismen
Fazit
Anmerkungen

Zur Studie:
https://www.imi-online.de/2021/12/02/europaeische-aufruestung-und-europaeischer-verteidigungsfonds-eine-erste-bilanz/


2.) IMI-Standpunkt: Ein General für den Corona-Krisenstab

IMI-Standpunkt 2021/062
Impfkampagne mit General
Die Bundeswehr als Krisenmanager im zivilen Katastrophenschutz
Martin Kirsch (3. Dezember 2021)

Die neue Ampelkoalition ist im Regierungsmodus angekommen. Mit ihren
Beschlüssen zur Reaktion auf die vierte Welle der Corona Pandemie
zeichnet sich langsam ab, wie künftig mit Krisen umgegangen werden soll.
Als Zwischenziel bis Weihnachten wurde die Durchführung von 30 Millionen
weiteren Impfungen ausgegeben. Um dieses Ziel durch- und umsetzen zu
können, zieht der designierte Kanzler Scholz Kompetenzen an sich.
Verortet im Bundeskanzleramt entsteht ein neuer Bund-Länder-Krisenstab,
der die zunehmend zentralisierte Impfkampagne steuern soll. Als Leiter
dieses Krisenstabes hat Carsten Breuer bereits seine Arbeit aufgenommen.
Breuer ist allerdings kein Politiker, kein Beamter, kein
Unternehmensberater und auch kein Wissenschaftler, sondern
Zweisternegeneral der Bundeswehr.

Vom der Kaserne ins Kanzleramt

Begleitet von Lobpreisungen aus SPD und FDP hat Generalmajor Carsten
Breuer sein Büro im Kanzleramt bereits bezogen. Breuers Karriere bei der
Bundeswehr führte ihn bisher als Truppenkommandeur in den KFOR-Einsatz
im Kosovo und auf den Posten des Direktors für Laufende Operationen
(Current Ops) im ISAF Hauptquartier in Kabul. Zudem hat der studierte
Pädagoge im Generalsrang sowohl im Verteidigungsministerium in Berlin
als auch in Brüssel bei der NATO bereits Posten mit engem Kontakt zur
Politik besetzt. Seit 2018 war er Kommandeur des Kommandos Territoriale
Aufgaben (KTA) der Bundeswehr in Berlin. Dort war Breuer für die
Koordination aller Inlandseinsätze der Bundeswehr zuständig. In engem
Kontakt mit Bundes- und Landesregierungen koordinierte er
Bundeswehreinsätze nach extremen Schneefällen in Süddeutschland, gegen
die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland und die
Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr nach den Überschwemmungen in
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Zudem spielt das Lagezentrum
des KTA seit Frühjahr 2020 eine zentrale Rolle in der Leitung der
Maßnahmen der Bundeswehr im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Neben
Hilfsmaßnahmen der Bundeswehr in Katastrophenfällen ist das KTA aber
auch für weitere Einsätze im Inland zuständig.

Erst im Oktober besuchte Breuer eine gemeinsame Anti-Terror-Übung der
Polizei Bayern und der Bundeswehr im oberfränkischen Hof. In einem
Bericht der Bundeswehr aus dem Januar 2020 wurde das Kommando
Territoriale Aufgaben zudem als “Spinne im Netz” der deutschen
Unterstützungsleistungen für das US-Großmanöver Defender 2020
bezeichnet. Dort laufen die Fäden für zivile und militärische
Unterstützung des Transits von NATO-Truppen durch Deutschland, im Rahmen
des sogenannten Host Nation Support, zusammen.

Breuer ist nicht der Erste

Generalmajor Breuer ist allerdings nicht der erste General der
Bundeswehr, der im Rahmen der Corona-Pandemie auf einen zivilen
Spitzenposten versetzt wurde. Bereits im März 2021 wurde im
Bundesgesundheitsministerium unter Minister Spahn der neue Posten des
Abteilungsleiters für Gesundheitsschutz, Gesundheitssicherheit und
Nachhaltigkeit geschaffen. Besetzt wurde er mit Generalarzt Hans-Ulrich
Holtherm. Holtherm war bereits in zwölf Auslandseinsätzen auf drei
Kontinenten aktiv. Im Zuge der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) 2009 und
2014 während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika wurde der
Bundeswehrmediziner als Krisenmanager ans Gesundheitsministerium
ausgeliehen. Auf seinem neuen Posten leitete er seit letztem Frühjahr
den allwöchentlich tagenden gemeinsamen Krisenstab von
Bundesgesundheits- und Innenministerium. Dort werden keine Maßnahmen
umgesetzt, sondern strategische Diskussionen zur Vorbereitung von
politischen Entscheidungen geführt.

Zwischen der Berufung von Generalarzt Holtherm im März 2020 und der
Berufung von Breuer Ende November 2021 gibt es allerdings einen
zentralen Unterschied. Als Holtherm ins Gesundheitsministerium
wechselte, war davon in der Öffentlichkeit kaum etwas zu hören. Der
Generalarzt arbeitet seitdem als Abteilungsleiter und Experte für
Pandemien weitestgehend hinter den Kulissen. Die Berufung von
Generalmajor Breuer ins Kanzleramt hingegen ist ein mediales
Großereignis. Seit dem Wochenende kursierten Berichte über seine
Berufung und Jubelrufe aus der FDP. Am Dienstag nach der
Bund-Länder-Krisensitzung stellte Kanzler in spe Scholz die Berufung von
Breuer dann als die zentrale Maßnahme zur Beschleunigung der
Impfkampagne vor. Beiden Berufungen ist allerdings gemein, dass
Politiker*innen unterschiedlicher Couleur in brenzligen Situationen, in
denen es um effiziente Entscheidungsfindung und Durchsetzung in der
Pandemie geht, dem Charme der Generalsuniformen erliegen.

Der Griff zum General

Was genau die Ampelkoalitionäre dazu bewogen hat, einen General an die
Spitze der Impfkampagne und damit auch an die politisch heikle
Schnittstelle im föderalen Geflecht zwischen den Zuständigkeiten von
Kommunen, Ländern und Bund zu stellen, beantworten die Koalitionäre nicht.

In den Medien werden diverse Optionen diskutiert. Die Rede ist vom
Vorbild der erfolgreichen Impfkampagne in Italien und Portugal, deren
Leitung ebenfalls von Spitzenmilitärs übernommen wurde. Von der
Effizienz der Generäle, die als “talentierte Führer” ausgebildet werden,
ist die Rede. Andere sprechen von einer symbolischen Personalie oder von
Symbolpolitik. Aber was symbolisiert ein General in einer zivilen
Führungsposition, von der vermeintlich Wohlergehen und die Gesundheit
der gesamten Bevölkerung abhängt? Ist es ein autoritäres Symbol der
Handlungsbereitschaft und des Durchsetzungswillens? Nach außen lautet
das Signal wohl: “Wir packen es jetzt an” – oder, wie Olaf Scholz sich
gern zitieren lässt: “Wer Führung bestellt, bekommt sie auch.” Innerhalb
des Apparats wird Militärs in politischen Funktionen nachgesagt, dass
sie auch unkonventionelle Wege gehen, um an ihr Ziel zu kommen.

Auch ein Imagegewinn für die Bundeswehr dürfte bei diesem Einsatz von
Breuer herausspringen. Bisher profitierte die Bundeswehr in der Gunst
der Bevölkerung immer von Hilfseinsätzen in Deutschland, ob bei der
Sturmflut 1963 in Norddeutschland, dem Hochwasser in Ostdeutschland 2002
und 2013, dem extremen Schnee 2019 in Bayern oder den Überschwemmungen
in diesem Sommer in Westdeutschland. In einem Podcast der ZEIT wird
sogar spekuliert, ob es sich um ein Angebot an konservative und rechte
Impfskeptiker*innen handelt, die sich von einem schneidigen General eher
überzeugen lassen, als von Politiker*innen und Wissenschaftler*innen.

Anteile von all diesen Erklärungen dürften bei Teilen der
Ampelkoalitionäre eine Rolle gespielt haben. Offensichtlich wird dadurch
allerdings das politisch Versagen. Wenn es nicht möglich zu sein
scheint, politische Grabenkämpfe und Zerrereien um Kompetenzen durch
Politiker*innen oder politische Beamt*innen soweit zu befrieden, dass
eine brauchbare Impfstrategie dabei herauskommt, sondern erst ein
vermeintlich “neutraler” General dazu benötigt wird, stellen sich die
Entscheidungsträger*innen des gesamten politischen Apparats selbst in Frage.

Krisenstäbe als Dauerzustand

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass zeitnah weitere zivile
Spitzenposten mit Generälen besetzt werden, ist die Einrichtung des
neuen Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt mit Beteiligung der
Bundeswehr nur ein Vorzeichen für die Dinge, die in den nächsten Monaten
und Jahren noch kommen werden. Auf der aktuell noch laufenden
Innenministerkonferenz in Stuttgart wird diskutiert, einen dauerhaften
Bund-Länder-Krisenstab im Kanzleramt zu installieren, der bei Bedarf
aktiviert werden kann.

Zudem soll der Bund laut Ampel-Koaltionsvertrag “mehr Verantwortung für
den Bevölkerungsschutz übernehmen.” Ein zentrales Element ist der Ausbau
des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu
einer bundesweiten Zentralstelle mit einem dort entstehenden
Kompetenzzentrum, in dem alle Fäden für den Katastrophenschutz
zusammenlaufen sollen. Am Tisch sitzen dann neben Vertreter*innen von
Bund, Ländern, dem THW, diverser Hilfsorganisationen und der Polizei
auch Soldat*innen der Bundeswehr.

Bundeswehr baut ihr Netzwerk in Inland aus

Die Bundeswehr ist parallel mit dem Umbau ihrer eigenen Strukturen für
Inlandseinsätze beschäftigt. Laut dem Eckpunktepapier für die Zukunft
der Bundeswehr vom Mai diesen Jahres ist ein eigenes Territorialkommando
der Bundeswehr auf höchster Ebene geplant. Mit zwei Lagezentren in Bonn
und Berlin sollen von dort aus künftig alle Bundeswehreinsätze in
Deutschland, von der Katastrophenhilfe über Terrorabwehr und
Manöverunterstützung bis zur Sicherung von Kasernen und Infrastruktur im
Kriegsfall geplant werden. In die aktuellen Umbaupläne ist die Reflexion
der spontan aufgestellten Führungsstrukturen für den Corona-Einsatz der
Bundeswerhr im Verlauf 2020 bereits eingeflossen.

Um die Kommunikation zwischen Bundeswehr und zivilen
Katastrophenschutzkräften zu vereinfachen und zugleich zu
digitalisieren, arbeitet die Bundeswehr aktuell an einem
IT-Vernetzungsprojekt namens Territorial Hub. In der neuen
Softwareumgebung sollen alle Akteure, von THW, Feuerwehren und
Rettungsdiensten über Polizei, Bundeswehr und andere in Deutschland
stationierte Streitkräfte bis zu NGOs vernetzt werden. Trotz
unterschiedlicher Computersysteme in den einzelnen Organisationen sollen
diese mit einer Art Cloud auch geheime Daten austauschen können und soll
eine gemeinsame Einsatzführungssoftware zur Verfügung stehen. Erst 2019
war die Bundeswehr für Aufgaben im Inland in das Digitalfunknetz der
zivilen Sicherheitsbehörden mit eingestiegen.

Alles in allem stellt die Bundeswehr mit diesem neuen Projekt das
gesamte System des Föderalismus mit der politischen Hoheit der Länder im
Katastrophenschutz sowie das Prinzip der Subsidiarität (das besagt, dass
die Bundeswehr nur dann im Inland zum Einsatz kommt, wenn der zivile
Katastrophenschutz an seine Grenzen kommt) völlig auf den Kopf.

Mit dem Territorial Hub schafft die Bundeswehr eine digitale
Infrastruktur, die das Militär dauerhaft und fest in der zivilen
Krisenbewältigung verankern soll. Das Ziel dieser Vernetzung ist es
allerdings nicht, immer mehr Soldat*innen in Katastrophenschutzeinsätze
zu schicken. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundeswehr versucht bereits
jetzt, mehr Einfluss auf den zivilen Katastrophenschutz zu gewinnen,
damit diese Strukturen im Ernstfall, im Falle eines Krieges, gut
aufgestellt und mit der Bundeswehr vernetzt sind. Nur dann könnten die
Zivilen der Bundeswehr und den Armeen der NATO bei ihrem Aufmarsch
Richtung Osten den Rücken freihalten. Aber auch für das, was gern als
hybrider Krieg bezeichnet wird – die Kriegsführung mit vermeintlich
zivilen Mitteln – und die Abwehr entsprechender Angriffe ist eine enge
Vernetzung mit den zivilen Sicherheits- und Rettungskräften für die
Streitkräfte von großem Vorteil.

Einen General als Leiter eines Bund-Länder-Krisenstabes im Kanzleramt zu
haben, der im Rahmen der Impfkampagne Kontakte in alle beteiligten
Bundesbehörden, Bundesländer und Kommunen knüpft (wenn diese nicht schon
aus seine vorherigen Job bestanden), ist für die Bundeswehr ein
gefundenes Fressen. Die Armee wird so noch selbstverständlicher mit der
Bewältigung von eigentlich zivilen Krisen verknüpft, gewinnt dabei noch
an Image und kann die Militarisierung des Katastrophenschutzes in aller
Ruhe fortsetzen oder sogar beschleunigen.


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