[IMI-List] [0601] Koalitionsvertrag / Bericht IMI-Kongress: Manöver als Brandbeschleuniger

imi imi at imi-online.de
Fr Nov 26 13:47:36 CET 2021


----------------------------------------------------------
Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0601 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
----------------------------------------------------------


Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) der Hinweis auf eine erste Auswertung des gestern veröffentlichten
Koalitionsvertrages;

2.) der Bericht vom IMI-Kongress „Manöver als Brandbeschleuniger“ am
vergangenen Samstag.


1.) Koalitionsvertrag – erste Kurzeinschätzung

Über die friedenspolitischen Passagen des leider nicht sonderlich
erbaulichen gestern vorgelegten Koalitionsvertrages liegt eine erste
Kurzeinschätzung vor:

IMI-Standpunkt 2021/061
Friedenspolitik per Koalitionsvertrag abgeräumt
Die Ampel spricht sich für die Bewaffnung von Drohnen und die Nukleare
Teilhabe aus
https://www.imi-online.de/2021/11/25/friedenspolitik-per-koalitionsvertrag-abgeraeumt/

Jürgen Wagner (25. November 2021)


2.) Manöver als Brandbeschleuniger: Bericht vom IMI-Kongress

IMI-Mitteilung
Manöver als Brandbeschleuniger
Bericht vom Kongress der Informationsstelle Militarisierung
https://www.imi-online.de/2021/11/25/manoever-als-brandbeschleuniger-2/
IMI (25. November 2021)

Zum inzwischen 25. Mal fand am Samstag, den 20. November 2021, der
alljährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung statt.
Pandemiebedingt auf mehreren Ebenen – in Präsenz, im Radiolivestream und
im Internet – beschäftigten sich dabei durchgängig über 150
Interessierte mit dem Thema „Manöver als Brandbeschleuniger“.
Durchgehend wurde dabei in den Beiträgen der Panels wie auch aus dem
Publikum auf die von den zunehmenden Manövertätigkeiten ausgehenden
Gefahren verwiesen, die aus diesem Grund verstärkt in den Fokus der
Friedens- und Antikriegsbewegung rücken sollten.

Den Auftakt bestritt IMI-Vorstand Tobias Pflüger, der einen Einstieg in
„Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen“ bot. Er ging dabei auf
verschiedene Manöverformen – vom Planspiel bis zur konkreten
Gefechtsübung – ein, die auch im Umfang stark variieren würden: von
wenigen SoldatInnen bis hin zu hohen fünfstelligen Zahlen. Geprobt
würden dabei von der NATO u.a. Einsätze zur Rohstoffsicherung, aber auch
Angriffsszenarien im Zusammenhang von Großmachtkriegen, die nichts mit
Landesverteidigung zu tun hätten. Im Zuge dieser Manöver komme es immer
häufiger zu Beinahe-Zusammenstößen zwischen westlichen und russischen
Truppen. Dies sei besonders gefährlich, weil gleichzeitig viele der
Kommunikationskanäle, die im Kalten Krieg eine Eskalation vermeiden
helfen sollten – „rotes Telefon“, „heißer Draht“ usw. – heute nicht mehr
existieren.

Im Rahmen des Panels „Logistik für Übung und Ernstfall“ zeigten Victoria
Kropp (Friedensforscherin) und Alexander Kleiß (IMI-Beirat) aktuelle
Schritte der EU und der NATO auf, die zusammen an einem Ausbau der
logistischen Infra- und Kommandostrukturen arbeiten. Victoria Kropp
erklärte, dass Militärische Mobilität den ungehinderten Transport von
Truppen und Material über EUropäische Landesgrenzen hinweg ermöglichen
solle. Auf EU-Ebene sei die Militärische Mobilität eine der
Verpflichtungen von PESCO und es bestehe ein EU-Aktionsplan für
Militärische Mobilität. Skandalös sei die Finanzierung des Ausbaus der
Militärischen Mobilität in der EU, die u.a. durch den
EU-Wiederaufbaufonds erfolge, der zur Bewältigung der Pandemie
eingerichtet wurde. Die EU arbeite mit der NATO zusammen, die die
Fähigkeit anstrebe, Truppen innerhalb von 48 bis 72 Stunden im gesamten
Bündnisgebiet verlegen zu können. Die Verlegungen sollten provozieren,
abschrecken oder die Kriegsbereitschaft demonstrieren. Alexander Kleiß
stellte das Multinationale Kommando Operative Führung und das Joint
Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm vor. Ersteres sei für
multinationale Einsätze der EU und der NATO zuständig. Das seit
September 2021 voll einsatzfähige JSEC, im Grunde ein
Mobilmachungszentrum für NATO-Einsätze und Manöver, sei u.a. für die
Koordinierung der Truppenbewegungen in Europa, die Transportlogistik und
im Rahmen des PESCO-Projekts Militärische Mobilität für die Planung
wichtiger Doppelnutzungs-Infrastruktur zuständig. Proteste gegen das
JSEC habe es bereits in Ulm gegeben, weitere seien wahrscheinlich.

Aaron Lye, Informatiker und Mitglied im Forum InformatikerInnen für
Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) stellte in seinem
Vortrag „NATO-Manöver im Cyberraum“ zunächst kursorisch Akteure, Ziele
und Methoden von Cyberangriffen vor. Dabei spielten als Akteure Staaten
und als Ziel die Unterstützung militärischer Operationen eine wachsende
Rolle. Ein Angriff erfolge immer in zwei Phasen: Die erste bestehe in
der Analyse der anzugreifenden Systeme und der Ausspähung von
Sicherheitslücken, die zweite dann in deren Nutzung. Anschließend
stellte er drei Cyber-Übungen vor, die regelmäßig und in wechselnder
Zusammensetzung von der NATO durchgeführt würden. Bei der Übung „Cyber
Coalition“ würden v.a. Entscheidungsstrukturen eingeübt, bei „Locked
Shields“ hingegen versuchen mehrere Teams mit insgesamt ca. 1.000
Teilnehmenden, Cyber-Angriffe abzuwehren. Sehr wenig sei hingegen über
den Übungszyklus „Crossed Swords“ bekannt, wo auch offensive
Cyber-Operationen zur Unterstützung von Spezialkräften eingeübt würden.
Insgesamt wurde deutlich, dass Cyber-Operationen in großem Maßstab
vorbereitet und seit 2008 systematisch im Manöver geübt werden.
Besonders Phase 1 – das Ausspähen von Sicherheitslücken – ist bereits im
Vorfeld militärischer Auseinandersetzungen längst Alltag.

Das „Säbelrasseln gegen Russland“ war Gegenstand des folgenden Panels.
Claudia Haydt vom IMI-Vorstand ging dabei besonders auf das „Großmanöver
Defender Europe 2022“ ein, bei dem es sich um eines der zentralen gegen
Russland gerichteten Manöver handele. Im Jahr 2020 sei es dabei vor
allem darum gegangen, die Logistik für die Verlegung einer US-Division
(20.000 SoldatInnen) von den USA an die europäische Westküste und von
dort quer durch Europa an die Grenze zu Russland zu trainieren. In
diesem Jahr habe der Aufmarsch im Schwarzen Meer im Zentrum gestanden.
Über das kommende Manöver Defender 2022 sei noch nicht alles bekannt –
wahrscheinlich würden wohl 13.500 SoldatInnen teilnehmen, stattfinden
werde es sich voraussichtlich zwischen Februar und Mai 2022. Klar ist
aber schon jetzt, dass systematische Experimente zur Integration neuer
Waffentechnologien in herkömmliche Manöver geben wird.

Wie Planspiele zu Rüstungsprojekten werden, war das Thema  in dem
Beitrag „Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung“ von Martin Kirsch
(IMI-Vorstand). Wichtig seien hier vor allem drei Papiere des
Heereskommandos aus dem Jahr 2017, insbesondere das unter Ägide von
General Frank Leidenberger erstellte Dokument „Wie kämpfen
Landstreitkräfte künftig“. In dem ins Internet gelangten Papier werde
recht detailliert eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland
durchgespielt und Defizite identifiziert, die für eine „siegreiche“
Absolvierung des Szenarios behoben werden müssten. Die Ergebnisse seien
dann direkt in die „Konzeption der Bundeswehr“ (2018) und die „Eckpunkte
für die Bundeswehr der Zukunft“ (2021) eingeflossen, die unter anderem
die Aufstellung eines gegen Russland gerichteten Großverbandes bis 2027
vorsähen.

Im fünften Panel „Manöver, Umwelt und der Sprit“ sprach Jacqueline
Andres (IMI-Vorständin) zu den ökologischen Folgen von Militärmanövern.
Sie zeigte die drastischen Umwelteinwirkungen militärischer Übungen
durch verschiedene Formen von Emissionen, durch Unfälle, Explosionen,
Brände und vieles mehr auf. Die Referentin griff zur Veranschaulichung
mehrere Manöver weltweit heraus. Sie schloss den Vortrag mit Beispielen
für erfolgreichen Widerstand gegen Militärübungen und Übungsplätze.

Um nicht den gesamten Kongress über bei der grauen (und trüben) Theorie
zu verbleiben, bildete Jan Meyer mit seinem Beitrag „Militärtransporte
blockieren: Ein Bericht aus der Praxis“ einen erfrischenden Abschluss.
Manöver würden sich ideal für Protestaktionen eignen und zwar weniger in
Form von Großdemonstrationen, sondern durch kleine Aktionen, die extrem
effektiv sein könnten. Er beschrieb dabei beispielhaft eine Aktion gegen
eine Militärübung in Husum, die auch dazu geführt habe, dass den
AktivistInnen in der lokalen Presse breiter Raum für ihre Kritik gegeben
wurde. Wichtig sei es ebenfalls, sich darüber im Klaren zu sein, dass
Aktionen gegen Manöver schnell zu Repressionen führen können, diesen
aber dann wiederum mit kreativen Aktionen am besten begegnet werden
könnte. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gäbe es in
Deutschland wenig direkte Proteste gegen Manöver, weshalb er seinen
Beitrag mit einem Plädoyer beendete, diesen Umstand zu ändern.


Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List